jüdisches Frauenlager (Saphir)
Bezeichnung: Saphir
Gebiet
Hessen, Regierungsbezirk Kassel, Landkreis Kassel, Gemeinde Naumburg, Stadtteil Elben
Eröffnung
September 1944
Schließung
31. März (Karsamstag) 1945 Befreiung durch Einheiten der 9. US Pz. Div. des 5.Korps der 1.US-Armee
Opfergruppe
Juden und Mischlinge
Geschlecht
Frauen
Zahl der Opfer
Die Täter
Rechtsgrundlage
Bemerkungen:
In der sogenannten Mischlingsaktion vom 19.09.1944 wurden Männer, Frauen und Kinder, sämtlich Mischlinge 1. Grades aus den sogenannten privilegierten Mischehen in Ostwestfalen, von der Gestapo verhaftet, getrennt deportiert und in verschiedene Zwangsarbeitslager der Organisation Todt eingeliefert
Ortsgeschichte
Der Hardtkopf ist ein stark bewaldeter Berg von 363,8 m Höhe in der Gemeinde Elbenberg im nordhessischen Landkreis Kassel. Der Berg ist Teil des Habichtswalds und liegt im Naturpark Habichtswald. Am Nordhang des Bergs liegt das Schloss Elberberg, im ehemals Elberberg genannten Oberdorf der 1967 durch Zusammenschluss mit dem benachbarten Elben geschaffenen Gemeinde Elbenberg. Der Berg erstreckt sich von Elbenberg in südsüdöstlicher Richtung, entlang dem linken (östlichen) Ufer der Elbe.
Im Jahre 1852 ließen die örtlichen Grundherren und Besitzer des Schlosses Elberberg, die Herren von Buttlar, die an der Elbe gelegene Hardtmühle von einer Sägemühle in eine Brauerei umbauen. Um das Bier sicher und kühl zu lagern, ließen sie in der Nähe, am Bachufer der Elbe, einen Felsenkeller in den Westhang des Hardtkopfs sprengen. Das vorgelagerte Portal mit Plattform und Balustrade und eine in der Nähe angelegte Kegelbahn waren Ort vieler Feste und Feiern der Familie von Buttlar und der Dorfbevölkerung.
Im heutigen Naumburger Stadtteil Elben befanden sich während des Krieges drei Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitslager. Eines von ihnen war das von der Organisation Todt eingerichtete Lager für überwiegend jüdische Frauen so genannter Mischehen aus Ostwestfalen.
Zur Ortsgeschichte sei bemerkt, dass der Naumburger Stadtteil heute etwa 1400 überwiegend evangelische Einwohner zählt. Während die Kernstadt Naumburg bis zum Reichsdeputationshauptschluß in 1803 jahrhundertelang zum Erzbistum Mainz gehörte und die Bevölkerung deshalb noch heute dort stark katholisch geprägt ist, gehörten die im Umland liegenden Orte zur Landgrafschaft, später zum Kurfürstentum Hessen.
Im 17. bis 19. Jh. gab es nur einen geringen jüdischen Bevölkerungsanteil in Elben. Diese jüdischen Familien gehörten zur Synagogengemeinde Naumburg, wo zentrale Einrichtungen wie Synagoge, Judenschule und Friedhof vorhanden waren. Heute erinnert hieran in Elben nur noch der allmählich in Vergessenheit geratende Flurname Judenweg, der inzwischen durch Jahnstraße ersetzt worden ist. Die Bevölkerungsmehrheit in Elben und Elberberg war seit der Reformation ganz überwiegend evangelisch, sie war bis in unser Jahrhundert hinein in Elben stark bäuerlich geprägt, während in Elberberg eher Handwerker und Nebenerwerbslandwirte wohnten. Dazu kamen seit dem Ende des 19. Jh. zahlreiche Arbeiterfamilien, die ihren Lebensunterhalt in der etwa 30 km entfernten nordhessischen Metropole Kassel bestritten.
Die Wahlergebnisse gegen Ende der Weimarer Republik zeigen in diesem traditionellen Milieu eine deutliche Polarisierung der Bevölkerung in Anhänger der Nationalsozialisten und der Arbeiterparteien. Während der Weimarer Republik blieb die SPD von 1919 bis 1930 stärkste Partei bei den Reichswahlen, veränderte sich ab 1928 das Wahlverhalten. Bäuerliche Kreise wählten zunehmend berufsständisch, und die im Mai 1924 erstmals kandidierende NSDAP war 1930 in Elben bereits viertstärkste und in Elberberg zweitstärkste Partei. Die absolute Mehrheit errang sie dann ab April 1932 in beiden Orten. Hierbei spielte für die Wahlerfolge der Nationalsozialisten im südlichen Teil des Landkreises Wolfhagen eine besondere Rolle, dass während der sogenannten Kampfzeit eine Reihe örtlicher Persönlichkeiten unter der Führung von Männern aus Elberberg und Heimarshausen sowie des Kreisleiters der Partei aus dem benachbarten Merxhausen die NSDAP organisierten und in 1930 bereits eine Ortsgruppe gründeten. Schon vor der Machtergreifung gab es in Elben neben der Ortsgruppe eine Organisation der Hitlerjugend, und der SA-Sturm 88 später Sturmbann III/83 (RW/Gießen 07.05.1934 Oberhessen (1935: Ostubaf. August Jakober, 1944 Ostubaf. Edmund Frosch) hatte unter der Führung eines Elberberger Einwohners zahlreiche Männer aus Elben und Elberberg in seinen Reihen.
