Landesheilanstalt Eichberg

Übersicht

Deutschland, Bundesland Hessen, Regierungsbezirk Darmstadt, Landkreis Rheingau-Taunus-Kreis

Euthanasieanstalt
Tötungsanstalt

Nutzungsanfang (früheste Erwähnung):
1934

Nutzungsende (späteste Erwähnung):
30.03.1945

Leiter
Mennecke Friedrich

Kinderfachabteilung
Die Kinderfachabteilung verfügte über eine spezielle Tötungsbaracke, in der die Kinder gezielt ermordet wurden.
Leiter der Kinderfachabteilung
Schmidt Walter
Die »Kinderfachabteilung« in der Landesheilanstalt Eichberg, in der Nähe der Stadt ­Eltville (bei Wiesbaden) gelegen, wurde im März oder Anfang April 1941 eingerichtet und bestand bis März 1945. Der Direktor der Landesheilanstalt war Dr. Friedrich ­Mennecke, der auch für die so genannte »T4«-Aktion (dem Gasmord an hospitalisierten, größtenteils erwachsenen Psychiatriepatienten) als Meldebogengutachter tätig war. Sein Stellvertreter, Dr. Walter Schmidt, war für die »Kinderfachabteilung« als deren Leiter verantwortlich. Mit seiner Einberufung zur Wehrmacht im Januar 1943 blieb Dr. Mennecke zwar noch nominell der Leiter der Anstalt, de facto wurde diese ab dann unter der Leitung von Dr. Schmidt geführt2.

Mehr als 500 Kinder und Jugendliche starben während des Bestehens der »Kinderfachabteilung« auf dem Eichberg. Nach konservativer Einschätzung wurde die überwiegende Mehrheit von ihnen wahrscheinlich ermordet, wobei die Zahl der Opfer realistisch aber auf mindestens 430 geschätzt wird4. Es gab auch Kinder, die zuvor an der Heidelberger Psychiatrischen Universitätsklinik unter Carl Schneider untersucht worden waren, um danach zur Tötung auf den Eichberg gesandt zu werden. Ihre Gehirne wurden anschließend nach Heidelberg zu Forschungszwecken in Verbindung mit der »Euthanasie« zurückgeschickt5. Am Eichberg fanden zudem Schulungen von »Euthanasie«-Ärzten, wie etwa von Dr. Magdalena Schütte, der Leiterin der Stuttgarter »Kinderfachabteilung«, statt. Zur Unterbringung der »Kinderfachabteilung« wurde ein bestehendes Gebäude als Kinderbaracke in Betrieb genommen. Sie beherbergte die jüngeren Kinder, während die Kinder im Alter von mehr als neun Jahren mit erwachsenen Patienten auf anderen Stationen untergebracht waren. Die Kinderbaracke, die eine gewisse Randlage auf der Anlage hatte, existiert heute nicht mehr.

Institutionengeschichte
Am 18. Oktober 1849 wurde die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" auf dem Gebiet der Gemeinde Erbach, heute Eltville-Erbach, eröffnet. Die Trägerschaft hatte das Herzogtum Nassau. Als Vorläufereinrichtung existierte 1815 bis 1848 die "Herzoglich Nassauische Irrenanstalt" im nahe gelegenen säkularisierten Kloster Eberbach. Die Anstalt Eichberg diente vor allem der Behandlung psychiatrischer Patientinnen und Patienten aus dem Herzogtum Nassau, später aus dem preußischen Regierungsbezirk Wiesbaden. 1865 errichtete die Anstalt Eichberg wiederum in Kloster Eberbach eine Außenstelle. 1866 ging die Anstalt Eichberg in preußischen Besitz über. 1872 übernahm der "Kommunalständische Verband des Regierungsbezirks Wiesbaden" die Trägerschaft, der 1885 zum "Bezirksverband des Regierungsbezirks Wiesbaden" wurde. 1890 wurde das 1888 angekaufte Landgut Wacholderhof als Außenstation der Anstalt bezogen und bis 1996 beibehalten. Ab 1928 hieß die Einrichtung "Landesheilanstalt Eichberg".

