Pflege- und Heilanstalt Scheuern

Übersicht

Deutschland, Bundesland Rheinland-Pfalz, Landkreis Rhein-Lahn-Kreis, Verbandsgemeinde Nassau

Scheuern ist ein Stadtteil von Nassau an der Lahn im Rhein-Lahn-Kreis in Rheinland-Pfalz.

In der Zeit des Nationalsozialismus diente die Stiftung Scheuern als einzige Anstalt der Inneren Mission als Zwischenanstalt für die NS-Tötungsanstalt Hadamar, wobei ihre Übernahme einen Präzedenzfall darstellte. Für über 1500 Menschen waren sie die letzte Station vor ihrer Ermordung. 153 Menschen kamen in dieser Zeit in den Anlagen der Stiftung Scheuern selbst ums Leben.

März 1943

Brief eines Vaters, der als Soldat in Frankreich steht, an die Direktion der Landesheilanstalt Hadamar:
„Von der Heil- und Pflegeanstalt Scheuern habe ich Nachricht erhalten, daß mein Kind Willi in Ihre Anstalt verlegt wurde. Ein Päckchen mit Keks und Bonbons wird ihn nicht mehr lebend erreicht
haben. Ich erhielt von meiner Frau die bittere Nachricht, daß mein Kind bereits zur letzten Ruhe gebettet ist. So habe ich mir den Heimgang meiner Kinder nicht vorgestellt. Mein Kind verließ die Anstalt Scheuern bei Wohlbefinden. Innerhalb von 8 Tagen krank, tot, beerdigt, ohne daß ich eine Ahnung davon habe. Ich könnte es begreifen vor eine solche bittere Tatsache gestellt zu sein, bei meinem ältesten Sohne, als Soldat, er steht an der Ostfront, war schon 2 mal verwundet.
Ich stehe kurz vor meinem Urlaub und hätte auf eine Nachricht von Ihnen in diesem Falle, den Urlaub sofort antreten können. Es war meine Absicht das Kind heimzuholen. In der Anstalt Scheuern war ich mit der Unterbringung zufrieden. Bei Ihnen hätte ich mich erst überzeugen müssen. Ich kann mich nicht damit abfinden, mir kommt es vor, als wenn mein Kind behandelt worden wäre wie erblich belastet oder wie das Kind eines Trinkers. Ich verwahre mich dagegen. Im Privatleben unbescholten. Als Soldat, einberufen 1914/18 von Anfang bis Ende, mit Auszeichnung, verwundet, Führung gut und unbestraft. Seit 1. September 1939 stehe ich ebenfalls wieder für Volk und Führer unter Waffen.
Heil Hitler“

04.09.1944

Mit diesem Transport werden am 04.09.1944 101 schulpflichtige Kinder u. Jugendliche wegen der geplanten Auflösung der Pflege- und Heilanstalt Scheuern zur Landesheilanstalt Eichberg verlegt. 10 von ihnen kamen dort in die „Kinderfachabteilung“

26.11.1944

Am 26.11.1944 treffen mit einem Transport 56 schulpflichtige Kinder u. Jugendliche die am 04.09.1944 wegen der geplanten Auflösung der Pflege- und Heilanstalt Scheuern zur Landesheilanstalt Eichberg verlegt worden waren, in der Pflege- und Heilanstalt Scheuern ein. Die Gründe für den Rücktransport sind nicht bekannt.

28.11.1944

Mit diesem Transport werden am 28.11.1944 27 schulpflichtige Kinder u. Jugendliche aus der Pflege- und Heilanstalt Scheuern zum Aufnahmeheim Idstein (Heilerziehungsanstalt Kalmenhof) verlegt.