Unmittelbar nach der Machtergreifung wurden die SPD sowie der Arbeitersportverein aufgelöst und die politischen Gegner der Nationalsozialisten eingeschüchtert und mundtot gemacht. Die große Mehrheit der Bevölkerung identifizierte sich mit ihnen oder verhielt sich passiv, es gab aber auch Opfer unter den politischen Gegnern der Nationalsozialisten in den beiden Dörfern. Dies lässt sich fortsetzen bis zum Kriegsbeginn, als man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass bevorzugt ehemalige Sozialdemokraten zum Wehrdienst eingezogen wurden.
Die Daheimgebliebenen mussten während der Kriegsjahre die Arbeit der zum Wehrdienst eingezogenen Soldaten übernehmen. Zwangsarbeiter und Gefangene prägten nun vielfach das Dorfbild.
Schon nach dem Polenfeldzug 1939 waren kurzzeitig Polinnen und Polen zwangsweise als Landarbeiter in den Ort gebracht worden.
Das jüdische Frauenlager (Saphir)
Traurige Bekanntheit erlangte Elben aber erst mit der Errichtung eines dritten Lagers und das unterschied den Ort von den Nachbargemeinden, in denen es ebenfalls Lager gab. In der sogenannten Mischlingsaktion vom 19.09.1944 wurden Männer, Frauen und Kinder, sämtlich Mischlinge 1. Grades aus den sogenannten privilegierten Mischehen in Ostwestfalen, von der Gestapo verhaftet, getrennt deportiert und in verschiedene Zwangsarbeitslager der Organisation Todt eingeliefert.
Die Männer kamen überwiegend nach Zeitz in Thüringen, die Frauen insbesondere aus den Bezirken Bielefeld und Münster kamen nach Elben und die aus dem Dortmunder Bereich nach Kassel-Bettenhausen. Der Transport erfolgte mit der Bahn über Bielefeld nach Kassel, von dort wurden sie mit Fuhrwerken nach Elben gebracht. Die Trennung zwischen Männern und Frauen wurde jedoch anscheinend nicht allzu systematisch vollzogen. So ist zumindest in einem Fall nachweisbar, dass auch ein Mann Lagerinsasse in Elben war. Es gibt Hinweise, dass eine geringe Anzahl Männer aus dem Raum Dortmund-Unna wegen ihrer für den Stollenbau nützlichen Spezialkenntnisse hier benötigt wurden.
Die Herkunftsorte der Lagerinsassinnen sind: (Liste unvollständig)
Bad Driburg
Bielefeld
Bochum
Gelsenkirchen
Gütersloh
Recklinghausen
Mainstockheim
Scherfede
Ossendorf bei Warburg
Beverungen an der Weser
Das Frauenlager Elben, ein Zwangsarbeitslager der Organisation Todt (OT) für etwa 200 deutsche Frauen und Mädchen jüdischer Herkunft, bestand von September 1944 bis Mai 1945.
Es stand im Zusammenhang mit dem Stollenbau im Hardtkopf beim Felsenkeller, wo die Organisation Todt seit 1943 eine unterirdische Fabrikationsanlage herstellte.
Bauausführende Firma war das Tiefbauunternehmen Richter aus Kassel, die Bergwerksgesellschaft Hibernia stellte die notwendigen Bergleute. In diesem sogenannten U-Vorhaben sollte ein Teil der Produktion der Henschel Flugmotorenwerke wegen der alliierten Bomberangriffe von Baunatal nach hier auszulagern. Eine Stichverbindung von diesem Standort zur Naumburger Kleinbahn war projektiert und soll bereits im Gelände abgesteckt gewesen sein, um die geplante Produktionsstätte an das Schienennetz anzuschließen. Das dazugehörige Barackenlager befand sich am rechten Elbeufer, am Weg nach Altendorf, in dem Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus Osteuropa, meist Russen, untergebracht waren. Sie führten für die bauausführenden Firmen Richter und Cronibus aus Kassel die hauptsächlichen Arbeiten am sogenannten Felsenkeller aus.
Insgesamt wurden vier Hauptstollen und Querverbindungen mit zwei Haupt- und zwei Nebeneingängen in den Buntsandstein vorangetrieben. Die Stollen wurden teilweise ausgemauert oder ausbetoniert, an den meisten Stellen war aber der gewachsene Fels tragfähig. Auf den Betonklötzen, die noch heute am Waldrand an dem Bach Flachsrose stehen, befanden sich die Kompressoren zum Brechen des Gesteins. Der Aushub wurde mit Loren forttransportiert und bildet heute den Unterbau des nahegelegenen Sportplatzes.
Das Lager war nicht umzäunt und ganz zu Beginn wohl auch nicht bewacht. Es war deshalb nicht ungewöhnlich, dass in mehreren Fällen die Ehemänner aus Westfalen nach Elben kamen und ihre Frauen im Lager besuchten. In vielen Fällen fanden sie dann eine Unterkunft im Dorf.
Das OT-Personal selbst führte keine Bewachung durch, sondern leitete den Arbeitsbetrieb.
