Auschwitz
Am 29.08.1942 werden mit dem 6. RSHA Transport 1000 Personen 415 Männer und 585 Frauen) aus dem Durchgangslager für Juden und unerwünschte Elemente Mechelen/Malines ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Transport VI war zwei Tage unterwegs, bis er am 31. August in Cosel hielt. Er war der erste Transport aus Belgien, der in Oberschlesien Arbeitssklaven für die Dienststelle Schmelt ablud, die die Juden an die Reichsautobahndirektion und diverse Industrieunternehmen verlieh. Alle Männer zwischen 15 und 50 mussten den Zug verlassen. 248 Deportierte, die dem Befehl gehorchten, wurden zuerst ins Konzentrationslager Groß-Rosen geschickt. Von dort wurden sie auf verschiedene Sklavenarbeitslager wie Gogolin und Klein Mangersdorf verteilt.
Nach der Weiterfahrt sind noch 332 Männer und 90 Jungen sowie 489 Frauen und 89 Mädchen im Zug. Aus diesem Transport wird bei der Ankunft in Auschwitz niemand als Häftling in das Lager eingewiesen.
Bericht
Der 6. Transport von Mechelen nach Auschwitz fuhr am 29. August 1942 ab und umfasste 1000 Deportierte (415 Männer und 585 Frauen). In den Tagen zuvor (seit dem 5. Transport vom 25. August), war ein beträchtlicher Zuwachs an „Freiwilligen“ erzielt worden. Nach der ersten massiven Razzia in Antwerpen, von der sich die Nachricht wie ein Strohfeuer verbreitete, waren diese Freiwilligen die letzten, die Ehlers Aufruf zum Arbeitsdienst folgten und sich in Mechelen zur Arbeit einfanden. Es war auch der letzte Transport, der sich auf die Kollaboration der AJB stützte. Am selben Tag wurde AJB-Präsident Robert Holzinger, der direkt für den reibungslosen Ablauf der Zwangsregistrierung und die Weiterleitung der Einberufung zum Arbeitsdienst verantwortlich war, von jüdischen Widerstandskämpfern ermordet, die hofften, dadurch die Deportation der Juden aus Belgien stoppen zu können. Das Ergebnis war, dass der BdS sich für die Erfüllung der Deportationsquoten nicht länger auf „Freiwillige“ stützte, sondern überwiegend auf Einzelverhaftungen und groß angelegte Razzien, die am 15. August mit der Aktion in Antwerpen begannen.
823 Deportierte kamen dem Deportationsbefehl nach und fanden sich „freiwillig“ in Mechelen ein. 261 Juden wurden mit Gewalt herbeigeschafft. Sie sollten Proviant für 14 Tage mitbringen (unverderbliche Lebensmittel wie Haferflocken und Konserven), zudem Arbeitsstiefel, Arbeitskluft und andere unverzichtbare Kleidungsstücke sowie einen Napf und eine Tasse, Lebensmittel- und Kleiderkarten und Ausweise. Die Erstellung der Transportliste begann am 19. August und wurde am 27. August beendet. Transport VI verließ Mechelen am 29. August, am selben Tag, an dem Sipo und SD ihre zweite große Razzia in Antwerpen durchführten. 11% der Deportierten waren Kinder unter 15 Jahren. 90 von ihnen gehörten zur Gruppe der „Freiwilligen“ und 24 zu denen, die verhaftet worden waren. Nur elf Deportierte waren über 60, was zeigt, dass Sipo und SD in jener Deportationsphase noch immer versuchten, vor allem Arbeitssklaven zu rekrutieren.
Die meisten Insassen in Mechelen erhielten eine Nummer. Die „Freiwilligen“ wurden von der Sipo-SD-Dienststelle in Brüssel zugeteilt und in Mechelen unter der Rubrik AB (Arbeitseinsatz) in die Transportliste aufgenommen. Jeder Gefangene erhielt ein Erkennungszeichen. Die für die unmittelbare Deportation vorgesehenen „Transportjuden“ erhielten eine Ordnungsnummer, die ihren Namen ersetzte. Diese Nummer (in arabischen Ziffern) musste gemeinsam mit der Transportnummer (in römischen Ziffern) auf einem Schild um den Hals getragen werden. Die für längere Zeit Internierten erhielten statt einer Nummer einen Buchstaben wie „E“ für „Entscheidungsfälle“, deren Identität weitere Überprüfung erforderte, „G“ für andernorts in Straflager zu steckende „Gefährliche Juden“ oder „P“ (Personal oder Stammpersonal) für Juden, die in der Lagerverwaltung arbeiteten.