Ab 1934 wurden Patientinnen und Patienten Opfer der nationalsozialistischen Zwangssterilisationen. 1934 bis 1938 unterhielt die Anstalt eine eigene Sterilisationsabteilung, in der auch auswärtige Patientinnen und Patienten zwangssterilisiert wurden. 1941 bis 1945 wurden Patientinnen und Patienten der Anstalt im Rahmen der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Aktion verlegt und anschließend ermordet. Ab 1941 diente der Eichberg auch als Zwischenanstalt für die Verlegung auswärtiger Patientinnen und Patienten auf dem Weg in die Mordanstalt Hadamar. 1939 bis 1945 starben zahlreiche Kranke in der Anstalt Eichberg an Unterversorgung und durch Medikamententötungen. Von 1941 bis 1945 existierte in der Anstalt Eichberg darüber hinaus eine so genannte "Kinderfachabteilung", wo Hunderte von Kindern und Jugendlichen im Rahmen der "Euthanasie"-Verbrechen ermordet wurden. Zwischen 1943 und 1945 dienten große Teile der Einrichtung als SS-Lazarett, als Tuberkulosesanatorium und als Ausweichkrankenhaus für somatisch Kranke aus Wiesbaden und Frankfurt.
1953 übernahm der Landeswohlfahrtsverband die Trägerschaft der Einrichtung. 1957 wurde diese in "Psychiatrisches Krankenhaus Eichberg" umbenannt. 1974 wurde auf dem Gelände zusätzlich die "Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Rheinhöhe" eingerichtet. Dieser wurde als Außenstelle die bisher eigenständige Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Idstein angegliedert. Seit 1994 unterhält das Psychiatrische Krankenhaus die "Sektorklinik Wiesbaden" als Außenstelle. Das Psychiatrische Krankenhaus Eichberg wurde 1998 in "Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Eichberg" umbenannt und als Betriebszweig in den neu gegründeten Eigenbetrieb "Zentrum für Soziale Psychiatrie Rheinblick" integriert. Zu weiteren Betriebszweigen dieses Zentrums wurden zugleich die nun umbenannte "Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes und Jugendalters Rheinhöhe" sowie das "Wohn- und Pflegeheim für Menschen mit seelischer Behinderung Eltville", das bis dahin Teil des Psychiatrischen Krankenhauses gewesen war. Vierter Betriebszweig wurde durch Beschluss der LWV-Verbandsversammlung von 2002 die auf dem Eichberg gegründete "Klinik für forensische Psychiatrie Eltville".
Quelle: Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen

04.09.1944

Am 04.09.1944 treffen mit einem Transport 101 schulpflichtige Kinder u. Jugendliche wegen der geplanten Auflösung der Pflege- und Heilanstalt Scheuern in der Landesheilanstalt Eichberg ein. 10 von ihnen kamen hier in die „Kinderfachabteilung“

26.11.1944

Mit diesem Transport werden am 26.11.1944 56 schulpflichtige Kinder u. Jugendliche die am 04.09.1944 wegen der geplanten Auflösung der Pflege- und Heilanstalt Scheuern zur Landesheilanstalt Eichberg verlegt worden waren, zur Pflege- und Heilanstalt Scheuern zurückgebracht.

Namensliste

Ruthardt Erich
Am 21. September 1943 teilte die Landes-Heilanstalt Eichberg im Rheingau dem Gesundheitsamt in Stuttgart mit:
„Das Kind Erich Ruthardt, geb. am 14.2.1919, kann hier jederzeit aufgenommen werden an einem beliebigen Wochentag, außer Samstag und Sonntag.
Der Direktor“

