Der Hund Barry und sein Verhalten im Vernichtungslager Treblinka
Entweder Ende 1942 oder Anfang 1943 wurde der Hund Barry ins Vernichtungslager Treblinka gebracht. Es handelte sich um einen Kalbsgrossen, schwarz-weiß gefleckten Mischlingshund mit den überwiegenden Rassemerkmalen eines Bernhardiners. In Treblinka schloss er sich dem Angeklagten Franz an und sah in ihm seinen Herrn. Auf seinen Kontrollgängen durch das untere und obere Lager pflegte Franz den Barry meistens bei sich zu haben. Je nach Lust und Laune hetzte er den Hund mit den Worten Mensch, fass den Hund!
auf Häftlinge, die ihm irgendwie aufgefallen waren.
Mit dem Worte Mensch meinte er hierbei den Barry und mit dem Worte Hund den betreffenden Häftling, auf den sich Barry stürzen sollte. Barry ging aber auch schon dann auf einen Häftling los, wenn Franz diesen nur anbrüllte. Um Barrys Aktivität zu entfalten, bedurfte es also nicht in jedem Falle des Zurufs Mensch, fass den Hund! Barry biss stets wahllos auf den betreffenden Menschen ein. Da er Kalbsgross war und mit seiner Schulterhöhe im Gegensatz zu kleineren Hunden an das Gesäß und den Unterleib eines durchschnittlich großen Menschen heranreichte, biss er häufig ins Gesäß, in den Unterleib und mehrfach auch in das Geschlechtsteil der männlichen Häftlinge, das er in manchen Fällen sogar teilweise abbiss. Bei weniger kräftigen Häftlingen gelang es ihm auch manchmal den angegriffenen Mann zu Boden zu werfen und ihn auf dem Boden nahezu bis zur Unkenntlichkeit zu zerfleischen.
Stand Barry bei einer Abwesenheit des Angeklagten Franz nicht unter dessen Einfluss, so war er nicht wiederzuerkennen. Man konnte ihn streicheln und sich sogar mit ihm necken, ohne dass er jemandem etwas tat.
Franz hatte mit der Pflege seines Hundes Barry den tschechoslowakischen Häftling Masarek beauftragt. Dieser musste ihn warten und für seine Verpflegung sorgen, welche viel besser war als die der Arbeitshäftlinge.
Bei der Schließung des Lagers Ende November 1943 brachte der Angeklagte Mentz den Barry zu Dr. Stru. nach Ostrow, der damals Chefarzt des dortigen Kriegslazaretts war. Nach einiger Zeit ging Barry auch mit Dr. Stru. eine neue Hund-Herren-Bindung ein. Er lag gewöhnlich unter oder neben dem Schreibtisch im Arbeitszimmer seines neuen Herrn und wurde im Lazarett Ostrow, dem mit mehreren tausend Betten grüssten deutschen Kriegslazarett im Osten, als das große Kalb bezeichnet. Er tat niemandem mehr etwas zuleide.
Im Jahre 1944 brachte Dr. Stru. den Barry zu seiner in Schleswig-Holstein lebenden Frau. Später öbernahm ihn der Bruder des Zeugen. Im Jahre 1947 wurde Barry aus Altersschwäche getötet.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten, soweit man ihr folgen kann, auf den Angaben der Mitangeklagten Miete und Mentz, auf den glaubhaften eidlichen Bekundungen des Nervenarztes und Obermedizinalrates a.D. Dr. Stru. aus Schleswig, des Ingenieurs Gl., des Braumeisters Un., des Klempners Oscar Stra., des Kaufmanns Do., des Kaufmanns Jan., des Schlossers Tai., des Anstreichers Hel., des Mechanikers Tu., des Bautechnikers Koh., des Schlossers Ku., des Hoteldirektionsassistenten Sed., des Metzgers Roj., des stellvertretenden Geschäftsführers in einem Damenkonfektionsgeschäft Sp., des Kaufmanns Kols. und des Schneiders Lac. sowie auf dem eingehenden und überzeugenden Gutachten über Das Verhalten des Hundes Barry durch Prof. Dr. Konrad Lorenz, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung in Seewiesen/Oberbayern.
Der Angeklagte Franz machte zu seinem Hund Barry folgende Angaben:
Es sei eine infame Luge, wenn behauptet werde, er habe Barry mehrfach auf Juden gehetzt, Barry habe diese Juden gebissen, darunter auch in die Genitalien, und die so Gebissenen seien anschließend im Lazarett erschossen worden. Barry habe im Gegenteil keinem Juden etwas zuleide getan. Er sei gutmütig und spielerisch veranlagt gewesen.
