Aktenzahl des Gerichts (Geschäftszahl): LG Wien Vg 8e Vr 396/55
Prozess wegen Endphase-Verbrechen
Tatland (Tatort)
Niederösterreich
Volksgerichtsverfahren gegen
Beschle
wegen
Inbrandsteckung eines Gasthausgebäudes in der Nacht zum 1. April 1945 in Steinabrückl (Niederösterreich)
Verlauf der Vorerhebungen/Voruntersuchung bzw. des Gerichtsverfahrens
14.06.1955: Zurücklegung der Anzeige wegen §§ 1 KVG, 166 StG gemäß § 90 StPO.
Beitrag ist kein Bestandteil der Gerichtsakte
Kampf um Steinabrückl
Samstag den 31. März 1945
An diesem Morgen ist SS-Untersturmführer Artur Gerheim, Chef der 2. (le. SPW.) Kompanie, beim Grenzübergang von Ungarn nach Österreich gefallen. SS-Obersturmführer Heinz Wägner, Chef der 4. (schw.) Kompanie, hatte dem SS-Unterscharführer Johann Hadler auf einen Spähtrupp schicken wollen. SS-Unterscharführer Bernhard Bartels hatte das abgelehnt weil an einer genau von ihm bezeichneten Stelle der Russe die Fahrstrecke einsehen konnte. Gerheim sagte zu ihm: lassen Sie nur, Bartels, ich fahre. Für den hatte das ausgesehen wie Feigheit vor dem Feind. Gerheim ist gefahren und genau an der von Bartels bezeichneten Stelle wurde er dann abgeschossen. Wägner und Bartels konnten das beide beobachten. Zusammen mit Gerheim ist Höppel im SPW gefallen. SS-Untersturmführer Ludwig Sieber übernimmt die 2. (le. SPW.) Kompanie.
Die Frontlücke strebt auf das Mittelburgenland, den Bezirk Oberpullendorf, zu. Sie bildet Ende März für die Divisionen der Sowjetischen 6. Gardepanzerarmee, der 4. und 9. Gardearmee das Einfallstor nach Österreich. Auch die Aufklärungsabteilung überschritt die Reichsgrenze und bezog im Raum Deutschkreuz-Burgenland die sogenannte Reichsschutzstellung, die einen großen Namen hatte, aber nicht mehr als ein durchlaufender Schützengraben war, der anfangs ohne Feindberührung besetzt wurde.
Während der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1945 werden die eintreffenden Kampfgruppen der Leibstandarte in die improvisierte Verteidigung um Wiener Neustadt und Mattersburg eingegliedert. Der Aufklärungsabteilung verlegt nach Steinabrückl.
Ostersonntag den 1. April 1945
Während des Nachmittages trifft eine russische Rakete den Gefechtsstand in Steinabrückl. SS-Hauptsturmführer Emil Wawrzinek wird zusammen mit dem kompletten Abteilungsstab getötet. SS-Obersturmführer Hans-Martin Leidreiter übernimmt erneut das Kommando über die Aufklärungsabteilung als Stellvertretender Kommandeur.
Ostermontag den 2. April 1945
Es kommt in Steinabrückl zu Kämpfen mit den angreifenden sowjetischen Truppen des IX Garde- mechanischen Korps, die auch Panzer einsetzen:
Plötzlich war der Russe da. SS-Untersturmführer Sieber war es sogar gelungen bei der Stabskompanie Geschütze von den SPW abzuhängen. Bei der folgenden Schiesserei wurde er tödlich verwundet. Die Leiche von Ludwig Sieber ist vom Funktruppführer SS-Unterscharführer Herold und Fahrer SS-Rottenführer Bilan geborgen und vorn auf die Motorhaube des Schützenpanzerwagens mitgenommen worden. Irgendwann sind sie später von der Bevölkerung angesprochen worden, was mit dem Soldaten auf der Motorhaube los sei. Den könnt ihr hier beerdigen. Dann haben sie ihn vom Wagen gehoben und sind weitergefahren. SS-Untersturmführer Fritz Lenz übernimmt die 2. (le. SPW.) Kompanie. Die sowjetischen Angreifer mußen sich zweimal in die Heideansiedlung zurückziehen.
