Stadie
Die von den Haupttätern befohlene und organisierte Massenvernichtung der Juden und Zigeuner in Treblinka unterstützte er, indem er als Verwaltungsleiter des Lagers die Telefonanrufe über die ankommenden Transporte entgegennahm, das deutsche und ukrainische Personal zur Einnahme ihrer Plätze am Bahnhof zusammenrief, häufig selbst dabei die Transporte abnahm, mehrfach irreführende Ansprachen an die Angekommenen hielt und indem er den übrigen Lagerbetrieb, die Einteilung der Arbeit und Wachen, vornahm und kontrollierte. Stadie wusste, dass er durch seine Tätigkeit den Ablauf der Massentötungen förderte.
Trotzdem übte er sie aus und handelte deshalb vorsätzlich.
Obwohl Stadie als Spieß und Stabsscharführer eine nicht unbedeutende Stellung im Lager innehatte, handelte er bei der Massenvernichtung nicht als Täter, sondern nur als Gehilfe. Er führte nur die ihm anbefohlenen Tätigkeiten durch und schritt, wie es im Wesen des Handelns auf Befehl liegt, nicht aus eigenem Willen zur Tatausführung, sondern in Erfüllung einer vermeintlichen Pflicht. Er verfügte darüber hinaus nicht über die Tatherrschaft, da er keinen Einfluss auf Planung und Bestimmung von Art, Zeit und Ort der Tatausführung hatte. Wenn er einzelne Juden zur Arbeit heraussuchen und sie dadurch vor der Vergasung bewahren konnte, so führte er auch hier in der Regel klare Anweisungen des Kommandanten und seines Vertreters, des Angeklagten Franz, aus.
Vor allen Dingen ist es aber bei ihm wesentlich auf seine innere Willensrichtung abzustellen, denn diese allein bleibt, selbst bei voller Tatbestandsverwirklichung, dafür bestimmend, ob der Handelnde als Täter oder Gehilfe anzusehen ist.
Berücksichtigt man das Gesamtverhalten des Angeklagten Stadie in Treblinka, so lässt sich nicht feststellen, dass er die Massenvernichtung von Juden und Zigeunern als eigene Tat gewollt hat.
Dafür spricht insbesondere, dass er seine Machtbefugnisse als Spieß und Verwaltungsleiter des Lagers keineswegs ausgeschöpft, sondern vielmehr den Arbeitsjuden gegenüber ein verhältnismäßig mildes Regiment geführt hat.
Zu berücksichtigen ist weiter, dass ihm nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Begehung einer Exzesstat aus eigenem Antrieb mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nicht nachgewiesen werden kann (vergleiche den Abschnitt BV des Zweiten Teiles der Gründe).
Er hat deshalb nach der Überzeugung des Schwurgerichts nur eine ihm innerlich fremde Tat befehlsgemäß fördern und unterstützen wollen, so dass er nicht als Täter, sondern nur als Mordgehilfe anzusehen ist.
Stadie hat in Treblinka an der Tötung von mindestens 300000 Personen mitgewirkt. Er hat sich von Mitte 1942 bis Juli 1943, also rund ein Jahr lang in Treblinka befunden. Auch wenn man hiervon insgesamt etwa 12 Wochen Urlaub abzieht, so verbleiben immer noch etwa 9 Monate, in denen Stadie an der Massenvernichtung in Treblinka mitgewirkt hat, insbesondere auch in der zweiten Hälfte des Jahres 1942, als besonders viele Transporte mit Juden aus Warschau und aus anderen polnischen Städten in Treblinka eintrafen und abgefertigt wurden.
Das Schwurgericht schätzt deshalb die Zahl der Personen, an deren Vernichtung Stadie im Rahmen der Massentötungen beteiligt gewesen ist, auf mindestens 300000.
Der Angeklagte Stadie hat somit den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen erfüllt (211, 47, 49, 73 StGB).