IX.

Die innere Einstellung des Angeklagten Franz zu seinem Einsatz in Treblinka

Der Angeklagte Franz erkannte, dass die Juden und Zigeuner unrechtmäßig getötet wurden. Er machte sich den unter anderem von Hitler, Himmler, Globocnik und Wirth ausgearbeiteten Plan zur Vernichtung der nach Treblinka gebrachten Opfer derart zu eigen, dass er nicht nur gemäß den in Lublin ausgearbeiteten Richtlinien die Massentötungen eifrigst durchführte und durchführen ließ, sondern dass er darüber hinaus viele Arbeitshäftlinge wegen irgendeines geringen Verstoßes gegen die Lagerdisziplin oder aus einer persönlichen Laune heraus auf zum Teil barbarische Art und Weise selbst tötete oder durch andere töten ließ, obwohl das nicht von seinen Vorgesetzten befohlen war.
Seine überaus eifrige Mitwirkung bei den Transportabfertigungen wie auch die Einzeltötungen befriedigten ihn aus verschiedenen Gründen. Er war von einem unbändigen Hass gegen alles Jüdische erfüllt. Juden waren in seinen Augen weniger wert als Tiere. Sie mussten wie Dreck und Scheisse schleunigst beseitigt werden. Außerdem weidete er sich in sadistischer Weise an den Qualen seiner Opfer, mögen sie bei den Massentötungen qualvoll in den Gaskammern erstickt oder mögen sie von ihm einzeln auf eine zum Teil raffinierte Art und Weise getötet worden sein. Wenn er alten und kranken Juden der Wahrheit zuwider versprach, sie würden in einem richtigen Lazarett gesund gepflegt werden, oder wenn er in seinen gelegentlichen Ansprachen den Ankömmlingen erklärte, sie würden nur gebadet und dann zur Arbeit eingeteilt werden, so freute er sich hämisch darüber, wenn es ihm gelang, die angesprochenen Juden über ihr wahres Schicksal zu täuschen. Soweit er Juden beim Appell oder bei einem Sonderappell tötete oder töten ließ, konnte er außerdem seine Herrschaft im Lager demonstrieren. Da er im Zivil- und Militärleben überwiegend nur als Koch, also in einer untergeordneten Stellung, gearbeitet hatte, verschafften ihm derartige Demonstrationen eine tiefe persönliche Genugtuung. Sein früheres einfaches Leben suchte er dadurch möglichst rasch zu vergessen, dass er sich schon vor seiner Beförderung zum SS-Untersturmführer wie ein Offizier gebärdete, indem er eine maßgeschneiderte SS-Uniform sowie Offiziersstiefel trug, als einziger Unterführer ein Reitpferd benutzte und innerhalb und außerhalb des Lagers in Begleitung seines Hundes Barry großspurig und als Herrenmensch auftrat, wie seine Mitangeklagten und zahlreiche Zeugen plastisch und glaubhaft geschildert haben. Ob der Angeklagte, wie er selbst angibt, im Vernichtungslager Belzec sich mit Erfolg geweigert hat, Arbeit an den Gaskammern zu tun, kann dahingestellt bleiben. In Treblinka jedenfalls hat er etwaige frühere Hemmungen bei der Tötung von Juden sogleich nach seiner Ankunft überwunden und sich als erbarmungsloser und grimmiger Judenhasser gezeigt. Dazu trug der Umstand, dass Stangl den Angeklagten Franz zu seinem Stellvertreter machte und ihm praktisch die Herrschaft im Lager überließ, entscheidend bei. Da es ihm aufgrund dessen im Lager gut gefiel, unternahm er keinen ernsthaften Versuch, abgelöst zu werden. Da die Judenvernichtung seiner inneren Einstellung entsprach, kam für ihn auch eine Befehlsverweigerung oder Befehlsumgehung nicht in Betracht. Im Gegenteil, er tat weit mehr, als ihm aufgetragen war.
