Erschießung von 24 fluchtverdächtigen Häftlingen
Dem Angeklagten Matthes wird schließlich vorgeworfen, er habe 24 Häftlinge des oberen Lagers, die verdächtigt wurden, eine Flucht zu planen, unter Schlägen zu einem Massengrab robben (kriechen) lassen, um sie dann am Massengrab gemeinsam mit anderen SS-Männern zu erschießen.
Matthes bestreitet diese Tat.
Der zu diesem Fall eidlich vernommene Zeuge Li. hat hierzu zunächst folgendes gesagt:
Ein Kamerad sei durch einen fehlgeleiteten Schuss verletzt worden und sollte deshalb getötet werden. In seiner Todesangst habe er Matthes erklärt, er wolle ihm von dem geplanten Aufstand berichten, wenn er ihn dafür verschone. Durch seine Verletzung habe er bereits viel wirres Zeug gesprochen und schließlich wahllos auf 24 bis 30 Leute gezeigt, von denen er behauptete, sie wollten einen Aufstand machen. Matthes habe diese 24 bis 30 Mann und den Denunzianten auf dem Bauch zum Lazarett im unteren Lager kriechen lassen. Hier seien alle nacheinander erschossen worden, als erster der Denunziant. Am Erschießen hätten sich unter anderem Matthes und auch der Angeklagte Münzberger beteiligt. Er, Li., und andere Häftlinge hätten die Erschießung von einem Hügel des oberen Lagers aus beobachtet.
Am Ende seiner Vernehmung hat der Zeuge Li. den Vorfall erneut geschildert, und zwar diesmal wie folgt:
Die von dem Denunzianten bezeichneten Personen hätten vom Platz vor der jüdischen Unterkunftsbaracke an der Küche vorbei zu einer Leichengrube des oberen Lagers robben müssen, und zwar in einer Reihe hintereinander. Sie seien dann nacheinander einzeln an der Grube erschossen worden. Matthes habe sich am Erschießen beteiligt, aber auch alle anderen SS-Männer. Ob allerdings Münzberger dabei gewesen sei, wisse er nicht mehr genau. Er könnte ihn mit Karl Ptzinger, der Münzbergers Statur gehabt habe, verwechselt haben, da er entweder Münzberger oder Ptzinger nur von hinten gesehen habe.
Eine Verwechslungsmöglichkeit zwischen diesen beiden habe auch deshalb bestanden, weil beide ihre Hände auf dem Rücken verschränkt zu halten pflegten.
Das Schwurgericht hält den Zeugen Li., der bei seiner Vernehmung einen sachlichen, ruhigen Eindruck gemacht hat, an sich für glaubwürdig. Dafür spricht nicht zuletzt der Umstand, dass der Zeuge sich nicht gescheut hat, eine zunächst von ihm gegebene Schilderung der Erschießung von 24 bis 30 Männern aufgrund intensiven Nachdenkens nachträglich in entscheidenden Punkten zu korrigieren. Dieses Verhalten lässt ein hohes Verantwortungsgefühl des Zeugen und sein ständiges Ringen um die Wahrheit erkennen. Andererseits vermag das Schwurgericht angesichts der starken Unterschiede in den beiden Schilderungen des Zeugen über die Erschießung der 24 bis 30 Leute letzte Zweifel daran, wie sich der Vorfall wirklich abgespielt hat, nicht zu überwinden. Zwar dürfte die zuletzt gegebene Darstellung, wonach die Erschießung an einer Leichengrube stattgefunden haben soll, eine größere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen als die Verlegung der Erschießung ins Lazarett, denn eine Erschießung in dem gut getarnten Lazarett hätte von dem Zeugen nur von einem Barackendach aus beobachtet werden können, nicht aber von einer leichten Erhebung im Lagergelände aus. Hinzu kommt, dass der Zeuge selbst Zweifel daran äußert, ob Münzberger an der Erschießung beteiligt war oder nicht. Unter diesen Umständen lässt sich bei diesen Unklarheiten auch die Rolle des Angeklagten Matthes nicht genau abgrenzen. Das gilt umso mehr, als Matthes ab Weihnachten 1942 und Anfang Januar 1943 gar nicht im Vernichtungslager Treblinka war. Die Tat müsste Matthes dann also bis Weihnachten 1942 begangen haben.
Etwas Genaueres über den Zeitpunkt dieser Erschießung von 24 bis 30 Mann vermochte der Zeuge Li. aber gleichfalls nicht zu sagen. Die hiermit aufgezeigten Unklarheiten müssen dem Angeklagten Matthes zugute kommen.