Konzentrationslager Ravensbrück
Deutschland, Bundesland Mecklenburg-Vorpommern, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte
Gebiet
Nemerower Holz
Das ca. 680 ha große Waldgebiet bedeckt fast das gesamte östliche Ufer des Tollense-Sees. Es liegt sowohl auf dem Stadtgebiet von Neubrandenburg als auch im Landkreis Mecklenburg–Strelitz.
Im Frühjahr 1944 beginnen im Nemerower Holz Ausschachtungsarbeiten für eine Zweigstelle der MWN, das sogenannte Lager „Waldbau„. Die Frauen müssen bewacht von SS-Aufseherinnen mit Hunden unter Verwendung einfachsten Geräts immense Erdbewegungen vornehmen, um in metertiefen Erdgruben Produktionshallen und Häftlingsunterkünfte zu errichten. An dieser geheimen Produktionsstelle werden kleinste Bauteile für die V1 hergestellt. Zur vollen Produktionsreife kam es auf dem Gelände nicht mehr.
Auswahl der Häftlinge
Lotte Silbermann, Häftling im Konzentrationslager Ravensbrück und Kellnerin in der SS-Kantine, erinnert sich an zahlreiche Gelage der „feinen Herren“. Schutzhaftlagerführer Bräunig „feierte in dem kleinen Büro mit diversen Aufseherinnen seine Orgien.“ Zu den monatlichen SS-Kameradschaftsabenden, so erzählt sie, „mussten alle Aufseherinnen erscheinen. Wir mussten bedienen und waren oft den größten Widerwärtigkeiten ausgesetzt.“
Schon die Art und Weise der Musterung der für einen Arbeitseinsatz in Frage kommenden Häftlinge verriet, dass der schrankenlose physische Verschleiß der Häftlingsarbeiter sowohl von der SS als auch von den Betrieben eingeplant war. Sie erinnert sich, dass verschiedentlich die Direktoren der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg ins KZ-Stammlager bei Fürstenberg kamen und Arbeitskräfte aussuchten. „Ehe sie an die Arbeit gingen, wurden furchtbare Saufereien veranstaltet.“Danach hatten die Häftlinge stundenlang vor der Krankenbaracke zu stehen, um sich vom Betriebsdirektor Adolf Rintelen und dessen Stellvertreter Troester begutachten zu lassen. Frauen mit grauen Haaren wurden zurückgewiesen
00.07.1944
Im Juli 1944 bezog ein Teil der weiblichen Häftlinge das von ihnen errichtete Waldbaulager. Die Unterkünfte waren nicht weniger primitiv als im Lager an der Ihlenfelder Straße. Die Frauen wohnten in dem Ausweichlager in hölzernen Baracken.
Die Küche und die Waschräume befanden sich in einem aus Stein gebauten Gebäude.
Als WC diente zunächst eine Grube in der Erde. Im Oktober 1944 wurden auch Toiletten gebaut, die aber nachts verschlossen blieben. Im Herbst regnete es in die spärlich geheizten Unterkünfte hinein.
Des öfteren kam es vor, dass die SS diese Unterkünfte kontrollierte, um zum Beispiel nach aus der Fabrik mitgenommenen Metallstücken zu suchen. Die Häftlinge hatten in solchen Fällen vor der Baracke anzutreten. Kehrten sie nach der Durchsuchung in die Unterkunft zurück, so „war der Schlafraum vom Stroh bedeckt, das aus den durchsuchten Säcken herausgerissen worden war. Wir mußten alles wieder in Ordnung bringen und versuchen, trotz allem zu schlafen“, erinnert sich Lucienne Saboulard.
An eine Erholung von der schweren Arbeit war unter solchen Lagerbedingungen nicht zu denken.
Mechanische Werkstätten Neubrandenburg
Curt Heber, während des 1. Weltkrieges gemeinsam mit Heinrich Luebbe, dem Chefkonstrukteur des Flugzeugherstellers Fokker, an der Entwicklung von Maschinengewehren gearbeitet und während dieser Zeit enge Beziehungen zum Militär aufgebaut. Von 1922 bis 1925 geheime Rüstungsforschungen im Ausland, um so die Beschränkungen des Versailler Vertrages zu umgehen. Von der Reichswehr mit der Konstruktion einer verbesserten MG-Steuerung (MG 301) beauftragt. Nach einer kurzen Übergangszeit bei der Rohrbach Metall-Flugzeugbau GmbH gründete Heber im Sommer 1926 in Berlin ein eigenes Ingenieurbüro, das ausschließlich für die Reichswehr arbeitete und vorwiegend mit der Erfindung von Abwurfwaffen befasst war. 1933 Gründung der Werkstätten Berlin. 1934 Aufbau der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg. April 1942 Umzug nach Osterode und Gründung der ‚Heber Maschinen- und Apparatefabrik’ (HEMAF).
