Judenhaus

Das Wohnhaus Herschelstraße 31 in Hannover war im Privatbesitz einer jüdischen Familie. Da den Juden im April 1939 der Miet- und Räumungsschutz entzogen wurde, wurden Juden und ,,unerwünschte Elemente" in Judenhäuser zwangseingewiesen
Von September 1941 bis Oktober 1943 wurde dieses Haus von den Nazis als „Judenhaus" missbraucht, für anfangs bis zu 150 Bewohner/Innen, die nach und nach in Lager deportiert wurden. Nachdem das Gebäude ,,geräumt" war, konnte es daher für die Nutzung der ,,Arischen Volksgemeinschaft" zugeführt werden.

Bewohner des Hauses:
Falk Siegfried * 23.04.1906 Sulingen verheiratet seit 29.04.1941 (in Hannover) mit Falk Elfriede geb. Klompus * 03.07.1904 Norderney letzter Wohnort: Herschelstraße 31 dep.
15.12.1941 Hannover - Ghetto Riga.

Goldschmidt Alma geb. Bloch * 02.09.1876 Sulingen verheiratet seit 15.02.1910 (in Sulingen) mit Goldschmidt Anschel/Alex * 02.05.1874 Hannover, Wohnort: bei Verwandten in Moers, letzter Wohnort: Herschelstraße 31 dep.
15.12.1941 Hannover - Ghetto Riga.

Hanau Erich * 18.11.1923 Vilsen (Sohn von Max Hanau), zuletzt mit Eltern und Schwester wohnhaft: Herschelstraße 31 dep.
15.12.1941 Hannover - Ghetto Riga.

Hanau Ilse *30.06.1925 in Vilsen (Tochter von Max und Irma, Schwester von Erich Hanau), zuletzt mit Eltern und Bruder wohnhaft: Herschelstraße 31 dep.
15.12.1941 Hannover - Ghetto Riga.

Blumenthal Julius * 11.06.1887 Schmalförden, verheiratet mit Blumenthal Rosa * 08.10.1889 Märk. Friedland, Wohnort: seit Hess. Oldendorf, Tochter Eli(e)se * 1920. Inhaber eines Wäschegeschäftes in Hess. Oldendorf. letzter Wohnort: Herschelstraße 31 dep.
15.12.1941 Hannover - Ghetto Riga.

Plaut Hermann * 01.01.1876 Frankenau (Hessen) verheiratet mit Plaut Paula geb. Cohnheim * 15.04.1881. Das Ehepaar hatte drei Kinder: Lucie * 05.08.1905, Gerda * 22.10.1906, Rudolf * 14.06.1910. Die Familie verzog am 03.04.1939 von Groß Rhüden (Kreis Gandersheim, heute Landkreis Goslar) nach Hannover-Linden. Hermann stand im ersten Weltkrieg als deutscher Soldat im Felde. Hier wurde er aufgrund von ,,Tapferkeit vor dem Feind“ zum Unteroffizier befördert und mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet. Nach dem Krieg übte er in Groß Rhüden über viele Jahre im eigenen Textilgeschäft den Beruf des Kaufmanns aus. Hermann Plaut war der letzte Vorsteher der Synagogengemeinde in Groß Rhüden. In der Nacht vom 09.11.1938 auf den 10.11.1938 (Reichspogromnacht) wurden das Haus sowie das Textilgeschäft der Familie Plaut durch Angehörige der SA vollständig demoliert. Unter den Tätern, sollen sich auch Bekannte der Familie befunden haben.
Nachdem das Verhalten der ,,Arier“ in Groß Rhüden für die Familie immer bedrohlicher wurde, und ihnen jede Lebensperspektive gewaltsam genommen worden war, blieb zwangsläufig nur die Flucht aus Groß Rhüden. Hermann Plaut war es noch gelungen sein Enkelkind (Tochter seiner älteren Tochter Lucie, die inzwischen eine verheiratete Banw war), mit einem Kindertransport nach England zu schicken. Hier dürfte der 19.03.1939 der Abreisetag gewesen sein. Hermann Plaut verzog am 03.04.1939 mit seiner Frau Paula und den Kindern Lucie und Rudolf nach Hannover-Linden. Als Wohnanschrift wird die Minister-Stüve-Straße Nr. 2 angegeben. Gerda die jüngere Tochter war bereits am 16.05.1938 von Groß Rhüden nach Hannover verzogen, wo sie eine Arbeitstelle als Hausangestellte angenommen hatte. Gerda und ihre Schwester Lucie konnten Nazi-Deutschland am 15.07.1939 noch rechtzeitig verlassen. Sie fanden in England Asyl.
Nachdem den Juden im April 1939 der Miet- und Räumungsschutz entzogen worden war, mußten Hermann, Paula und Rudolf Plaut am 04.09.1941 ihre Wohnung in der Minister-Stüve-Straße Nr. 2 räumen, sie wurden in das Judenhaus Herschelstraße Nr. 31 (Hannover-Mitte) eingewiesen. Der letzte Arbeitgeber Hermann Plauts war die Firma Willig Bürobedarf in der Münzstraße Nr. 7. Die Familie dürfte nach dem Verlust der Arbeitsstelle von den spärlichen Ersparnissen sowie eine monatliche Unterstützung von 200 RM durch die in die USA emigrierte Schwägerin Rosa Cohnheim mehr als bescheiden gelebt haben.

