Reisemonteur bei Topf & Söhne

* 28.06.1902 in Erfurt-Hochheim
† 27.04.1985 in Erfurt

Eltern
Messing Otto (Beruf: Schuhmacher) und Messing Alma

6 Geschwister

Nach dem Abschluss der Volksschule absolvierte er eine Lehre als Klempner und arbeitete 13 Jahre in verschiedenen Handwerker- und Industriebetrieben in und bei Erfurt

1927
Hochzeit mit Kirchner Marie aus Scheibe im Thüringer Wald (drei Kinder)

Bezirkskassierer der kommunistischen Roten Hilfe
(Seit dieser Zeit kannte er Friedrich Schiller, später gleichfalls Arbeiter bei Topf & Söhne.)

ab 1930
Mitglied der KPD

1932
Entlassung bei der Mühlenbauanstalt Reinhold Matthiass
(Der Betrieb ist Hervorgegangen aus einem Mühlenbaubetrieb, R. Matthiass erwarb 1908 die Weidenmühle auf einem Grundstück in Erfurt. Nach seinem Tod (1932) übernahmen die Tochter Frieda Matthiass gemeinsam mit dem früheren Prokuristen Heinrich Kleinspehn die Geschicke der Firma.)

28.02.1933
Messing wird im Büro der Roten Hilfe in der Erfurter Meienbergstraße verhaftet und unter dem Vorwurf der »Vorbereitung zum Hochverrat« in Schutzhaft genommen, aus der er nach elf Wochen entlassen wurde, ohne dass es zum Prozess kam.
(Mit seiner Verhaftung wenige Wochen nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler teilte Messing das Schicksal vieler Erfurter Kommunisten. Opfer dieser ersten Verhaftungswelle waren auch die KPD-Mitglieder Bernhard Bredehorn, Friedrich Schiller und Hermann Kellermann. Schiller und Kellermann wurden am selben Tag wie Messing verhaftet, Bredehorn am 1. März 1933. Alle vier waren im ersten provisorischen Konzentrationslager in Erfurt, einer Fabrikhalle in der
Feldstraße 18, inhaftiert.)
Später trafen sich Messing, Bredehorn, Schiller und Kellermann bei
Topf & Söhne wieder. Für alle war die Beschäftigung dort die erste Anstellung nach Arbeitslosigkeit, Notstandsarbeit und zum Teil langer Haft. Messing arbeitete dort ab 13. August 1934 als Reisemonteur, Friedrich Schiller ab 19. August 1936 als Kesselschmied, Bernhard Bredehorn ab 1. September 1936 als Schweißer und Hermann Kellermann ab Mai 1939 als Schlosser. Auch die drei Brüder von Heinrich Messing, Wilhelm, Richard und Hermann, waren Klempner und arbeiteten bei Topf & Söhne, wobei Richard und Hermann nicht der KPD angehörten.

04.01.1943 - 11.06.1943
Monteur der Firma Topf & Söhne im KL
Auschwitz
(Einbau von Saugzuganlagen, Gaskammerventilation und eines Leichenaufzugs der Firma Linse)
Heinrich Messing häufte in einer Woche 35 Überstunden an, als er im März 1943 die Lüftung in den zwei Kellerräumen des Krematoriums II, dem späteren Auskleidekeller und der späteren Gaskammer, installierte. In seinem Arbeitsnachweis bezeichnete er den größeren Raum zutreffend als „Auskleidekeller“, statt die Tarnbezeichnung der SS, „Leichenkeller“, zu verwenden. Ihm war also bewusst, in welchen Schritten sich der Massenmord vollziehen würde.
(Der Bauschlosser Heinrich Messing erreicht Auschwitz, von Erfurt mit der Bahn kommend, im Morgengrauen des 5. Januar 1943. Im Krematorium II baut er von nun an täglich 11 Stunden lang (lediglich sonntags muß er nur acht Stunden arbeiten) Saugzüge in die Schornsteine ein, die sein Arbeitgeber, die Erfurter Firma J. A. Topf & Söhne, namentlich deren Chefkonstrukteur Kurt Prüfer, entwickelt hat. Es folgen Druckluftgebläse und Motoren an zehn großen Einäscherungsöfen, außerdem Lüftungen für die Krematorien II und III. Mitte März geht mit der Entlüftung von "Leichenkeller 2" eine weitere in Erfurt erdachte Topf-Innovation in Betrieb; noch am Tag der Fertigstellung werden abends in der technisch ausgeklügelten Tötungskammer 1 492 Menschen, "arbeitsunfähige Juden" aus dem Krakauer Ghetto, mit dem Giftgas Zyklon B ermordet. Als Messing am Morgen darauf die Leichen sieht, ist er immerhin so geschockt, daß er auf seine Arbeitszeitbescheinigung statt der offiziellen Bezeichnung "Leichenkeller" versehentlich "Auskleidekeller II" schreibt. Nach Auskunft des französischen Historikers Jean-Claude Pressac, der die Akten der Firma Topf und Söhne auswertete*, bleibt dies der einzige "Ausrutscher" in den fünf Auschwitz-Monaten des Erfurter Arbeiters bis zu dessen Rückkehr in seine Heimatstadt. Der kleine Mann von nebenan ist zum Mittäter geworden.
Als er zurückkam, sagte er seiner Tochter: "Wenn das rauskommt, was ich gesehen habe, werden wir alle bis zu den Knien im Blute waten.")