Diese Feststellungen zur inneren Tatseite ergeben sich zwingend aus dem Verhalten des Angeklagten in Treblinka, wie es durch die Schilderung der Mitangeklagten und die Bekundungen der zahlreichen jüdischen Zeugen zur Überzeugung festgestellt worden ist.

Der Angeklagte Franz lässt sich wie folgt ein:
Er sei sich darüber im Klaren gewesen, dass die Tötung unschuldiger Juden und Zigeuner unrechtmäßig gewesen sei. Die Juden hätten ihm von Herzen leid getan. Er sei kein Antisemit, sondern ein wohlwollender Freund aller Juden gewesen. Aus diesem Grunde habe er sich darauf beschränkt, die Ukrainer zu anständigen Soldaten heranzubilden und sie dann, was ihre Aufgabe gewesen sei, zur Bewachung des Lagers und zur Sicherung bei der Abfertigung von Transporten einzusetzen. Er habe die eingesetzten Ukrainer zwar im unteren und oberen Lager kontrolliert, sich aber im übrigen um die eigentliche Vernichtung der Juden nicht gekümmert, da ihn das angewidert habe. Er habe nur zweimal, und zwar jeweils auf Anweisung und unter Aufsicht von Wirth, Juden geschlagen und sich sonst größter Korrektheit gegenüber den Häftlingen befleißigt. Er habe keinen Juden mit eigener Hand getötet. Nur im Falle des Dr. Choranzicky und bei der Erschießung des jüdischen Restkommandos sei er überhaupt in Erscheinung getreten. Dr. Choranzicky habe er nicht geschlagen, vielmehr habe er ihn retten wollen. Dem Befehl Globocniks zur Erschießung des Restkommandos habe er sich nicht entziehen können. Dass der Aufstand vom 2.8.1943 gelungen sei, hätten die Juden ihm zu verdanken. Den Aufstandsbemühungen der Häftlinge habe er sehr wohlwollend gegenübergestanden und dem jüdischen Zahnarzt Dr. Rebschtz vorgeschlagen, die Revolte am 2.8.1943 durchzuführen, weil dann die meisten Ukrainer zum Baden am Bug seien. Sein Hund Barry habe niemandem etwas zuleide getan. Im Gegenteil, einzelne Häftlinge hätten mit Barry harmlose Spielchen veranstalten und sich so bei ihrem traurigen Dasein eine Entspannung verschaffen können.
Es sei richtig, dass er öfter geritten sei. Das sei nur aus sportlichem Interesse geschehen. Allerdings sei er durch das Reiten möglicherweise im Lager mehr bekannt geworden als manche anderen deutschen SS-Leute.
Mit Wirth habe er schon im Lager Belzec Streit gehabt. So habe er sich geweigert, anstelle des SS-Mannes Niemann die Leitung des oberen Lagers zu benehmen. Wirth habe ihn ins Gesicht geschlagen, sonst aber weiter nichts unternommen. Als sein Freund Fritz Jirmann durch den Zeugen G. in Belzec erschossen worden sei, habe er seinen Unmut darüber geäußert und die Leiche des Erschossenen sehen wollen. Dadurch sei er Wirth lästig gefallen und dieser habe ihn daraufhin zur Strafe vier Wochen lang in Urlaub geschickt, ohne dass er ein Urlaubsgesuch eingereicht hätte. Am Tage der Ankunft in Treblinka habe ihm Wirth befohlen, 20 Juden auszusuchen, mit ihnen die abgelegten Kleider der vergasten Opfer wegzuräumen, und sie dann auch der Vergasung zuzuführen. Er aber habe 80 Häftlinge ausgesucht und diese nach getaner Arbeit in die Unterkunft der Arbeitsjuden geführt. Dadurch habe er diese Menschen vor der Vernichtung bewahrt. Auch in der Folgezeit habe er sich für diese seine Juden besonders interessiert und sich für ihre gute Behandlung und Verpflegung eingesetzt. Da Wirth sich nicht mehr um die Angelegenheit gekümmert habe, sei er deswegen nicht bestraft worden.
