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Übersicht

Deutschland, Bundesland Niedersachsen, Landkreis Leer

Urkundlich wird der Ort erst im April 1381 erwähnt

1631 wurde die hochverschuldete Herrlichkeit Oldersum an die damals auf einem wirtschaftlichen Höhepunkt befindliche Stadt Emden verkauft. 1744 wurde Oldersum mit der Eingliederung Ostfrieslands nach Brandenburg preußisch.

Am 1. Oktober 1932 trat ein Gesetz zur Verwaltungsreform in Kraft: verschiedene Gemeinden östlich von Emden, darunter Oldersum, und der Kreis Weener, wurden in den neuen Landkreis Leer eingegliedert.

Am 28. September 1972 sprach sich der Oldersumer Gemeinderat nach langer Diskussion für den Beitritt zur neu zu gründenden Gemeinde Moormerland aus, vier Ratsmitglieder stimmten für eine künftige Zugehörigkeit zur Stadt Emden. Am 1. Januar 1973 trat die Eingemeindung in Kraft.

Am 31. Dezember 2016 zählte das Dorf 1.533 Einwohner.

Täter und Mitläufer 1933-1945

SS-Hauptsturmführer
de Haan Derk
* 16.05.1908 in Oldersum (Moormerland)
† 09.01.1975 in Norden
vor 1945 Mitglied der Allgemeinen SS und der Waffen-SS
nach 1945 Schulleiter am Ulrichsgymnasium in Norden

Reichspogromnacht

Die Geschehnisse in Oldersum um den 9./10. November 1938 ("Reichskristallnacht" / "Reichspogromnacht" / "Novemberpogrom")

Nach dem Attentat auf den Gesandtschaftsrat vom Rath in Paris und ersten Übergriffen der SA und der SS gegen die jüdische Bevölkerung in Hessen und Sachsen-Anhalt am 07. und 08. November kamen am 09.11. direkt aus München von der Gedenkfeier der NSDAP die Anweisungen zum Pogrom an die NSDAP-Gauleitungen und -Dienststellen sowie an die SA-Brigaden und Standarten und schließlich an die örtlichen SA-Stürme. Daraufhin läuft auch in Ostfriesland der Pogrom, von höchster Ebene generalstabsmäßig geplant und geleitet, ab. Wohnungen und Geschäfte der Juden wurden geplündert, die jüdische Bevölkerung wie Vieh zusammengetrieben.

Bereits am 08.11.1938 fand auch in Oldersum, vermutlich in der Gastwirtschaft Jakobs (später Boekelmann), eine Gedenkfeier der örtlichen NSDAP statt. Die folgenden Vorgänge in Oldersum standen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Vorgängen in der Kreisstadt Leer.

In den ersten Stunden des 10. Novembers organisierte in Leer der Bürgermeister und Gauinspektor Erich Drescher sowie der für den Landkreis Leer zuständige Standartenführer Meyer und Sturmbannführer Vollmer den "angeordneten" Pogrom. Sowohl der aktive Sturm unter Führung von Sturmführer Klinkenborg wie der Reserve-Sturm unter Sturmführer Harm Klock kamen hierbei zum Einsatz. Mit Hilfe von Benzin wurde die Synagoge in der Heisfelder Straße in Brand gesetzt. Die anwesende Leeraner Feuerwehr beschränkte ihre Tätigkeit anweisungsgemäß auf den Schutz der Nachbarhäuser. Bei der "Aufholung" der Leeraner Bürger jüdischen Glaubens gab es erhebliche Ausschreitungen. Die Juden wurden fast ausnahmslos im städtischen Viehhof auf dem Nessegelände zusammengetrieben und mißhandelt. Im Laufe des vormittags wurden die Frauen, Kinder und nicht arbeitsfähige Männer entlassen, so daß 43 Leeraner Juden in den Kleinviehverkaufsstand "verlegt" wurden.

In den frühen Morgenstunden erfolgte durch Sturmführer Klock und weiteren 6 bis 7 SA-Leuten die Aufholung der Juden in Loga. Nachdem 8 Personen jüdischen Glaubens mit dem LKW in die Viehhallen nach Leer gebracht wurden, fuhr Klock mit 4 bis 5 SA-Leuten weiter nach Oldersum zum Haus des Bürgermeisters R. in der Bahnhofstraße. Sie wollen, ortsunkundig, erfragen, ob es in Oldersum eine Synagoge gibt bzw. wo Juden wohnen. Nach dem Kontakt mit R. fuhren die SA-Leute zum Marktplatz, wo sich die Gruppe teilte. Einige Männer unter der Führung von Klock holten Marianne und Isaak Cohen aus ihrem Haus in der Neustadtstraße 4 und brachten sie zum Marktplatz, der Oldersumer SA-Mann Göke W. stieß dazu. Die andere Gruppe der SA-Männer holten "Karl" (Isaak-Abraham) Polak aus seinem Hause in der Kirchstraße. Als Klock mit Marianne und Isaak Cohen am Marktplatz eintrafen, saß Karl Polak bereits auf dem LKW. Klock "entließ" dann, nachdem er sich telefonisch erkundigt hattte, Marianne Cohen nach Hause.