Das „Kind“ Erich Ruthardt war zu diesem Zeitpunkt 24 Jahre alt. Erich war geistig und körperlich schwer behindert. Er wurde seit seiner Geburt zu Hause von seiner Mutter versorgt und gepflegt. Einige Nachbarn erinnern sich an Erich, der in einem Leiterwagen herumgefahren wurde, da er nicht laufen konnte.
Dem Städtischen Gesundheitsamt in Stuttgart war Erich Ruthardt dadurch aufgefallen, dass er zu Impfterminen nie erschienen war. Erichs Mutter, die Witwe Julie Ruthardt, sagte am 19. Juli 1948 bei der Polizei in Tübingen aus:
„Da das Kind infolge der Schwächlichkeit seines Körpers nicht geimpft werden konnte, richtete sich das Augenmerk des staatlichen Gesundheitsamtes in Stuttgart auf dasselbe. Eines Tages erhielt ich eine Aufforderung, auf dem Gesundheitsamt Stuttgart zu erscheinen. Als ich dort hinkam, wurde ich gefragt, ob ich meinen kranken Sohn Erich nicht für einige Zeit in ein Kinderheim zur Beobachtung bringen möchte. Da meine Mutter damals gelähmt war und ich wegen der Pflege derselben sehr in Anspruch genommen war, willigte ich ein.“
Was Frau Ruthardt nicht wusste, ist, dass die Ärztin des Gesundheitsamts, Dr. Hedwig Eyrich, bei der sie mit ihrem Sohn gewesen war, daraufhin am 21. Juli 1943 einen Meldebogen über ihren Sohn an die Gesundheitsabteilung des Württembergischen Innenministeriums sandte, mit der Bitte um Weiterbehandlung. Die Mutter sei mit einer Anstaltsunterbringung einverstanden. Mit einem solchen Meldebogen wurden Kinder mit Missbildungen und Behinderungen bis zum Alter von 16 Jahren dem „Reichsausschuss zur wissenschaftlichen Erfassung von erb- und anlagebedingten schweren Leiden“ in Berlin gemeldet. Zum Ausfüllen und Absenden des Meldebogens war die Ärztin des Gesundheitsamts nicht verpflichtet, sie tat dies aus freien Stücken. Diesen Meldebogen leitete Obermedizinalrat Dr. Otto Mauthe, der Stellvertreter des berüchtigten Ministerialrats Prof. Dr. Eugen Stähle, an den „Reichsausschuss“ weiter. Dieser „Reichsausschuss“ in der „Kanzlei des Führers“ war die getarnte Organisationszentrale für die NS-„Kindereuthanasie“, die Ermordung von „lebensunwerten“ Kindern. Die Ärztin Eyrich vom Stuttgarter Gesundheitsamt, das Obermedizinalrat Dr. Karl Lempp damals kommissarisch leitete, hatte also von Anfang an nicht die Unterbringung von Erich Ruthardt „für einige Zeit in ein[em] Kinderheim zur Beobachtung“, sondern dessen „Euthanasie“ beabsichtigt. Um das Einverständnis von Erichs Mutter für eine Heimunterbringung zu bekommen, hatte sie deren Notlage ausgenutzt, sie unter psychischen Druck gesetzt und mit Lügen getäuscht.

Am 2. September 1943 antwortete der stellvertretende Geschäftsführer des „Reichsausschusses“, Richard von Hegener, auf die Meldung aus Stuttgart:

„Anliegend reiche ich die mir am 18.8.1943 übermittelte Meldung über den Obengenannten zu meiner Entlastung zurück, da dieser zur Unterbringung in einer Kinderfachabteilung des Reichsausschusses im Hinblick auf sein Lebensalter nicht geeignet ist. In den erwähnten Kinderfachabteilungen können nur Kinder bis zum vollendeten 16. Lebensjahr Aufnahme finden.

Ich stelle anheim, sich direkt mit dem Leiter einer günstig gelegenen Heil- und Pflegeanstalt (gegebenenfalls auch Landesheilanstalt Eichberg/Rheingau über Eltville) in Verbindung zu setzen.
Heil Hitler.“

Letzteres tat dann die Ärztin Eyrich vom Stuttgarter Gesundheitsamt, obwohl sie auch jetzt nichts hätte veranlassen und weiterverfolgen müssen. Sie schrieb, nachdem sie den eingangs zitierten Brief von der Landes-Heilanstalt Eichberg erhalten hatte, am 6. Oktober 1943 zurück:

„Wir teilen Ihnen mit, dass der obengenannte Kranke am Dienstag, den 12. 10. 1943, von Wiesbaden aus mit dem Sanitätswagen Ihrer Anstalt zugeführt wird.
Im Auftrag: Dr. Hedwig Eyrich“

Erich Ruthardt starb in der Heilanstalt Eichberg am 13. Oktober 1943, einen Tag nach seiner Ankunft, an „Herzschwäche“, wie es amtlich heißt. Er wurde ein Opfer der dezentralen oder „wilden“ „Euthanasie“. Der Anstaltsdirektor Dr. Walter Schmidt meldete der Frau Ruthardt:

„Hierdurch müssen wir Ihnen mitteilen, dass Ihr Sohn Erich Ruthardt, geb. am 14.2.1919 zu Stuttgart, am 13. 10.43, mittags 12.30 Uhr, in unserer Anstalt von seinem unheilbaren Leiden durch einen sanften Tod erlöst worden ist.“