Die ursprünglich in Berlin-Britz ansässige Curt (Kurt) Heber AG später Mechanische Werkstätten Neubrandenburg (MWN) stellte seit 1937 unter der neuen Bezeichnung Bombenabwurfgeräte, Lafetten für Bordbewaffnung und andere Zubehörteile für die Luftrüstung her. 1943 soll der Betrieb 6.470 Beschäftigte, davon 2.642 ausländische Zivilisten beschäftigt haben. Ab April 1943 arbeiteten in Neubrandenburg auch KZ-Häftlinge. Von zunächst 200 stieg die Anzahl auf über 6.000 weibliche Häftlinge am Jahreswechsel 1944/45.
Ernährung der Häftlinge
Die Ernährung der Häftlinge der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg und somit auch die des Lagers Waldbau, belegen, das es den Nazis weniger um die Menschen sondern nur um ihre Provitgier ging.
Deutlich werden einerseits die gesundheitlichen Folgen der Mangelernährung und andererseits auch die psychische Belastung der Frauen beim Kampf um Essensrationen.
Ein ehemaliger Koch des Werks kann die Häftlingsberichte über die schlechte Lagerkost nur bestätigen. Er hatte aber wohl nur geringen Spielraum auf die Portionierung.
Immerhin habe er die Anweisung nicht ausgeführt, den Häftlingen in den letzten Kriegswochen Kartoffeln nur ungeschält zu geben. Ein Hauptnahrungsmittel war in Neubrandenburg ähnlich wie in den anderen KZ-Außenlagern eine dünne und fade Suppe aus Kartoffelschalen, Weißkohlblättern oder Rüben, in der oftmals Würmer schwammen. Die Suppe wirkte zudem harntreibend, so dass die Frauen in der kurzen Schlafpause von häufig nur fünf Stunden keine Ruhe fanden. Eine Italienerin erinnert sich dankbar daran, dass ein Mithäftling ihr eine Knoblauchzehe schenkte. „Diese Knoblauchzehe, sorgsam gehütet und sparsam verteilt machte die Suppe für einige Tage appetitlicher, die ich schon nicht mehr essen wollte.“ Auch einige deutsche Arbeiter sollen Häftlingen heimlich Salz zugesteckt haben.
An der Ruhr erkrankte Häftlinge mussten auf die Kohlsuppe verzichten. Dies traf die ausgezehrten Gefangenen besonders hart, da Suppe und Brot die einzigen Nahrungsmittel waren, die sie während der Schicht erhielten.
Erschütternde Szenen spielten sich regelmäßig bei der Suppenverteilung ab. Wenn die SS auf dem Appellplatz die Suppe austeilte, bildete sich eine Schlange von über 2000 Frauen mit ihrem Kochgeschirr in der Hand. Im Laufschritt hatte man die Suppenration in Empfang zu nehmen, ohne etwas davon zu verschütten. „Diejenigen, die sehr langsam sind oder ungeschickt, müssen auf ihr Essen verzichten. Nicht essen, das ist ein Schritt zum Tod“, erinnert sich die Französin Odile Roger. Die Gefangenen drängelten und schlugen sich sogar um die Suppe. Die Französin „habe Frauen weinen sehen, weil in dem Gedränge ein Löffel voll mit kostbarer Flüssigkeit heruntergefallen ist.“
Ursprünglich hatte jeder Neubrandenburger Häftling eine Tasse und eine Schüssel aus Keramik bekommen. Als die Zahl der Inhaftierten zunahm, wurden Blechgefäße verwendet. Waren den Häftlingen ihre Essschüsseln abhanden gekommen, so konnten die Frauen keine warme Mahlzeit erhalten. Es kam aber vor, dass diese Schüsseln von Kameradinnen gestohlen wurden.
