Die Liquidierung von fünf bis sechs Zigeunerinnen und eines Zigeunerkindes im Lazarett
Aus der Nähe von Treblinka wurden einmal fünf bis sechs Zigeunerinnen durch das Lagertor ins Vernichtungslager gebracht. Eine der Frauen trug ein kleines Kind auf dem Arm. Man rief laut nach dem Angeklagten Suchomel, der sich gerade in der Nähe des Lagereingangs aufhielt. Suchomel führte die fünf bis sechs Zigeunerinnen, davon eine mit einem Kind im Arm, über die Kurt-Seidel-Strasse, den Bahnhofsplatz und den Sortierplatz zum Lazarett, wo die Zigeunerinnen und das Kind erschoßen wurden, wahrscheinlich durch den dort gerade diensttuenden deutschen SS-Unterführer.
Dass Suchomel diese Frauen und das Kind getötet hat, lässt sich nicht feststellen.
Der Angeklagte bestreitet, in der geschilderten Art und Weise tätig geworden zu sein.
Er wird jedoch durch die eidliche Bekundung des 62 Jahre alten Magazinverwalters Lak. aus Eiron/Israel überführt.
Der Zeuge war gerade an diesem Tage zusammen mit einem Kameraden, dem Installateur Zuckermann aus Czenstochau, damit beschäftigt, den sogenannten Offiziersbrunnen in der Nähe des Lagereingangs zu reinigen, dessen Wasser nur für das deutsche Personal gebraucht werden durfte. Zuckermann befand sich im Brunnen und reichte dem am Brunnenrand stehenden Zeugen Lak. Eimer mit Sand herauf. Lak. konnte deshalb alles sehen, was sich am Lagereingang abspielte.
Der Zeuge Lak. hat Suchomel sofort wiedererkannt. Er hat seine Eigentümlichkeiten und seine Aufgaben als Chef der Gold- und Hofjuden zutreffend geschildert. Es bestehen weder an seiner Glaubwürdigkeit im Allgemeinen noch an der Zuverlässigkeit seiner Schilderung dieses speziellen Falles irgendwelche Zweifel. Auch der Umstand, dass Lak. der eigentlichen Erschießung im Lazarett nicht beigewohnt hat, lässt keine Bedenken daran aufkommen, dass die Zigeunerinnen und das Zigeunerkind tatsächlich im Lazarett erschossen wurden. Lak. hat diese Menschen seither nicht mehr gesehen. Zigeuner und Zigeunerinnen sind nach dem Ergebnis der gesamten Beweisaufnahme auch niemals zu Arbeitszwecken ausgewählt und hierdurch vor dem Tod bewahrt worden. Das alles läßt den Schluss zu, dass diese Frauen und das Kind im Lazarett getötet wurden, wie so manche anderen Zigeuner und Juden, die aus der Nähe von Treblinka entweder zu Fuß, mit einem Pferdefuhrwerk oder mit einem Lastkraftwagen ins Lager gebracht wurden.
Dass Suchomel mit dem Abführen der fünf bis sechs Frauen samt dem Kind zum Lazarett einen wesentlichen Beitrag zu ihrer Tötung geleistet hat, steht zwar fest.
Andererseits darf nicht außer Betracht bleiben, dass er hier auf Weisung eines Vorgesetzten gehandelt haben kann, da der Zeuge Lak. gesagt hat, man habe laut nach dem Angeklagten Suchomel gerufen. Ebenso wahrscheinlich ist es, dass er die Frauen und das Kind nicht selbst getötet hat, sondern dass sie von dem gerade im Lazarett diensttuenden SS-Mann erschoßen worden sind. Jedenfalls müssen diese beiden Möglichkeiten (Handeln auf Befehl und Tötung durch den im Lazarett tätigen SS-Mann) dem Angeklagten Suchomel zugute gehalten werden, da das Ergebnis der Beweisaufnahme eine andere Deutung (eigenmächtiges Handeln und eigenhändige Tötung) nicht zulässt.