Die Erschießung des Häftlings Mietek Szczypior
Nach der Anklage soll Münzberger in der ersten Hälfte des Jahres 1943 den Leichenträger Mietek Szczypior eigenmächtig erschossen haben, weil er sich einige Meter von seiner Arbeitsstelle entfernt haben soll, um seine Notdurft zu verrichten.
Der jetzt 46 Jahre alte Staatsangestellte Li. aus Givataim in Israel hat hierzu unter Eid folgendes bekundet:
An einem Tage Ende November / Anfang Dezember 1942 habe er zusammen mit seinem Freund Mietek Szczypior auf einer Trage Leichen vom großen Gashaus zu einer Leichengrube befördert. Szczypior habe hierbei einmal die Trage einen Moment auf den Boden gelegt, um auszutreten. Das habe der die Aufsicht führende Angeklagte Münzberger gesehen. Er habe ihn zu sich gerufen, ihm befohlen, sich zu entkleiden und ihn dann von hinten durch einen Schuss mit seiner Pistole in den Kopf getötet. Das habe er aus der Nähe genau beobachtet, zumal ihn das Schicksal seines Freundes Mietek besonders interessiert habe.
Aufgrund dieser detaillierten Schilderung des vereidigten Zeugen Li., der seine Aussage ruhig und überlegt gemacht hat, ist das Schwurgericht davon überzeugt, dass sein Freund Mietek Szczypior getötet worden ist, weil er während des Dienstes ohne Erlaubnis austreten wollte. Trotzdem bleiben Bedenken über die Person des Täters zurück. Li. hat am ersten Tage seiner Vernehmung den Angeklagten Münzberger wohl auf einem Foto, nicht aber in Person wiedererkannt.
Mit Sicherheit hat er bei seiner Gegenüberstellung mit den Angeklagten nur Franz und Matthes zu identifizieren vermocht. Den Angeklagten Suchomel hat er für den Angeklagten Miete gehalten. Das alles lässt den Schluss zu, dass seinem sonstigen ziemlich guten Erinnerungsvermögen nur ein mäßig entwickeltes Personengedächtnis gegenübersteht.
Bei der Schilderung der Erschießung von 24 bis 30 Männern (vergleiche den Abschnitt C.VI.3. des Zweiten Teiles der Gründe) hat er auch selbst eingeräumt, er könnte bei dieser Massenexekution Münzberger mit Pützinger verwechselt haben, da beide etwa die gleiche Statur gehabt hätten.
Zwar hat er die Erschießung der 24 bis 30 Männer nur aus einer größeren Entfernung beobachtet, während er die Tötung seines Freundes Mietek Szczypior aus der Nähe miterlebt hat. Aber auch hier bleiben beim Schwurgericht letzte Zweifel daran zurück, ob Münzberger oder ob Pützinger der Täter gewesen ist. Wenn man einmal einer Personenverwechslung unterlegen ist, dann kann das auch leicht ein zweites Mal geschehen.
In diesem Zusammenhang ist schließlich noch bedeutsam, dass Li. den Angeklagten Münzberger erst am Ende seiner zwei Tage später fortgesetzten Vernehmung zu identifizieren vermochte. Dieser sehr späten Wiedererkennung kann man daher keine allzu große Bedeutung beimessen. Der Zeuge Li. hat zwar an sich einen glaubwürdigen Eindruck auf das Schwurgericht gemacht. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass er wegen seines massig entwickelten Personengedächtnisses Münzberger mit Ptzinger in mehreren Fällen miteinander verwechselt hat.
Aus diesem Grunde kann man nicht mit einer zu einer Verurteilung nötigen Gewissheit feststellen, dass Münzberger den Leichenträger Mietek Szczypior erschossen hat, da dieser diese Tat entschieden in Abrede stellt und da weitere Beweismittel zu seiner Überführung nicht zur Verfügung stehen.