Anröchte/ Soest

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Deutschland, Bundesland Nordrhein-Westfalen Regierungsbezirk Arnsberg, Kreis Soest

Anröchte ist eine Gemeinde in Nordrhein-Westfalen und liegt am Nordrand des Haarstrangs und im Südosten des Kreises Soest. Im Westen von Anröchte liegt die Gemeinde Bad Sassendorf, im Norden die Stadt Erwitte. Östlich von Anröchte liegt die Gemeinde Rüthen und südlich die Stadt Warstein. Die Gemeinde teilt sich in 10 Ortsteile auf:
Altengeseke, Altenmellrich, Anröchte, Berge, Effeln, Klieve, Mellrich, Robringhausen, Uelde und Waltringhausen.


Nationalsozialismus

Mit der Nationalsozialistischen Regierung in Deutschland ab 1933 wuchs auch in Lippstadt der Druck auf die jüdische Bevölkerung und ihre Einrichtung. Ein großer Teil der Gemeinde verließ Lippstadt und Deutschland, den Verbliebenen wurde die Zahlung des vertraglichen Entgelts für die Unterhaltung des Friedhofs zu teuer, sodass der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Julius Lichtenfels, die Stadtregierung am 28. Januar um eine Halbierung der Kosten bat. Dies wurde vom Bürgermeister abgelehnt. Auf einen Brief vom 24. Februar 1936, in dem gefordert wurde, die Arbeit an den jüdischen Gräbern einzustellen und den Zugang über den christlichen Friedhof zu sperren, veranlasste der Bürgermeister ein Gutachten des zuständigen Sachbearbeiters.

Dieser antwortete:
Die vorstehenden Verträge, die die Stadt Lippstadt mit Juden abgeschlossen hat, sind für eine nationalsozialistische Gemeinde im dritten Reich eine unerträgliche Belastung. Sie stehen auch in direktem Widerspruch zu unserer Weltanschauung.
Denn, nach einem Artikel in der 'Roten Erde' macht sich jeder Beamte strafbar, wenn er mit Juden verkehrt oder ihm Dienste leistet. Aus alledem folgt aber, dass eine nationalsozialistische Behörde allein schon aus Gründen der Moral und auch um deutsche einfache Volksgenossen nicht dauernd in einen schweren Gewissenskonflikt zu bringen, städtische Beamte und auch städt. Arbeiter heute nicht mehr zwingen darf, weiter Juden Dienste zu leisten, die ihrer unwürdig sind und den Nationalsozialismus ins Gesicht schlagen.“
Soweit sich die Eingabe am 24. 2. 1936 auf den Zugang zum Judenfriedhof bezieht, kann den Juden das Betreten des städt. Friedhofs verboten und ihnen zur Bedingung gemacht werden, ihren Friedhof nur auf direktem Wege durch den besonderen Eingang auf der Lipperoderlandstraße zu betreten.
Als Resultat dieser Antwort kündigte der Bürgermeister den Juden den Vertrag von 1922 und ließ offiziell keine Beerdigungen auf dem Friedhof mehr zu. Außerdem wurde den Juden verboten, den Friedhof über den christlichen Friedhof zu betreten. In der Folge dieser Verbote wurden von den Anwohnern auf den Gräbern der jüdischen Gemeinde sogar Kartoffeln angepflanzt, ohne dass die städtischen Behörden einschritten. Nach der sogenannten Reichspogromnacht 1938 schrumpfte die jüdische Gemeinde auf 18 Personen, die allesamt älter waren und mit ihrem Leben abgeschlossen hatten. Die letzte Beerdigung fand im November 1940 statt, dabei handelte es sich um die 90-jährige Julie Abel. Nachdem sie begraben war wurde der Friedhof endgültig geschlossen, der Viehhändler Julius Steinberg, der am 23. Januar 1942 in Lippstadt starb, wurde ohne Aufsehen auf dem Judenfriedhof in Anröchte verscharrt. Zwischen August 1944 und Januar 1945 starben in Lippstadt sieben jüdische Zwangsarbeiterinnen aus Ungarn und der Slowakei sowie ein Säugling. Sie wurden alle in Anröchte in ein offenes Massengrab geworfen.
Nach der Schließung entfernte die SA die Eisengitter des Eingangstores, die örtliche Hitlerjugend entfernte alle weiteren verwendbaren Metallteile. In der Folge wurden etwa die Hälfte der Grabsteine zerstört - ein Großteil konnte nicht rekonstruiert werden oder wurde durch Nachfertigungen ersetzt. Doch auch nach dem Krieg kümmerte sich die Stadtverwaltung erst auf Druck eines jüdischen Angehörigen der britischen Armee, der in Lippstadt nach Angehörigen suchte. 1946 wurde der Friedhof vom Kartoffelacker befreit und wieder hergerichtet.
1949 übertrug die Vertreterin der jüdischen Kultusgemeinde Paderborn-Lippstadt der Stadt den verbliebenen, ungenutzten Teil des jüdischen Friedhofs, als Gegenleistung sollte sich die Stadt um die jüdischen Gräber kümmern, was sie bis heute tut. Eine neue jüdische Synagogengemeinde hat sich in Lippstadt bis in die Gegenwart nicht gebildet. Die wenigen Juden, die heute in Lippstadt leben, haben sich der Paderborner Gemeinde angeschlossen. Seit 1949 finden allerdings in Lippstadt auch wieder (selten) Begräbnisse statt.