Der LKW fuhr dann mit den beiden männlichen "Gefangenen" über Warsingsfehn und Iheringsfehn, wo die Juden "Driels" und "Weinthal" "aufgeholt" werden sollten, nach Leer - gegen 11 Uhr traf der LKW mit den 5 "Gefangenen" auf dem Viehmarktgelände ein. W. blieb noch eine Weile in Leer und fuhr am Nachmittag, nachdem er von Standartenführer Meier die Anweisung erhalten hatte, in Oldersum noch Sachwerte der Juden zu "beschlagnahmen", mit dem Zug zurück nach Hause. Gegen 18 Uhr suchte W. mit dem jetzt hinzugekommenen SA-Mann B. aus Neermoor sowie zwei weiteren SA-Männern die Wohnung der Cohens in der Neustadtstraße auf. Marianne Cohen öffnete und erkundigte sich verängstigt nach dem Befinden ihres Bruders. W. beruhigte sie und verlangte nach Sachwerten. Marianne Cohen hatte angesichts des Schicksals ihres Bruders und der mittlerweile bekanntgewordenen Geschehnisse in Ostfriesland und ganz Deutschland keine andere Möglichkeit, als mitanzusehen, wie verschiedene Wertgegenstände und Vieh mitgenommen wurden.

Während die "toten" Sachen ins SA-Sturmbüro in der Brückstraße (neben Seilerei Diepen) gebracht wurden, wurden die beiden Kühe, davon eine hochtragende, gegen 21.30 Uhr zum Landwirt V. in der Zinngießerstraße gebracht.

In den Leeraner Viehhallen verblieben nach Entlassung der Alten, Frauen und Kinder noch 56 Männer, darunter Isaak Cohen und Karl Polak, die dann am folgenden Tag (11.11.1938) zusammen mit ca. 200 anderen Ostfriesen nach Oldenburg überführt wurden. In Oldenburg wurden sie in einer Kaserne zusammengetrieben. Ca. 1.000 jüdische Ostfriesen, Oldenburger und Bremer wurden dann mit einem Zug in das Konzentrationslager Oranienburg-Sachsenhausen nördlich von Berlin gebracht.

Im ganzen Reich gab es 91 Tote durch den Pogrom, in Emden starb Daniel de Beer an den Folgen eines Lungendurchschusses, den ihm die SA in der Pogromnacht beigebracht hatte. Die Juden blieben bis Dezember '38 oder Anfang '39 in den Lagern inhaftiert. Nach und nach wurden sie wieder freigelassen, vorzugsweise diejenigen, die den Nachweis für ihre Auswanderung erbringen konnten; es begann eine große Auswanderungswelle.

Auch Isaak Cohen und Karl Polak kehrten aus Sachsenhausen zurück. Isaak Cohen und Amalie ("Martha") Polak erschienen noch bei Bürgermeister R., berichteten von den zerschlagenen Scheiben und der persönlichen Situation. Wochen nach der "Kristallnacht" kam von der SA-Standarte der Befehl, die "beschlagnahmten" Sachen zurückzugeben, ob alles zurückgegeben wurde, läßt sich nicht feststellen.

Nach der Rückkehr der Juden aus den Konzentrationslagern wurden vielerorts Ghettos gebildet bzw. die Juden auf bestimmte, wenige Häuser und damit übersichtlich konzentriert. In einem Schreiben vom 17.09.1939 des Gendamerie-Gruppenpostens Oldersum an die Gendamerie-Abteilung Leer sind folgende drei Oldersumer Juden alle in einem Haus gemeldet, nämlich im Haus der Familie Cohen in der Neustadtstraße 22 ("Haus Gemüse Bruns"): Isaak Cohen, Marianne Cohen und Amalie (Martha) Polak. Bei allen drei Personen ist angegeben "ohne Beruf". Das Schreiben ist unterzeichnet von Gendamerie-Meister Rasner.

Die Gestapo verfügte im Februar 1940, das alle Juden Ostfriesland bis zum 01.04.1940 zu verlassen hätten. Sie sollten sich im übrigen Deutschland mit Ausnahme Hamburgs und der linksrheinischen Gebiete neue Wohnungen suchen. Lediglich Personen über 70 Jahre war ein Aufenthalt im jüdischen Altenheim in Emden gestattet. Im April 1940 meldeten die ostfriesischen Städte und Landgemeinden dem Regierungspräsidenten, früher als anderswo im Reich, daß sie "judenfrei" seien.

Ein sehr großer Teil der Juden des Weser-Ems-Gebietes wurde am 18.11.1941 nach Minsk deportiert und dort fast ausnahmslos bis Juli 1942 "durch Arbeit vernichtet" oder ermordet. In Minsk-Stadt sind am 28. und 29.07.1942 rund 10.000 Juden (davon ca. 6.500 russische Juden) liquidiert worden, darunter vermutlich auch Siegfried Polak, geb. 1905 in Oldersum und Ester Weiss, geborene Cohn, geb. 1862 in Oldersum.