Diese Einlassung des Angeklagten ist durch die erhobenen Beweise in vollem Umfange widerlegt worden. Die Zeugen Gl., Un., Jan., Hel., Tu., Koh., Sed., Kols. und Lac. haben selbst beobachtet, dass Franz seinen Barry öfter auf Häftlinge gehetzt hat, dass Barry diese Häftlinge schwer verletzt hat, darunter auch einige an den Genitalien, und dass die Schwerverletzten auf Geheiß von Franz dann im Lazarett erschossen worden sind. Freilich hat das Schwurgericht unter der Vielzahl der von den Zeugen in diesem Zusammenhang geschilderten, einander ähnlichen Fälle nur drei konkretisieren kennen. Einmal hat der Zeuge Gl. bei der Nachtbeladung eines Güterzuges mit Textilien im Jahre 1942 erlebt, wie Franz seinen Barry auf einen arbeitenden Häftling hetzte, wie Barry diesem Mann in das Geschlechtsteil biss und wie der Verletzte dann im Lazarett erschossen wurde. Der Zeuge Jan. schildert, wie Franz seinen Barry einmal vor dem Eingang zum Schlauch auf einen nackten Häftling hetzte und wie hierbei Barry einem Häftling das Geschlechtsteil abbiss und wie Barry bei einer anderen Gelegenheit auf Geheiß von Franz einem Häftling in der Nähe der ukrainischen Küche ein Stuck Fleisch durch einen Biss herausriss. Dass diese Schilderungen richtig sind, hat der Mitangeklagte Miete bestätigt. Er hat nämlich nach langem Schweigen zu diesem Punkt, zugegeben, auch solche ihm von Franz übergebene Häftlinge im Lazarett erschossen zu haben, die von Barry ins Geschlechtsteil und in andere Körperteile gebissen worden waren.
Andererseits haben die Zeugen Gl., Oscar Stra., Jan., Tai., Tu., Koh., Cz., Sed., Roj., Kols. und Lac. auch erklärt, dass Barry nicht wiederzuerkennen gewesen sei, wenn er nicht unter dem Einfluss von Franz gestanden habe, da er dann gutmütig und faul gewesen sei. Weiter hat auch der Zeuge Dr. Stru. berichtet, dass er Barry öfter mit sich führte, wenn er in Ostrow hunderte von nackten Soldaten, die in einer Reihe angetreten waren, auf ihre Fronttauglichkeit zu untersuchen pflegte. Dr. Stru. betont, dass Barry keinem dieser Soldaten etwas zuleide getan habe.
Zu der Frage, ob Barry einmal eine reißende Bestie, zum anderen jedoch auch ein gutmütiger Haus- und Spielhund gewesen ist, hat das Schwurgericht den Direktor des Max-Planck-Instituts für Verhaltensforschung in Seewiesen/Oberbayern, den international bekannten Forscher Professor Dr. Konrad Lorenz eidlich als Sachverständigen gehört.
In seinem überzeugenden Gutachten hat Professor Dr. Lorenz unter anderem folgendes ausgeführt:
Aus den ihm vom Schwurgericht vorgelegten Fotos von Barry ersehe er, dass dieser kein reinrassiger Bernhardiner, sondern ein Mischlingshund gewesen sei, der freilich die überwiegenden Rassemerkmale eines Bernhardiners aufgewiesen habe. Mischlingshunde seien viel feinfühliger als reinrassige Tiere. Wenn sie sich einem Herrn anschlossen und eine sogenannte Hund-Herren-Bindung eingingen, würden sie förmlich erahnen, welche Absichten ihr Herr habe; denn ein Hund sei das Spiegelbild des Unterbewusstseins seines Herrn, und das gelte in besonderem Masse für Mischlingshunde. Es sei in der Verhaltensphysiologie anerkannt, dass derselbe Hund zeitweilig brav und harmlos, zeitweilig auch gefährlich und bissig sein könne. Letzteres sei dann der Fall, wenn er von seinem Herrn auf eine Person gehetzt werde. Manchmal genüge es bereits, wenn der Herr des Hundes eine Person anschreie, damit sich der Hund auf die angebrüllte Person stürze. Derselbe Hund kenne kurze Zeit später harmlos mit Kindern spielen, ohne dass irgendetwas zu befürchten sei. Das gleiche Verhalten zeige er gegenüber Erwachsenen, mit denen sein Herr freundlich spreche. Auch zu diesen Personen sei er dann lieb. Er passe sich eben ganz den Stimmungen und Launen seines Herrn an.
Wenn ein Hund eine neue Hund-Herren-Bindung eingehe könne sich sein Charakter sogar völlig wandeln. Wenn Barry deshalb unter seinem neuen Herrn, dem Zeugen Dr. Stru., keinerlei Neigungen mehr zum Beißen gezeigt habe, so sei das nichts Aussergewöhnliches. Experimente mit Hunden hätten diese Erfahrung nachdrücklich erhärtet.
