Garmisch-Partenkirchen Mittergraseck 23
Zwangsarbeitslager/Kommando
Landwirtschaft Zahler Josef
Garmisch-Partenkirchen Mittergraseck 23
Deutschland, Bundesland Bayern, Regierungsbezirk Oberbayern, Landkreis Garmisch-Partenkirchen
Opfer
Sewastjanowa Marzelina
* 01.04.1912
Wohnort: Kujawa (Kreis / Region Podolsk)
Ankunft Garmisch-Partenkirchen am 15.03.1943
Tätigkeit: Landarbeiterin
Anna Zahler
Sie kam 1903 in Wamberg (Garmisch-Partenkirchen) zur Welt und war Bergbäuerin. 1926 heiratete sie den Landwirt Josef Zahler vom Polsterhof in Mittergraseck. Ihr Sohn fiel im Krieg und ihr Mann erlag später seinen schweren Kriegsverletzungen . Als Witwe arbeitete sie seither allein mit ihrer Tochter und einer Zwangsarbeiterin auf dem Hof. Albrecht Haushofer nahm sie am 20.September 1944 auf, obwohl sie damit ein hohes Risiko einging, weil für diese Tat eine schwere Bestrafung vorgesehen war. Nach Haushofers Entdeckung wurde auch Anna Zahler verhört und 4 Monate im Gefängnis Wittelsbacher Palais behalten. Sie wurde 1945 wegen Krankheit beurlaubt und starb schließlich am 2. Februar 1964 in Partenkirchen.
Mittergraseck, den 18. Okt. 1945
Anna Zahler, Mittergraseck Hs.Nr. 23
An Herrn Rechtsanwalt Reisinger, Garmisch - Schlatan
Betreff: Amtsgerichtliche Verhandlung gegen meine Person wegen Schwarzschlachtung u. Beihilfe am 5.2.1944 (richtig: 1945 d.V.) erfolgte Verhandlung am 17.10.1945 am Amtsgericht Garmisch
Anlagen: 2 Abschriften bezw. Zeugnisse von meiner politischen Haftzeit im SS.Strafgefängnis (Wittelsbach) München.
Person: Ich, Anna Zahler, Bauerswitwe in Mittergraseck Nr. 23, geb. am 7.7.03 in Wamberg, Kreis Garmisch
Politisches: Vom 20.9.1944 - 7.12.1944 zus. 2 Monate hielt ich einen, des wegen der Beteiligung vom 20.7.1944 (Hitlerbeseitigung) von SD und Nazipolizei gesuchten Herrn, in meinem Berghof in Verpflegung u. versteckt. Durch Verrat aus der Nachbarschaft gelang es schließlich dem SD u. der Nazipolizei, unseren Schlupfwinkel ausfindig zu machen u. den Flüchtling, welcher noch einige Tage vor Eintreffen der Alliierten Truppen von den Nazis erschossen wurde, zu verhaften. Ich selbst wurde ebenfalls in diesem Zusammenhange am 7.12.1944 in das politische Gefängnis der SS. (Wittelsbach) in München eingeliefert und konnte meiner wahrscheinlich nicht einfachen Aburteilung, nur durch besondere Hilfe u. das Näherrücken der Alliierten Truppen, am 12.4.1945 die Freiheit gewinnen.
Zur Sache: Im Zusammenhange mit der Verpflegung, des ohne Marken dastehenden Flüchtlinges, schlachtete ich damals Anfang Dez. 1944 ein etwas an Wuchs zurückgebliebenes Schaf, das mit Sicherheit selbst eingegangen wäre. Außerdem erlaubte ich meinem Schwager Hans Zahler die Abschlachtung eines von ihm selbst beigebrachten Stückes Kleinvieh, da er auch in Not lebte u. ich damit zu rechnen hatte, dass ich davon auch einige Pfund für meinen Flüchtling u. für meine Arbeitshelfer (meist hilfsbereite Soldaten ohne Marken) abbekommen konnte. Dazu möchte ich noch bemerken, dass ich diese Arbeitshilfen äußerst notwendig hatte, da ich ja völlig allein mit meiner 16jährigen Tochter dastehe u. meinen 45 Tagwerk großen Berghof (1000 Meter Höhenlage) mit durchaus schwierigsten Steilhängen u. stundenweiter Entfernung zu bearbeiten habe.
