Ghetto Riga

Transportliste

In diesem Deportationszug nach
Riga befanden sich 1034 Personen, darunter 1022 erwachsene Jüdinnen und Juden aus dem Regierungsbezirk Kassel, also aus ganz Nord- und Osthessen. Die Deportation wurde von der Geheimen Staatspolizei Kassel organisiert und durchgeführt, wobei allerdings zahlreiche Behörden und Ämter mitwirkten:
Landratsämter, Bürgermeisterämter, Kreis- und Ortspolizeistellen.
Eine besondere Rolle kam der Oberfinanzdirektion in Kassel zu, die in Zusammenarbeit mit der Gestapo für die Enteignung der Deportierten und die Verwertung ihres Vermögens zuständig war.

Die Juden und Jüdinnen sollten nicht nur deportiert und ermordet, sondern auch ausgeraubt werden.
Am 20. November 1941 wurde ihnen eine Vermögenserklärung zugeschickt, die bis zum 25. November ausgefüllt bei der Gestapo vorzuliegen hatte. Spätestens damit wurden sie auch über ihre bevorstehende Deportation informiert. Auf der Vermögenserklärung mussten sie akribisch alles Hab und Gut auflisten. Die Schlüssel zu den verlassenen Wohnungen mit dem zurückbleibenden Inventar mussten sie abgeben, und diese wurden dann an die Finanzämter weitergeleitet. Die begannen unmittelbar nach der Deportation mit dem Verkauf und der Versteigerung der Gegenstände.
Mitnehmen durften sie 50 kg Gepäck. Außerdem wurde ihnen die Möglichkeit eröffnet, auch Ausrüstungsgegenstände z.B. Nähmaschinen mitnehmen zu können, die sie vorher an den Zollschuppen am Kasseler Hbf zu schicken hatten.
Am Montag, dem 08. Dezember 1941, wurden die Juden und Jüdinnen von Polizisten aus ihren Wohnungen und Häusern geholt und zu den Bahnhöfen ihrer Heimatorte gebracht. Für den Transport nach Kassel waren spezielle Züge zusammengestellt worden. Am Kasseler Hauptbahnhof wurden sie dann von Gestapobeamten mit Fußtritten und Beschimpfungen empfangen und zum Schulkomplex an der
Schillerstraße (der heutigen Walter-Hecker-Schule) gebracht, wo die Turnhallen als Sammellager dienten. Hier wurden die Juden und Jüdinnen von Gestapo-, Kriminal- und Polizeibeamten kontrolliert, ihr Gepäck wurde nach Wertsachen durchsucht, z.T. mussten sie sich nackt ausziehen und entwürdigende Körperkontrollen über sich ergehen lassen. Wertsachen, wie Uhren, Schmuck und Eheringe, wurden ihnen abgenommen, und von ihrem Bargeld durften sie vorläufig 50,- RM behalten.
Die Nacht verbrachten sie in einer der Turnhallen. Am nächsten Tag, Dienstag, dem 09. Dezember 1941, wurden die über eintausend Menschen in einer großen Kolonne zum Kasseler Hauptbahnhof getrieben. Am Nachmittag fuhr der Deportationszug nach Riga ab. Der Waggon mit den Ausrüstungsgegenständen, den Nähmaschinen usw., war vorher abgekoppelt worden.
Von den 1034 Personen dieses Deportationszuges überlebten am Ende etwa 100.

SS-Sturmbannführer Lüdcke Karl Dr.sc.pol.

Am 9. Dezember 1941 führte die Geheime Staatspolizeistelle Kassel unter der Leitung des Regierungsrates und SS-Sturmbannführer Dr. Karl Lüdcke die erste und größte Deportation von Juden aus dem Regierungsbezirk Kassel mit mehr als 1.000 Personen durch. Der Transport führte nach Riga (Lettland). Unter ihnen befanden sich sieben Personen mit Geburts- und/oder Wohnort Korbach. Deportiert wurden Alfred Kaufmann, Siegfried Kaufmann mit Ehefrau Gertrud und Tochter Helga, Fanny Kohlhagen, Erika Oppenheimer (geb. Mannheimer) und Siegfried Schild.
Das jüngste Deportationsopfer war erst drei Jahre, das älteste 67 Jahre alt. Der Altersdurchschnitt der Korbacher lag bei 32,86 Jahren, der des gesamten Transportes bei 39 Jahren. Die Zahlen verdeutlichen, dass es sich bei den Betroffenen des ersten Transportes tendenziell um zur Zwangsarbeit genötigte, vergleichsweise junge und kräftige Juden handelte.

Bericht Kaufmann Alfred

Kaufmann Alfred * 1911 in Korbach
Am 9.12.1941 wurde ich von Kassel nach Riga deportiert. Ich wurde damals von der Gestapo in Kassel schriftlich zur Wilhelmshöher Allee vorgeladen. Der Grund der Vorladung war zunächst nicht bekannt. Als ich aber bei der Gestapostelle erschien, hat man mir erklärt, daß ich am 9.12.41 nach Riga deportiert würde. Nähere Einzelheiten wurden mir nicht bekannt gegeben. Anhaltspunkte für die Annahme, daß das Ziel unserer Reise die physische Vernichtung sein würde, konnten zunächst nicht gewonnen werden. Es wurden in Kassel jedenfalls keine Äußerungen laut, aus denen man zu dieser Auffassung mit Sicherheit hätte kommen können. Unser Transport wurde zunächst in der Turnhalle in Kassel [Schillerstraße] zusammengestellt. Wir mußten dann zu Fuß zum Hauptbahnhof gehen und wurden in dort bereitstehende Personenwagen eingewiesen.Ich erinnere mich, daß wir in Posen einen sehr langen Aufenthalt hatten und dort vergeblich um etwas Wasser bettelten. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an die Äußerung eines SS-Mannes:, Ihr braucht kein Wasser, Ihr verreckt sowieso. ́Bei unserem Transport waren viele Kinder und sehr alte Leute. In Riga selbst und im Pickernicker Wald sind Juden in einer Menge getötet worden, die zahlenmäßig von mir nicht näher benannt werden kann. Die Juden wurden erschossen, erhängt, erschlagen, sie sind teils verhungert und teils erfroren. Ich kann heute nicht mehr sagen, in wieviel hundert Fällen ich selbst zugegen war, wenn Juden getötet worden sind.“

Namensliste

Kaufmann Alfred
* 06.01.1911 Korbach

Kaufmann Siegfried
* 30.08.1905 Zierenberg

Kohlhagen Fanny
* 12.08.1874 Korbach

Oppenheimer Erika geb. Mannheimer
* 16.11.1923 Bad Wildungen

Schild Siegfried
* 28.10.1890 Eimelrod


Stern Karl
Das Durchschnittsalter lag bei 39 Jahren, 100 Personen aus diesem Transport überlebten, darunter als einer der wenigen aus dem Kreis Marburg Karl Stern aus Neustadt. In einem Brief an den nach Südafrika emigrierten Irwin Höchster aus Roth, dessen Eltern und zwei Geschwister sich in dem Transport befanden und die nicht mit dem Leben davon kamen, schildert Stern 1946 die Situation bei der Ankunft in Riga.