Aktenzahl des Gerichts (Geschäftszahl): LG Wien Vg 12a Vr 3422/47
Prozess wegen Verbrechen vor 1938, Arisierungsprozess, Prozess wegen Misshandlung/Beleidigung/Kränkung
Opfer
Juden/Jüdinnen, Ausländische ArbeiterInnen
Tatland (Tatort)
Wien-Meidling (Juweliergeschäft Norbert Futterweit)
Wiener-Neudorf (Flugmotorenwerke Ostmark)
Wien-Penzing (Hietzinger Strandbad)
Volksgerichtsverfahren gegen
Hugo Meixner (alias Gustav RIEGER)
wegen
Illegalität, SS-Hauptsturmführer, Anstiftung zum Sprengstoffanschlag auf das Juweliergeschäft Futterweit in Wien-Meidling am 12. Juni 1933 (zwei Todesopfer)
Verlauf der Vorerhebungen/Voruntersuchung bzw. des Gerichtsverfahrens
13.11.1948: Einstellung des Verfahrens wegen §§ 3, 4 KVG (Misshandlung und Verletzung der Menschenwürde von ausländischen Arbeitern in seiner Funktion als Werkssicherheitsleiter in den Flugmotorenwerken Ostmark, Wiener Neudorf) und § 6 KVG (Arisierung des Hietzinger Strandbades, Wien-Penzing) gemäß § 109 StPO [Erklärung der Staatsanwaltschaft: kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung].
09.12.1948: Meixner zu 20 Jahren schweren Kerkers verurteilt.
Geschäftslokal des Juweliers Norbert Futterweit in der MeidlingerHauptstraße nach dem Bombenanschlag vom 12. Juni 1933
Dieser Beitrag ist nicht Bestandteil der Gerichtsakten
Am Montag, dem 12. Juni 1933, betrat gegen 10:30 Uhr ein etwa dreißigjähriger Mann das Juweliergeschäft des Norbert Futterweit in der Meidlinger Hauptstraße und warf ein in braunes Packpapier gehülltes Paket in den Raum. Der Besitzer, der im Paket ein verdächtiges Surren hörte, hob es auf und trug es zur Tür. In diesem Augenblick explodierte es. Norbert Futterweit war auf der Stelle tot, sechs Personen wurden schwer verletzt, einer, der im Augenblick der Explosion das Geschäft passiert hatte, starb nach kurzer Zeit. Bereits zwei Monate zuvor hatten Nationalsozialisten eine Stinkbombe in das Juweliergeschäft geworfen und das Portal mehrfach mit Zetteln „Kauft nicht bei Juden!“ beklebt.
Zur selben Zeit, am Vormittag des 12. Juni, versuchten zwei Männer im Café Produktenbörse in der Taborstraße in Wien 2 verbissen, eine aus einem kleinen Koffer ragende Zündschnur in Brand zu setzen, was trotz mehrmaliger Versuche nicht gelang. Entnervt suchten die beiden schließlich das Weite. Der zurückgelassene Koffer enthielt mehrere Kilogramm brisanten Sprengstoffs, dessen Explosion die Wirkung einer Granate eines schweren Geschützes gehabt hätte. Ein weiterer für Montagvormittag geplanter Bombenanschlag auf ein Haus in der Schönbrunner Allee misslang ebenfalls.
Text der Gedenktafel die nach 1945 angebracht wurde
Am 12. Juni 1933 wurde in das Geschäftslokal von Norbert Futterweit eine Bombe geworfen. Da sich eine Reihe von Kunden und Kundinnen im Geschäft aufhielten, um deren Leben Futterweit besorgt war, nahm er die Bombe auf und eilte damit vor das Geschäft. Die Explosion des Sprengkörpers kostete ihm sowie einem zufällig am Geschäft vorbeigehenden Passanten das Leben. Dieser Bombenanschlag zählt zu einer Kette nationalsozialistischer Terrorakte, die im Frühjahr 1933 Österreich erschütterten.
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Rückstellungsverfahren nach 1945
Fall: Hietzinger Strandbad
Entscheidung des VwGH: Bescheid aufgehoben
VwGH-Zahl: 982/56
VwGH-Datum: 29. Okt. 1959
Der Fall des Hietzinger Strandbades symbolisiert die Mühlen der Ministerialbürokratie, in denen ein Rückstellungsantrag um Jahre verzögert wurde.
Der Fall des Hietzinger Strandbades ist ein Musterbeispiel für das Ungleichgewicht zwischen Aufwand und Erfolg. Darüber hinaus zeigt der Fall die Konsequenzen amtlicher Starrheit – die auf Kosten der Rückstellungswerber ging, die über Jahre auf den Abschluss ihres Verfahrens warten mussten. Es kam nämlich zu der paradoxen Situation, dasszwei Abteilungen des BMF, die Abteilungen 32 und 34, miteinander stritten, eine Abteilung die Finanzprokuratur heranzog, und
die Finanzprokuratur bis zur höchsten Instanz, dem Verwaltungsgerichtshof ging.Und das alles wegen 7.766 Schilling und 12 Groschen.
