Einleitung

Allgemeine Ordnung der Jüdischen Selbstverwaltung (besondere Lagerordnung) laut Genehmigung des Herr Lagerkommandanten SS-Hauptsturmführer Dr. Seidl vom 05. Januar 1943 mit Ergänzung vom 02. Mai 1943

A Allgemeiner Teil

§ 1

Jeder Ghettoinsasse ist zur strengsten Befolgung der Vorschriften
und Anordnungen verpflichtet. Verstöße dagegen werden bestraft.

§ 2

Das höchste jüdische Organ ist der ÄR (Ältestenrat) unter Leitung des JÄ (Judenältesten)

§ 3

Das Ghetto ist in vier Verwaltungsbezirke eingeteilt. An der Spitze jedes Bezirkes steht der Bezirksälteste, die Leitung der Gebäude liegt in den Händen der Gebäudeältesten.

§ 4

Für jedes Haus ist ein Hausältester bestellt, für jede Gruppe von Häusern resp. für jeden Teilabschnitt ist ein Gruppenältester bestimmt. Er ist für Ruhe, Ordnung und Reinlichkeit in seinem Abschnitt verantwortlich und sorgt für die Durchführung der Anordnungen des Gebäude- bzw. Bezirksältesten und höheren Stellen in seinem Abschnitt.

§ 5

In jedem Zimmer ist ein Zimmerältester bestellt, der in seinem Zimmer für Ruhe, Ordnung und Reinlichkeit verantwortlich ist.
Es ist seine Pflicht, den Insassen seines Zimmers die von höheren Stellen erlassenen Verfügungen bekanntzugeben. Seinen Anordnungen haben alle Insassen des Zimmers Folge zu leisten.

§ 6

Die Reinigung des Hofes, der Gänge, Stiegen, Waschräume und Aborte besorgen die eingesetzten Putz- und Reinigungskolonnen.
Ihre Leiter sind verantwortlich für die tägliche gründliche Reinigung.

§ 7

Das Essen muß zimmerweise in geschlossenen Reihen unter Führung des Zimmerältesten abgeholt werden.

§ 8

Für die Gesundheit der Insassen sorgen die bestellten Ärzte. Ihnen werden die Kranken zur festgesetzten Stunde vorgeführt. Schwerkranke werden von den Ärzten auf ihren Zimmern besucht. Die Ärzte sorgen für den Transport ins Krankenzimmer. Ihnen obliegt auch die Aufsicht über die Einhaltung sanitärer Vorschriften in den Zimmern.

§ 9

Für die Sicherheit des Lebens und des Eigentums der Insassen sorgt die Ghettowache. Ihren Anordnungen muß Folge geleistet werden.

§ 10

Die Arbeitsverteilung erfolgt durch die Einsatzstellen. Jeder, der zur Arbeit bestimmt wird, ist verpflichtet, die ihm aufgelegte Arbeit zeitgerecht nach bestem Können und Wollen durchzuführen. Eigenmächtiges Verlassen der Arbeitsstätte wird als Arbeitsverweigerung gewertet und gemäß der Lagerordnung geahndet. Die Marschkolonne am Wege vom und zum Arbeitsplatz darf nicht verlassen werden. Die Anordnungen des Leiters der Arbeitskolonne sind unverzüglich durchzuführen.

§ 11

Vorgesetzter ist jene Person, die durch die berufenen Organe zur Anordnungserteilung ermächtigt ist.

§ 12

Vorgesetzte dürfen nur im Rahmen der ihnen erteilten Vollmachten Anordnungen und Verfügungen treffen.

§ 13

Anordnungen und Verfügungen sind in einer allen verständlichen Form zu treffen.

§ 14



Der Bezirks- bzw. der Gebäudeälteste kann bei Ordnungswidrigkeiten resp. Disziplinarverstößen gegen die in den §§ 3 und 4 genannten Anordnungen, soweit sie von Ghettoinsassen innerhalb der Häuser seines Bezirkes und deren Höfen, resp. innerhalb der Gebäude und der dazu gehörenden Höfe begangen werden, folgende Strafen verwenden:

Ordnungsstrafen:

Strenger Verweis
Arbeit während der freien Zeit, höchstens an 3 Tagen durch 4 Stunden
Entzug der Tagesbrotration
Entzug einer warmen Mahlzeit
Entzug einer warmen Tageskost
Geldstrafe bis zum Höchstbetrag von 50 GK (Ghetto-Kronen)
Disziplinarstrafen
Geldstrafe bis zur Höhe einer monatlichen Barauszahlung
Entzug der Freiheit nach der Arbeit mit oder ohne Anwendung von Id und e höchstens an 3 Tagen (Entzug der Ausgeherlaubnis)
Entzug der Freiheit bis höchstens 8 Tage mit oder ohne Anwendung von Id und e.
Entzug des Brotes und der Warmkost darf nur für 24 Stunden erfolgen
Disziplinarstrafen sind nach Rechtskraft in das vom Gebäude- bzw. Bezirksältesten geführte Strafregister einzutragen.