Bei der Aufnahme hatten sie zuerst an von SS-Männern und mehrsprachigen jüdischen Sekretären und Buchhaltern besetzten Tischen vorbeizugehen. Joseph Hakker, ein Konditor aus Antwerpen, hat die Registrierungsprozedur in seinem ausführlichen Zeugenbericht über seine Lagererfahrungen wie folgt geschildert: „Das Registrierungsbüro stand unter dem Kommando des Rechtsanwalts Dr. Erich Krull. Wir saßen auf einer Bank, wo wir eine Nummer erhielten. Eine Stimme wies uns an, alles, was wir hatten, in einen Hut zu stecken, und sagte, wir dürften nichts behalten. Die Wände waren voll von Postern, die uns aufforderten, alles an Gold, Bargeld, Diamanten, Lederwaren, Pelzen, Stiften, Essen abzugeben. Am ersten Tisch mussten wir Namen, Beruf und Adresse angeben. Am zweiten Tisch wurden wir registriert. Am dritten Tisch mussten wir alle in unserem Besitz befindlichen Ausweise abgeben. Dieser Prozedur folgten eine Leibesvisitation und Schläge, sofern ein versteckter Gegenstand gefunden wurde. Die scheußlichste Sache, die ich gesehen habe, war, dass alle Fotos von Ehegatten, Kindern, Muttern, Vätern zerstört wurden, auch Briefe, Zertifikate, Pässe – alle Habseligkeiten mit hohem persönlichen Wert.“
In einigen Fällen setzte die SS Folter als Strafmaßnahme bei der Suche nach Wertsachen ein. SS-Sturmscharführer Max Boden, der Personal- und Verwaltungsleiter im Lager, pflegte regelmäßig Frauen zu missbrauchen und seine Opfer brutal zu schlagen, wie mehrere Zeugen während des Prozesses gegen ihn (1950) bezeugten.
Transport VI umfasste auch vereinzelte Juden, die vom Militärgericht der Oberfeldkommandantur 670 (Lille) zur „Schutzhaft“ verurteilt und am 27. August auf einem Sondertransport aus der Haftanstalt im nordfranzösischen Loos-Lés-Lille transferiert worden waren.
Das Ziel der Reise war den Deportierten unklar. Sie stiegen in Dritte-Klasse-Passagierwaggons. George Gouray (Gur Arie), der 1935 von Baden nahe Wien nach Belgien gekommen war, sagte 2004 aus, dass er den Zug mehrmals verlassen durfte, da er zum Waggonführer ernannt und als solcher mit dem Wasserholen beauftragt wurde. „Ich hatte häufig die Gelegenheit zu fliehen. Ich tat es dennoch nicht. Ich weiß nicht warum. Später, als ich in den Lagern war, bedauerte ich es.“
Die Deportierten reisten in Dritte-Klasse-Waggons. Die genaue Fahrtroute dieses Transports ist nicht bekannt. Die Fahrpläne oder andere entsprechende Dokumente, die Auskunft über die Route geben könnten, sind nicht überliefert. Manche der Deportierten geben eine ungefähre Vorstellung vom Verlauf der jeweiligen Strecke. So etwa Erwin Haber aus Brüssel. Er brachte unterwegs ein paar flüchtige Notizen zu Papier und warf sie aus dem fahrenden Zug. Darin bat er den Finder "höflichst" seine Nachricht nicht aufzugeben sondern, so möglich, in personam "auch ohne Briefmarken" zu überbringen. "Meine Familie wird Ihre Unkosten entsprechend vergüten." Solche Nachrichten, auch Postkarten wurden in der Nähe von Bahnhöfen aus dem Fenster geworfen. "Wir fahren jetzt über Louvain und Tienen und sind wahrscheinlich auf dem Weg nach Deutschland, möglicherweise gar Polen." Aussagen von Überlebenden, die mit den nächsten Transporten fuhren erwähnen auch andere Strecken. Demnach nahmen die Transporte aus Belgien nicht immer die gleiche Route. In den meisten Aussagen werden bestimmte Orte jedoch wiederholt genannt. Das sind vor allem die Städte Leuven (Louvain), Tienen (Tirlemont), Tongren (Tongeres) und Waremme (Borgworm). Es ist daher wahrscheinlich, dass der Zug über Louvain und Liège (Lüttich) die Bahnlinie nach Köln nahm. In Belgien waren belgische Waggons und Lokomotiven der staatlichen belgischen Eisenbahngesellschaft SNCB im Einsatz. Die Lokomotiven wurden von belgischen Zugführern gesteuert. In den Grenzbahnhöfen Eupen und Herbesthal hat das technische Personal von der Reichsbahn den Zug übernommen. Die Lokomotiven wurden ebenfalls ausgetauscht. Von Köln aus nahm der Zug dann entweder die nördliche Route über Hagen, Kassel, Erfurt und Leipzig nach Dresden oder die südliche Route über Gießen, Erfurt und Chemnitz nach Dresden. Von Dresden aus fuhr er über Görlitz nach Schlesien. Die Züge passierten anschließend das Bahnkreuz in Kohlfurt (Węgliniec), und fuhren von dort aus entlang der Grenze zum Protektorat Böhmen und Mähren über Königszelt (Jaworzyna Śląska), Kamenz (Niederschlesien), Neisse (Nysa) nach Cosel (Koźle), wo die arbeitsfähigen Juden für die Lager der Organisation Todt ausgeladen wurden. Von Cosel aus verblieben etwa 100 km von insgesamt 1200 km über die anketierte oberschlesische Hauptstadt Kattowitz bis Auschwitz.
Transport VI war zwei Tage unterwegs, bis er am 31. August in Cosel hielt. Er war der erste Transport aus Belgien, der in Oberschlesien Arbeitssklaven für die Dienststelle Schmelt ablud, die die Juden an die Reichsautobahndirektion und diverse Industrieunternehmen verlieh. Alle Männer zwischen 15 und 50 mussten den Zug verlassen. Die genaue der Zahl der Deportierten, die dem Befehl Folge leisteten, ist nicht bekannt; 267 Männer von Transport VI entfielen auf diese Altersgruppe.
George Gouray verließ den Zug in Cosel mitten in der Nacht. „Die SS empfing uns mit Hunden und Gebrüll und befahl allen Männern zwischen 18 und 50, auszusteigen. Die Folge war Chaos, da viele von uns mit ihren Familien waren und sie nicht verlassen wollten. Am Ende wurden 248 Deportierte, die dem Befehl gehorchten, zuerst ins Konzentrationslager Groß-Rosen geschickt. Von dort wurden wir auf verschiedene Sklavenarbeitslager wie Gogolin und Klein Mangersdorf verteilt. Ich blieb nur für drei Tage in Groß-Rosen und wurde danach nach Klein Mangersdorf gebracht, wo ich für die Reichsautobahn arbeiten musste. Ich schaffte es, während all der Zeit ein Tagebuch zu führen, das ich über einen Freund nach Belgien schicken konnte.“
Von Cosel aus setzte Transport VI seine Fahrt über Kattowitz fort und erreichte noch am selben Tag, dem 31. August, Auschwitz. Die Historiker Maxime Steinberg und Laurence Schramm von der „Kazerne Dossin“ (Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum) in Mechelen vermuten, dass der Zug bei seiner Ankunft noch mindestens 733 Deportierte an Bord hatte. Über das Schicksal dieser Deportierten liegen widersprüchliche Informationen vor. Dem Registrierungssystem von Auschwitz nach wurde insofern niemand von diesem Transport zur Arbeit selektiert, als niemand eine Ordnungsnummer erhielt. Die Tatsache, dass Sterbeurkunden für 21 Menschen von diesem Transport ausgestellt wurden, spricht allerdings dafür, dass doch einige der Deportierten zur Arbeit selektiert wurden. Die beiden erwähnten Historiker aus Mechelen schätzen, dass „wahrscheinlich 91 von ihnen, 22 Männer und 69 Frauen“, als Arbeitssklaven ins Lager gelassen und die übrigen sofort in den Gaskammern von Birkenau ermordet wurden.