Bis 1938 besaß Charlotte Hager 14 Prozent des Hietzinger Strandbades in Wien. Noch im August 1938 „arisierte“ Hugo Meixner 70 Prozent des Unternehmens, davon auch den Anteil der Charlotte Hager. 1948 wurde Meixner im Volksgerichtsverfahren zu 20 Jahre schweren Kerkers und zu Vermögensverfall verurteilt. Sein Vermögen fiel an die Republik Österreich.
1949 stellten die Erbinnen von Charlotte Hager, Elsa Paskus und Margarethe Bass-Weiner, einen Rückstellungsantrag nach dem Zweiten RStG. Am 11. Jänner 1951 gab die FLD Wien dem Antrag statt. Die beiden erhielten je sieben Prozent des Unternehmens und die Erträgnissen. Die FLD Wien stellte fest, dass zwischen der Entziehung und dem 27. April 1945, dem Tag der Befreiung, ein Guthaben angelaufen war, dessen Anteil für die Rückstellungswerber 7.766 Schilling und 12 Groschen ausmachte – die Republik Österreich hätte also knapp 8.000 Schilling an die Rückstellungswerber zahlen müssen.
Die Finanzprokuratur berief. Die Rückstellung an sich stellte sie nicht in Frage, sondern nur die Abrechnung der Erträgnisse und Aufwendungen. Das Strandbad war während des Krieges zerstört und nach 1945 wieder aufgebaut worden. Den Wiederaufbau habe die Republik gezahlt, die aufgrund des Vermögensverfalls zu 40% Eigentümerin des Strandbades war. Diese Aufwendungen seien den Rückstellungswerbern zugute gekommen, daher müssten sie den quotenmäßigen Anteil zahlen. Für die Höhe der Aufwendungen berief sich die Finanzprokuratur auf ein umfangreiches Sachverständigengutachten.
Gleichzeitig lief ein zivilrechtliches Verfahren beim Bezirksgericht Hietzing. Kurz nach 1945 wollte Theresia Reisinger das Strandbad pachten. Reisinger hatte vor 1938 ebenfalls 14 Prozent des Unternehmens besessen – der Wunsch nach Pacht des Strandbades war nichts anderes als der Versuch, schneller die Verfügungsgewalt über das Unternehmen zu erlangen. Reisinger hatte sofort in den Wiederaufbau des Gasthauses im Bad investiert, ohne je einen Pachtvertrag und die notwendige Genehmigung für diese Investitionen zu besitzen. Nun versuchte sie, ihre Aufwendungen von der Republik zurückzubekommen – Verfahrensgegner war ebenfalls die Finanzprokuratur. Diese bestritt eine Haftung für die von Reisinger getätigten Aufwendungen, weil sie noch vor dem Vermögensverfall des Strandbades an die Republik erfolgt seien.
Das heißt: Im Verfahren vor dem Bezirksgericht bestritt die Prokuratur die Haftung für Aufwendungen, weil die Republik noch nicht Eigentümerin des Strandbades gewesen war. Im Rückstellungsverfahren machte sie hingegen einen Ersatz für Aufwendungen aus genau demselben Zeitraum geltend. Auf diesen Widerspruch wiesen die Rückstellungswerber Elsa Paskus und Margarethe Bass-Weiner im Berufungsverfahren hin.
Die Finanzprokuratur beantragte im Juni 1951, das Rückstellungsverfahren bis zu einer Entscheidung des Bezirksgerichtes Hietzing auszusetzen. Wunschgemäß setzte das BMF das Berufungsverfahren aus.
Am 12. Jänner 1953 schlossen Reisinger und die Republik, vertreten durch die Finanzprokuratur, einen Vergleich. Die Republik zahlte an Reisinger eine Vergütung von 26.320 S für die Aufwendungen, aliquot für den rückstellungsverfangenen Anteil von 14%.
Nach Abschluss des Vergleiches wurde das Berufungsverfahren fortgesetzt. Die Finanzprokuratur und die Rückstellungswerberinnen gaben je zwei Äußerungen bzw. Gegenäußerungen ab, dann, am 29. März 1956 entschied die zuständige Abteilung 34 des BMF. Der Berufung der Finanzprokuratur wurde stattgegeben. Die Rückstellung von je sieben Prozent des Unternehmens wurde bestätigt. Die Rückstellungswerber wurden zur Zahlung von Ersatzansprüchen in der Höhe von 19.722,67 S an die Republik verpflichtet. Dieser Betrag entstand aus folgender Berechnung:
Investitionskosten der Republik (aus dem Vergleich mit Reisinger)
26.320,00.-+Körperschaftssteuer 1.168,79.
