Zeitzeugenbericht

Anfang 1945 steigerten sich die Gefahren durch Luftangriffe ständig und wirkten sich schließlich direkt auf örtliche Ziele aus, die mit Bordwaffen angegriffen wurden.

Hatte die Freiwillige Feuerwehr bisher bei zahlreichen Einsätzen die kriegsbedingten Brandschäden erfolgreich begrenzen können, so war ein geordneter Einsatz beim Einmarsch der alliierten Truppen und während der anschließenden Kriegshandlungen nicht mehr möglich. In dieser äußersten Notlage mit ihren verheerenden Folgen für die Gemeinde Sögel war wieder die Nachbarschafts- und Dorfgemeinschaftshilfe gefordert, und sie hat sich in vorbildlicher Weise bewährt.

In den ersten Apriltagen war auch das Emsland zum Kriegschauplatz geworden; Sögel war ein Heerlager zurückweichender deutscher Truppenteile, auf die sich wiederholt Tieffliegerangriffe richteten. Ein Marine - Bataillon war zur Verteidigung des Ortes in Stellung gegangen. Die Clemenswerther Schloßallee und der Park sollten Deckungsschutz bieten.

Das dramatische Kriegsende begann in Sögel am 8. April 1945. Gegen 18,30 Uhr traf ein in mehreren Wellen vorgetragener schwerer Bombenangriff den südlichen Ortsbereich und brachte Tod und Verwüstung. Zwölf Todesopfer ( 9 Sögeler Einwohner - darunter 4 Kinder - und 3 deutsche Soldaten) und mehrere Verwundete, von denen noch zwei einige Tage später ihren Verletzungen erlagen, waren zu beklagen. Aus dem Keller eines Wohnhauses an der Clemens August Straße mußten acht Todesopfer und mehrere Schwerverletzte geborgen werden. (Es handelt sich hier um das Mietshaus des Bauern Wilhelm Tholen)

Groß war auch der materielle Schaden. An elf Häusern entstand Totalschaden, zahlreiche weitere Häuser im südöstlichen Bereich wurden beschädigt. Hohe Verluste an Vieh und, Vorräten, landwirtschaftlichem Inventar und Hausrat brachten viele Familien in große wirtschaftliche Not. Am Abend des Weißen Sonntag herrschten in Sögel chaotische Zustände, die sich in den folgenden Tagen noch dramatisch steigern sollten.

Der Einmarsch kanadischer Truppen am nächsten Vormittag (Montag, 9. April) verlief zunächst weniger gefährlich als befürchtet worden war. Es gab leichte Gefechte, bei denen die Küsterei am Marktplatz und ein Gebäude an der Hauptstraße in Flammen aufgingen, ein kanadischer Panzer war zerstört worden.

Nachmittags durchkämmten kanadische Truppen das Dorf, um nach deutschen Truppen zu fahnden, dabei kam es in vielen Fällen zu Plünderungen und Vergewaltigungen.

Ein Gegenstoß am folgenden Morgen (Dienstag, 10. April) führte zu erbitterten Kämpfen im nordöstlichen Gemeindebereich bis hin zur Ortsmitte. Dabei geriet die Zivilbevölkerung zwischen die feindlichen Feuerstellungen. Trotz größter Not und Bedrängnis gab es unter der einheimischen Bevölkerung keine Opfer; bei den kämpfenden Truppen aber waren die Verluste an Gefallenen und Verwundeten auf beiden Seiten groß.

Die Folgen des deutschen Gegenangriffes, der nutzlos zusammenbrach, waren für die Gemeinde Sögel überaus grausam. Noch am gleichen Tage begannen kanadische Truppen die Häuser in den umkämpften Ortsteilen zu sprengen. Auch am nächsten Vormittag gingen die Sprengungen weiter, wobei die Einwohner mit knapper Not dem Tod entkamen und alle Habe verloren. Die aus den Häusern Vertriebenen wurden währenddessen auf dem Kirchplatz zusammen mit deutschen Kriegsgefangenen festgehalten. Weil angeblich Zivilisten sich an den Kampfhandlungen beteiligt haben sollten, war die Zerstörung der gesamten Gemeinde - mit Ausnahme des Krankenhauses und des Kinderheimes - befohlen worden.

Die Bevölkerung fand während der Schreckenstage in der Kirche, im Kreiskrankenhaus und in den verschont gebliebenen Häusern unter schwierigsten Umständen Beistand und Hilfe.

Dem mutigen Einsatz des Pfarrers Georg Wolters ist es zu verdanken, daß die Zerrstörungen schließlich nach letzen Sprengungen an der Hauptstraße und am Marktplatz eingestellt wurden.