(SS-Untersturmführer Ludwig Sieber, war 1944 verantwortlich für die Morde in der Legaye House in Stavelot).
Dienstag den 3. April 1945
Erst in den frühen Morgenstunden, gegen 05:00 Uhr, gelingt den Sowjets die Einnahme von Steinabrückl:
Wir hatten unsere Fahrzeuge in den Bauernhöfen untergezogen. Wieder war plötzlich der Russe da. Wir nahmen uns gar nicht die Zeit Hoftore zu öffnen. Rein in den Wagen, Motor gestartet und mit Karacho durch das geschlossene Tor auf die Straße. Die Schützen sprangen auf die rollenden Wagen. Weg, nur weg, war die Devise. Am Ortsausgang sah ich SS-Unterscharführer Bartels mit stark blutender Kopfwunde laufen. Ich habe angehalten und ihm zugerufen er sollte herkommen. Die Schützen schimpften wie die Rohrspatzen. Ich habe ihnen erklärt, dass ich ohne Bartels nicht weiterfahren würde und sie sollten ihn gefälligst in den Wagen ziehen. Das geschah auch.
Mittwoch den 4. April 1945
Die Leibstandarte wird in den Raum nordwestlich Wiener Neustadt zurückgedrängt, bekannt als Wienerwald.
9.- 21. April 1945:
Was dann noch folgte war ein reines Katz- und Mausspiel der Russen mit uns. Weißenbach, Schloß Gutenstein, Berndorf. Wir lagen im Tal, der Russe oben. Die Wälder brannten wie Zunder. Tannen und Fichten brannten an wie Wunderkerzen.
Vom 9. bis 21. April kämpft die Division ums Überleben im Raum zwischen Wiener Neustadt und St. Pölten, hauptsächlich im Wienerwald. In Rohrbach an der Gölsen befindet sich der von SS-Obersturmführer Fritz Reuß geführte Stützpunkt der Abteilung mit den Gefechtstroßen. Die Troß-Funkstelle wird von SS-Oberscharführer Heinz E befehligt, der nach langem Lazarettaufenthalt am 12. April 1945 zur Aufklärungsabteilung zurückgekehrt ist.
22.- 25. April 1945
An diesem Tag beginnt phasenweise der Rückzug mit einem Marsch in den Raum südlich der Straße Traisen - Hainfeld, in Stellungen in den Bergtälern.
26. April 1945
Die Leibstandarte hält einen Raum in den österreichischen Alpen zwischen Lilienfeld und Pernitz. Die 2. Kompanie ist in Freiland, wo sie in Richtung Lilienfeld zu sichern haben. Inzwischen ist SS-Untersturmführer Gerhard Korreng Kompanieführer geworden, wenn man überhaupt noch von einer Kompanie sprechen kann. Der von SS-Obersturmführer Fritz Reuß geführte Stützpunkt in Rohrbach verlegt nach Gaming, in der Nähe von Waidhofen an der Ybbs.
27. April- 5. Mai 1945:
Einen neuen Kommandeur bekam die Abteilung noch, aber er wurde nicht unser.
SS-Hauptsturmführer Fritz Löschnigg wurde erst eine Woche vor Kriegsende der neue Kommandeur der Aufklärungsabteilung. Er löste SS-Obersturmführer Leidreiter ab, der als Stellvertretender Kommandeur fungiert hatte, nachdem SS-Hauptsturmführer Wawrzinek gefallen war. Während er die Abteilung kommandierte, hatte Leidreiter in den Soldbüchern von zweien seiner Männer deren Entlassung aus der Waffen-SS unterschrieben. Sie waren Österreicher, und als sich die Leibstandarte zurückzog, bewilligte er ihre Bitte, zurückbleiben und nach Hause gehen zu dürfen. Löschnigg reagierte auf ähnliche Bitten vollkommen anders und ließ mehrere Männer wegen Feigheit vor dem Feinde hängen, wodurch er beinahe einen Aufruhr in den Reihen der Aufklärungsabteilung verursachte.