1966

Aussage des Krankenpflegers Benedikt H.
“ Vom 21. Januar 1941 an begleitete ich zehn Krankentransporte aus den verschiedensten Anstalten nach Hadamar. Wir fuhren u.a. nach Weilmünster, Scheuern bei Katzenelnbogen, Eichberg, in die Gegend von Weinsberg und nach Kalkhausen bei Köln. Wir fuhren i.d.R. mit drei Omnibussen, die anfangs von der Reichspost gestellt waren; später fuhren wir Busse, die einen grauen Anstrich hatten und aus Berlin gekommen sein müssen. Alle diese Busse hatten nur Sitzplätze und keine Liegeplätze. Sie enthielten auch keine Toilette. Wie viele Sitzplätze die einzelnen Busse hatten, weiß ich heute nicht mehr genau, Ein Transport, bestehend aus drei Bussen, umfasste aber ungefähr 60 bis 70 Patienten; es können auch mal 80 gewesen sein. Auf unseren Fahrten machten wir keine Pausen, damit die Kranken austreten konnten. Die Fahrten dauerten nie allzu lange. Meine weiteste Fahrt war der Weinsberger Transport. Auch er wurde ohne eine Pause durchgeführt. Die Kranken hatten in der Abgabeanstalt zu essen bekommen, ich nehme das jedenfalls an. Reiseproviant hatten sie nicht mit. In jedem Bus saßen von uns ein Pfleger und eine Schwester. Uns voran fuhr jeweils der Transportleiter in einem PKW.

Als wir zu den Abgabeanstalten kamen, waren die Kranken bereits reisefertig. Das Personal der Abgabeanstalten geleitete die Kranken bis an den Bus heran. Dort übernahmen wir die Patienten. Diejenigen, die nicht gehen konnten, wurden von uns hineingehoben. Die anderen Patienten stiegen selbst ein. In Hadamar angekommen, kamen die Kranken in einen großen Saal, in dem Bänke mit Decken standen, Dann kamen die Patienten gruppenweise in den Auskleideraum. Wir waren dabei. Im Auskleideraum kam dann noch das daheimgeblieben Personal dazu. Wir halfen denjenigen Kranken beim Ausziehen, die dazu nicht in der Lage waren. Im Auskleideraum saß auch der Büroleiter, der anfangs Netscher war und später Bünger war. Der Büroleiter überprüfte die Personalien der Kranken. Eine ihm zur Seite stehende Schwester verabreichte alsdann jedem Kranken einen Stempel auf den Rücken. Der Stempel bestand aus einer Zahl, die auch in die mitgebrachten und ihm, dem Büroleiter, vorliegenden Krankenakten gedrückt wurde. Außerdem wurde ein Hängeabschnitt abgestempelt, der für das Kleiderbündel bestimmt war. In dem Auskleideraum saß noch eine Dame vom Büro, die Wertsachen von den Patienten annahm. Dann wurden die Patienten in das benachbarte Arztzimmer geführt, und zwar einzeln. Sie wurden an der Tür des Arztzimmers von anderen Pflegern bzw. Schwestern (je nachdem, ob es ein männlicher oder weiblicher Patient war) in Empfang genommen. Was sich im Arztzimmer abspielte weiß ich nicht, ich habe es nicht gesehen, ich habe das Arztzimmer nicht betreten.

Die anderen kamen aus dem Photoraum heraus und sammelten sich in einem anderen großen Raum. Die Kranken hatten einen Mantel umgehängt bekommen und trugen Schlappen. Die Kranken wurden dann zusammen in den Keller geführt. Sie kamen dort in den sogenannten Vorraum. Bis zum Vorraum geleitete ich die Kranken. Ich ging dann wieder rauf und kümmerte mich um die Kleider der Kranken, die ja geordnet werden mussten. In der Zwischenzeit wurden die Kranken unten in die Gaskammer geführt, und zwar von anderem Personal. Wer das war, weiß ich nicht. Die Kranken wurden dann vergast. Wer den Gashahn bediente weiß ich auch nicht.“

