Arbeitserziehungslager
Gebiet
Österreich, Bundesland Tirol, Landeshauptstadt des Bundeslandes Tirol, Stadtteil Reichenau
Das Arbeitserziehungslager Reichenau befand sich nahe dem heutigen Gelände des städtischen Bauhofs im Gewerbegebiet von Innsbruck
Unterstellung
Staatspolizeileitstelle
Eröffnung
1941 errichtete die Geheime Staatspolizei (Gestapo) im Innsbrucker Stadtteil Reichenau ein Arbeitserziehungslager. Es sollte vorrangig der "Disziplinierung" ausländischer Zivilarbeiter dienen, die, überwiegend als Zwangsarbeiter, zu Tausenden im Reichsgau Tirol und Vorarlberg eingesetzt wurden.
Schließung
Ende April 1945
Häftlinge
Geschlecht
Frauen und Männer
Einsatz der Häftlinge bei
Firma Klemens M. Mayr, Ziegelei
Art der Arbeit
Verlegen von Kabeln
Bemerkungen
25.04.1945
Am 25.04.1945 treffen mit Bussen und Lastwagen in Begleitung von einigen Dutzend SS- und SD-Bewachern unter Leitung von SS-Obersturmführer Edgar Stiller und SS-Untersturmführer Bader, 98 Sonder- und 37 Sippenhäftlinge des RSHA (Namensliste) die aus verschiedenen Lagern im Konzentrationslager Dachau für diesen Transport zusammengestellt wurden, im Arbeitserziehungslager Innsbruck-Reichenau ein. Der Transport hat das Lager Dachau am 24.04.1945 verlassen. Sie verbleiben bis zum 27.04.1945 in Reichenau. SS-Obersturmführer Edgar Stiller und SS-Untersturmführer Bader haben Befehl, die Gefangenen im Falle eines Befreiungsversuches zu liquidieren.
(Quelle: Akte Josef Müller, BEG 14084). (Bericht des Transportes und der Befreiung)
Gwosdik Gorpina
Im April 1942 kam Iwan (Wanja) Gwosdik, geboren am 5. Mai 1931, aus der Ukraine nach Garmisch-Partenkirchen, „ein frischer, kerngesunder Bub.“ Der Elfjährige wurde als Helfer in der Gärtnerei Hibler in Garmisch-Partenkirchen eingesetzt. Im Dezember 1943 fiel Wanja in die Hände des SS-Obersturmführers Georg Mott im Arbeitserziehungslager Reichenau bei Innsbruck. Auf seine Anordnung wurde Wanja - noch keine Dreizehn - im Januar 1944 in diesem Lager ermordet.
Wanja Gwosdik kam im Dezember 1943 in dieses Lager. Ende November 1943 war er beschuldigt worden, mit der dreijährigen Tochter der Gärtnerfamilie unzüchtige Dinge getan zu haben. Ärztliche Untersuchungen des Mädchens konnten das nicht bestätigen. Am 26. November 1943 holte die Gendarmerie Garmisch-Partenkirchen den Zwölfjährigen aus der Gärtnerei ab. Wachtmeister Frey brachte ihn drei Tage später nach München und übergab ihn dort der Gestapo. Der Transportkostenbeleg vom 22. Januar 1944 über RM 12.30 bestätigt den Vorgang mit dem Vermerk: „Grund der Auszahlung - Gwosdik Iwan - an Wchtm. Frey“
Über das weitere Schicksal des Jungen gibt das Urteil des Landgerichts Hechingen (Württemberg) vom 10. Februar 1958 Auskunft. Dort heißt es: „Über die Gestapo Innsbruck kam der Junge Anfang Dezember 1943 kerngesund in das Lager Reichenau. Zur gleichen Zeit ging beim Schutzhaftreferat (II D) der Gestapodienststelle Innsbruck … die Ermittlungsakte über Gwosdik ein. Pra. übergab diese Akte dem Sachbearbeiter, Kriminalsekretär Ti. sinngemäß mit den Worten: 'Diesen Bengel können Sie in acht Tagen abschreiben, dafür werde ich sorgen; das tun wir uns nicht an, dass das Lager ihn möglicherweise zu einem Obsthändler in Arbeit gibt und er uns dort die Äpfel wegfrisst.' Pra. dachte dabei an andere Polen- und Russenjungen, die vom Lager Reichenau an den Obsthändler Feodori in Innsbruck zur Arbeit und zum dortigen Wohnen überwiesen worden waren. Er wollte mit seiner Äußerung sagen, dass der Ukrainerjunge beseitigt werden müsse und dass er (Pra.) seine Beseitigung veranlassen werde.“