Später war eine französischsprachige Wachmannschaft im Pfarrhaus untergebracht, die entweder aus französischem Sicherheitsdienst oder belgischen SS-Angehörigen bestand. Die Frauen konnten sich gleichwohl relativ frei bewegen. Das Briefschreiben sowie der Empfang von Besuchen war jedoch nicht verboten. Einige katholische Lagerinsassen benutzten deshalb die Gelegenheit, in der Nachbarstadt Naumburg die Ordensniederlassung der Vinzentinerinnen zu besuchen und sich zu waschen oder in der katholischen Stadtkirche zu beten.
Die Bürger von Elben und Elberberg beobachteten das Lager zunächst mit ängstlicher Scheu, denn die Lagerinsassinnen waren ihnen als Zigeuner angekündigt worden. Wohl nur an wenigen Orten haben Dorfbewohner die Kehrseite des Nazi-Regimes so deutlich vor Augen gehabt, die drei Lager im Ort vereinigten unübersehbar die Opfer der Gewaltherrschaft.
Eine Zeugenaussage verdeutlicht die Zustände im Lager:
Im Juni 1944 wurde ich als Gend.-Kreisführer nach Wolfhagen versetzt. Ich habe im Herbst 1944 davon Kenntnis erhalten,
Über die Organisation der genannten Lager kann ich folgendes angeben:
Die beiden Lager unterstanden der OT. Alle Insassen des Lagers für Juden und Mischlinge wurden durch die Gestapo dort eingewiesen. Wenn ursprünglich keine Bewachung vorgesehen war, ist aber, nachdem Beschwerden über die freie Bewegung der Juden kamen, eine Bewachung durch die OT vorgenommen worden. Es handelte sich hierbei um Personal, das aus Belgien, Frankreich usw. stammt und ursprünglich in SS-Formationen gekämpft hatte. Nachdem verwundet und nicht mehr frontdienstfähig, wurden diese ehem. SS-Leute in OT-Uniform mit Schusswaffen für den Bewachungsdienst in diesen Lagern eingesetzt.
Frau Sophie B. erinnert sich, dass sie mit einigen Mädchen aus dem Dorf die Lagerinsassen im Tonloch besuchte und mit ihnen Volkslieder gesungen hat.
Das OT-Personal führte keine reguläre Bewachung durch, sondern leiteten den Arbeitsbetrieb. Über ihr Verhalten hat man sich auch später nicht beklagt. Sie sollen höflich und bemüht gewesen sein, das schwere Los der Frauen erträglicher zu machen.
Ein ehemaliger französischer Kriegsgefangener, Leo Schneigeiger, hat seine Erinnerung an das Frauenlager folgendermaßen zusammengefasst:
Die Einwohner von Elben haben diesen Frauen immer wenn sie es konnten, sehr diskret geholfen. Außer ein paar miesen Typen im Dorf, und davon gab es trotz allem einige. Vielleicht sind einige von diesen Frauen später nach dem Krieg zurückgekommen, um Euch zu besuchen.
Unter denjenigen, die den Auftrag hatten, auf sie aufzupassen, waren drei echte französische Dreckskerle. Sie waren zu uns zum Kommando gekommen, um mit uns zu sprechen. Diejenigen, die mit ihnen sprechen wollten, mussten das selbst verantworten, aber ich habe sie von dem Aufseher rausschmeißen lassen. Als er ihnen gesagt hat, dass er einen Bericht machen würde, sind sie ganz schnell abgehauen. Sie stolzierten sehr gerne mit dem Hakenkreuz und der Pistole an der Seite. Ich habe gesehen, wie einer von ihnen einen Deutschen schlug, der gekommen war, um seine Tochter zu besuchen, die sich in eine dieser Baracken befand. Da habe ich mit ihm gesprochen und habe ihm einen Vorwurf gemacht. Er hat mich zum Teufel gejagt und gesagt, ich soll meinen Mund halten und mich um meine Sachen kümmern. Aber er hat mich nicht geschlagen.
Das war zweifellos sein Glück, denn als die Amerikaner da waren, ist er ein paar Mal hier in unserer Ecke herumgestreift und da hatte ich freie Hand, um ihn k.o. zu schlagen.
Die Frauen lebten zuerst im Tonloch der ehemaligen Ziegelei in Wehrmachtszelten. Diese schlechteste aller Unterbringungsmöglichkeiten zeigt, dass die Organisation Todt nicht hinreichend auf den Transport vorbereitet war, sie war aber wohl eine bewußt so getroffene Entscheidung, denn die Lagerinsassen der beiden anderen Lager waren in festen Unterkünften untergebracht. Auch die zum damaligen Zeitpunkt teilweise noch vorhandenen offenen, aber mit einem Dach versehenen Nebengebäude der ehemaligen Ziegelei insbesondere die Trockenschuppen standen für die Frauen nicht zur Verfügung.
Die nach Elben deportierte Martha Eichmann erinnerte sich daran: da sickerte immer tropfenweise das Wasser. Und wenn wir morgens uns waschen wollten, dann sind wir eine Stunde vorher hingegangen und haben Eimer druntergestellt, damit wir etwas Wasser hatten zum Waschen. Wir konnten uns auch nicht ausziehen. Schlafen Sie mal mit 200 Menschen in einem Zelt!