Besonders leidgeprüft wurde in diesen Apriltagen 1945 die Gemeinde Sögel. Am Abend des 8. April 1945 stand die Kommune unter einem 20 Minuten dauernden Bombenhagel, der zahlreiche Todesopfer forderte und ganze Häuserzeilen vernichtete oder schwer beschädigte. Nach dem Einmarsch der kanadischen Truppen wurden dann viele Häuser in die Luft gesprengt, weil die Kanadier bei einem Angriff die Mitwirkung der Sögeler Bevölkerung vermuteten. In dieser Stunde der Not verhütete Pfarrer Wolters durch aufopferungsvollen Einsatz Schlimmeres. Er hat dann in einem Brief an Bischof Berning am 13. Mai 1945 die schrecklichen Tage geschildert. Da dieser Brief wie kaum eine andere Beschreibung geeignet ist, ein Bild von den Geschehnissen dieser Zeit zu vermitteln, sei er hier wiedergegeben. Hier nun der Wortlaut des Briefes:

Da noch am 08. April 1945, am Tage vor dem Eintreffen der kanadischen Truppen in Sögel, ein Bataillon Marinetruppen stationiert war, um das Dorf zu verteidigen, und andererseits stärkere Truppen auf dem Rückzug durch unser Dorf zogen, mußte mit ernsten Kämpfen gerechnet werden, da die zurückflutenden Truppen nicht getarnt waren, erfolgte am 08. April 1945 ein Bombenangriff von drei Wellen. Eine Reihe von Häusern wurde völlig zerstört, andere schwer beschädigt. Dieser Angriff brachte außer Schwerverletzten im ganzen 13 Tote, davon drei Soldaten, da die Bombenangriffe trotz Tiefangriffs schlecht gezielt waren. Die weitaus größte Zahl der Bomben fiel glücklicherweise ins freie Feld. Am Montagmorgen kamen aber noch viele zurückflutende Truppen hier durch. Sie lagen noch auf beiden Seiten des Dorfes als die ersten Panzer eintrafen. Bei einem Abschuß eines Panzers wurde die Küsterei zerstört. Es ist nicht klar, ob dies durch Panzerbeschuß erfolgt ist oder durch deutsche Truppen, die ihren Rückzug decken wollten. Bei einem Feuergefecht wurde ein zweites Haus in Brand geschossen. Die weiteren Kämpfe mit zurückflutenden Truppen waren an der Straße nach Werlte und in dem von der Werlter und Spahner Straße gebildeten Dreieck mit dem Mittelpunkt Clemenswerth. Das Schloß und einige Pavillons erlitten kleinere Schäden durch Panzerbeschuß. Am Nachmittag wurde das Dorf von den Kanadiern durchkämmt. Sie fanden leider größere Mengen Alkohol, da am Tage vorher überall ein Kontingent verteilt wurde. Am Abend und in der Nacht kam es zu einer größeren Zahl von Vergewaltigungen an Frauen und Mädchen. Im übrigen war Ruhe. In der Nacht wurde ein Gegenstoß durch deutsche Truppen - im ganzen vier Kompanien -eingeleitet. In den frühen Morgenstunden waren sie ins Dorf eingedrungen und hatten sich im Nordend festgesetzt. Die Kanadier hatten keine Wachen ausgestellt vor dem Dorf und wurden somit völlig überrascht. Es war ein buntes Kampfspiel. Einzelne Keller waren von Deutschen besetzt, die von Kanadiern belagert wurden und umgekehrt. Bis zum Pfarrhaus waren einzelne deutsche Soldaten vorgedrungen. Vom Pfarrhaus aus hielten etwa zwölf Kanadier die Straße um den Marktplatz unter Feuer. Die Kanadier hatten Verluste, deren Höhe nicht bekannt ist. Sie glaubten, daß die Einwohner mit den deutschen Soldaten gemeinsame Sache gemacht hätten, weil diese ja in den Kellern und Scheunen sich festgesetzt hätten. Diese Kämpfe zogen sich länger hin. Die Deutschen wurden zurückgetrieben und fast völlig aufgerieben. Im Laufe des Nachmittags kamen immer mehr Einwohner aus dem Nordende zum Kirchplatz. Sie waren von den Kanadiern dorthin geschickt. Durch Verhandlungen erreichte ich, daß die Frauen und kleinen Kinder und die alten Leute in die Kirche kommen konnten. Später durften dann alle in der Kirche Platz nehmen. Die Maßnahme erfolgte wegen der noch nicht abgeschlossenen Kämpfe im Nordend. Die Häuser waren an diesem Nachmittag von den Truppen durchsucht und geplündert. In manchen Häusern wurden auch viele Sachen zerstört oder mindestens schwer beschädigt. Die Kirche war ein großes Asyl geworden. Durch Verhandlungen erreichte ich, daß unter Aufsicht der Geistlichen Brot und Milch für die kleinen Kinder und für die auf dem Kirchplatz sich befindenden Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter herbeigeschafft werden durfte. Während zunächst erklärt wurde, daß alle die Nacht in der Kirche zu bleiben hätten, wurde abends dann auf Bitten die Erlaubnis erteilt, in die Häuser zurückzukehren. Viele kehrten zurück in die Kirche, da die Häuser zerstört waren, die Kanadier sie nicht in die Häuser ließen, oder die Leute Angst hatten, weil sie in der Umgebung ihrer Häuser betrunkene Soldaten vorfanden. In der Kirche übernachteten 4.000 bis 5.000 Menschen. Das Pfarrhaus war ebenfalls völlig belegt. Am Mittwochmorgen kamen die ersten Nachrichten, daß Sprengungen im Nordend sein sollten, weil deutsche Truppen dort endgültig vertrieben werden sollten. Als ich mit einem Dolmetscher gegen Mittag sprach und ihn fragte, ob denn die Sprengungen aus militärischen