Micheline Maurel schreibt:
„Ist einem dies zwei-, dreimal passiert, dann wird man auf seine Eßschüssel wie ein Schießhund aufpassen. Man wird nie wieder allein auf die Latrine gehen, sondern immer nur mit einer zuverlässigen Kameradin, die die Eßschüssel halten wird.“
Die Frauen trugen das unentbehrliche Geschirr immer bei sich, banden sich die Schüssel mit einem Bindfaden um die Hüfte oder bewahrten ihre wenigen Habseligkeiten in einem selbstgenähten Stoffsack auf, den sie am Gürtel befestigten.
Angesichts der sich verschlechternden Ernährungslage in Neubrandenburg, war es für die einzelnen Häftlinge umso entscheidender, ob sie von ihrer Familie Pakete erhalten konnten. In der ersten Zeit seines Bestehens durften überhaupt keine Pakete ins Lager geschickt werden. Als Scheinbegründung wurde den Häftlingsangehörigen gegenüber behauptet, die Gefangenen könnten sich im Lager alles kaufen.
Diese Bestimmung wurde gelockert, nachdem die Lebensmittelversorgung des Lagers schwieriger geworden war. Im Dezember 1944 bedankte sich zum Beispiel eine französische Gefangene für ein Paket. Das getrocknete Obst habe ihr gut geschmeckt.
Die privilegierten Häftlinge, die Pakete empfangen durften, bezeichnete man als „Paketfrauen“. Sie konnten mit den ihnen geschickten Lebensmitteln auch Funktionshäftlinge bestechen, um sich so Hafterleichterungen zu verschaffen. Neben den Paketempfängerinnen, Stuben- und Blockältesten sowie Kolonnenführerinnen sollen die in der Küche beschäftigten Häftlinge am besten ernährt gewesen sein.
Die SS, die diese Lagerhierarchie eingerichtet hatte, förderte damit bewusst die Konkurrenz der Häftlinge ums Überleben.
Hygiene
Im Frauenlager der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg teilten sich einige hundert Häftlinge vier oder fünf Brausen. Beim Duschen war Eile geboten, denn das Wasser wurde bald wieder abgestellt. In einem Bericht heißt es: „Das Gedränge und Gestoße war schrecklich. Dabei mußte man sich waschen und sich gleichzeitig durch Faustschläge an seinem Platz halten Auf dem nassen Boden glitt man leicht aus. Fiel eine hin, wurde sie sofort von den anderen mit Füßen getreten. Wenn die Duschen nicht funktionierten, mußte man sich mit dem eiskalten Wasser aus den Hähnen behelfen.
Medizienische Versorgung
Irma Thälmann, Tochter des im KZ Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden und selbst politscher Häftling im Außenlager Neubrandenburg, berichtet, dass ihr eine sowjetische Häftlingsärztin und eine Schwester im Revier des Waldbaulagers sehr geholfen hätten.
In dieser Krankenstation gab es „nicht einmal ein Bett, keine Medikamente, außer Aspirin, kein Stethoskop.“
Eine ehemalige Lagerinsassin schreibt: In der Krankenbaracke des Lagers lagen in den letzten Kriegsmonaten 400 bis 500 Frauen, darunter viele Schwerkranke und Sieche. Zwei Kranke hatten sich eine Pritsche zu teilen. Es gab weder fließendes Wasser noch eine Toilette. Auch hier bemühte sich eine russische Häftlingsärztin um die Patientinnen. Allerdings konnte sie ohne Arzneimittel für die lungenkranken Frauen wenig ausrichten. Im Zahnbehandlungsraum befand sich zwar ein Bohrer mit Pedalantrieb. Eine dort eingesetzte polnische Gefangene verstand jedoch nicht, die Apparatur zu bedienen.
Die größte Gefahr drohte den bettlägerig Kranken, wenn die Oberaufseherin das Krankenzimmer betrat. Einer Französin drohte sie, man werde die Kranke ins Lager Lublin „zum Krepieren“ schicken. Die französische Häftlingsfrau begriff erst später, was es bedeutete, als die Aufseherin Tbc-kranke Russinnen für den Transport in ein so genanntes Ruhelager auswählte. Tatsächlich wurden die nicht mehr arbeitsfähigen Häftlinge zur Vernichtung ins KZ-Stammlager in Fürstenberg gebracht. Zwischen Oktober 1943 und Dezember 1944 sollen zwei SS-Kommandoführerinnen mindestens einmal monatlich je 15 Häftlinge zur Überstellung in das Stammlager ausgesucht haben. Die Direktoren der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg, Rintelen und Troester, beteiligten sich selbst an der Auswahl der Todeskandidaten.