Topf, Arbeits-Bescheinigung Messings für den Zeitraum vom 4. Januar bis zum 7. Februar 1943
»4-5/1/43: Reise.
5-10/1/43: Montage d. Saugzug-Anlagen im Krematorium.
11-17/1/43: Transport und Montage der 3 Saugzug-Anlagen im Krematorium I.
18-24/1/43: Saugzug-Anlagen im Krematorium I. K.G.L. montiert.
25-31/1/43: Saugzug u. Be u. Entlüftungsanlagen. 5 Stück Sekundargebläse für die 5 Dreimuffelöfen montiert. Transport des Materials.
1-7/2/43: Sekundargebläse für die fünf Dreimuffelöfen montiert.«

13.03.1943
Heinrich Messing, notiert auf seinem Arbeitszettel:
13. März 1943, 15 Arbeitsstunden, Be- und Entlüftungsanlagen im Keller I in Betrieb genommen. (Keller I war die Gaskammer, in der folgenden Nacht wurden hier 1492 Juden aus Krakau umgebracht.)

nach 1945
Nach 1945 bürgten drei Leidensgenossen für ihren Freund.
Der Roten Armee waren in Auschwitz die Akten der SS-Bauleitung in die Hände gefallen. Im März 1946 verhaftete ihr Geheimdienst vier leitende Mitarbeiter von Topf & Söhne, darunter Kurt Prüfer. Heinrich Messings Tochter Hildegard erinnert sich, wie damals spät Abends Friedrich Schiller vor der Tür stand und ihren Vater sprechen wollte. Sie hörte Schiller sagen: "Heinrich, du musst verschwinden. Die Russen suchen dich." Ihr Vater verließ sofort das Haus und kam erst nach zwei Wochen zurück. Ohne Erklärung. Es wurde nie wieder darüber gesprochen. Der Betrieb zahlte den Familien der Verhafteten die Gehälter vorerst weiter.
Später stellten die Genossen ihm einen Persilschein aus; der Monteur wurde daraufhin als Verfolgter des NS-Regimes anerkannt – von seiner Arbeit in Birkenau war in dem Schreiben keine Rede. Schließlich verpflichtete die Stasi Messing als Spitzel.

Bredehorn und Schiller deckten Messing weit über das Kriegsende hinaus. Als vier leitende Ingenieure der Firma Topf von sowjetischen Offizieren im März 1946 verhaftet wurden, erhielt Heinrich Messing von Friedrich Schiller, damals Betriebsratsvorsitzender, eine Warnung und konnte untertauchen. Noch Jahre später war der Zusammenhalt da. Als die vier Kommunisten Messing, Schiller, Bredehorn und Kellermann 1951 ihre Anerkennung als Verfolgte des Naziregimes beantragten, stellten sie sich gegenseitig das entsprechende Zeugnis aus, für Messing bürgten Schiller und Bredehorn, für Schiller Kellermann, Bredehorn und Messing. Es mutet absurd an, wenn Friedrich Schiller seinem Genossen Messing bescheinigte, ein »aufrichtiger Kämpfer« und »an der illegalen Arbeit maßgebend als Vorbild beteiligt« gewesen zu sein. Durch »seine besondere Beschäftigung als Monteur hatte er sehr viel auswärts zu tun und bekam von uns stets neue Richtlinien mit und es war ihm möglich, immer aktuelles Material zurück in den Betrieb zu bringen, was natürlich für uns Genossen sehr wichtig war«. Messing erklärte seinerseits zugunsten von Schiller: »Als Handwerker führte uns das Schicksal bei der Firma Topf & Söhne Erfurt wieder zusammen und jede Gelegenheit wurde ausgenutzt, unsere Arbeit im Sinne unserer Partei illegal vorwärts zu treiben.

ab 07.07.1945
Kripo Erfurt
(Heinrich Messing heuerte genauso wie einige seiner KPD-Freunde bei der Erfurter Kripo an. Er blieb der SED treu. Als "anerkanntes Opfer des Faschismus" bezog er eine Rente. 1985 starb er 83-jährig in seiner Heimatstadt. Über seine Zeit in Auschwitz findet sich in einer Stasi-Akte ein Hinweis: "Während des Krieges war er in Polen als Arbeiter in kriegswichtigen Betrieben tätig.")