Als infolge der spätherbstlichen Regenfälle die Zelte abzusaufen drohten, empörten sich Elbener Einwohner über diese miserable Unterbringung. Diese, aber auch ein OT-Führer, setzten sich dafür ein, dass die Frauen in die Eubelsche Gaststätte verlegt wurden. Dort waren 120 Personen im Saal der Gastwirtschaft untergebracht, wo sie Strohsäcke und Decken erhielten. Die Unterbringung war auch dort sehr primitiv, denn es stand nur eine Toilette zur Verfügung, und in der Futterküche diente ein kleiner Spülstein zur Körperpflege und zum Wäschewaschen. Nachdem im Tonloch vier Holzbaracken sowie eine Wasch- und Toilettenbaracke errichtet waren, verlegte man die Frauen am 1. Weihnachtstag dorthin zurück.
Die Tageseinteilung war folgendermaßen geregelt:
6 Uhr Wecken
7 Uhr Antreten zum Appell und Einteilung zum Arbeitsdienst
bis 12 Uhr Arbeitsdienst
12-13 Uhr Mittagspause
13-19 Uhr Arbeitsdienst
Bis 20 Uhr durften sich die Frauen im Ort bewegen
um 22 Uhr begann die Nachtruhe
Auch am Sonnabend wurde halbtags gearbeitet. Am Sonntag mussten angeblich die Gefangenen den Gottesdienst in der Kirche zu Elben besuchen.
Die Verpflegung der Lagerinsassen erfolgte durch die Lagerküche. Sie muss als primitiv bezeichnet werden. Für das gesamte Lager standen nur etwa ein Dutzend Aluminiumschüsseln zur Verfügung. Die meisten Lagerinsassen behalfen sich deshalb mit Konservendosen.
Der tägliche Elendszug der erschöpften Frauen vom Lager zur Stollenanlage und zurück erregte in der Einwohnerschaft bald Mitgefühl. Es sind zahlreiche Zeugenaussagen überliefert, wonach die Dorfbevölkerung den Frauen aus dem Lager half, wenn und so gut es die Umstände erlaubten. Die Frauen boten z.B. ihre Mithilfe bei den Familien im Dorf an, insbesondere im Haushalt oder sie fertigten Handarbeiten an, die sie gegen Lebensmittel tauschten. Sie wärmten sich bei den Familien im Ort auf, konnten sich waschen und Körperpflege betreiben oder erhielten auch Hilfe beim Entlausen. Es wird auch berichtet, dass den Frauen auf ihrem Weg vom Lager zum Stollen gelegentlich Schmalzenbrote zugesteckt wurden.
Die Frauen mussten, nur weil sie nach dem nationalsozialistischen Rassebegriff als minderwertig galten, bei schlechter Ernährung schwerste Arbeit für die Organisation Todt sowohl bei der Errichtung ihres eigenen Barackenlagers als auch bei den Arbeiten am Stollen verrichten. Die Bauarbeiten der in Arbeitskommandos eingeteilten Frauen bestanden im Wesentlichen darin, Baracken zu errichten, Sand graben, Baumaterial transportieren und beim Bau der Stollenanlage Handlangerarbeiten zu verrichten. Die hierbei eingesetzten Frauen mussten schon bald nach den Sprengungen wieder in die Stollen, wobei eine Gefangene wegen der Pulverdämpfe einen Herzanfall bekam.
Dazu Frau Sch.
Es wurden Arbeiten von uns gefordert, die normalerweise nur Männer leisten können.
Der Gesundheitszustand eines großen Teils der Lagerinsassen war infolge der körperlichen Anstrengung sehr schlecht. Die ärztliche Betreuung des Frauenlagers durch einen russischen Arzt, der teilweise auch die Ortsbevölkerung versorgt haben soll, sowie durch eine im Lager untergebrachte Gemeindeschwester aus Scherfede war nur unzureichend. Vielfach hatten die Lagerinsassen zudem Angst, sich krank zu melden. Einmal hat ein Arzt der Gestapo die Schwerkranken ausgesondert, aber nicht, um sie nach Hause zu schicken, sondern zur Überweisung in das Jüdische Krankenhaus in Berlin. Infolge dieses Gerüchtes fürchteten viele Lagerinsassinnen die Krankmeldung und den möglichen Berlin-Transport und versuchten, solange es irgendwie möglich war, weiterzuarbeiten.
In einem Fall ist eine Verlegung einer Frau im Dezember 1944 aus dem Lager in das Jüdische Krankenhaus Berlin namentlich nachweisbar. In einem anderen Fall ist bekannt, dass es Herrn August Böger aus Bad Driburg unter Vorlage von Attesten der Hausärzte gelang, seine erkrankte Frau im März 1945 aus dem Lager frei zu bekommen. Er organisierte daraufhin einen Schlitten und zog seine Frau tagelang bis in ihren Heimatort. Dort versteckten sie sich bis zum Kriegsende bei Nachbarn.
12. März 1945
ein für diesen Tag geplanter Abtransport nach Theresienstadt scheitert durch kriegszerstörte Zufahrtsstraßen.
28. März 1945
Befehl der Gestapo Kassel an den Lagerführer zur Auslieferung der Insassen zwecks Liquidierung.
Durch Eintreffen amerikanischer Truppen gelangt der Befehl nicht zur Ausführung.
Kritisch wurde die Lage für die Lagerinsassen noch einmal im Zusammenhang mit dem kampflosen Einmarsch der Amerikaner am 31.3.1945, als Einheiten der 9. Pz. Div. des 5.Korps der 1.US-Armee aus Richtung Süden durch das Elbetal in den Warburger Raum vorstießen.