Recherche & Text: Dr. Karl-Horst Marquart und Elke Martin.
Initiative Stolpersteine Stuttgart-Ost.
Quellen:
HaStA Hessen, Krankenakte

Lipmann Adele
Adele Lipmann (geb. 6.10.1879) wurde in Offenbach am Main geboren. Von 1928 bis 1932 und dann von 1935 bis 1938 wohnte sie in der Kurhausstraße 31, dem Haus ihres Vaters Abraham Lipmann (gest. 1920). Ihre Geschwister waren Alice (Schicksal unbekannt), Ludwig und Hermann, die bereits als junge Erwachsene an Schwindsucht und Tuberkulose starben. Ihr dritter Bruder Heinrich heiratete Clementine geb. Heymann. Sie bekamen die Töchter Flora und Rosalie. 1911 beging Heinrich Lipmann Selbstmord. Zwei Jahre später zog Clementine mit den 8 und 10 Jahre alten Mädchen nach Hofheim. Ungefähr einen Monat wohnten sie bei dem Schwiegervater Abraham Lipmann bis der Umzug in die Kurhausstraße 22 möglich war. Laut Einwohnermeldekartei war Adele Lipmann bereits von August 1932 bis Juli 1935 in der jüdischen psychiatrischen Anstalt in Sayn (Bendorf), den Jacoby’schen Anstalten, untergebracht. Der Begründer dieser Klinik, Synagogenvorsteher Meyer Jacoby, bot für seine jüdischen Patienten koscheres Essen an und die Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Religion.
Nach dem Wegzug ihrer Verwandten Clementine Lipmann mit den Töchtern Flora und Rosalie im Herbst 1937 in die USA blieb Adele Lipmann noch ein Jahr in Hofheim gemeldet. Am 30. September 1938 erfolgte die Abmeldung zur Heilanstalt Eichberg.
Im Februar 1939 musste Emma Kopp, ehemals Jüdin, die frühere Wohnung von Adele Lipmann in der Kurhausstraße 31 beziehen, nachdem der Main-Taunus-Kreis sie gezwungen hatte, ihre Villa am Deschweg (heute Roedersteinweg) zu verkaufen.
Im Gedenkbuch des Bundesarchives ist das Todesdatum von Adele Lipmann mit dem 5.2.1941, in Hadamar, angegeben.
Quelle: Magistrat der Stadt Hofheim am Taunus

Dökel Heinrich
Geb. 01.08.1879
Gest. 18.11.1941
Wohnort Rehburg, Mardorfer Straße
Heinrich Dökel hatte eine kleine Landwirtschaft, mit der er den Lebensunterhalt für seine große Familie bestritt. Nebenbei war er noch „Produktenhändler“, wie man es damals nannte. Er handelte mit Altmetallen. Und arbeitete auch bei größeren Bauern im Ort.
In den Jahren des Ersten Weltkrieges war er Soldat.
Die Ehe von Heinrich und Sophie Dökel war wohl nicht glücklich. Die Konsequenz für Sophie war, dass sie ihren Mann im Jahr 1926 gemeinsam mit den Kindern verließ. Wohin sie zog, wie es ihr und ihren Kindern ergangen ist – dazu haben wir kaum etwas in Erfahrung bringen können. Was wir wissen ist, dass zwölf Jahre später, 1938, die Scheidung rechtskräftig wurde.
Nun auf sich allein gestellt, ließ Heinrich Dökel Haus und Hof verkommen.
Das ist wohl einigen Rehburgern ein Dorn im Auge gewesen. Allen voran dem Bürgermeister der Stadt, Seppl Günter, der von der NSDAP 1938 eingesetzt worden war. Günter war es vermutlich, der Meldung machte über diesen „Schandfleck“ in der Stadt. In Briefen, die Heinrich Dökel später aus der Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf heraus schrieb, machte er jedenfalls den Bürgermeister für seine Lage verantwortlich. Die Meldung von Günter sollte Konsequenzen für Heinrich Dökel haben – und letztlich bezahlte er das mit seinem Leben.

Als erste Konsequenz bekam Heinrich Dökel am 8. Dezember 1938 in seinem Haus Besuch von Oberarzt Klein, einem Arzt der Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf. Klein erstellte nach dem Gespräch mit ihm ein Gutachten, das er dem zuständigen Amtsarzt in Nienburg zusandte:

Bei Heinrich Dökel könne von einer Geistesstörung gesprochen werden. Das zeigten auch die Verhältnisse an Ort und Stelle. Seine Aufnahme in eine Anstalt sei angebracht. Zur Regelung der Vermögensverhältnisse könne ein Pfleger bestellt werden.