Religieon
Kraft zog ein Teil der Häftlinge auch aus der Religion. Eine jugoslawische Gefangene hat aus dem Lehm des Bodens auf dem Gelände des Waldbaulagers eine Christus-Plastik geformt, die in der Osternacht 1945 an der Wand des Speisesaals von Häftlingen angebracht wurde. Der Raum war durch Fackeln aus maschinenöldurchtränkten Lumpen beleuchtet worden, schreibt Lucienne Saboulard. „Die gläubigen und nicht gläubigen Frauen kniend oder stehend, hörten die russischen und polnischen Kirchenlieder, aber auch Mozart und Beethoven.“ Die SS-Leute hätten diese Osterfeier entdeckt, sich aber im Hintergrund gehalten und nicht dagegen eingegriffen.
Folter und Mißhandlungen
Eine sowjetische Gefangene des Außenlagers schildert folgendermaßen den SS-Terror: „Prügel und Massenmord an den Frauen durch die Aufseherinnen waren alltägliche Erscheinungen. Sie schlugen für einen frechen Blick, für eine Minute Zuspätkommen zum Appell, sie prügelten die, die versuchten, eine Mohrrübe oder einen Kohlrabi mit ins Lager zu bringen. Sie prügelten im Lager und bei der Arbeit. Der Unterschied war nur, daß sie uns im Lager öffentlich schlugen, aber im Betrieb auf der Toilette geprügelt wurde, damit die Zivilarbeiter es nicht sahen.“
im Waldbaulager schlugen die Ausseherinnen die Häftlinge für die geringsten Vergehen und befahlen diesen häufig, „stundenlang mit Ziegeln in den ausgestreckten Händen stehen zu bleiben“. Aus Sicht der Einsatzbetriebe, die ihren Lieferverpflichtungen gegenüber der Wehrmacht nachzukommen hatten, erschienen diese Strafen zum Teil als dysfunktional. Ein ehemaliger Oberingenieur der Mechanischen Werkstätten berichtet, er habe eine Aufseherin aufgefordert, einem weiblichen Häftling der sieben Ziegelsteine von den Händen herunterzunehmen „und die Frau zur Arbeit freizugeben, da die Häftlinge von den MWN nicht zum Steinetragen ausgebildet seien“. Nach der Aussage einer Tschechin soll allerdings auch der Oberingenieur die Frauen geschlagen bzw. zur Bestrafung den Aufseherinnen gemeldet haben.
Meistens waren die Gefangenen der Gewalt der Aufseherinnen hilflos ausgeliefert. Als ein deutscher Arbeiter der Mechanischen Werkstätten den Alarm auslöste, nachdem er sah, wie eine Gefangene blutig geschlagen wurde, weil sie sich eine Falte ins Kleid genäht hatte, frug man ihn, ob er auch ins KZ wolle.
Auch Irma Thälmann wurde von einer Aufseherin im Waldbaulager fast bewusstlos geschlagen und sechs Wochen lang im so genannten Bunker in Einzelhaft genommen.
Flucht
Ein Deutscher, der als Bauarbeiter im Waldbaulager tätig war, weiß von einem nächtlichen Ausbruchversuch.
Die Häftlinge hätten die Äste der nahe am Zaun stehenden Bäume genutzt, um die Umzäunung zu überwinden. Dieser Fluchtversuch sei jedoch misslungen. Zwei andere geflüchtete Häftlinge habe man nach zwei Tagen wieder fassen können.
Wachpersonal
SS-Aufseherin
Göritz Ilse geb. Hermann
* 12.03.1922 Ramsin
Sie gab im Rostocker Ravensbrück-Prozess zu, zusammen mit einer polnischen Gefangenen Spitzeltätigkeiten im Lager Waldbau geleistet zu haben. Sie konnte sich an sieben bis neun Häftlinge erinnern, die auf Grund ihrer Denunziation durch die Gestapo vernommen und dann nach Ravensbrück überstellt wurden. Der für die politische Überwachung der Ravensbrücker Häftlinge zuständige Gestapo-Kriminalsekretär Daniel Ramdor habe ihr gegenüber diese dem Tod geweihten Häftlinge als „Futter für Bergen-Belsen“ bezeichnet.