Vorgehensweise der Behörden sowie die Vorbereitung des Transportes:
Es begann damit, daß die Betroffenen, zugleich mit der Ankündigung ihrer Deportation ein 16 Seiten umfassendes Formular ins Haus geschickt bekamen. Mehr als 80 Fragen waren zu beantworten, darunter eine umfassende Aufstellung des Vermögens, unter anderem nach Textilien und Mobiliar ebenso wie nach Bankkonten, Sparbüchern, Kaufverträgen, Schuldscheinen, Hypothek- und Grundschuldbriefen sowie Versicherungspolicen.

Mit Datum vom 13. November 1941 erhielt die Familie Hermann Plaut den so genannten Evakuierungsbefehl. In diesen Unterlagen, befand sich auch eine aus 80 Fragen bestehende Vermögenserklärung, mit der dem Oberfinanzpräsidium Hannover Auskunft über die Lebensverhältnisse und das Vermögen aufgelistet werden mußte.

Auszug aus einem Evakuierungsbefehl:
Mit dem heutigen Tage unterliegen Sie und die angeführten Angehörigen für die Dauer des Transports besonderen Ausnahmebestimmungen. Ihr und das Vermögen Ihrer oben genannten Angehörigen gilt als beschlagnahmt.
Der Deportationsbefehl enthielt auch eine detaillierte Reiseliste, die sämtliche erlaubten Gegenstände aufzählte, die in der Handtasche und in dem einen erlaubten Koffer oder Rucksack enthalten sein durften.
Es musste auf jedes Gepäckstück die Evakuierungsnummer draufstehen und die Adresse.
Paula Plaut, geb. Cohnheim verstarb vier Tage vor den für sie vorgesehenen Deportationstermin am 11.12.1941 im Alter von 60 Jahren, sie ist auf dem jüdischen Friedhof in Hannover-Bothfeld bestattet.
Hermann Plaut und sein 31-jähriger Sohn Rudolf werden am
15.12.1941 von Hannover ins Ghetto Riga deportiert. Die Stadt Hannover gibt für Hermann Plaut als Todestag den 30.11.1942 an. Rudolf Plaut gilt als verschollen.
Das Oberfinanzpräsidium Hannover begann bereits Mitte Februar 1942 das in der Vermögenserklärung vom 13. November 1941 aufgelistete und "dem Deutschen Reich verfallene Vermögen" von Hermann Plaut einzuziehen. Unterlagen die nach 1945 aufgefunden wurden, lassen erkennen, dass die Transaktionen zwischen Finanzbehörde, Bank und Versicherung reibungslos und routiniert über die Bühne gegangen sind:

Die Dresdner Bank überwies an die Staatskasse 3.048 RM, die auf einem Sicherheitskonto für die Schwägerin Rosa Cohnheim deponiert waren, und weitere knapp 1.800 RM in Wertpapieren.
Das Finanzamt Hannover-Goetheplatz versäumte nicht, davon 115 RM als rückständige Steuern einzubehalten.
Die Friedrich Wilhelm Lebensversicherungs-AG steuerte den Rückkaufwert der Lebensversicherung von Hermann Plaut in Höhe von 260 RM bei, nachdem sie zuvor einen Darlehensanteil von 400 RM abgezogen hatte.
Außerdem erbrachte die "Verwertung des Umzugsguts", also der Verkauf der zurück gebliebenen Wohnungseinrichtung weitere 192,50 RM, die die Staatskasse vereinnahmte.