Mehr als ein Jahr später, am 29. April 1940, schrieb der Nienburger Amtsarzt seinerseits ein Gutachten. Dieses Gutachten fußte lediglich darauf, dass er sich Haus und Stallungen vor Ort angesehen hatte und bezog sich ansonsten auf das Gutachten des Wunstorfer Arztes. Der Nienburger Arzt hatte bei seinem Besuch in der Mardorfer Straße Heinrich Dökel nicht angetroffen – dennoch meinte er, eine Diagnose stellen zu können:

Der Diagnose von Oberarzt Klein schließe er sich an, nachdem er die Behausung Dökels besichtigt habe. Er drängte auf eine Entmündigung des Mannes, den er noch niemals zu Gesicht bekommen hatte.

Und so geschah es tatsächlich: Das Amtsgericht Stolzenau entmündigte Heinrich Dökel am 2. September 1940. Als Zeugen sagten aus: Bürgermeister Günter und Polizist Tönsing aus Rehburg.

Rund fünf Monate später, am 11. Februar 1941, wurde Heinrich Dökel in die Landes-, Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf eingewiesen. Nach Aussage von Zeitzeugen wurde sein Bauernhof unmittelbar darauf verkauft und das Haus abgerissen.

In der Psychiatrie in Wunstorf fügte sich Heinrich Dökel aber nicht in sein Schicksal. Vielmehr begann er, Briefe zu schreiben, in denen er gegen seine Einweisung protestierte. Er suchte Mittel und Wege, um wieder zurück nach Rehburg zu kommen. So schrieb er etwa am 15. Juni 1941 an die Rehburgerin Marie Suer:
„Hiermit möchte ich Dir mitteilen, dass ich am 8.5. an den Regierungspräsidenten in Hannover über meine jetzigen Verhältnisse und Zustände geschrieben habe, und hoffe, dass ich bald eine Nachricht erhalte. Ich bitte dich, mit dem Polizisten Heinrich Klod näher in Verbindung zu treten, auch mit Heinrich Busse und Tischlermeister Ernst Meier. Dieselben werden vielleicht etwas Näheres erfahren haben und können in irgendeiner Weise mit helfen für meine Befreiung.“

Ebenfalls mit Datum vom 15. Juni 1941 schrieb Heinrich Dökel an das Provinzial-Landes-Direktorium in Hannover. Er äußerte die Vermutung, dass Bürgermeister Günter für seine Lage verantwortlich sei und bat um Unterstützung für seine Befreiung.

Am 4. Juli 1941 schrieb er einen Brief an die Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Wunstorf. Er zweifelte das Gutachten des Amtsarztes aus Nienburg an und nannte Zeugen aus Rehburg, die über sein geistiges Verhalten aussagen könnten. Das waren der Bauer Heinrich Witte, Bauer Huckemeyer, Forstaufseher Mackensen, Bauer Friedrich Busse sowie der ehemalige Bürgermeister Ernst Meßwarb.

Er sagte weiterhin, dass er im November/Dezember 1940 der behördlichen Anordnung Folge geleistet und allen Unrat von seinem Grundstück in Rehburg beseitigt habe.
Darum verlange er auch seine sofortige Freilassung aus der Anstalt.

Ebenfalls im Juli 1941 schrieb Heinrich Dökel an die Staatsanwaltschaft Verden und erhob Klage gegen den Verkauf seines Hauses und seiner Grundstücke. Er erhob wieder Vorwürfe gegen NSDAP-Bürgermeister Günter – dieser habe aus Rache ihm gegenüber gehandelt. Zur Verteidigung s
ines Rechtes gab er erneut Rehburger Bürger als Zeugen an. Aber alle Eingaben hatten keinen Erfolg. Wenige Tage später kam die Antwort des Regierungspräsidenten: Heinrich Dökels Beschwerde wurde zurückgewiesen, weitere Klagen als unzulässig erklärt.

Am 1. August 1941 wurde Heinrich Dökel von Wunstorf in die Landesheilanstalt Eichberg in Hessen verlegt. Diese Anstalt war einer der Bausteine der „Aktion T4“, mit der die Nazis geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen systematisch ermordeten. Eichberg diente als Zwischenstation auf dem Weg in eine der Tötungsanstalten.