Gründen unbedingt erforderlich seien, sagte er mir streng vertraulich, daß es weniger militärische Maßnahmen seien. Es sei eine Strafaktion, weil von Zivilisten geschossen worden sei. Ich sagte ihm, wenn es wirklich geschehen sei, könnten es nur Ortsfremde gewesen sein. Es sei dann aber unbedingt notwendig, sie Sache erst zu prüfen und das Ergebnis bekannt zu geben. Er versprach, dies den militärischen Stellen zu melden. Im Augenblick sei aber nichts zu machen, da der Ortskommandant noch nicht eingetroffen sei. Er solle aber schon in Lathen sein und würde um elf Uhr in Sögel erwartet. Ihm sei die ganze Aktion wenig sympatisch. Er ist dann, als der Ortskommandant nicht eintraf, nach Lathen gefahren und kam schweißbedeckt gegen 14 Uhr wieder zu mir und erklärte, er hätte leider in Lathen den Kommandant nicht treffen können. Es stände deshalb schlimm. Als ich ihm mitteilte, daß inzwischen Soldaten behauptet hätten, daß das ganze Dorf gesprengt werden solle, erklärte er mir, daß er das nicht annehme, aber er könnte es nicht mit Sicherheit sagen. Inzwischen waren die ersten Sprengungen erfolgt. Manche Familien entgingen mit knapper Not dem Tod, da sie nicht genügend unterrichtet waren. Gegen Abend erklärten mir mehrere Offiziere, mit denen ich verhandelt hatte, daß sie die Überzeugung hätten, daß Fremde Sögel ins Unglück gestürzt hätten. Die Sprengungen hatten einen immer größeren Umfang angenommen. Spät am Abend wurde noch das dem Pfarrhaus gegenüberliegende große Bauernhaus des Bauern Meyer gesprengt. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, daß das Sprengkommando noch Befehl habe, an dem selben Abend noch die ganze Bahnhofsstraße zu sprengen. Dies unterblieb, weil es schon stark dunkelte. Am folgenden Morgen, nach mehreren Besprechungen, sagte man mir, daß der Plan bestände, das ganze Dorf mit Ausschluß der Kirche und des Kinderheimes und des Krankenhauses zu sprengen. Man hoffe aber, daß es nicht so weit kommen werde. Alle Versuche, an einen höheren Führer heranzukommen, scheiterten. Wir waren dann mittags um 14 Uhr zum höchsten Kommandeur bestellt. Als wir eintrafen, war er schon abgefahren. Wir konnten nur mehr mit dem Adjudanten sprechen. Klare Versprechungen wurden nicht gegeben. Im Laufe des Nachmittags wurde dann gesagt, es bestände 80% Wahrscheinlichkeit, dann später 90%, daß nicht mehr gesprengt würde. Inzwischen waren noch morgens Häuser an der Hauptstraße, die am Tage vorher noch stehen geblieben waren, gesprengt. Ein Haus hatte am Tage vorher noch als kanadisches Lazarett gedient. Gegen 17 Uhr traf der Ortskommandant ein, der mich aus der Kirche holen ließ. Er verlangte als erstes Unterkunft für 300 Fremdarbeiter. Auf meine Erklärung, daß es keinen Zweck hätte, darüber zu verhandeln, solange die Sprengungen nicht eingestellt seien, erklärte er dann, ich könne bekannt geben, daß die Sprengungen hiermit beendet seien, wenn keine weiteren Zwischenfälle eintreten. Da der Bürgermeister nicht zu erreichen war, habe ich dann mit ihm mehrere Gebäude besichtigt, die für die Fremdarbeiter in Betracht kommen könnten. Eine Einigung wurde nicht erzielt. Auf meine Beschwerden wegen der fortgesetzten Vergewaltigungen erklärte er, diese seien streng verboten, aber es sei im Augenblick schwer, dies abzustellen. Er hoffe, daß es baldigst besser würde. Die Frauen und Mädchen möchten sich sehr zurückhalten, und die Leute sollten den Soldaten vor allen Dingen keinen Alkohol mehr geben, sondern Bestände einfach wegschütten. Er fragte dann, ob ich nicht bereit sei, das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen, da der von der englischen Regierung vorgesehene zu alt sei, habe ich abgelehnt. Auf meine Frage, wo denn nun eigentlich von Privatpersonen geschossen worden sei, konnte er auch keine Antwort geben. Die im Dorf umlaufenden Gerüchte, daß Frauen geschossen haben sollen - es waren drei Frauen in Sicherheitsverwahrung genommen -können nicht wahr sein, da die Frauen während der ganzen Zeit mit 40 - 50 anderen Personen zusammen in einem Keller waren. Zwar war von den Frauen wiederholt vorhergesagt worden, daß man schießen müsse. Auf Grund der ganzen Lage und genauen Erkundungen kann ich nur zu dem Resultat kommen, daß in Sögel nicht von Zivilpersonen geschossen worden ist. Die Sprengungen sind nicht zu Recht erfolgt. Allerdings konnten die Kanadier zu der Ansicht kommen, daß die Einwohner Sögels mit den Soldaten zusammengearbeitet hätten, weil eben die deutschen Soldaten in den Häusern und Kellern am Morgen des Dienstag waren. Später hat man mir erklärt, Wir müssen daran festhalten, oder wir müssen glauben. Vor vierzehn Tagen hat mir ein kanadischer Geistlicher erklärt, er gehöre nicht zu der Truppe, aber er hätte gehört, daß Sögel deshalb gesprengt worden sei, weil ein Angriff auf ihr Lazarett mit Unterstützung der Zivilbevölkerung gemacht sei, wobei zwei Stabsoffiziere getötet seien.