Namensliste

Völker Helmut
Am 19. Juli 1931 nichtehelich geboren - als Folge einer Vergewaltigung seiner 13-jährigen Mutter Ottilie Völker - lebte Helmut mit seiner Mutter bis 1934 im Mädchen- und Kinderheim Bethesda, Schwanallee 57.
Seine Mutter war gezwungen, Helmut zu verlassen, weil sie eine landwirtschaftliche Dienststelle antreten musste. Helmut blieb drei Jahre im Kinderheim, dann erfolgte seine Verlegung nach Hephata, Treysa. Das geschah aufgrund der Diagnose "Schwachsinn mittleren Grades" und anderer, zum Teil nicht überprüfbarer körperlicher Befunde.
Von November 1938 bis Januar 1939 lebte er wieder in Marburg in der "Landesheilanstalt" Cappeler Straße 98. In seiner Akte wird als "Rasse" "ostisch" angegeben - damit war er von offizieller Seite als "unwertes" Leben "abgestempelt".
Daraus folgte die Verlegung in die "Heilerziehungs- und Pflegeanstalt" Scheuern bei Nassau/Lahn, wo er noch, mittlerweile als erbkrank diagnostiziert, vier Jahre und acht Monate lebte.
Die Gesuche der inzwischen verheirateten Mutter auf Besuch und Urlaub wurden systematisch unterbunden. Immer wieder wurde sie vertröstet, ihr Sohn mache nicht die erforderlichen Fortschritte. Nicht einmal Päckchen von seiner Mutter zum Geburtstag bekam er zugestellt.
Als er "wegen Erfolglosigkeit ausgeschult" worden war, bedeutete das sein Todesurteil. Am 3. September 1944 wurde Helmut Völker nach Hadamar (Limburg) gebracht. "Erkrankt an Pneumonie, Fieber, Herzschwäche", heißt es in seiner Akte, er "erholt sich nicht mehr, heute Exitus", wurde am 30. September 1944 notiert. Angebliche Krankheiten sollten die Ermordung verschleiern. Ottilie Völker erfuhr offiziell nie den wahren Grund des so plötzlichen Todes ihres Sohnes, auch wenn sie nicht aufhörte, um Antwort zu bitten. So schreibt sie: "Mein armer Junge war mir genauso viel wert, wie jeder anderen Mutter ihr Kind".
Quelle: Geschichtswerkstatt Marburg 2016

Devers Jakob
Jakob Devers wurde am 30. November 1904 in Oberlahnstein in der Langwiesergasse als Sohn des Bäckers Karl Devers und seiner Frau Josefine, geb. Hersch, geboren. Da er nervenkrank war, lebte er ab dem 30. Oktober 1931 in einer Außenstelle der Heilerziehungs- und Pflegeanstalt Scheuern, wo er nach Zeitzeugenberichten als Besenbinder beschäftigt war. Hier wurde er oft von der angeheirateten Verwandtschaft seines Bruders besucht. Am 1. Juli 1941 wurde er nach Hadamar verlegt, wo er noch am gleichen Tag mit Giftgas umgebracht wurde. Um dies zu verschleiern, wurde die Patientenakte nach Sachsen-Anhalt in die NS-Tötungsanstalt Bernburg (Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Bernburg, heute Landeskrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie) gesandt, wo am 10. Juli 1941 der Tod beurkundet wurde.
Quelle: Stadt Lahnstein

Waldbach Erich
Erich Waldbach, geb. als Erich Leschniowski am 30.09.1917 in Gleiwitz/Oberschlesien, wohnte mit seinen Eltern seit Mai 1939 in Oberlahnstein in der Martinsburg, Schlossstraße 1, wo sein Vater Philipp Zollbeamter war.
Der Amtsarzt bescheinigte am 21.1.1944, dass Erich „wegen Idiotie anstaltsbedürftig“ sei, „da seine Pflege und Wartung zu Hause nicht übernommen werden kann.“ Am 19.6.1944 kam er in die Heilerziehungsanstalt und Fürsorgeerziehungsheim Scheuern bei Nassau/Lahn. Vater Philipp Waldbach war damals bei der Wehrmacht.
Am 2.9.1944 wurde Erich Waldbach nach Hadamar verlegt. Hier starb er am 3.11.1944. Auf dem Sterbeschein steht vermerkt: „Idiotie, Rippenfellentzündung, Erguss, Herzschwäche, eitrige Rippenfellentzündung.“
Es ist davon auszugehen, dass Erich an unterlassener Hilfeleistung oder der Eingabe falscher Medikamente starb. Tragischerweise verstarb seine Mutter Emilie 18 Tage vor ihrem Sohn. Vater Philipp kämpfte zu diesem Zeitpunkt als Soldat fern der Heimat. Er überlebte den Zweiten Weltkrieg und heiratete später erneut.
Quelle: Stadt Lahnstein

