Die innere Einstellung des Angeklagten Lambert zu seinem Einsatz in Treblinka
Der Angeklagte wusste schon bei seinem ersten Eintreffen in Treblinka, dass die von ihm errichteten Lagergebäude der Massentötung von Juden dienen sollten.
Während aller seiner drei Einätze in Treblinka erlebte er, wie Transporte ankamen und wie sie abgefertigt wurden. Er wusste, dass den kranken Juden vorgespiegelt wurde, sie würden zur Behandlung in ein richtiges Lazarett kommen, und dass man den gesunden Juden sagte, sie würden lediglich gebadet und dann zu ihren neuen Arbeitsplätzen weitergeleitet werden. Ihm waren alle Einrichtungen im oberen und unteren Lager genauestens bekannt, er kannte auch die in deutscher und in polnischer Sprache abgefassten Hinweisschilder für die ankommenden Juden am Bahnhof. Trotz Kenntnis aller dieser Umstände, führte er bei seinen drei Einsätzen in Treblinka alle ihm übertragenen Arbeiten, die einer Vergrößerung der Lagerkapazität und einer Verbesserung der Lagereinrichtungen dienten, eifrig und sorgfältig aus.
Er war sich dessen bewusst, dass die Vernichtung der Juden gegen die Gesetze, gegen die Sittlichkeit und gegen die Gebote des Christentums verstieß. Ihm war bekannt, dass die Judenvernichtung auf einem Führerbefehl beruhte, und er glaubte deshalb, an der Erfüllung dieses Führerbefehls mitwirken zu müssen.
Durch seine Zugehörigkeit zur NSDAP seit 1933 und durch seine zweijährige Tätigkeit als Blockwart der NSDAP in Schildow hatte er sich daran gewöhnt, an Führerbefehlen keinerlei Kritik zu üben, auch wenn sie bei ihm sittliche Bedenken hervorriefen.
Diese Bedenken hatte er schon während seines Einsatzes bei der Euthanasie abgestreift, und es machte ihm deshalb nichts aus, auch in Treblinka zur Tötung von Menschen beizutragen. Hinzu kam, dass ihm sein Posten bei der Dienststelle T4 viele Vorteile einbrachte. Er konnte viel häufiger in Urlaub fahren, als es sonst einem Angehörigen der Wehrmacht, der Waffen-SS oder einer der sonstigen militärähnlichen Organisationen während des 2.Weltkrieges möglich war.
Außerdem hatte er als Bauspezialist sehr viel Freiheit. Er brauchte sich weder zeitlich noch organisatorisch der Lagerordnung anpassen.
So wurde er zum Beispiel nicht zum UvD (Unteroffizier vom Dienst) eingeteilt, sondern konnte sich, wenn das Baukommando sein Tageswerk vollbracht hatte, auf sein Zimmer zurückziehen und tun und lassen, was ihm beliebte. Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass ihm die drei Einätze in Treblinka zusagten, und dass er nichts unternahm, um von ihnen freigestellt zu werden.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit man ihr folgen kann, auf den Angaben des Angeklagten Stadie sowie auf den uneidlichen Bekundungen der kaufmnnischen Angestellten Ra. und des Rechtsanwalts A.
Der Angeklagte Lambert lässt sich wie folgt ein:
Ihm sei von Anfang an klar gewesen, dass die Judenvernichtung Unrecht gewesen sei. Wenn er trotzdem dreimal in Treblinka Bauarbeiten verrichtete und hierdurch bei der Massentötung von Juden mitgeholfen habe, so sei das nur aus einer Zwangslage heraus geschehen. Es sei nämlich nicht möglich gewesen, von T4 wegzukommen, wenn man einmal in den Kreis der Geheimnisträger aufgenommen worden sei. Er habe insgesamt zwei Gestellungsbefehle zur Truppe bekommen, und zwar einen in Berlin und einen während seines Aufenthaltes im Raume Lublin. Den einen Gestellungsbefehl habe er bei der Dienststelle T4 und den anderen dem SS- und Polizeiführer in Lublin abgegeben. Seine Hoffnung, er würde aufgrund dieser Gestellungsbefehle zu einer regulären Truppe kommen, habe sich jedoch nicht erfüllt. Einmal habe er auch in Berlin beim Personalchef Haus von der Dienststelle T4 wegen einer Versetzung vorgesprochen. Dieser habe das aber abgelehnt. Sonstige Versuche habe er nicht unternommen, da alles aussichtslos gewesen sei. Irgendwelche Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten habe er nicht gehabt. Auch mit Wirth sei er gut ausgekommen.