00.04.1946 - 00.07.1948
Dienststellenleiter der Polizei in Sondershausen

00.07.1948
Rückkehr nach Erfurt

15.03.1951
Abschied aus Polizeidienst
Heinrich Messing verließ 1951 die Polizei und arbeitete als Personalleiter in verschiedenen Betrieben. Er blieb der SED treu.

ab 1953
Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit (Stasi-Verschleierung)

Anerkannter Verfolgter des Naziregimes
Träger der Medaille Für Kämpfer gegen den Faschismus 1933-1945

Stellungnahme der Stadtverwaltung Erfurt [43 KB] zur Drucksache 0399/13
Ehrung von Heinrich Messing im Ehrenhain auf dem Erfurter Friedhof

Die zwielichtige Ehrung des Heinrich Messing

Erfurter Hauptfriedhof - Ehrenhain für die Verfolgten des NS-Regims Inschrift von Heinrich Messing (Mitarbeiter bei Topf & Söhne)
Eine Inschrift an der Mauer des Ehrenhains auf dem Hauptfriedhof sorgt für Unmut. Unter der Gravur "Ehrendes Gedenken dem antifaschistischen Widerstand und den Opfern des Nationalsozialismus" taucht unter vielen anderen der Name Heinrich Messing auf, geboren 1902, gestorben 1985. Heinrich Messing, gelernter Klempner, war ab 1930 KPD-Mitglied. 1933 verbrachte er mehrere Monate in sogenannter "Schutzhaft" in einem KZ in der Erfurter Feldstraße. Indes: Heinrich Messing gehörte auch zu den Ofenbauern in Auschwitz, beschäftigt bei der Erfurter Firma "Topf & Söhne". Vom März 1943 sind in der Erinnerungsstätte seine Arbeitsbelege zu sehen, in denen nachgewiesen ist, dass Heinrich Messing täglich 11 bis 16 Stunden als Lüftungsmonteur an Be- und Entlüftungsanlagen für die Leichenkeller arbeitete und auch durchaus wusste, was er dort tat.

Mitte Dezember 2012 hatte sich die Kölnerin Monika Schlicht an Oberbürgermeister Andreas Bausewein (SPD) gewendet. Dass Heinrich Messing auf den Tafeln des Ehrenhaines als Opfer des Naziregimes aufgeführt wird, befremdet sie sehr. Tatsächlich wurde sie in der Erfurter Erinnerungsstätte darauf aufmerksam gemacht. Dort ist in der Ausstellung zu lesen: "Im Ehrenhain für die Verfolgten des Naziregimes auf dem Erfurter Hauptfriedhof wird der 1985 verstorbene Heinrich Messing bis heute geehrt."
"Ich kann dies nicht nachvollziehen", schreibt Frau Schlicht in ihrem Brief an den Oberbürgermeister, "vor allem mit dem Wissen, dass doch in der Vergangenheit viel zu diesem Thema geforscht wurde und auch außerhalb Erfurts hinreichend bekannt ist, das Heinrich Messing - ungeachtet seiner eigenen Schutzhaft Täter war". Frau Schlicht regt an, die historische Lüge auf dem Ehrenhain zu entfernen. Nachdem sie Ende Januar eine Antwort angemahnt hatte, erinnerte sie jetzt wieder an ihren Brief und fragt nach einer Stellungnahme des Oberbürgermeisters. In der Stadtverwaltung heißt es, der Antwortbrief sei am 25. Februar im Postausgang gewesen. Er müsste bei Frau Schlicht in Köln mittlerweile angekommen sein. Dass dies so lange gedauert hat, sei "keineswegs Unsicherheit oder böser Wille, sondern nur ein organisatorisches Problem gewesen", so der Kulturdirektor Tobias Knoblich.

Bausewein räumt in seinem Antwortbrief ein, dass es auch andere gebe, die zu Unrecht auf dem Hain geehrt werden. Er verspricht, man werde sich als Stadt mit der Gedenkstätte auf dem Friedhof und seiner Geschichte kritisch befassen". Zumal sich in der Biographie Messings "irritierende Momente aus beiden deutschen Diktaturen" vereinigten, so Bausewein.

Denn Messings Bruder, der ebenfalls als KPD-Mitglied verhaftet und im KZ misshandelt wurde, starb 1947 an den Folgen. Heinrich Messing erhielt damit in der DDR den Status "Verfolgter des Naziregimes", arbeitete bei der Kriminalpolizei, war in späteren Zeiten auch Stasi-IM. Nach seinem Tod 1985 erhielt er seinen Platz auf dem 1984 gebauten Ehrenhain auf dem Hauptfriedhof.
Quelle: Angelika Reiser-Fischer / 07.03.13 / TA