Er hätte viel lieber an der Front gekämpft, anstatt in Treblinka Ukrainer auszubilden. Wenn er entsprechende Wünsche vorgetragen habe, seien sie von Wirth jedes Mal sofort mit barschen Worten abgelehnt worden.
Soweit der Angeklagte Franz seinen Aufgabenbereich im Lager einzuengen versucht, soweit er seine Täterschaft an zahlreichen Exzesstaten abstreitet und soweit er von einer wohlwollenden Haltung gegenüber den jüdischen Häftlingen spricht, ist seine Einlassung durch die Feststellungen von A.II. bis VI. des Zweiten Teiles der Gründe widerlegt. Auf die dort gemachten Ausführungen wird verwiesen. Dass Franz seine Taten aus Sadismus, Geltungsbedürfnis und Judenhass begangen hat, wird unter anderem durch die eidlichen Bekundungen der Zeugen Gl. Un. Sed. und Ros. Bestätigt, denn diese Zeugen sagen, dass Franz blutgierig wie ein Tiger und der größte Sadist im Lager gewesen sei, dass er stets dazu geneigt gewesen sei, aus einer Tötung eine Schau zu machen und dass er die Juden als Dreck und Scheisse bezeichnet habe. Soweit Franz angibt, dem Häftling Dr. Rebschtz den 2.August 1943 als Aufstandstermin vorgeschlagen zu haben, wird er durch die eidliche Aussage des glaubwürdigen Zeugen Raj. widerlegt, der dem Aufstandskomitee angehört hat und der einer der Hauptinitiatoren des Aufstands gewesen ist. Raj. sagte, dass Dr. Rebschtz nicht zum Komitee gehört habe und dass er auch niemals das Komitee über eine Unterredung mit Franz, betreffend den Aufstand, unterrichtet habe. Das hätte Dr. Rebschtz sicherlich getan, wenn Franz ihm einen Vorschlag über den Aufstandstermin gemacht hätte. Im Übrigen hat weder einer der Mitangeklagten noch ein einziger der zahlreichen jüdischen Zeugen etwas bekundet, was auch nur im Entferntesten den Schluss zuließe, Franz habe irgendeinem jüdischen Häftling Gutes erwiesen. Dass der Angeklagte Franz im Lager wie ein Herrenmensch aufgetreten ist und dass er sich keine Gelegenheit entgehen ließ, um seine Macht und praktische Alleinherrschaft im Lager zu demonstrieren, haben alle Mitangeklagten und unter anderem auch die Zeugen Gl., Sed., Raj. und Ros. dargetan.
Ob Franz den Inspekteur Wirth wirklich um eine Versetzung zur Front gebeten hat, kann dahingestellt bleiben, obwohl allen anderen Mitangeklagten von derartigen Versetzungswünschen des Angeklagten Franz nichts bekannt ist und sich in seinen DC-Unterlagen nicht ein einziges diesbezügliches Schriftstück befindet. Wenn der Angeklagte sich überhaupt jemals von Treblinka weggemeldet haben sollte, dann mag er das aus allen möglichen persönlichen Gründen getan haben, keinesfalls aber, weil er die Vernichtung der Juden in Treblinka missbilligte und sich davon distanzieren wollte.
Was schließlich die Einlassung des Angeklagten über sein angeblich schlechtes Verhältnis zu Wirth und die von diesem im Zusammenhang mit dem Tode des SS-Mannes Jirmann verhängte Bestrafung mit unerbetenem Urlaub angeht, so ist auch diese Einlassung eindeutig widerlegt. Abgesehen davon, dass eine solche Art der Bestrafung an sich schon äußerst unwahrscheinlich und mit der von den Angeklagten geschilderten Persönlichkeit Wirths nicht in Einklang zu bringen ist, hat auch der Zeuge Gi. glaubhaft bekundet, dass Franz zur Zeit des Todes von Jirmann längst nicht mehr in Belzec gewesen ist.