370 der Patienten in der Wunstorfer Anstalt wurden für Transporte in Zwischenanstalten ausgewählt. Der erste dieser Transporte brachte am 27. September 1940 158 Patienten nach Brandenburg. Mit dem letzten der Wunstorfer Transporte wurden am 1. August 1941 76 Patienten nach Eichberg überführt – unter ihnen auch Heinrich Dökel.

Eine letzte lapidare Nachricht gibt es zum Schicksal von Heinrich Dökel, abgeschickt am 18. November 1941 von Eichberg nach Wunstorf:
„Der am 1. August 1879 geborene Heinrich Dökel aus Rehburg ist heute gestorben. Die Beerdigungskosten betragen 30 Reichsmark.“
Quelle: Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum

Wagener Gustav
Gustav Wagener, geb. am 1.10.1924 in Celle, aufgenommen in die Alsterdorfer Anstalten, verlegt in die "Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg", dort ermordet am 31.8.1944
Gustav Wagener war ein uneheliches Kind der Dienstmagd Emilie Maria Wagener. Der Vater Rudolf Sitz stammte aus Moorburg. Einen Tag nach der Geburt Gustavs wurde der Junge in der benachbarten Kreisstadt Celle in einer evangelisch-lutherischen Kirche getauft. Seine ersten Lebensjahre verbrachte er bei seiner Mutter in Harburg. Doch seine Entwicklung verlief anders als erwartet.
Nach einer gründlichen Untersuchung plädierte der zuständige Harburger Amtsarzt im November 1927 für eine Einweisung des Kindes in die damaligen Alsterdorfer Anstalten, die den dreijährigen Jungen ihrerseits als ängstlich und weinerlich beschrieben, aber zugleich feststellten, dass er aufmerksam sei und viel beobachte. Er könne nicht so gut laufen wie andere gleichaltrige Kinder und sich sprachlich nur unzureichend ausdrücken. Er galt als "Fütterkind". Die Diagnose lautete: "Imbezillität" (geistige Behinderung mittleren Grades).
In den folgenden Jahren wurde Gustav Wagener als unruhiges und schwer erziehbares Kind beschrieben. 1930 vermerkte eine Schwester in seiner Krankenakte: "Hat wieder den ganzen Tag die anderen Kinder gequält, ihnen das Spielzeug fortgenommen." Wenig später besagte eine andere Eintragung, dass er eine Schutzjacke tragen müsse, weil er so stark onaniere.
1931 probierte Gerhard Kreyenberg, der leitende Oberarzt der damaligen Alsterdorfer Anstalten, an seinem kleinen Patienten die Anwendung seiner Röntgentiefenbestrahlung aus. Er hatte diese Therapiemethode 1930 in der Hoffnung eingeführt, "Schwachsinn" auf diese Weise "heilen" zu können. Mit Einverständnis seiner Mutter wurde Gustav Wa­geners Schädel vom 24. April 1931 bis zum 26. April 1933 ständig wachsenden Röntgendosen ausgesetzt. Zugleich wurde das Verhalten des Jungen in dieser Zeit penibel registriert und in seiner Krankenakte festgehalten. Eine "Besserung" trat jedoch nicht ein. Die körperlichen Folgen der hohen Strahlenbelastung wurden nicht untersucht. Sie sind zumindest nicht dokumentiert, so dass wir nicht wissen, welche Belastungen der kleine Patient durchlitten hat. Laut seiner Akte blieb er "jähzornig" und zerstörte weiterhin "alles, was ihm in die Hände" fiel.

1940 wurde der sechzehnjährige Junge zum "Hilfsjungen" ausgebildet, zu harten körperlichen Arbeiten herangezogen und in der Außenkolonne mit Wagenschieben beschäftigt. Er soll jedoch meist, wie es in seiner Patientenakte hieß, mit offenem Mund herumgestanden und getan haben, als ob er nichts verstünde. Oft soll er sich unbemerkt "abgesetzt" ha­ben, um sich vor der anstehenden Arbeit "zu drücken".

Im August 1943 gehörte Gustav Wagener zu den 469 Insassen der damaligen Alsterdorfer Anstalten, die auf Initiative von Pastor Friedrich Lensch, dem Direktor des Hauses, in enger Zusammenarbeit mit der Hamburger Gesundheitsbehörde aus Hamburg abtransportiert wurden.