Mehrere Augenzeugen berichten übereinstimmend, ohne sich allerdings an das Datum genau erinnern zu können, dass ein SS-Trupp aus Arolsen abends in das Dorf kam und man befürchtete, diese würden unter den Frauen im Tonloch ein Blutbad anrichten. Mehrere Frauen versteckten sich deshalb in einzelnen Häusern auf den Dachböden, andere suchten Zuflucht im Lager der französischen Kriegsgefangenen. Ob dieser SS-Trupp identisch ist mit den etwa 20 Männern der Arolser Waffen-SS, der sich noch am Abend des 31. März mit vorrückenden amerikanischen Soldaten im nahegelegenen Istha ein Gefecht lieferten, kann nur vermutet werden.
Der Einmarsch amerikanischer Soldaten erfolgte am Vormittag des 31. März (Karsamstag) 1945. Panzer und Autokolonnen rollten unaufhörlich von Altendorf kommend in Richtung Naumburg.
Bürgermeister Rudolph in Elberberg hatte zum Zeichen der Übergabe ein weißes Betttuch gehisst. Die Bevölkerung versteckte sich teilweise in den umliegenden Wäldern oder war in den Stollen geflüchtet.
Als dann die Amerikaner bereits in Fritzlar waren, nahm eine Jüdin allen Mut zusammen und schlug dem Lagerleiter vor: Wenn Sie uns jetzt retten, dann helfen wir, dass Sie hier herauskommen.
Da tauschte er seine Uniform gegen Zivilkleidung und setzte sich zusammen mit dem Kommandanten des Lagers am Felsenkeller ab.
Nachdem ein amerikanischer Panzerspähwagen über den Hahnebachsweg zur Hardtmühle vorgefahren war, forderten die amerikanischen Soldaten die Bevölkerung zur Rückkehr in ihre Häuser auf, nachdem die Franzosen ihnen bestätigt hatten, dass keine deutschen Soldaten sich im Stollen befinden. Als dann weitere Spähwagen den Elbeweg herunterkamen, eilten Frauen aus dem Lager den Soldaten entgegen und berichteten von der guten Behandlung durch die Bevölkerung.
Dann kam ein größerer Trupp Soldaten nach Elberberg und öffnete zunächst das Lager der Frauen, die ihre Befreier mit Umarmungen und Küssen begrüßten. Daraufhin schlugen die Soldaten in unmittelbarer Nähe in den Röddern ihre Zelte auf und übernachteten dort, nachdem sie durch das Dorf marschiert waren und Wachen am Ein- und Ausgang aufgestellt hatten.
Das Lager im Tonloch bestand noch bis Mai 1945. Nachdem der Lagerleiter das weite gesucht hatte, wurde diese Funktion teilweise von dem Bauleiter L. übernommen. Den Entlassungsschein für Frau R. aus dem Lager Elben vom 12.04.1945 hat er als Lagerführer unterzeichnet und daneben das Siegel Bürgermeister als Ortspolizeibehörde in Elben Kr. Wolfhagen, allerdings ohne dessen Unterschrift, gesetzt: I.R. aus Eidinghausen i.W. war Insassin des Judenlagers in Elben von der Zeit vom Oktober bis zum Eintreffen der amerikanischen Truppen.
Zwischen März und Mai 1945 hat es in Elben drei Eheschließungen gegeben, die wohl im Zusammenhang mit den dortigen Lagern stehen. Zwei junge Frauen aus dem Frauenlager im Tonloch heirateten Männer, die für die OT beim Stollenbau tätig waren.
Bereits zehn Tage nach der Befreiung des Lagers heirateten Walter Grimmer und Erna Elges. Die Hochzeitsfeier fand im Lager statt, die Hochzeitsfotos sind überliefert. Etwa Mitte Mai heirateten Paul Thomas und Esther Munck. Ob eine weitere Eheschließung Mitte April zwischen Gysbert Martinus und Alexandra Hrosnaga mit dem Frauenlager oder dem Lager der osteuropäischen Zwangsarbeiter im Zusammenhang steht, ist nicht sicher zu beantworten.
Nach der Auflösung des Lagers wurden die Holzbaracken verkauft und dienten eine zeitlang als Behelfswohnungen oder auch als Geräteschuppen für den Garten.
Februar 1950
Regierungspräsident in Detmold erkennt das Lager Elben an.
Der Stollen, heute unter Verwaltung des Bundesvermögensamtes Kassel, ist nicht zugänglich.
Bericht Hildegard Schauer
Bericht über meine Verhaftung und den Tod meines Vaters und die ursachen dazu.
Ich wurde am 20. Juni 1944 mit meinem Vater, meiner Mutter und meinem 2-jährigen Kinde Verhaftet, nachdem von der Gestapo die ganze Wohnung durchsucht worden war, ohne daß irgend etwas Belastendes gefunden worden wäre.
Radio und Fotoapparate wurden beschlagnahmt. Mein Vater war, Jude, meine Mutter ist Arierin, ich bin Mischling 1. Grades, mein Kind auch arisch, da ich mit einem Arier verheiratet war. Ich bin Witwe 37 Jahre alt.
Nach Höxter ins Polizeigefängnis gebracht und verhört, erfuhren wir dann, daß die Hauswirtin uns bei der Gestapo denunziert hatte. Es erfolgte dann ein korrekt geführtes Verhör des Meisters der Gendarmerie Gnuse, in dem meine ganze Familie des Hochverrats und des Abhörens des Londoner Senders bezichtigt wurde. Ich konnte für mich alle Anschuldigungen abwehren, denn Frau Martha Potthoff ist den Behörden als Lügnerin bekannt.
