Die Grundlage der Feststellungen zum Lebenslauf des Angeklagten Matthes und zu seiner Tätigkeit im Vernichtungslager Treblinka
Die Feststellungen zu dem unter I. abgehandelten Lebenslauf des Angeklagten beruhen auf seinen eigenen Angaben, die insoweit glaubhaft sind.
Bezüglich seiner Verwendung im Vernichtungslager Treblinka lässt er sich wie folgt ein:
Nur im Jahre 1942 sei er Chef des oberen Lagers gewesen. Im Jahre 1943 habe der ranghöhere SS-Oberscharführer Floss das Totenlager geführt.
Im oberen Lager habe er nicht mehr getan, als ihm aufgetragen worden sei. Er habe lediglich darauf geachtet, dass der Betrieb im Totenlager ruhig und reibungslos abgelaufen sei. Am eigentlichen Vergasungsvorgang, insbesondere am Hineintreiben der Juden in die Gaskammern, sei er nicht beteiligt gewesen. Als Familienvater und Krankenpfleger hätte er es auch nicht übers Herz gebracht, die bedauernswerten Juden, mit denen er großes Mitleid gehabt habe, in die Gaskammern zu treiben. Sobald Transporte zur Vergasung eingetroffen seien, habe er sich zurückgezogen, um mit dem schaurigen Geschäft der Vergasung nicht befasst zu werden. Häufig habe er sich dann in der Küche des oberen Lagers aufgehalten, um dort eine Suppe zu essen. Er habe nur dann einen Häftling geschlagen, wenn es sich aus Gründen der Ordnung und Disziplin nicht habe vermeiden lassen. Das sei aber nur selten gewesen. Im Übrigen habe er dafür gesorgt, dass niemand im oberen Lager gepeitscht und misshandelt worden sei.
Durch das Ergebnis der Beweisaufnahme ist jedoch die Einlassung des Angeklagten im Sinne der getroffenen Feststellungen widerlegt. In der Voruntersuchung hat der Angeklagte Matthes dargelegt, dass er immer, und zwar 1942 und auch 1943, Chef des oberen Lagers gewesen und dass er im Falle seiner Verhinderung von seinem Kameraden Pitzinger vertreten worden sei.
Der Untersuchungsrichter Landgerichtsrat Schw. hat hierzu bekundet, Matthes habe diese Angaben während der Voruntersuchung von sich aus, ohne jede Äußere Beeinflussung, gemacht. Wenn Matthes nunmehr angibt, ab 1943 sei der ranghöhere SS-Oberscharführer Floss Chef des Totenlagers gewesen, so handelt es sich um eine Schutzbehauptung, mit der Matthes einen Teil seiner Verantwortung für die Vorgänge im oberen Lager auf den nicht mehr am Leben befindlichen Floss abwälzen will.
Richtig ist dagegen, dass Floss trotz seines höheren Dienstgrades niemals Chef des oberen Lagers gewesen ist, weil er von der Lubliner Zentrale den klar abgegrenzten Sonderauftrag hatte, leistungsfähige Verbrennungsanlagen im Totenlager einzurichten. Nachdem Versuche der Stammbesatzung des Totenlagers von Treblinka, die Leichen in den Gruben zu verbrennen, gescheitert waren, traf Floss als Spezialist für die im Jahre 1943 angeordnete Verbrennung der Leichen in Treblinka ein. Er errichtete die aus Eisenbahnschienen bestehenden Verbrennungsroste, mit denen er das Problem der Leichenverbrennung wirksam und zweckmäßig löste. Dagegen oblag ihm in keinem Falle die Leitung des oberen Lagers, die bei dem Angeklagten Matthes verblieb, wie die Mitangeklagten Münzberger, H. und Ru., die sämtlich im oberen Lager waren, übereinstimmend angeben. Der über das untere und das obere Lager besonders gut informierte Angeklagte Suchomel, der öfter zum Abholen von Wertsachen ins obere Lager kam, hat ebenfalls erklärt, dass Matthes sowohl 1942 als auch 1943 Chef des oberen Lagers gewesen sei, seine Stellung sei mit der Kttners zu vergleichen, der das untere Lager geführt habe.