Am 15.10.1945 erhielt ich nunmehr für den 17.10.45 anberaumt eine Verhandlungsvorladung vom Amtsgericht Garmisch, mit einem noch allem Hohn sprechenden Briefumschlag, auf dem der Stempel mit dem gut sichtbaren Hakenkreuzzeichen (das Zeichen unter dem ich im SS.Strafgefängnis gelitten habe) aufgedruckt war.
Diese Verhandlung am 17.10.1945 brachte mir wegen eigener Schwarzschlachtung, geschehen vor fast einem Jahr in der Nazizeit unter meinen damals schwierigen Umständen 80.- RM Geldstrafe u. wegen Beihilfe zur Schwarzschlachtung bei meinem Schwager 5 Wochen Gefängnis.
Rechtfertigung: In den Gedanken tiefster Zerrüttung stelle ich nunmehr an die Gerechtigkeit, sofern man überhaupt noch einmal einen Funken Glauben an Gerechtigkeit aufbringen kann oder darf, die Frage, ob das über mich gekommene Leid noch nicht genügt.
Im Oktober 1943 habe ich meinen Mann, der vom Weltkrieg 1914/18 100% kriegsbeschädigt völlig arbeitsunfähig dahinsiechte u. einer ständigen Pflege u. Betreuung bedurfte, im besten Mannesalter war, verloren. Unser einziger Sohn u. Hoferbe ist seit Sommer 1944 bei Cherbourg/Frankr. vermisst u. ich bin bis heute ohne jegliches Lebenszeichen von ihm. Ich selbst schmachtete vom 7.12.1944 - 12.4.45 politisch im SS.-Strafgefängnis (Wittelsbacher-Palais) München, unter den heute ja bekannten Umständen, wie es in einem politischen Gefängnis zuging u. wartete auf meine Aburteilung, von deren Ausgang aufgrund der Sachlage nur das Schlimmste zu erwarten war. Daheim arbeitete und grämte sich während meiner Haftzeit meine 16jährige Tochter, völlig auf sich allein gestellt, um mich, um die Wirtschaftsführung, deren Schwierigkeiten bereits oben erwähnt sind, u. über den Ausgang dieser furchtbaren Schicksalsschläge.
Nun stelle ich die Frage! Genügt das alles noch nicht? Der entstandene Schaden in der Wirtschaft, die Verachtung in der Nazizeit! Alles darum, weil ich nicht Nazi war.
Habe ich dadurch ein Verbrechen auf mich geladen, gegenüber der heutigen neuen Regierung, die auf Freiheit u. Recht aufbaut, weil ich fast vor einem Jahr die Naziwirtschaft durch meine kleine notwendige Handlung u. Selbsthilfe im genannten Zusammenhange etwas geschädigt habe. Vielleicht hätte eine solche Schädigung im großen ein früheres Kriegsende gebracht u. hätte mir u. vielen Eltern manches Leid u. die Söhne erspart.
Außerdem war es mir u. unseren hier in der Abgelegenheit lebenden Menschen nicht möglich, wie den damaligen prominenten Nazibonzen usw., dass wir uns für einige hundert Mark, wie uns ja auch bekannt wurde, ein Pfund Fleisch im schwarzen Handel erwerben konnten, weil wir dazu zu arm gewesen wären.
Auch haben wir keine Gelegenheit u. keine Zeit gehabt, in unserer abgelegenen Berggegend mit 2 Stunden Weg zum Markt dort Stunden vor den Geschäften zu stehen, wie andere Hunderte Nichtstuer u. mussten damals auf viele Mangelwaren, die andere erreichen konnten, verzichten.
Eines aber stand fest! Wir selbst, meine gutwilligen Arbeitshelfer u. dieser Flüchtling mussten auch leben.
Sollte diese Erklärung nicht zum Verständnis führen, dass dieses gefällte Urteil eine neue schwerste Härte für mich u. meine Tochter bedeutet u. nach der obigen Erklärung eine völlige Ungerechtigkeit bedeutet u. trotzdem auf dieser Verurteilung bestanden bleiben, so muss ich meiner eigenen Auffassung nach den Glauben an eine Gerechtigkeit für immer beiseite legen.