jüdisches Leben

Der Anröchter Judenfriedhof liegt an der Pohlgartenstraße am östlichen Rande der Gemeinde. Er hat eine Fläche von 2170 m2 und wird von der Gemeinde Anröchte gepflegt und betreut. Das Alter des Friedhofes ist leider nicht feststellbar, man weiß nur, dass der Friedhof schon um 1800 vorhanden war. Der erste Hinweis auf jüdische Bewohner ergibt sich aus einer Kirchenabrechnung von 1614. Darin heißt es wörtlich: „Ebenso noch einem Juden, der sich hat dopen laten zu einem Christen, verehrt 1 rthlr“. Eine Namensangabe existiert nicht.
Damals ließen sich viele Juden taufen, um als Christen bessere Lebensbedingungen zu erhalten oder einer Vertreibung oder Drangsalierung zu entgehen.

Der Friedhof wird jetzt von der jüdischen Kultusgemeinde Paderborn betreut.
Eingefasst wird der Friedhof von einer ca. 1,7 Meter hohen Bruchsteinmauer aus Anröchter Grünsandstein. Diese Mauer war stark beschädigt und wurde von der Gemeinde wieder hergerichtet. Zugänglich ist der Friedhof durch ein eisernes Tor mit einem aufgesetzten Judenstern, das ansonsten verschlossen ist. Der Schlüssel befindet sich bei der Gemeindeverwaltung.

Auf dem Friedhof haben sich 62 Grabsteine erhalten, welche witterungsbedingt zum Teil unleserlich geworden sind. Der älteste Grabstein ist auf 1847 und der jüngste auf 1981 datiert.

Bei dem 1981 Verstorbenen handelt es sich um Walter Bugdahl, der vor dem Krieg nach Südamerika emigrierte und nach dem Kriege wieder nach Anröchte zurückkehrte. Er war Viehhändler. Neben ihm liegt seine Frau, sie war Christin.
Frau Bugdahl, die 1997 verstarb, war die letzte die hier bestattet wurde.

Einige Inschriften der Grabmale sind aber noch sehr gut leserlich. Die meisten Grabsteine sind aus Anröchter Grünsandstein gehauen. Die Inschriften sind meist zweisprachig. Auf der Vorderseite befindet sich ein deutscher Text mit den Daten des Verstorbenen und Versen, die sich auf den Verstorbenen und sein Leben beziehen. Die Rückseiten sind in hebräischer Schrift ausgeführt. Einige Grabsteine wurden von der Gemeinde Anröchte wiederhergestellt, da der Friedhof wie andernorts auch von den Nazis geschändet wurde.
Auf einem Grabstein befinden sich die Namen von auswärtigen Juden. Hierbei handelt es sich um Zwangsarbeiter/innen die bei Lippstädter Firmen arbeiten mussten und auch dort verstorben sind. Da in Lippstadt ein Bestattungsverbot für Juden bestand, wurden diese Juden in Anröchte beigesetzt.