Am 25. Juli 1966 wird im Rostocker Bezirksgericht der Prozess gegen Ulla Jürß, Frida Wötzel und Ilse Göritz eröffnet. Ihnen wird vorgeworfen, sich an Massentötungen in der Gaskammer des Konzentrationslagers Ravensbrück, an Misshandlungen von Häftlingen und Selektionen in den Außenlagern Barth und Neubrandenburg beteiligt zu haben. In der Begründung stützt sich das Gericht vor allem auf die Jahre 1943 und 1944. Als politische Zielsetzung legt die Staatssicherheit fest: "Mit der Durchführung des Strafverfahrens soll nachgewiesen werden, dass die DDR gemäß des Gesetzes über die Nichtverjährung von Nazi- und Kriegsverbrechen derartige Straftaten aufklärt und verfolgt ... Die Zielsetzung des Prozesses besteht auch darin, nachzuweisen, dass bereits mit Beginn des Jahres 1943 im größten Frauenkonzentrationslager in Deutschland ... durch die faschistischen SS-Frauen Mädchen und Kinder massenweise in den dafür errichteten Gaskammern vernichtet wurden. Daraus ergibt sich, dass das KZ Ravensbrück seit etwa 1942/43 ein Vernichtungslager war."
Fakt ist allerdings, und das ist auch schon damals bekannt, dass in Ravensbrück erst Ende 1944 eine Gaskammer gebaut wurde. Bei der Aufführung der Beweismittel ist unter anderem zu lesen: "Alle Beschuldigten sind in vollem Umfang geständig. Tatzeugen für deren Teilnahme an den Massenmorden konnten nicht erbracht werden."
Das Gericht verurteilt Ulla Jürß, Frida Wötzel und Ilse Göritz am 8. August 1966 zu lebenslangem Zuchthaus. Sie werden in die Strafvollzugsanstalt im sächsischen Hoheneck überstellt. Die Öffentlichkeit erfährt damals nichts, weder vom Prozess noch vom Urteil.
Nichts weiss ich heut
Nichts weiss ich heut. Ich weiss nicht, wo Ihr jetzt gerade seid,
Noch weiss ich, welcher Himmel über Euch sich neigt,
Doch klingt das Rauschen meiner Bäume wie ein Stöhnen
Und immer hab ich Blut vor Augen, Euren Weg befleckend.
Nachts kommen Träume -trügerische Wahngebilde,
Von denen morgens nur des Schreckens Bürde bleibt.
In ihrer ganzen Schwere ist Eure Idee auf mich gefallen -so
Als hätte jemand mir Eure Herzen in die Brust gelegt.
Noch weiss ich nichts, nur eines fühl ich immer stärker,
Dass mich die Unruh Eurer Tage voll ergriffen hat
Dass selber irrlichternd im Nebel ich Gedanken spinne,
Und kann Euch doch nicht hören im Geheule der Maschinen.
Ich weiss nicht... geht Ihr durch zerstörte Straßen,
den »Nowy Swiat«* oder die »Hoza« *, im Qualm, geschwächt von Wunden
Vielleicht, dass auch nur Vögel über Eurem Kopfe schreien,
Im Felde irgendwo, welches das Feuer gleichsam umgepflügt.
Nichts weiss ich. Und immer hör ich hier im Baumesrauschen
Jemanden jammern, leise schluchzen, weinen wie ein Kind.
Doch werd ich hier nicht mehr erfahren, ob Ihr noch lebt
und wessen Kugel Euch jetzt jagt - die russische oder die deutsche?