Bender Wilfried
Paul Wilfried Bender kam am 27. August 1934 in Krofdorf als Sohn des Schneiders Wilhelm Paul Bender und seiner Ehefrau Helene, geborene Müller zur Welt. Die Eltern waren nicht kirchlich gesinnt, also freireligiös und so wurde auch Wilfried nicht getauft. Mit drei Jahren erkrankte er im Oktober 1937 an einer Hirnhautentzündung und kam zur Behandlung in die Kinderklinik der Universität Gießen. Als er im Januar des Folgejahres entlassen wurde, waren noch Folgeschäden zurück geblieben, was bei dieser Art Erkrankung häufiger vorkommt. Er konnte nicht mehr laufen und auch nicht mehr selbständig essen, neben den körperlichen Einschränkungen blieb auch eine geistige Behinderung zurück.
Die Eltern behielten das Kind gegen den Rat der Ärzte zuhause und pflegten es aufopferungsvoll. Es gelang ihnen, dass er wieder laufen lernte und die Sondenernährung konnte auch wieder abgesetzt werden, es genügte ihm beim essen zu helfen. Die Eltern hatten, wie soviele in Krofdorf eine kleine Landwirtschaft nebenbei und sie nahmen den Jungen übrall hin mit auf das Feld. Eines Tages geschah es, dass Wilfried sich bei der Feldarbeit von den Eltern entfernte und sich Richtung Wißmar verlief. Die Sache ging gut aus, er wurde in der Nähe von Wißmar aufgegriffen und nach Telefonaten mit der Bürgermeisterei in Krofdorf, in denen es gelang die Adresse der Eltern zu eruieren, wohlbehalten daheim abgeliefert.
Mitte des Jahres 1942 bekamen die Eltern eine schriftliche Aufforderung Wilfried in der Anstalt Scheuern bei Nassau abzuliefern. Das Zugangsbuch in Scheuern verzeichnet den 15. Juli 1942 als Aufnahmedatum, als Diagnose ist "Idiotie und halbseitige Lähmung" eingetragen. Mit dieser Einweisung nach Scheuern war das Todesurteil über Wilfried bereits gesprochen und wartete nur auf die Vollstreckung. Für den 9. Februar 1943 weist das Zugangsbuch in Scheuern auf, dass der Patient als geheilt nach der Anstalt Kalmenhof entlassen wurde
Von Entlassung konnte aber keine Rede sein, im Kalmenhof befand sich seit Ende 1941 eine sogenannte 'Kinderfachabteilung', also eine Vernichtungsstation des Reichsausschusses, von denen es mindestens 37 im damaligen 'Großdeutschen' Reich gab, in denen planmäßig vorwiegend behinderte Kinder und Jugendliche ermordet wurden. In den Räumen des Kalmenhofs war zu dieser Zeit bereits ein Lazarett eingerichtet, für das der größte Teil der Räumlichkeiten beschlagnahmt waren. Dem Kalmenhof selber stand nur noch der zweite Stock zur Verfügung und für die Kinderabteilung wurden im dritten Stock zwei Zimmer ausgebaut. Die Station war oft so stark überbelegt, dass mehrere Kinder sich ein Bett teilen mussten. Kamen größere Transporte an, wurde ein Teil der Kinder vorübergehend im ausgegliederten "Altersheim" untergebracht und dann sukzessive ins Krankenhaus gebracht, wo sie nach kurzer Zeit "starben", genauer ausgedrückt: umgebracht wurden. Der Mord erfolgte dann durch Nahrungsmittelentzug, durch Überdosen von Luminal, einem Schlafmittel, oder durch Morphiumspritzen.
Die Todesbeurkundung selber diente dann, wie die davor stattfindende Verlegung, nur noch zur Verwischung der Spuren und der Desorientierungh der Angehörigen. Bei Wilfried erfolgte diese dann vier Tage nach der Verlegung zum 12. Februar 1943, als Todesursache wurde angegeben: Idiotie, Halbseitenlähmung (Encephalitis), chron. Ekzem, Anfälle, Marasmus. Den Eltern gelang es dann wenigstens noch den Leichnam ihres Kindes nach Hause zu holen und in Krofdorf zu bestatten.
Quelle: stolpersteine-wettenberg.de