Am 7. August 1943 wurde er zusammen mit 75 anderen Alsterdorfer Kindern und Männern in die "Heil- und Pflegeanstalt Eichberg" in Hessen verlegt. Zehn Wochen später war die "Landesheilanstalt Weilmünster" seine nächste Station.

In dieser Einrichtung lebten die Kranken unter den erbärmlichsten Bedingungen. Die Zahl der Todesfälle lag in den Jahren von 1940 bis 1944 weit über dem bisherigen Durchschnitt. Diese traurige Bilanz war das Ergebnis des ständigen Hungers, unter dem die Patientinnen und Patienten von Anfang an zu leiden hatten, ihrer mangelhaften ärztlichen Versorgung bei Krankheiten und des gezielten Einsatzes tödlicher Medikamente.

Am 31.8.1944 zählte auch Gustav Wagener zu den vielen Toten der "Landesheilanstalt Weilmünster".
Quelle: Klaus Möller
Gedenkbuch der Evangelischen Stiftung Alsterdorf; Archiv der Evangelischen Stiftung Alsterdorf, Krankenakte Gustav Wageners (V121); Wunder u. a., Kein Halten, 2. Auflage.

Heilemann Gerhard Johann Rudolf
geboren am 10.3.1895 in Emden
Gerhard Heilemann wurde am 10.3.1895 als Sohn des Schneidermeisters Wilhelm Joseph Heilemann und seiner Ehefrau Margarethe Henriette in Emden geboren. Nach seiner Volksschulzeit absolvierte er eine 4jährige Lehre als Buchdrucker und arbeitete als Schriftsetzer bei der Firma
Brinkmann & Co, bei der die Wochenzeitung „Volksbote“ gedruckt wurde.
Am 11.11.1922 heiratete er die Hausfrau Lisa Heilemann, geb. Sybrands; zusammen bekamen sie drei Kinder: Wilhelm 1923, Anna Gerhardine 1926 und Poppe 1933. Schon früh trat Gerhard Heilemann in die SPD ein und gehörte dort „zu den in kleinen Kreisen wirkenden Menschen“ (SPD-Auskunft 1955). Er engagierte sich gewerkschaftlich im ADGB (Ortskartell Emden), wo er über Jahre hinweg Schriftführer war. Die gleiche Funktion hatte er auch im Buchdruckerverband. Dadurch entwickelte und festigte sich seine Gegnerschaft zum aufkommenden Faschismus.
Ab März 1933 überschlugen sich die Ereignisse:
Am 1.3. wurde die Geschäftsstelle des „Volksboten“ durchsucht und verschiedene Drucksachen wurden beschlagnahmt. Zwei Tage später wurde der „Volksbote“ zunächst für 14 Tage und am 11.4.1933 endgültig verboten. Die letzte Ausgabe war am 24. Februar 1933 erschienen. Einige Tage später - Hitler war zum Ehrenbürger der Stadt Emden ernannt worden - wurde das Verlagshaus der REZ (Rhein-Ems-Zeitung) besetzt und die
örtliche Presse gleichgeschaltet. Etwa einen Monat später besetzte die SA das Büro der SPD und beschlagnahmte ihr Vermögen. Endgültig verboten wurde die Partei am 22.6.1933. Diese Entwicklung hatte fatale Folgen für Gerhard Heilemann. Mit dem Verbot des „Volksboten“ wurde er am 17.3.1933 schlagartig arbeitslos und sah sich von da an ständiger Beobachtung ausgesetzt. Nach einjähriger Arbeitslosigkeit nahm er schließlich eine Tätigkeit bei der EZ (Emder Zeitung) an, um seine Familie ernähren zu können. Bereits nach 5 Monaten war die psychische Belastung so groß, dass er Suicidgedanken hatte und am 1.10.1934 Hilfe bei seinem Hausarzt suchte. Dieser wies ihn in das Emden Krankenhaus ein. Da die Ärzte eine psychische Erkrankung diagnostizierten, überwiesen sie ihn am 6.10.1934 in die Niedersächsische Landes Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück. Über sechs Jahre hinweg wurde Gerhard Heilemann - nur mit einer dreimonatigen Unterbrechung - in dieser Anstalt verwahrt. Von dort wurde er am 22.4.1941 mit anderen psychisch Erkrankten in einem Sammeltransport in die Landesheil- und Pflegeanstalt Eichberg (Rheingau/Hessen) gebracht, einer Durchgangsanstalt für ca 2200 Menschen, die der sogenannten Aktion T4 zum Opfer fielen.
Dann verliert sich seine Spur. Bekannt ist nur, dass er am 9.6.1941 aus Eichberg „mit unbekanntem Ziel“ entlassen wurde. Erst ein Eintrag im Sterbebuch der Tötungsanstalt Hadamar besagt, dass Gerhard Heilemann am 17.6.1941 angeblich an einem Hirnschlag gestorben sei.
Seine Ehefrau erhielt einen sogenannten „Trostbrief“.
Recherche: Johanna Adickes, Renate Skoruppa
Quelle: Wiedergutmachungsakte Rep 252 Nr. 1969, Staatsarchiv Aurich