Erträgnisse 7.766,12.-Ergibt19.722,67.-
Nun nahm die Sache „kafkaeske“ Züge an. Zuständig für die Behandlung von Vermögenschaften, die nach Urteilen von Volksgerichten an die Republik Österreich gefallen waren, war die Abteilung 32 des BMF. Zuständig für alle Rückstellungsangelegenheiten war zu diesem Zeitpunkt die Abteilung 34 des BMF.
Nach Ansicht der Abteilung 32 war der Berufungsbescheid der Abteilung 34 falsch, soweit er die Höhe der Aufwendungen betraf. Sie bat daher die Finanzprokuratur um die Ausarbeitung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerde erscheint auf den ersten Blick paradox:
„Einschreiterin: Republik Österreich (BMF, Abt. 32, als Verwertungsstelle des gem. Volksgerichtsurteiles verfallenen Vermögen) vertreten durch die Finanzprokuratur
Belangte Behörde: BMF, Abteilung 34“
Diese Beschwerde war jedoch, wie bereits erläutert, rechtlich zulässig. Im Ergebnis verzögerte sie freilich das Verfahren auf Kosten der Rückstellungswerber.
In der Sache bekämpfte die Prokuratur lediglich die Höhe der Ersatzansprüche: Der Berufungsbescheid der Abteilung 34 des BMF hatte die Erträgnisse von den Aufwendungen abgezogen, die Ersatzansprüche der Republik waren daher mit 19.722,67 S und nicht mit 27.488,79 S festgesetzt worden – es ging also um 7.766,12 S. Die Erträgnisse, argumentierte die Finanzprokuratur, seien nicht mehr im Inlande vorhanden und daher nach den Bestimmungen des Zweiten RStG nicht zurückzustellen.
Am 29. Oktober 1959, nach mehr als drei Jahren, entschied endlich der Verwaltungsgerichtshof. Der Berufungsbescheid wurde aufgehoben. Die umstrittenen 7.766,12 S waren von dem „Ariseur“ Hugo Meixner vor 1945 aus dem Unternehmen entnommen worden. Sie konnten daher gar nicht der Republik verfallen, die folglich auch nichts herausgeben musste.
Am 2. Dezember 1959 erließ die Abteilung 34 des BMF einen neuen Berufungsbescheid, der das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes umsetzte. Die Ersatzansprüche der Republik wurden mit 27.488,79 S, also ohne Berücksichtigung der aufgelaufenen Erträgnisse, festgelegt.
Fazit: Zehn Jahre lang, vom 21. Oktober 1949, dem Tag des Rückstellungsantrages nach dem Zweiten Rückstellungsgesetz, bis zum 2. Dezember 1959, dem Tag des letzten Berufungsbescheides, mussten die Rückstellungswerber auf den endgültigen Abschluss des Rückstellungsverfahrens warten. Ein bisschen mehr Kulanz – und das Verfahren hätte wesentlich rascher abgeschlossen werden können. Das BMF brauchte für die Berufungsentscheidung über fünf Jahre (vom Jänner 1951 bis März 1956). Allein die Fortsetzung des Berufungsverfahrens nach dem Vergleichsabschluss mit Reisinger dauerte gut drei Jahre (von Anfang 1953 bis März 1956). Hier war die lange Verfahrensdauer hauptsächlich auf den häufigen Aktenwechsel zwischen den beiden streitenden Abteilungen 32 und 34 des BMF zurückzuführen. Die Prokuratur traf daran keine Schuld. Der VwGH brauchte über drei Jahre, um eine simple Rechtsfrage zu entscheiden.
Die Finanzprokuratur bekämpfte den Bescheid des BMF nur hinsichtlich der Erträgnisse und Aufwendungen, die Rückstellung der Anteilsrechte war daher bereits im April 1956 rechtskräftig. Die Abrechnung wurde jedoch bis zum bitteren Ende auf dem Rücken der Rückstellungswerber ausgefochten – und das von zwei Abteilungen derselben Sektion! Die Finanzprokuratur ließ sich für dieses ministeriumsinterne Machtspiel missbrauchen, ohne den geringsten Widerstand zu leisten. Um ihrer Rolle als „Anwalt und Berater der Republik“ gerecht zu werden, hätte sie sich mehr auf ihre Rolle als Berater besinnen müssen. So agierte sie aber nur als Anwalt.
Die Sache selbst verlief budgetschonend: Die 27.488,79 S, die die Rückstellungswerber an die Republik zu zahlen hatten, deckten genau jenen Betrag ab, den die Republik an Theresia Reisinger gezahlt hatte.