Nieß Emma Martha
Emma Martha Nieß wurde am 26. März 1919 als Tochter von Gustav Nieß und Klara Martha, geb. Kitzig, in Oberlahnstein geboren. Sie wohnte zunächst mit ihren Eltern in der Hafenstraße, die heutige Gutenbergstraße 6. 1926 zog die Familie in die Braubacher Straße 9 und von dort im Dezember 1933 in die Hochstraße 52, das Gebäude trägt heute die Hausnummer 56. Emma wurde am 10. Februar 1934 in das St. Vinzenzstift Aulhausen (heute ein Stadtteil von Rüdesheim) eingewiesen.
Nach gut drei Jahren wurde sie am 20. Juli 1937 in die Heilerziehungs- und Pflegeanstalt Scheuern aufgenommen und von der dortigen Anstaltsleitung am 28. April 1938 als erbkrank gemeldet. Emma litt an „Idiotie“. Am 16. Mai 1941 wurde sie in die Landes-Heil und Erziehungsanstalt in Hadamar bei Limburg verlegt, wo sie noch am Aufnahmetag vergast wurde. Um die Ermordung zu verschleiern, wurde die Patientenakte in die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein nach Sachsen geschickt; dort wurde am 3. Juni 1941 Emmas Tod beurkundet.
Quelle: region-rhein.de

Debus Elisabeth
1908 in Wetzlar geboren, 1941 in die Pflege- und Heilanstalt (Scheuern/Eifel) eingewiesen und in Hadamar bei Limburg im Rahmen des „Euthanasie-Programms“ ermordet.
Quelle: Hessenkolleg Wetzlar

Bender Wilfried
* 1934 in Wettenberg
eingewiesen 1942 Heilanstalt Scheuern 'verlegt' 1943 Heilanstalt Idstein ermordet 12.02.1943

Hartmann Richard
* 1896 in Marburg
eingewiesen 1922 Landesheilanstalt Marburg/Scheuern verlegt 16.05.1941 Hadamar ermordet 16.05.1941 Aktion T4

Grein Hildegard aus Kassel
Als Hildegard Grein am 14. Juni 1935 als dritte Tochter von Georg und Johanna Grein zur Welt kam, war die Ausrottung von „lebensunwertem Leben“ bereits angelaufen. Die Zwangssterilisation von Menschen mit vermeintlich erblichen Krankheiten war Gesetz. 400 000 Menschen wurden sterilisiert. Nach Hildegards Geburt traf dies auch ihre Mutter Johanna Grein. Die Familie wohnte in der Kastenalsgasse (Wesertor), später in der Obersten Gasse. Das jüngste Mädchen beschrieben Ärzte als „klein und schwächlich“ – in einer Heilanstalt wurde bei ihr später zudem „hochgradiger Schwachsinn“ diagnostiziert. Nach zeitgenössischen Aussagen einer Tante litt Hildegard unter epileptischen Anfällen, die auch beim „Spielen auf der Straße“ auftreten würden. Als Hildegard fünf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern im Streit. Ein Jahr zuvor hatte Adolf Hitler den sogenannten „Euthanasie“-Erlass unterzeichnet, der die systematische Ermordung von behinderten Kindern – und später auch von Erwachsenen – in Gang setzte. Weil der Vater mit der Erziehung überfordert war, beantragte er im Dezember 1940 die Unterbringung seiner Tochter Hildegard in einer Heilanstalt. Nach einer Zwischenstation im Kasseler Kinderkrankenhaus „Kind von Brabant“ (heutige Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Herkulesstraße) kam sie in die Heilerziehungsanstalt Scheuern nahe Koblenz.
Mehrfach erkundigte sich der inzwischen als Soldat kämpfende Vater in Briefen bei der Anstaltsleitung nach seiner Tochter. Er schrieb von seinem Wunsch, dass seine Tochter unterrichtet werden solle. Der Direktor antwortete, dass es nicht möglich sei, seiner Tochter Lesen und Schreiben beizubringen und weiter: „Bei Hildchen hat sich nichts verändert. Die Kleine ist körperlich ganz wohl und munter.“
Im Februar 1943 erhielt der Vater Post von der Heilanstalt Hadamar, die später als Mordzentrum bekannt wurde. Ihm wurde mitgeteilt, dass seine Tochter dorthin verlegt wurde. Nur drei Wochen später folgte die Nachricht von deren Tod. Als Ursache wurde angegeben: „Tod im epileptischen Anfall“. Als der Vater wissen wollte, warum sich Hildegards Zustand so rapide verschlechtert hatte, erhielt er eine ausweichende Antwort.
Quelle: Bastian Ludwig