Lutz Anna Maria
Anne Maria (Marie) Lutz geboren am 27.05.1902 in Flörsheim am Main, eingeliefert (Aussage eines Angehörigen) auf anraten des Flörsheimer Bürgermeisters „Dr. Stamm“ am 13.09.1944* in die Landes-Heil und Pflegeanstalt Eichberg bei Kiedrich, verlegt vier Wochen später am 13.10.1943* in die Landes-Heilanstalt Weilmünster.
Dort ist sie am 23.02.1944 verstorben, sehr wahrscheinlich wurde sie durch Medikamentengabe ermordet! Die Asche von Marie, wurde im Familiengrab in Flörsheim Main beigesetzt.
Quelle: Kriegschronik-Flörsheim

Kassenbrock Wilhelm
geboren am 29.05.1910 in Krusenkamp, Kreis Iburg

Wilhelm Kassenbrock wurde als sechstes von sieben Kindern des Ehepaares Heinrich Kassenbrock und Julia Kassenbrock geb. Schumacher geboren. Nach Wilhelm wurde noch Adolf geboren, der nur ein Jahr alt wurde. Die Familie Kassenbrock war seit 1914 an der Mellerstraße 199 gemeldet. Der älteste Bruder ging im Juni 1917 mit 18 Jahren zum Militär, als Wilhelm 7 Jahre alt war. Er kehrte Anfang 1919 zurück. Die älteste Schwester Anna ging 1922 in die Niederlande. Kurz darauf folgte ihr die Schwester Sophie, die aber bereits 1924 wieder in die elterliche Wohnung zurückkehrte. Bei der Heirat seines ältesten Bruders Friedrich 1928 war Wilhelm Kassenbrock 18 Jahre alt. Im Häuserbogen ist er ab dem 02. Dezember 1929 unter der elterlichen Adresse gemeldet. Am 13. Juli 1935 wurde Wilhelm Kassenbrock im Alter von 25 Jahren in die Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück aufgenommen. Von dort wurde er am 22. oder 24. April 1941 nach Eichberg deportiert. Er wurde Anfang Juni 1941 in Hadamar in der Gaskammer ermordet. Wilhelm Kassenbrock ist nur 31 Jahre alt geworden.
Recherchiert von Lisa Böhne, Eingabe: Nicole Giannotti
Quelle: Berger, Eva: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Bramsche 1999, Namensliste S. 277ff; Böhne, Lisa: "Osnabrücker Schicksale" - bisher unveröffentlichtes Manuskript, Osnabrück 2011; bestätigt durch: Gedenkstätte Hadamar, Dr. Lilienthal.

Riebel Apollonia
Apollonia und ihr Mann Adam zogen 1914 aus Hammelbach nach Crumstadt. Er arbeitete als Schneidermeister, sie als Pflegerin im Philippshospital. Nach der Geburt der beiden Töchter Annemarie und Kätha wurde 1926 das eigene Haus in der Nibelungenstraße bezogen. Apollonia war mit Familien- und Hausarbeit überlastet und wurde psychisch krank. Stabile Phasen wechselten mit Krankenhausaufenthalten ab, zunächst im Philippshospital, später in der Heil- und Pflegeanstalt Heppenheim. Nachdem Hitler die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ befohlen hatte, wurde Apollonia Riebel im April 1941 von Heppenheim in die Landes-Heil- und Pflegeanstalt Eichberg gebracht und von dort im Mai 1941 nach Hadamar transportiert. Wahrscheinlich wurde sie dort bereits am Ankunftstag mit anderen Patienten in der Gaskammer ermordet. Erst im Juni 1941 wurde der Familie mitgeteilt, dass Apollonia „unerwartet infolge Wanderrose mit anschließender Blutvergiftung verstorben“ sei.