Bei Kriegsende war die große Mehrheit der Deportierten von Transport VI ermordet; nur 35 überlebten. Dabei handelte es sich ausschließlich um Männer, die in Cosel aus dem Zug steigen mussten. Die Mehrheit dieser Juden waren anfangs über Groß-Rosen in die Zwangsarbeitslager Klein Mangersdorf und Babitz gebracht worden und mussten beim Bau der Autobahn Berlin-Breslau-Krakau helfen. Später, im Oktober 1943, wurden viele von ihnen nach Warschau transferiert, um dort die Ruinen des Ghettos abzuräumen.
Der ursprünglich aus Warschau stammende Nathan Ramet war 1930 mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Antwerpen emigriert. Nach der ersten Razzia in der Stadt versuchten er und seine Vater, nach Brüssel zu ziehen, wurden jedoch am 21. August 1942 im Zug von der Feldgendarmerie verhaftet. In seiner Zeugenaussage berichtet er Folgendes:
„In Mechelen mussten wir aussteigen und wurden in die Dossin-Kaserne gebracht. Von dort konnte ich meiner Mutter eine Postkarte schicken. In doppeldeutiger Sprache ließ ich sie wissen, dass die Situation sehr schlecht war. Zu dieser Zeit war es noch möglich, Post zu versenden, da sie uns glauben machen wollten, dass wir zu einem Arbeitskommando kommen würden. Einige Bäcker, mit denen wir bekannt waren, schickten uns Weißbrot. Das war unglaublich. Ich werde diese guten Menschen nie vergessen. Wir blieben nur für acht Tage in der Dossin-Kaserne. Dies galt als ‚normal‘. Danach wurden wir in den Osten deportiert. Ich habe immer viel Glück gehabt. Manchmal kommt es und du musst es ergreifen, bevor es weg ist. Der Zug hielt in Cosel, kurz vor Auschwitz. Mein Vater war damals 56, aber dennoch stieg er mit mir aus dem Zug. Er gab vor, jünger zu sein. Von den 1000 Menschen auf dem Transport VI verließen vielleicht 200 Männer den Zug. Tatsächlich wussten wir nicht, dass wir zur Arbeit selektiert worden waren. Auch wussten wir nicht, dass die verbliebenen Frauen, Kinder, Alten und Babys gleich nach Ankunft direkt in die Gaskammern geschickt wurden. Wir erfuhren dies erst später aus den Archiven.“
Quelle: Yad Vashem
Namensliste von Opfer
Josef Schiffer *08.06.1889; Dentist, lebte und arbeitete in Igstadt.
15.07.1939 Flucht nach Antwerpen, Belgien; 29.08.1942 Deportation von Sammellager Mechelen nach Auschwitz; 31.12.1942 Ermordung in Auschwitz
Martha Schiffer geb. Fried, Ehefrau von Josef;
*02.06.1894 in Nordenstadt; 15.07.1939 Flucht nach Antwerpen, Belgien; 29.08.1942 Deportation von Sammellager Mechelen nach Auschwitz; 31.12.1942 Ermordung in Auschwitz
Herbert Schiffer *19.07.1928; Schulkind in Igstadt von 10.04.1934 bis 26.03.1936;
15.07.1939 Flucht mit seinen Eltern nach Antwerpen, Belgien; 29.08.1942 Deportation von Sammellager Mechelen nach Auschwitz, Außenlager Cosel; 31.12.1942 Ermordung in Cosel. Herbert war mit 14 Jahren das jüngste Igstadter Opfer. Bereits 1936 musste er die Igstadter Schule verlassen, da keine jüdischen Kinder beschult werden durften. Er besuchte die neu gegründete jüdische Schule in der Mainzer Straße bis zur Flucht der Familie.
Reinemann Max
* 12.08.1883 in Treuchtlingen
Wohnort: München Gladbach
+ Cosel, für tot erklärt
Emigration: Belgien
dep. 29.08.1942 Durchgangslager Mechelen (Malines) - Durchgangslager Cosel (Kozle) Organiston Schmelt
Sara Blitzer
Sara Blitzer wurde am 5.7.1913 in Chzarnow in Polen geboren. Die Krankenschwester war verheiratet und hatte sich scheiden gelassen. Als staatenlos erklärt wurde sie im belgischen SS-Sammellager Mechelen interniert. Von dort wurde sie am 29.8.1942 mit dem VI Deportationszug unter der Nummer 2 in das KZ Auschwitz-Birkenau gebracht.