Am letzen Sonntag wurde die Kirche für ein Lazarett gefordert. Bisher ist das aber vermieden worden. In Borger ist die schwerbeschädigte Kirche für ein Durchgangslager der Russen in Anspruch genommen. In Sögel ist eine kanadische Unteroffiziersschule. Außerdem befinden sich noch mehrere Einheiten im Dorf in Zelten und Schulen. Am Freitag und Samstag war ein größerer Waldbrand durch Schießübungen. Im übrigen ist Ruhe im Dorf. Ein Teil der Truppen war sehr diszipliniert, nicht aber alle. Über die Zahl der Vergewaltigungen läßt sich schwer genaues sagen. In den ersten Tagen wurden über fünfzig Fälle bekannt. Andere schätzen die Zahl auf über hundert. Besonders schwer ist auch die Anforderung von Arbeitskräften seitens der Besatzung.
Unsere Einwohner haben die deutschen Soldaten beschworen, sich zurückzuziehen. Doch diese drohten und erklärten, sie wollen Sögel befreien. Mit Unterstützung der Zivilpersonen ist das Lazarett nicht angegriffen worden, wohl können Schüsse gefallen sein, da es im Mittelpunkt der Kämpfe lag. Die Staboffiziere sind irgendwo begraben worden.

Dies ist der Wortlaut des Briefes von Pfarrer Wolters an Bischof Berning.

Verluste

Todesopfer:

Durch Luftangriffe getötete Einwohner: 15
Gefallene deutsche Soldaten: 27
Als Spion erschossener Soldat (deutscher) 1

Die Verluste der kanadischen Truppen wurden nicht bekannt.

Vieh - Verluste:

Pferde: 9
Rindvieh: 107
Schweine:222

Schafe: 16
Ziegen: 12
Federvieh: 758

Sachschäden:
(Wert 1945 in Reichsmark)

Gebäudeschäden: 1.317.167
Geschäftsschäden: 581.060
Viehschäden: 96.976
Gummibereifte Fahrzeuge : 165.983
Landwirtschaftliche Maschinen: 94.850
Lederwaren: 49.022
Möbel: 459.697
Haushaltsgegenstände: 137.268
Porzellan: 80.606
Verschiedene Werte: 463.328
Federbetten: 222.028
Wäsche, Kleidung: 421.827
Besondere Schäden: 106.207

Diese Auflistung ist in den Nachkriegsjahren von der Gemeindeverwaltung erstellt worden