Mein Vater wurde ebenfalls verhört und kamen selbst dem Beamten im Laufe des Verhörs Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Anzeige. Nachdem ich mit meiner 67-jährigen Mutter, meinem 2 -jährigen Kinde 10 Tage in einer Zelle mit nur einer Pritsche, auf der mein 66-jähriger Vater wegen seiner Schwerkriegsbeschädigung wegen tagsüber liegen mußte„ verbracht hatten, wurden Mutter,, das Kind und ich entlassen, während Vater in Haft blieb. Nach zwei Tagen wurde Vater, der ja Jude war, zur Gestapo nach Bielefeld gebracht und wieder einige Tage später, ohne daß man ihm einen Prozess gemacht hätte, in das Konzentrationslager lahde an der Weser überführt, wo er dann nach vier Tagen an einem angeblichen Herzschlag verstorben ist.
ich kann also abschliessend dazu sagen, daß die. Frau Martha Potthoff, Lüchtringen, Grashofstrasse 17, die Denunziantin, die Ursache zur Verhaftung und am Tode meines Vaters die alleine Schuld trägt. Dieses wurde ihr vom Beamten Gnuse gesagt und trotzdem bestand sie auf ihren verlogenen Anschuldigungen da sie uns mit Vorsatz beseitigen wollte. Zeugen zu diesbezüglichen Äusserungen sind vorhanden.
Ende August wurde ich wieder verhaftet und kam für eine Nacht nach Höxter ins Polizeigefängnis um dann Tags drauf nach Bielefeld zur Gestapo gebracht zu werden. Der Gestabobeamte Peters verhörte, mich und dort erfuhr ich, daß wieder Frau Potthoff die Denunziantin war. Diesmal hatte sie nicht die Mühe gescheut und war nach Berlin gefahren und hatte nach ihren eigenen Angaben im Propagandaministerium bei einem angeblichen Onkel, Oberregierungsrat Wittenberg, einen Bref abgegeben, dessen Abschrift ich diesem Potokoll beifüge. Aus diesem Brief, von der Hand der Mörderin meines Vaters geschrieben, geht die nationalsozialistische Gesinnung der Familie Potthoff, einschließlich der Frau Leise, Mutter der Potthoff, sonnenklar hervor. Der gesuchte, schmutzige Inhalt des Briefes machte selbst den Gestapobeamten vorsichtig in der Behandlung meines Prozesses. Er gab selbst zu, daß mein Vater, ohne die Anzeige der Frau Potthoff noch 15 Jahre leben hätte können. Es wurde vor dem Gericht in Bielefeld verhandelt, wieder sollte ich Hochverrat und Spionage getrieben haben. Ich wurde freigespochen und auch entlassen, nach 20 tägiger Untersuchungshaft.
Ich war noch nicht 8 Tage wieder zu Hause bei meiner Familie, als ich des Nachts um 1/2 4 Uhr wieder aus dem Bett heraus verhaftet wurde.. Ich hatte 20 Minuten Zeit, um mich anzuziehen und die notwendigsten KleidungsstUcke einzupacken. wieder ging die Fahrt nach Bielefeld zur Gestapo das war in der Nacht zum 19. September. Von Bielefeld ging es dann, teilweise im Viehwagen mit noch anderen politisch unzuverlässigen Frauen und Männern nach Naumburg, von dort zu Fuß inmitten der Nacht nach Elben, einem Lager, das dem Hauptsicherungsamt Weimar unterstellt war. Aus diesem Lager befreiten mich die alliierten Truppen in der Woche vor Ostern. Nach meiner Befreiung bin ich noch bis Ende Juli im Auftrage der Militärregierung Wolfhagen, als• Liqiuidator im Lager verblieben, bis alle ausländischen und deutschen Lagerinsassen die heimkehr angetreten hatten.
Zu Zeugen, zu all dienen Angaben benenne ich den Adam Struck in Lüchtringen, ehemaliger Bürgermeister im Ort, den Meister der Gendarmerie Gnuse früher Godelhaim und den Wachtmeister Stoll in Höxter. Diese drei Herren können Zeugnis ablegen über die faschistische Einstellung, der Denunziantin, die kein NSDAP Mitglied war, aber sich schlimmer gebürdete als diese. Ebenso ist der Leumund unter aller Würde.
Nach dem Krieg wohnte Hildegard Schauer mit ihrer kleinen Tochter Hilde und ihrer Mutter Sophia Cohn in Höxter. Sie heiratete den kommunistischen Parteisekretär Johann Meier und wurde selbst politisch aktiv. So sammelte sie unter anderem zahlreiche Informationen über die politisch, religiös und aus anderen Gründen Verfolgten des Nazi-Regimes. Nach dem KPD-Verbot schickte sie die Tochter Heidi Ende der 1950er Jahre in die DDR und folgte ihr bald darauf.
Ihre Mutter Sophia Cohn wurde nach ihrem Tod auf eigenen Wunsch am 10.12.1959 auf dem jüdischen Friedhof in Höxter begraben. Da sie keine Jüdin war, erhielt ihr Grab keinen Grabstein, ist aber noch heute durch die steinerne Grabumrandung erkennbar.
Quelle:
Ostkämper Fritz
von einer Tochter der in Elben inhaftierten Hildegard Schauer (später: Meyer) bekam ich vor einigen Jahren Listen der aus rassistischen, politisch und religiös Verfolgten aus dem Altkreis Höxter, die die Deportation überlebt haben und die Hildegard Schauer etwa 1946/47/48 zusammengestellt hat.