Diese Einlassung des Angeklagten, die auf ein Handeln unter äußerem Zwang hindeutet, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt. Wenn der Angeklagte Lambert innerlich nicht bereit gewesen wäre, die ihm übertragenen Aufgaben in Treblinka auszuführen, dann hätte er sich intensiver um seine Ablösung bemüht.
Hierzu hatte er nach der Überzeugung des Schwurgerichts weit mehr Gelegenheit, als die meisten anderen Angeklagten. Wie er selbst einräumt, war er mit dem SA-Standartenführer Blankenburg von der Dienststelle T4 seit 1933 gut befreundet. Sie duzten sich, weil sie eine Zeitlang in der Partei zusammengearbeitet hatten.
Auch nach dem Kriege hat Lambert nach seinen eigenen Angaben die Freundschaft mit Blankenburg aufrecht erhalten. Er hat, wie er selbst sagt, Blankenburg, der sich damals Bielicke nannte, nach dem Kriege zufällig in Stuttgart wiedergetroffen und danach mit ihm bis zu dessen Tode im Jahre 1958 weiterhin in enger persönlicher Verbindung gestanden.
Von den Zeugen Ra. und A. wird Blankenburg als ein Mann geschildert, mit dem man habe reden können. So sagte der Zeuge A., der seinerzeit auch bei T4 tätig war, folgendes. Blankenburg war ein weicher, umgänglicher Mann, der Versetzungswünschen sicherlich nicht ohne weiteres ablehnend gegenüber gestanden hätte. Es bleibt unverständlich, weshalb sich der Angeklagte Lambert nicht an seinen Duzfreund Blankenburg gewandt hat, um von seinen Aufgaben in Treblinka entbunden und zu einer regulären Einheit versetzt zu werden, zumal Lambert durch seine langjährige Mitgliedschaft der NSDAP und durch seine zweijährige Tätigkeit als Blockleiter politisch abgesichert war. Hierzu hatte er genügend Gelegenheit, da er sich in Abständen von mehreren Wochen immer wieder bei der Dienststelle T4 in Berlin einfinden musste. Dort hätte er bei allen diesen Gelegenheiten mit Blankenburg sprechen können.
Wenn er das nicht gemacht hat, so lässt sich das nach der Überzeugung des Gerichts nur dadurch erklären, dass er die Vorteile seiner Tätigkeit im Rahmen der Dienststelle T4 nicht aufgeben wollte. Diese Vorteile bestanden nicht nur in dem häufigen Urlaub, den er bekommen hat, sondern auch darin, dass er vom Fronteinsatz, bei dem er möglicherweise hätte verwundet werden können, verschont blieb. Zum anderen hat es auch daran gelegen, dass er in Treblinka der ohnehin nicht sehr straffen Lagerordnung für die deutschen SS-Männer nicht unterlag, sondern sich seine Arbeit und seine Freizeit einteilen konnte, wie er wollte. Letzteres hat der Angeklagte Stadie, der als Stabsscharführer Verwaltungsleiter der deutschen Lagermannschaft war, erklärt.
Wie Lambert selbst einräumt, hat er aufgrund seiner Sonderstellung auch niemals Auseinandersetzungen mit Vorgesetzten gehabt, da diese nichts vom Baufach verstanden und ihm nicht in seine Arbeit hineinreden konnten.
Dass der Angeklagte Lambert von der Dienststelle T4 besonders bevorzugt worden ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass ihm der stellvertretende Personalchef O. im Jahre 1942 in der elterlichen Wohnung in Schildow einen Krankenbesuch abgestattet hat. Eine solche Vergünstigung ist keinem anderen Angeklagten, noch nicht einmal dem schwer an Fleckfieber erkrankten Angeklagten Matthes, seitens eines leitenden Mannes der Dienststelle T4 zuteil geworden.
Es spricht somit alles dafür, dass Lambert nicht aus einer psychischen Zwangslage heraus Bauarbeiten in Treblinka ausgeführt hat, sondern dass er, ohne irgendwelchen Zwang befürchtet zu haben, seine ihm übetragenen Aufgaben bedenkenlos verrichtet hat.