(Ravensbrück - Außenlager Waldbau September 1944)
geschrieben nach der ersten Nachricht vom Warschauer Aufstand
27.04.1945
Evakuierung KZ-Außenstelle Waldbau
Bericht der Französin Lucienne Saboulard
Es war ein Tag, der begann wie all die anderen in der Erwartung, der Hoffnung und in der Angst. Erwartung und Hoffnung, weil man noch immer von einer Evakuierung unter der Obhut des Roten Kreuzes sprach. Angst, weil man von unserer ganz einfachen Beseitigung sprach. Der Morgenappell war normal, eine Kolonne von Russinnen ging los, um Schützengräben auszuheben. Der Tag kündigte sich strahlend an. Der Wald grünte, das Morgenrot am klaren Himmel... Mit Ausnahme der Außenkolonnen und einigen Frauen, die bestimmte Aufgaben hatten, war in den Fabrikräumen nichts zu tun - der 'Waldbau' war nichts mehr als ein Lager von Siechenden in einer Art Lethargie, während das dumpfe Grollen der Kämpfe immer näher kam. Zu Mittag - die Verteilung der Suppe brachte wieder etwas Leben in das Lager - um 14 Uhr etwa ging ich los, um der warmen und stinkenden Atmosphäre zu entfliehen. Es war die Zeit für einen Arbeitsappell der Außenkolonne, die in Reih und Glied auf ein Signal wartete, das zu meiner Überraschung nicht ertönte. Es herrschte bedrückte Stimmung. Umsonst ging ich zum Waschraum auf der Suche nach ein bisschen Wasser. Ich ging in die Baracke zurück. 16.30 Uhr ging ich wieder hinaus. Die Kolonnen arbeiteten nicht.
Es gab eine Abendsuppe. Als wir gerade am Suppenkessel ankamen, erschien vor Aufregung heulend eine Polin in der Baracke: 'Wir verlassen das Lager, man soll alles liegenlassen!' Ein Freudenschrei ertönte. Die Frauen umarmten sich, ließen ihre Suppe stehen und stürmten nach draußem. Die SS ließ uns in Fünferreihen vor den Baracken antreten. Wir standen in der Nähe der Küche. Die Russinnen nutzten das, was noch essbar war, zu verwerten. Durch die Fenster verteilten sie ihre magere Beute an die Schwächsten. Block für Block passierten die Gruppen den Lagereingang und gingen in Richtung Wald. Unsere Gruppe setzte sich in Marsch. Zum letzten Male betrachtete ich diesen verfluchten und doch beeindruckenden Ort, den ich hasste, und trotzdem verließ ich ihn mit Herzbeklemmen. Ich sah monatelang Frauen, die unter höllischen Bedingungen um ihre Würde kämpften. Es waren Frauen, deren Leben in den Augen anderer schon verloschen waren. Frauen, die ihren Körper beherrschten, ihre Gefühle, ihren Willen und ihre Intelligenz auf einem sehr hohen Niveau des menschlichen Bewusstseins. Vielleicht blieben im Block 2 noch die Stücke von diesem Christus, den Dana, eine jugoslawische Bildhauerin, geformt hatte.
Evakuierung der KZ-Außenstelle in der Ihlenfelder Straße
Bericht der Polin Irena Szydlowska
"Am 27. April 1945: Wir saßen in der Aprilsonne. Plötzlich wurde zum Appell gerufen, die Kolonnen kamen ins Lager, die Blockältesten riefen uns zu, die Sachen zu packen und Proviant empfangen, fertig machen zur Evakuierung! Also, es war soweit. Welch eine Unruhe, was für ein Durcheinander! Wir besprachen uns, wer mit wem geht. Die Jugoslawinnen wollen auf die Rote Armee warten. Wir bemühen uns auch, solange es geht, passiven Widerstand zu leisten. Aber die anderen waren dazu nicht bereit. Einige stürmten das Verpflegungslager. Die Aufseherinnen und die Wachmannschaften trieben uns mit Gewalt zum Tor, es gibt Schläge und Fußtritte. So wurde unser Widerstand gebrochen. Nur die Kranken blieben im Revier und jene, die sich verstecken konnten... Das letzte Mal laufen wir den Weg zur Fabrik, aber es ging weiter durch unbekannte Straßen Neubrandenburgs, einige Fenster öffnen sich. Dann marschieren wir auf einer Landstraße in Richtung Westen. Dunkelheit bricht herein, weiter geht es im Schneckentempo und im Regen... Wir wollen gar nicht so weit weg von der Front."
Aussage von Überlebenden:
Wir hatten uns am Abend des 27. April nach der Austeilung einer Suppe zum Abmarsch aufzustellen. Dann zogen wir in Fünferreihen mit unbekanntem Ziel in den Wald.