Da sie Kommunistin war, hat sie diese Listen wohl im Zusammenhang der Gründung der VVN (Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes) zusammengestellt. Diese Listen sind meiner Einschätzung zuverlässig, da sie ganz offensichtlich nach den Angaben der Deportierten zusammengestellt wurden. Möglicherweise handelt es sich bei mir um das einzige noch vorhandene Exemplar dieser getippten Listen. Im Kreisarchiv Höxter sind sie jedenfalls nicht vorhanden.
Sechs der Frauen waren im Frauenlager Elben inhaftiert. Ich schicke Ihnen zur Ergänzung Ihrer Liste eine mit dem Original identische Zusammenstellung aus den Listen und außerdem einen Bericht von Hildegard Schauer über die Verfolgung ihrer Familie.
Opfer
(Namensliste) unvollständig
Bentlage Ruth
geb. 04.04.1922
Kfm. Inh. d. Fa. Bentlage
dep. 19.09.1944, die Mutter begeht an diesem Tage Selbstmord,
Mai 1945 Rückkehr nach Bielefeld
Böger Erna
* 15.02.1898 in Bad Driburg
Wohnort u. Wohnung: Bad Driburg, Langestr. 38
Beruf: ohne
Dauer der Haft
19.09.1944 - 02.01.1945 in Elben
Grund der Verhaftung: Jüdin
Büchter Else
* 26.11.1892 in Schwerte
Wohnort u. Wohnung: Steinheim, Detmolder Str. 222
Beruf: Wwe
Dauer der Haft
Sept. 1944 - Dez. 1944 in Elben
Grund der Verhaftung: Jüdin
Büchter Ruth
* 18.10.1925 in Steinheim
Wohnort u. Wohnung: Steinheim, Detmolder Str. 222
Beruf: Angestellte
Dauer der Haft
Sept. 1944 - Dez. 1944 in Elben
Grund der Verhaftung: Halbjüdin
Kleinstraß Irmgard
* 10.08.1927 in Bredenborn
Wohnort Bredenborn
Beruf: Lehrmädchen
Dauer der Haft
18.09.1944 - Apr. 1945 in Elben
Grund der Verhaftung: Jüdin
Rose Margot
* 02.11.1910 in Göttingen
Wohnort Beverungen Posttwete 464
Beruf: Säuglingsschwester
Dauer der Haft
Sept. 1944 - Nov. 1944 in Elben
Grund der Verhaftung: Mischling 1. G
Schauer Hildegard
* 15.10.1908 in Düsseldorf
Wohnort Lüchtringen
Beruf: ohne
Dauer der Haft
02.05.1933 - 12.05.1933 in Essen
Grund der Verhaftung: Jüd. Abstammung u. Poli. Gründe (KPD)
Dauer der Haft
20.06.1944 - 01.07.1944 in Höxter
Grund der Verhaftung: Jüd. Abstammung u. Poli. Gründe (KPD)
Dauer der Haft
Juli 1944 - Aug. 1944 in Bielefeld
Grund der Verhaftung: Jüd. Abstammung u. Poli. Gründe (KPD)
Dauer der Haft
19.09.1944 - Befreiung in Elben
Grund der Verhaftung: Jüd. Abstammung u. Poli. Gründe (KPD)
Sehrbunt Jenny, geb. Blättner (Hausfrau)
Geb. 29.8.1886 in Mainstockheim
Gest. 22.9.1956 in Bad Oeynhausen
Sternfeld Ursula geb. Goldstein
geb. 02.01.1922
dep. 19.09.1944
Urlaub im Dez. 1944,
Mai 1945 Rückkehr nach Bielefeld
Steinberg Ruth
geb. 10.03.1927
Hautärztin
dep. 19.09.1944
Mai 1945 Rückkehr nach Bielefeld
Wiedergutmachungsakte
Sehrbunt, Jenny geb. Blättner
Abkürzung
50 AfW, Nr. 251
Geb. 29.8.1886 in Mainstockheim
Gest. 22.9.1956 in Bad Oeynhausen
Keine Berufsausbildung
Hausfrau
Eine Tochter:
Ruth Hirz, geb. Sehrbunt
wohnhaft
Bad Oeynhausen, Körnerstr. 14.
Vater:
Abraham Blättner, Weinhändler aus Mainstockheim Haus-Nr. 45
Mutter:
Therese Blättner geb. Einstein, geboren am 19.1.1865 in Laupheim, zuletzt in Würzburg.
1942 nach Theresienstadt verbracht
Gerichtliche Todeserklärung zum 31.12.1943.
Schwester
Hedwig Blättner (geb. 18.1.1889 in Mainstockheim) aus Frankfurt/Main,
letzte Nachricht am 20.4.1942 aus dem Ghetto Litzmannstadt (Lodz)
Gerichtliche Todeserklärung für diesen Tag.
Schwester
Rosa Blättner aus Würzburg
Entzog sich den Gestapo-Peinigern durch Ertränken im Main
Verfolgung und Entschädigung:
Als Volljüdin rassische Verfolgung
19.09.1943
so im Exzerpt; gemeint vermutlich 19. Februar, vgl. die Entschädigungsakte der Tochter.
Überfall auf die Wohnung durch unbekannte Nazis (Steine in die Fenster geworfen).