Nach diesen überzeugenden Ausführungen des Professors Dr. Lorenz besteht also kein logischer Widerspruch zwischen den Feststellungen, dass Barry einerseits gefährlich war, wenn er von Franz auf Juden gehetzt wurde, und dass er andererseits im Lagergelände in Abwesenheit von Franz und später bei Dr. Stru. in Ostrow faul, gutmütig und harmlos gewesen ist.
Das Schwurgericht hat weiterhin den bekannten Ordinarius für Chirurgie an der Medizinischen Akademie in Düsseldorf, den Professor Dr. De., eidlich als Sachverständigen über die Folgen, die durch Hundebisse an männlichen Geschlechtsteilen entstehen, vernommen.
Er hat unter anderem folgendes gesagt:
Verletzungen am männlichen Geschlechtsteil seien besonders schmerzhaft. Die Schmerzen bei Verletzungen des Hodensacks seien hierbei noch intensiver als Verletzungen des männlichen Gliedes. Wenn ein männliches Geschlechtsteil vollständig herausgerissen werde, so sei der betreffende Verletzte in der Regel nicht mehr gehfähig. Männer mit Teilverletzungen an ihrem Geschlechtsteil seien dagegen trotz starker Schmerzen imstande zu gehen. Weder eine Teilverletzung am Geschlechtsteil noch ein vollständiger Verlust dieses Teiles führten jedoch zum Tode. Es sei auch keineswegs mit einem besonders schnellen Verbluten zu rechnen. Im Gegenteil, selbst bei einem vollständigen Abbeißen des Geschlechtsteiles verblute der Verletzte nicht, da die Adern in den männlichen Genitalien einen viel kleineren Durchmesser hätten als die Adern in anderen Körperteilen. Die kleineren Adern in den Genitalien schlössen sich deshalb verhältnismässig rasch wieder von selbst.
Durch diese präzise und überzeugende wissenschaftliche Darlegung des Sachverständigen Professor Dr. De. ist bewiesen, dass Häftlinge, die von Barry ins Geschlechtsteil gebissen wurden, an dieser Verletzung allein nicht unbedingt sterben mussten, so dass es erforderlich werden konnte, sie an Ort und Stelle oder im Lazarett zu liquidieren, wie es nach dem Geständnis des Mitangeklagten Miete auf Anordnung von Franz auch tatsächlich geschehen ist.
Der von verschiedenen jüdischen Zeugen geäusserte Verdacht, Franz habe seinen Hund Barry darauf abgerichtet, den Häftlingen in die Genitalien zu beißen, ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bestätigt worden. Der aus der Tschechoslowakei stammende Zeuge Ingenieur Gl. war mit dem ebenfalls aus der Tschechoslowakei nach Treblinka gekommenen Häftling Masarek befreundet, der von Franz mit der Pflege des Hundes Barry beauftragt war. Masarek hat dem Zeugen Gl. zwar davon berichtet, dass Franz mit seinem Barry allgemeine Gehorsamsübungen durchführte, dagegen hat er ihm niemals davon erzählt, dass Franz den Barry speziell darauf abgerichtet hätte, männliche Genitalien abzubeißen oder zu verletzen. Die anderen Zeugen haben auch nichts über eine auf das Abbeißen von Genitalien hinzielende Spezialdressur des Barry berichten können, so dass sich hier keine bestimmten Feststellungen treffen lassen. Barry hat übrigens nicht nur in Geschlechtsteile, sondern auch in andere Körperteile (Gesäß, Oberschenkel und anderes mehr) hineingebissen, wie die Zeugen Gl., Cz., Sed. und Roj. berichten. Wenn er verhältnismssig häufig die Genitalien seiner Opfer erfasste, so ist das auf seine einem Kalb entsprechende Größe zurckzuführen. Während kleinere Hunde vorwiegend in die unteren Beinpartien hineinbeißen, konnte Barry aufgrund seiner Größe mit seiner Schnauze direkt an die Genitalien seiner Opfer herankommen und sie deshalb auch verletzen. Hierzu bedurfte es keiner speziellen Abrichtung durch den Angeklagten Franz. Das schließt nicht aus, dass gerade dieses Zupacken des Barry an den Genitalien der Häftlinge von Franz nicht ungern gesehen wurde, denn nach den Bekundungen zahlreicher jdischer Zeugen, darunter des Ingenieurs Gl., des Mechanikers Tu. und des Hoteldirektionsassistenten Sed. war Franz ein raffinierter Sadist dem Spezialitäten bei der Misshandlung und Tötung von Juden ein besonderes Vergnügen bereiteten. Eine solche Spezialität war sicherlich das Verletzen und Herausreißen der Genitalien eines Häftlings durch Barry.