Ordnungsstrafen werden nicht registriert.

Ist der Schuldige wegen seiner Tat bereits durch das Ghettogericht bzw. vom Leiter des Sicherheitswesens (Anm. jetzt der Detektivabteilung) bestraft worden, so scheidet Strafbefugnis des Gebäude- bzw. Bezirksältesten aus.

§ 15

Vor Anwendung der Strafmittel muß die dem Beschuldigten zur Last gelegte strafbare Handlung festgestellt werden.

§ 16

Gegen Insassen, die dreimal disziplinarisch vorbestraft wurden, wird strafrechtlich eingeschritten.

§ 17

Gegen Ordnungsstrafen (§ 14 I) ist binnen drei Tagen nach Verkündigung bzw. Zustellung die mündlich oder schriftlich beim Gebäude- bzw. Bezirksältesten, der die Strafe verhängt hat, anzumeldende Beschwerde an die Berufungskammer des Ghettogerichts zulässig.
Die Beschwerde kann insbesondere die Unzulässigkeit oder Mangelhaftigkeit des Verfahrens geltend machen und sich gegen den Ausspruch über Schuld und Strafe richten.
Die Berufungskammer des Ghettogerichts entscheidet nach durchgeführter Verhandlung in der Sache endgültig, falls der Bezirks- bzw. Gebäudeälteste nicht im eigenen Wirkungskreise der Beschwerde stattgegeben hat. Bei dieser Verhandlung führt die Funktion des öffentlichen Anklägers ein rechtskundiger Vertreter der Abteilung für innere Verwaltung. Die Verhandlung einer schweren Strafe durch das Berufungsgericht ist nicht ausgeschlossen.

B Besonderer Teil

§ 1

Die Ghettoinsassen haben jeden Angehörigen des Lagerkommandos, der SS-Wache und der Regierungsgendarmerie durch Abnehmen der Kopfbedeckung zu grüßen. Frauen haben sich zu verneigen. Darüber hinaus ist jeder Uniformträger zu grüßen.

§ 2

Bei Ansprache ist sofort straffe Haltung anzunehmen.

§ 3

Sofern nicht anders angeordnet, ist jeweils ein Abstand von einem Meter zu bewahren.

§ 4

Den Ghettoinsassen ist es grundsätzlich verboten, den unter § 1 genannten Personenkreis unaufgefordert anzusprechen. Ausgenommen sind jene Fälle, in denen Gefahr im Verzuge ist.

§ 5

Vorsprachen beim Lagerkommando sind grundsätzlich verboten. Eine Ausnahme macht lediglich der Judenälteste bzw. sein Stellvertreter.

§ 6

Die Ghettoinsassen haben Anordnungen von Angehörigen des Lagerkommandos, der SS-Wache und der Gendarmerie bedingungslos und sofort nachzukommen.

§ 7

Das Gleiche gilt für Anordnungen jüdischer Organe.

§ 8

Den Ghettoinsassen ist es gestattet, einmal im Monat zu schreiben. Für Angehörige des ÄR gilt Sonderbestimmung. Der Postverkehr von Kaserne zu Kaserne ist erlaubt. Briefschmuggel wird mit dem Tode bestraft. Der Versuch wird der Tat gleichgestellt.

§ 9

Den Ghettoinsassen ist die Benutzung des Fernsprechers grundsätzlich verboten. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung des Lagerkommandanten.

§ 10

Unberechtigtes Verlassen des Ghettos gilt als Fluchtversuch.
Die Gendarmerie ist ermächtigt, bei Fluchtversuchen sofort von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.

§ 11

Das Betreten für Ghettoinsassen nicht zugelassenen Geländes ist grundsätzlich verboten. Ausnahmen bedürfen der Genehmigung des Lagerkommandanten.

§ 12

Lärmen ist strengstens verboten.

§ 13

Gänge, Höfe und Straßen sind peinlich reinzuhalten. Der Ghettoinsasse, der Papier, Stroh usw. umherliegen sieht, hat ohne weitere Aufforderung diese Dinge sofort aufzuheben und in die dafür bestimmten Behälter zu werfen.

§ 14

Das freie Ausspucken ist strengstens verboten.

§ 15

Männliche Ghettoinsassen tragen das Haupthaar 3 mm lang, weibliche im kurzem Herrenschnitt. Jeder Insasse hat innerhalb 3 Wochen einmal zum Friseur zu gehen. Für Angehörige des Ältestenrates gilt Sonderverfügung.

§ 16



An Begräbnissen oder Verbrennungen dürfen Verwandte ersten Grades teilnehmen.

Lagerkommandant Dr. Seidl e.h., SS-Hauptsturmführer