Mit der Ermordung beauftragt war der Lagerdiensthabende Erwin Falch. Der zögerte, wurde aber Tage später von Mott erneut an seinen Auftrag erinnert. Das Urteil des Landgerichts beschreibt die Situation: „Als der Russenjunge einige Zeit im Lager Reichenau war, rief der Angeklagte eines Abends - es war um den 10.-15. Januar herum - den Lagerdiensthabenden Falch zu sich in sein Arbeitszimmer und gab ihm den Auftrag, Gwosdik jeden Abend nach Dienstschluss mit kaltem Wasser abzuspritzen und ihn anschließend in eine Arrestzelle am andern Ende der Waschbaracke einzusperren. Er brachte dabei sinngemäß zum Ausdruck, der Knabe dürfe das Lager nicht mehr lebend verlassen, er sei solange kalt zu baden, bis er sterbe. Trotz seiner sonstigen Brutalität führte Falch diesen Auftrag mehrere Tage lang nicht aus, weil ihm der fast noch im Kindesalter stehende Junge zunächst leid tat. Als ihn der Angeklagte in den folgenden Tagen fragte, ob er den Jungen abgespritzt habe, bejahte er dies. Der Angeklagte wiederholte daraufhin seinen Auftrag, den Russenjungen kalt abzuspritzen. Bis zum 20. Januar 1944 kam Falch jedoch diesem Auftrag nicht nach.“
Mott wiederholte seine Anordnung, den Jungen nach Dienstschluss kalt zu baden und ihn anschließend nackt in den "Bunker" zu sperren. Er werde diesmal nachprüfen, ob er seinen Befehl ausgeführt habe. Das Landgericht Hechingen kam deshalb zu der Schlussfolgerung: "Der Angeklagte war sich darüber im Klaren, dass die Abspritzung des Gwosdik mit eiskaltem Wasser und seine anschließende Einsperrung in den ungeheizten "Bunker" in nacktem Zustand dessen sicheren und qualvollen Tod zur Folge haben werde… Falch, der trotz seiner im Lager Reichenau bekannten Brutalität zunächst gezögert hatte, weil er gewisse Hemmungen hatte, den fast noch im Kindesalter stehenden Jungen auf diese grausame Art zu "liquidieren", stellte nunmehr seine Bedenken zurück und führte diesen Befehl am gleichen Abend (20.01.1944) aus, weil er sah, dass Mott unnachgiebig auf der erbarmungslosen Tötung des Russenjungen bestand. Er spritzte Gwosdik in der Waschbaracke mit eiskaltem Wasser unter roher Missachtung der dem Jungen zugefügten Schmerzen und in Tötungsabsicht längere Zeit nackt ab und sperrte ihn in gleicher Absicht anschließend nackt in einen ungeheizten Abstellraum der neben der Waschbaracke stehenden und gelegentlich zu Entlausungszwecken verwendeten Holzbaracke... Während der Nacht herrschten Kältewerte zwischen -2,2 und -3,5. Gwosdik wurde am anderen Morgen in dem gleichen Raum splitternackt am Boden liegend tot aufgefunden. Er wies keinerlei äußere Verletzungen auf. Der Lagerarzt Dr. Pi. stellte als Todesursache Lungenentzündung fest. Gwosdik kam mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch das Abspritzen und das anschließende Einsperren in der Baracke in nacktem Zustand zu Tode.“
Erwin Falch, vor seiner Tätigkeit als Lagerdiensthabender in Reichenau vermutlich Mitglied einer SS-Einsatzgruppe im Krieg gegen die Sowjetunion, wurde 1948 vom Obersten Französischen Militärgericht in Innsbruck zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Georg Mott wurde erst zehn Jahre später vor Gericht gestellt. Am 10. Februar 1958 wurde er vom Landgericht Hechingen (Württemberg) zu lebenslanger Haft verurteilt, später jedoch begnadigt.
Ob auch andere „Ostarbeiter“ und italienische Zwangsarbeiter aus Garmisch-Partenkirchen wegen „Arbeitsvertragsbruch“ in das Arbeitserziehungslager Reichenau eingeliefert wurden, konnte noch nicht ermittelt werden.
Quelle: Alois Schwarzmüller 2012