Eine Neubrandenburgerin sah, wie die barfuß oder mit Holzpantinen bekleideten Häftlingsfrauen begleitet von SS-Aufseherinnen und deren Hunden durch das Treptower Tür geführt wurden. Angeblich sollen bereits hier einige KZ-Häftlinge von ihren Bewachern erschossen worden sein. Die Häftlinge wurden zunächst auf der Landstraße bis Penzlin getrieben. Unterwegs warfen ihnen russische Kriegsgefangene Nahrungsmittel zu. Aber auch Penzliner gaben den Häftlingen verschüchtert Brot. Als die Gefangenen und ihre Bewacher immer deutlicher Geschützdonner vernahmen, breitete sich Panik aus. Unbeirrt vom Brüllen der SS-Leute flüchteten viele Häftlinge auf Seitenwegen. Andere geflüchtete Häftlinge suchten Wohnungen in Penzlin und Umgebung auf und verlangten Essen und Kleidung.
Die SS sann zunächst darauf, ihr eigenes Leben zu retten, und kümmerte sich scheinbar nicht mehr um die Gefangenen. Eine Schubkarre mit Spaten, mit denen man auf dem Marsch anfallende Tote verscharren wollte, hatte die SS bereits unterwegs stehen lassen.
Vier Französinnen suchten sich einen Schlafplatz auf einem Heuboden. Am nächsten Tag wurden die zu Skeletten abgemagerten Frauen von Soldaten, möglicherweise auch von Angehörigen des Volkssturms, entdeckt. Die Männer gaben ihnen Fleisch und Suppe sowie den Rat, sich vor der Feldgendarmerie zu verbergen. Die Militärpolizisten hätten bereits viele geflohene KZ-Häftlinge erschossen.
Micheline Maurel (Häftlings Nu 22.410) schreibt: „In der Tat sah man auf der Straße viele Leichen in gestreiften Kleidern und in solchen mit Kreuzen. Ohne hinzusehen, gingen wir an ihnen vorüber.“
In Waren fanden die Französinnen in einem unverschlossenen Wohnhaus Kleidungsstücke, wurden aber dabei von einem Feldgendarm gestellt. Allein das Anrücken der russischen Truppen war ihre Rettung. Eine der Französinnen sollte allerdings bereits bei ihrer ersten Begegnung mit den „Befreiern“ zum Opfer einer Vergewaltigung werden.
Die Zahl der Opfer des Todesmarsches aus Neubrandenburg wird auf etwa 700 geschätzt.
29.04.1945
Bericht der Russin Nora Smirnowa
"Am Morgen des 29. April erschien auf dem Weg, der von der Stadt zum Lager führte, ein Panzer. Mit Freude erblickten wir am Turm den roten Stern. Die Panzerfahrer brachten die Maschine zum Stehen, sahen aus der Luke: 'Sind die Deutschen hier weit weg?' 'Im Dorf 12 km weiter', antworteten die Mädchen. Es zeigte sich, dass einige von ihnen, die Fahrräder aufgetrieben hatten, furchtlos die Gegend abgefahren waren. Die Panzersoldaten fuhren den Panzer an den Rand des Weges, tarnten ihn mit Zweigen. Die Mädchen umringten die Soldaten, führten sie in das Lager, umarmten und küssten sie und weinten vor Freude. Über dem Lagertor entfaltete sich eine rote Fahne."
Aussage von Überlebenden:
Das Waldbaulager war bereits vollständig verlassen. Der Oberingenieur Kuhfeld fand nur noch einige persönliche Abschiedsgrüße weiblicher Häftlinge auf einer Wandtafel.
Einige Belegschaftsangehörige waren bei den Häftlingen aber um so verhasster. Nach der Befreiung konnte man die Frauen auch Arbeiter der Mechanischen Werkstätten auf der Straße verprügeln sehen.
Ein ehemaliger Arbeiter der Mechanischen Werkstätten Neubrandenburg berichtet über mehrere tödliche Racheakte von befreiten Häftlingen an Beschäftigten des Rüstungsbetriebs.
Zwei Meister des Werks im Waldbaulager und mit ihnen etwa 300 weitere Einwohner Neubrandenburgs nahmen sich aus Furcht oder Perspektivlosigkeit in den letzten Kriegstagen das Leben. Offenbar für den massenhaften Suizid der deutschen Bevölkerung hatten die nationalsozialistischen Machthaber Zyankaliampullen im Luftschutzbunker der Rinker-Werke eingelagert.
Die ehemaligen Häftlinge des KZ-Außenlagers wurden zunächst ärztlich betreut. Ein Teil der weiblichen Häftlinge erhielt von der Besatzungsmacht Quartiere in Häusern am Prenzlauer Platz zugewiesen. Wohl der größere Teil der Ex-Häftlinge wartete noch einige Zeit im Ausländerlager Panzerkasernen auf die Repatriierung.