SS-Untersturmführer Engelbert Rentsch ließ noch kurz vor der Kapitulation zwei Soldaten der Panzerspähkompanie eigenmächtig erschießen, weil sie sich angeblich mit ihrem Fahrzeug absetzen wollten.
Montag den 7. Mai 1945
Der 7. Mai war für uns der Tag der Kapitulation. SS-Untersturmführer Gerhard Korreng sagte uns so fast nebenbei: der Krieg ist zu Ende. Deutschland hat kapituliert. Zufällig ist dieser Tag mein Geburtstag. In der 1. Kompanie war es gute Gepflogenheit, dass das Geburtstagskind eine Flasche bekam. Unverfroren habe ich Korreng daran erinnert. Hau bloß ab, wo soll ich hier für Dich eine Pulle hernehmen. Eine Stunde später wurde ich zu ihm gerufen und bekam meine Flasche.
Leidreiter versammelt seine Männer vor sich und erzählt ihnen, dass sie frei seien und sich ihren Weg zu den Amerikanern selbst suchen sollten. Leidreiter entscheidet sich dazu, sich nicht zu ergeben, und schlägt sich zusammen mit seinem Fahrer August Rauber in die Berge.
Dienstag den 8. Mai 1945
Während der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 1945 verlässt die Leibstandarte den Raum zwischen Lilienfeld und Pernitz und bewegt sich durch Scheibbs nach Waidhofen an der Ybbs, Steyr und überquert dann die Enns:
Am 8. Mai hatte ich noch einen Funkspruch bekommen: Auf Straße Ybbs – Waidhofen sammeln. Das war mein letzter Funkspruch. Das Gefühl, dass der Krieg aus war, war ganz mies innerhalb des Nachrichtenzuges. Man war eben geschlagen. Vorher hat man noch immer Hoffnung gehabt, dass noch alles gut geht. Zum Schluss wussten wir, dass es dem Ende zugeht.
Auf dem Weg zum Enns Fluss verliert der 1 to. Funk-SPW (Sd.Kfz. 250/5) eine Kette. Er und seine Besatzung sind gezwungen, das Fahrzeug zu sprengen:
Wir hatten einen Schirrmeister dabei und haben dann einen Lkw. flott gemacht - bei dem Wagen waren nur die Zündkabel durchgeschnitten. Damit sind wir dann auch in Gefangenschaft gegangen. In Mauerkirchen trafen wir auf die Amis.
Wir sind in einer langen Kolonne gefahren. Niemand wußte wohin. Bekannt war nur: in Richtung Ami. Wem der Sprit ausging, der wurde zum Fußgänger. Für mich war es in Gaming. Man hat sich halt in die große Kolonne eingereiht und ist marschiert, marschiert. Irgendwann waren wir an der Enns, die als Demarkationslinie zwischen Ami und Russe vereinbart sein sollte. Wir sind abends gegen 19:00 Uhr bei Losenstein über eine schmale Brücke gegangen. Unmittelbar dahinter war ein großes Sägewerk. Hier haben wir die letzte Nacht in Freiheit auf hohen Holzstapeln geschlafen."
Als wir in Gefangenschaft fuhren, da standen überall Schilder. Da stand drauf: Marschrichtung 6. Armee. Da ging das Gerücht um, wir würden wieder eingesetzt mit dem Amerikaner zusammen gegen den Russen.
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Am 03.04.1945 besetzen Sowjetische Truppen Steinabrückl . Die Deutschen müssen sich nach Westen in die Waldgebiete zurückziehen. In Steinabrückl brennen die Fabrik und mehrere Häuser ab. Im 2. Weltkrieg verlieren 67 Steinabrückler ihr Leben.