Der Anröchter Jude Adolf Schreiber, der Theresienstadt überlebt hatte, bestand auf diese Art der Erinnerung.
Adolf Schreiber war wohl ein lustiger Mann, als er 1961 gestorben war und beerdigt wurde, trugen christliche Träger seinen Leichnam bis vor das Friedhofstor. Von da ab bis zum Grab trugen ihn jüdische Glaubensgenossen. Auf persönlichen Wunsch des Verstorbenen sollten seine Träger an seiner Begräbnisstätte einen Schnaps trinken und auch seinen Grabhügel damit bedienen. Abends in der Dämmerung sind dann auch einige Träger mit dem Auto zum Friedhof gefahren. Eine Flasche Schnaps wurde reihum geleert, und nach jeder Runde wurde ebenfalls der Grabhügel mit einem Schnaps getränkt.

Einige frühere jüdische Mitbürger haben ganz ansehnliche Legate und Testamente zu Gunsten örtlicher Einrichtungen hinterlassen. Zur Frage nach den umgestürzten oder vermeintlich beschädigten Grabmalen ist folgendes zu sagen: einmal jährlich kommt ein Rabbi aus Dortmund, der für die Friedhöfe in Westfalen zuständig ist und bespricht mit einem Vertreter der Gemeinde was gemacht werden soll. Daraufhin veranlasst die Gemeinde entsprechende Maßnahmen. Es soll möglichst wenig verändert werden, damit die Totenruhe nicht gestört wird. Etliche Grabsteine wurden so auf Veranlassung des Rabbi umgelegt, weil sie nicht mehr standfest waren.


Mitbürger der Gemeinde die hier geboren oder gelebt haben und zwischen 1933 bis 1945 verfolgt, deportiert sowie zu schaden gekommen sind


A

Aronstein Fritz
* 14.04.1927
Paderborn
Wohnort
Anröchte
verschollen
 
dep. 27.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc  
   
Aronstein Hermann
* 08.04.1884 Bad Wünnenberg
Wohnort
Bad Wünnenberg und Anröchte
verschollen
 
Inhaftierung 10.11.1938 – 16.12.1938 Konzentrationslager Sachsenhausen
dep.
27.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc  
   
Aronstein Hildegard
* 29.10.1921 Anröchte
Wohnort
Anröchte
verschollen  
dep. 27.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc  
   
Aronstein Ida geb. Rapp
* 27.04.1896 Anröchte
Wohnort
Anröchte
verschollen
 
dep. 27.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc  
   
Aronstein Lieselotte
* 27.05.1925 Anröchte
Wohnort
Anröchte
verschollen
 
dep. 27.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc  

F

Fritzler Frieda geb. Bachmann
* 15.06.1899
Fürstenau 
Anröchte
Nordrhein-Westfalen Regierungsbezirk Arnsberg, Kreis Soest
.
Deportation 27./28.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc
Todesdatum/-ort für tot erklärt  

J

Jacobs Beate
* 04.02.1935
Cloppenburg  
Cloppenburg (Anröchte)
Niedersachsen, Regierungsbezirk Oldenburg, Landkreis Cloppenburg
.
Deportation
27./28.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc
Todesdatum/-ort verschollen
 
   
Jacobs Julchen geb. Weinberg
* 30.11.1905
Sögel 
Cloppenburg (Anröchte)
Niedersachsen, Regierungsbezirk Oldenburg, Landkreis Cloppenburg
.
Deportation
27./28.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc
Todesdatum/-ort verschollen
 
   
Jacobs Max
* 20.05.1930 Cloppenburg  
Cloppenburg (Anröchte)
Niedersachsen, Regierungsbezirk Oldenburg, Landkreis Cloppenburg
.
Deportation
27./28.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc
Todesdatum/-ort verschollen
 
   
Jacobs Simon
* 22.09.1896 Werlte 
Cloppenburg (Anröchte)
Niedersachsen, Regierungsbezirk Oldenburg, Landkreis Cloppenburg
.
Inhaftierung 10./11.11.1938 – 22.12.1938 Konzentrationslager
Sachsenhausen
Deportation
27./28.04.1942 Dortmund – Ghetto Zamosc
Todesdatum/-ort verschollen
 

R

Rapp Henny
* 18.03.1868
Anröchte
Wohnort Anröchte
verschollen
 
dep. 1942 Konzentrationslager Auschwitz