Inhaftiert im Juden-KZ-Lager Elben (Kreis Wolfhagen) vom 19.09.1944 bis 01.04.1945 (Entlassungsdatum später korrigiert).
Zitat:
Am 19.September 1944 wurde ich von der SA und einem Stadtwachmann verhaftet und unter Polizeieskorte zur Gestapo nach Bielefeld und von da von Letzterer nach dem Judenlager Elben, Bezirk Kassel, transportiert. Nach einem ca. 200 km langen Fußmarsch traf ich nach Befreiung durch die Amerikaner am 21. April 1945 in Bad Oeynhausen wieder ein. Meine Haftzeit ist danach vom 19. September 1944 bis 21. April 1945.
Meine grüne Sonderausweiskarte für politisch, rassisch und religiös Verfolgte trägt die Nr: 171, Minden den 21. April 1948."
28.02.1946
erster Antrag beim Sonderhilfsausschuss des Kreises Minden
Zunächst Entschädigungen für Kleideranschaffungen.
10. Mai 1949
schriftlicher Antrag auf Haftentschädigung bei der Kreisverwaltung Minden (Kreissonderhilfsausschuss - Wiedergutmachungsstelle) aufgrund des Haftentschädigungsgesetzes für Verfolgte des Naziregimes.
14.12.1949
Ausschuss für die Entschädigung für Freiheitsentziehung vertagt Entscheidung, da der Status des Lagers Elben erst geklärt werden soll. Ein Beauftragter des Kreises warf in den Raum, dass die Insassen des Judenlagers für Frauen und Mädchen Elben durch die Arbeitsämter erfasst worden seien. Damit würde Jenny Sehrbunt nicht unter das derzeit gültige NRW-Haftentschädigungsgesetz fallen.
16.12.1949
Ehemann Fritz Sehrbunt protestiert schriftlich gegen die Verzögerung.
Nach seinem Bericht gab die Gauleitung Westfalen-Nord für die Nacht zum 19.09.1944 an die Stadtverwaltung Bad Oeynhausen als Ortspolizeibehörde Befehl aus, Juden und Mischlinge I. Grades zu verhaften. In der Nacht um 4.30 Uhr wurden Jenny Sehrbunt und ihre Tochter von zwei SA-Männern und einem Hilfspolizisten aus dem Schlaf gerissen und zum Polizeigefängnis abgeführt. Nach einigen Stunden, nachdem alle Juden (8-10) zusammengetrieben worden waren, wurden sie unter einer sechsköpfigen
Polizeieskorte zum Bahnhof gebracht. Per Bahn erfolgte der Transport nach Bielefeld. Die Gruppe wurde im Eiltempo durch die Stadt zum Lokal Eintracht getrieben, der als Sammelpunkt für Abtransporte berüchtigt war. Während die Tochter Ruth abends entlassen wurde, begann für Jenny Sehrbunt eine Irrfahrt über Paderborn, Kassel-Bettenhausen, zur unterirdischen Dynamitfabrik Allendorf bei Marburg, zurück nach Kassel-Bettenhausen. Nach mehreren Tagen erfolgte zu Fuß die Ankunft in Elben.
Fritz Sehrbunt bemühte sich um eine Beurlaubung seiner Frau bei den Gestapo-Stellen Bielefeld und Kassel, wurde aber stets barsch zurückgewiesen.
12. März 1945
ein für diesen Tag geplanter Abtransport nach Theresienstadt scheitert durch kriegszerstörte Zufahrtsstraßen.
28. März 1945
Befehl der Gestapo Kassel an den Lagerführer zur Auslieferung der Insassen zwecks Liquidierung.
Durch Eintreffen amerikanischer Truppen gelangt der Befehl nicht zur Ausführung.
Fritz Sehrbunt betont mit seinen Ausführungen, dass es sich nicht um ein Arbeitslager sondern ein Judenlager zwecks Ausrottung der Insassen der Ober-Gestapo Kassel gehandelt hat.
Februar 1950
Regierungspräsident in Detmold erkennt das Lager Elben an.
15.03.1950
Im Wiederaufnahmeverfahren legt der Haftentschädigungsausschuss die Haftzeit vom 19.09.1945 bis 01.04.1945 (auf Vorhalt musste die Antragstellerin das Entlassungsdatum auf diesen Karsamstag 1945 korrigieren) und gewährt eine Entschädigungssumme von 1050 DM (7 aufgerundete Monate a 150 DM).
27.03.1951
Rentenbescheid der Ausführungsbehörde für Unfallversicherung. Nachträglich 30% der Vollrente ab dem 01.01.1948, ab dem 01.09.1950 Vollrente von monatlich 233,30 DM. Körperliche Leiden: Wirbelsäulenerkrankung, Krampfadern, nervöser Erschöpfungszustand bei Depression.
12.12.1953
Antrag auf Entschädigung nach dem neuen Bundesentschädigungsgesetz BEG (900 DM Kapitalentschädigung). Verfahren wird nach dem Tod Jenny Sehrbunts 1956 durch ihren Mann fortgeführt. Bescheid des Regierungspräsidenten Detmold vom 15.04.1958: Es bestehen keine Ansprüche, da bereits 1050 DM Haftentschädigung gezahlt wurden.
Quellen:
Familie Blättner und Sehrbunt (Genealogie der Familie Sehrbundt) eine bisher in 6 Bänden erschienene Familiencronik.