Auch sowjetische Ex-Häftlinge, die bis in die Gegend von Wismar geflüchtet waren, kehrten aus dem von der britischen Armee besetzten Gebiet nach Neubrandenburg zurück. Im Auffanglager organisierten sich die Ex-Häftlinge, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeiter in nationalen Gruppen.
Erna Muserjewa schreibt, in der jugoslawischen Gruppe hätten sie ein „freies und neues Leben“ „wie in einem selbständigen Staat“ begonnen. Sie erwähnt aber zugleich, dass die Gruppe militärisch organisiert und von einem jugoslawischen Berufsoffizier geleitet wurde.
Die Russin Nora Smirnowa berichtet, dass sie mit einer Gruppe von Polinnen Neubrandenburg zu Fuß verlassen habe. Nach acht Tagen habe man die Oder erreicht. Am 21. Mai sah die als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppte und später mit KZ-Haft bestrafte Russin ihre Heimatstadt Moskau wieder. Fast drei Monate später, am 11. August 1945, traten 684 befreite slowenische Häftlinge und Kriegsgefangene in zwei Güterzügen die Heimreise an. Die Waggons hatten die Männer und Frauen mit Tito-, Lenin- und Stalin-Porträts und jugoslawischen sowie russischen Parolen geschmückt. Die Freude über die wiedergewonnene Freiheit sollte aber schon bald durch eine Enttäuschung getrübt werden. Nur eine einsame Frau in Partisanenuniform habe bei ihrer Ankunft auf dem Heimatbahnhof gestanden und nicht die erhoffte große Anzahl von Landsleuten. Eine würdige Anerkennung für ihre Opfer in deutschen Arbeits-, Straf- oder Kriegsgefangenenlagern wurde den Heimkehrern
zunächst versagt.
Nach 1945
Aussage der Weissrussin Janina Mekeko, die zusammen mit ihrer Mutter im Neubrandenburger Waldbaulager hatte arbeiten müssen. Über die Rückkehr in ihr von deutschen Truppen zerstörtes Dorf schreibt sie: „Leben war nirgends möglich. Wir lebten wie Vieh. Zu essen gab es nirgends etwas, wir aßen Gras. Auf der Arbeit nahmen sie uns nicht, weil wir in Deutschland waren.
In ihrer alten oder neuen Heimat wurden die ehemaligen Zwangsarbeiter und Häftlinge unterschiedlich gut sozial integriert. Integrationsprobleme dürfte es auch für die „Displaced Persons“, seit 1951 „Heimatlose Ausländer“ genannt, gegeben haben, die in den westlichen Besatzungszonen bzw. in der Bundesrepublik Deutschland geblieben waren und als „Deklassierungsopfer“ bezeichnet werden können.
Namensliste von Opfer
Bulinova Anna geb. Vesela * 19.07.1909 Unhost Wohnort: Lidice 1945 befreit |
dep. 10.06.1942 Lidice – Kladno (Turnhalle des Gymnasium) überstellt: 13.06.1942 Kladno - Konzentrationslager Ravensbrück (Häftlings-Nu 11708 Block 8) überstellt: Konzentrationslager Ravensbrück - Konzentrationslager Ravensbrück (Aussenlager Waldbau) |
Koberova Blazena * 25.05.1904 Kladno (Ortsteil Rozdelov) Wohnort: Lidice 1945 befreit |
dep. 10.06.1942 Lidice – Kladno (Turnhalle des Gymnasium) überstellt: 13.06.1942 Kladno - Konzentrationslager Ravensbrück (Häftlings Nu 11754 Block 8) überstellt: Konzentrationslager Ravensbrück - Konzentrationslager Ravensbrück (Aussenlager Waldbau) |
Petrakova Ruzena geb. Dolezalova * 29.04.1906 Lidice Wohnort: Lidice 1945 befreit |
dep. 10.06.1942 Lidice – Kladno (Turnhalle des Gymnasium) überstellt: 13.06.1942 Kladno - Konzentrationslager Ravensbrück (Häftlings-Nu 11831) überstellt: Konzentrationslager Ravensbrück - Konzentrationslager Ravensbrück (Aussenlager Waldbau) |