Insgesamt sind ca. 1.000 ostfriesische Juden in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nazis ermordet worden.

Einzelschicksale Oldersumer Juden

Isaak und seine Schwester Marianne Cohen lebten etwa bis um 1930 im Haus Neustadt 22 ("Gemüse Bruns") und zogen dann in das Haus Neustadtstraße 4 (später "Thole Schlömer/Martin Rhoden"). Dort lebten sie bis zu ihrer Deportation, obgleich sie am 17.09.1939 noch im Haus Neustadt 22 gemeldet sind. Isaak Cohen war Frontsoldat im I. Weltkrieg, wurde verwundet (auf einem Auge blind) und erhielt neben dem Verwundetenabzeichen das Eiserne Kreuz, Marianne war von Geburt an gehbehindert. Isaak und Marianne Cohen ("Itti und Marjane") hatten einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb und eine Schlachterei. Nachdem durch die nationalsozialistischen Gesetze der Handel untersagt und nur noch Nachts bzw. "durch die Hintertür" stattfinden konnte, verschärfte sich ihre wirtschaftliche Situation. Einige Oldersumer gingen zu handgreiflichen Aktionen gegen ihre jüdischen Mitbürger über; nicht selten wurde Marianne Cohen von ihren Nachbarn bespuckt und beschimpft. Dennoch behielten einige Oldersumer auch weiterhin persönliche oder wirtschaftliche Beziehungen zu ihnen aufrecht, nicht selten zum eigenen wirtschaftlichen Nachteil. Marianne und Isaak Cohen wurden als letzte Oldersumer Juden im März oder April 1940 vom Oldersumer Bahnhof aus mit dem Zug in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert, wo sie starben.

Adele Polak, geb. Goldschmidt, lebte nach dem Tode ihres Mannes Jacob noch weiterhin im Hause Neustadtstraße 7 ("Wurps/de Boer") und führte die Schlachterei weiter. Wann sie Oldersum verließ bzw. deportiert wurde ist unklar. Adele Polak wurde in Minsk ermordet.

Über den Verbleib von Amalie (Martha) Polak ist wenig bekannt. Am 17.09.1939 ist sie noch im Haus Neustadt 22 gemeldet. Sie verzieht später nach Berlin und wird nach Litzmannstadt (Lodz) deportiert, wo sie am 23.01.1942 stirbt.

Isaak-Abraham (genannt Karl) Polak und seine Frau Bertha, geborene Gottlieb, bewohnten 1926 noch das Haus Markt 65 ("Nonno Brunken"). Später zogen sie in das Haus Kirchstraße 177, direkt links neben dem Kaufhaus ter Vehn. "Karl" und Bertha Polak waren angesehene Bürger Oldersums und bekleideten öffentliche Ämter im Ort: Frau Polak war mit im Vorstand des Wohltätigkeits-vereins "Eintracht" und "Karl" Polak "Mitglied des Schulrates" und "Hauptmann" der Freiwilligen Feuerwehr Oldersum. "Karls" Mutter Martha Polak, geborene Polak, lebte noch bis zu ihrem Tode am 01.01.1938 mit im Hause. "Karl" und Bertha Polak wurden zusammen mit ihrer Tochter Martha Herz, geb. Polak und der Enkelin Ingeborg Herz (im April 1940 kurz vor der Vollendung des 4. Lebensjahres !) aus ihrem Haus mit dem LKW abgeholt und in die Vernichtungslager deportiert.

Jakob und Nettchen Polak, geborene Jacobs, zogen etwa 1926/27 vom Haus "Polak" (Brückstraße 182, neben Hof Dyke Buss) nach Rorichum in das Haus "Pommer", heute Deichlandstraße 25. Am 29.08.1923 wurden die Zwillinge Albert und Ilse geboren. Die Polaks haben, nachdem sie Rorichum ca. 1934/35 verlassen mußten, noch eine Weile in Emden gewohnt. Die Familie wurde Anfang 1940 auseinandergerissen: Jakob Polak mußte im April 1940 Ostfriesland verlassen und hat vorübergehend in Berlin gelebt. Die Tochter Ilse wurde (im Alter von 17 Jahren) nach Frankfurt deportiert. Alle vier sind im Konzentrationslager Auschwitz umgebracht worden.

Julius Müller und seine Ehefrau Julie-Johanna, geborene Zilversmit, heirateten am 11.08.1919 in Oldersum und führten im Haus Kirchstraße 174 ("Schuster Heyen") ein Manufakturwarengeschäft ("Müller & Zilversmit"). "Julius Müller, Manufakturwaren, Kirchstraße 174, Tel. 78" wird auch im Adressbuch 1926 genannt. Julius Müller und Frau zogen später nach Emden und wurden von dort deportiert. Julius Müller wurde im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet, der Todesort von Julie-Johanna Zilversmit ist unbekannt.