Die eidlich vernommenen Zeugen Lew., Ros. und Li. haben zudem übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass Matthes auch 1943 der oberste Chef und der Boss des Totenlagers gewesen sei und dass er nur im Falle seiner Abwesenheit von dem SS-Unterscharführer Karl Ptzinger vertreten worden sei, während Floss sich lediglich um die Einrichtung und den Betrieb der Verbrennungsroste gekümmert habe.
Dass der Angeklagte seine Aufgaben als Chef des oberen Lagers sehr ernst nahm und dass er alle auftretenden Schwierigkeiten mit großer Strenge und Brutalität zu überwinden wusste, indem er auf die Häftlinge einprügelte oder sie durch Kapos schlagen ließ, haben neben zahlreichen anderen Zeugen die Zeugen Ros. und Li., die beide von Matthes persönlich, zum Teil wegen kleinster Verstöße gegen die Lagerordnung, mehrfach Prügel bekommen haben, glaubhaft unter ihrem Eide bestätigt.
An der Richtigkeit ihrer Aussagen besteht umso weniger ein Zweifel, als auch der Angeklagte H. in der Hauptverhandlung angegeben hat. Matthes war sehr streng und ließ die Leute durch die Kapos schlagen. Wenn er angetrunken war, war er geradezu brutal. H., der Matthes schon von einer gemeinsamen Pflegertätigkeit in Arnsdorf kannte, wird hierbei sicherlich nicht übertrieben haben. Dass zwischen Matthes und H. irgendwelche Spannungen bestanden haben oder bestehen, ist in der Hauptverhandlung nicht erkennbar geworden und hat zudem keiner der Angeklagten, auch nicht der Angeklagte Matthes, behauptet.
Hinzu kommt, dass das Schwurgericht bei H. den Eindruck hatte, dass er, soweit er sich nicht aus falsch verstandener Kameradschaft gegenüber den Mitangeklagten zum Schweigen verpflichtet glaubte, durchaus bemüht war, der Wahrheit die Ehre zu geben.
Dass Matthes das Schließen und öffnen der Gaskammern angeordnet und den Vergasungsvorgang persönlich überwacht hat, wird nicht nur von den Mitangeklagten Münzberger, H. und Ru., sondern auch von den eidlich vernommenen Zeugen Ros. und Li. bestätigt. Annehmen zu wollen, Matthes als Chef des oberen Lagers habe sich ausgerechnet bei der wichtigsten Tätigkeit im oberen Lager, nämlich dem Vergasen von Tausenden von Juden, in die Küche zum Essen einer Suppe zurückgezogen, ist auch mehr als abwegig, denn gerade Matthes hatte den Ehrgeiz, durch seine persönliche Überwachung eine beschleunigte Abfertigung der angekommenen Opfer zu erreichen.
Allerdings hat die Beweisaufnahme nicht mit letzter Sicherheit ergeben, dass Matthes bei der Vergasung von Juden einzelne Personen erschossen hat, weil sie den Vergasungsvorgang aufhielten. Zwar haben die uneidlich vernommenen Zeugen Eisenbahner Gol. und Verwalter Wie. bekundet, Matthes habe sich an der Tötung zahlreicher Juden beteiligt, die nicht vergast, sondern direkt an den Leichengruben erschossen worden seien. Jedoch bestehen erhebliche Bedenken, die Bekundung dieser beiden Zeugen zu verwerten.
Wie bereits in A.VIII.17. des Zweiten Teiles der Gründe ausgeführt worden ist, kann man die Aussage des Zeugen Wie. wegen seiner altersbedingten Konzentrations- und Gedächtnisschwäche nicht verwerten. Hinzu kommt, dass der Zeuge Wie. den Angeklagten Matthes nicht wiedererkannt hat. Gegen die objektive Richtigkeit der von dem Zeugen Gol. gemachten Aussage bestehen deshalb Bedenken, weil er bei seiner Vernehmung sehr erregt war und weil er sich insbesondere in der Hauptverhandlung in einen starken Widerspruch zu seinen Angaben in der Voruntersuchung setzte, ohne dass er für diesen Widerspruch eine befriedigende Erklärung geben konnte.