Man kann dann auch ruhig in der heutigen Zeit meine vielen bewussten Gegenhandlungen gegen das Naziregime von damals auf den heutigen Verhandlungstisch bringen u. mich dementsprechend verurteilen.
gez. Anna Zahler
© Alois Schwarzmüller 2010
Mittergraseck, 26.11.1945
Anna Zahler, Mittergraseck 23, Kr. Garmisch
An Herrn Rechtsanwalt Reisinger, Garmisch - Schlatan
Betreff: Mein Schreiben vom 18.10.1945 i. S. Gerichtsverhandlung v. 17.10.45 (z.Zt. Berufung)
In der Angelegenheit meiner Strafsache u. Verurteilung (z.Zt. eingelegte Berufung) durch das Amtsgericht Garmisch v. 17.10.1945 möchte ich unter Hinweis auf mein Schreiben vom 18.10.1945 auf folgendes aufmerksam machen:
Laut Nachrichtenblatt der Militärregierung v. 24.11.45 Nr. 40 sind unter Kontrollratsgesetz Nr. 1 eine Menge Gesetze politischer Natur sowie sonstige Ausnahmegesetze des Naziregimes einschl. ihrer Zusatzgesetze, Durchführungs-bestimmungen, Verordnungen u. Erlasse ausdrücklich aufgehoben.
In meiner Angelegenheit dürfte die Aufhebung des Gesetzes Nr. 1 Artikel I Abs.(c) Gesetz zur Änderung von Vorschriften d. Strafrechtes u.d. Strafverfahrens vom 24.4.34 RGBl. I/341 sowie insbesondere der Artikel II und III des Gesetzes Nr. 1 von besonderer Wichtigkeit und Interesse sein.
Ich entnehme aus dem genannten Artikel II, dass keine deutsche Gesetzesverfügung, gleichgültig zu welcher Zeit erlassen, weder gerichtlich noch verwaltungsmäßig in Anordnung gebracht werden darf, wenn irgendjemand nach (b) in Artkel II auf Grund einer Opposition zu der NSDAP usw. Nachteile erleiden würde.
Unter Hinweis auf mein Schreiben v. 18.10.45 erkläre ich, dass meine übermäßigen Nachteile nicht nur durch meine Haftzeit als politischer Häftling im SS-Strafgefängnis Wittelsbacher-Palais München in der Nazizeit, sondern erst noch durch eine mir unverständliche Verurteilung am 17.10.45 (80.- RM Geldstrafe u. 5 Wochen Gefängnis) durch das Amtsgericht Garmisch im Zusammenhang mit meinen damaligen oppositionellen Gegenaktionen gegen das Naziregime im Jahre 1944 das höchste Vollmaß erreicht haben.
Ich persönlich nahm es als eine selbstverständliche Angelegenheit an, dass über kurz oder lang solche Nazigesetze von damals schließlich als gegenstandslos erklärt werden.
Das Gericht jedoch hatte es eiliger, scheinbar sofort zu Beginn seiner Tätigkeit als erstes nichtkriminelle Fälle, Nazi u. Oppositionsfälle von Nazigegnern u. ehem. politischen Häftlingen aus der Schublade zu ziehen u. sofort nach den inzwischen noch vorhandenen u. noch nicht ergänzten Nazigesetzen abzuurteilen.
Nunmehr bin ich aber schon auf die nächste Schema F-Tour ( nach freier Meinung Amtsschimmel) vorbereitet, dass dieses Urteil vor der Aufhebung der Nazigesetze v. 20.9.45 (also ca. 3 Wochen vor meinem Urteilsspruch) jedoch Ausgabe lt. Nachr.Bl. am 24.11.45, schon ausgesprochen wurde u. vielleicht nunmehr bedauerlichen Falles nicht mehr zu ändern ist.
Ich bitte Sie, Herr Rechtsanwalt, nunmehr um Ihre gef. Nachricht, wie nunmehr die Angelegenheit aussieht u. welcher Ausgang nun zu erwarten ist. Ich warte nunmehr auf baldigen Abschluss der Angelegenheit in günstigster Lösung.
gez. Hochachtungsvoll Anna Zahler
© Alois Schwarzmüller 2010
Besondere Vermerke zur Angelegenheit Zahler, Mitte
Persönliche Vorlage an
Herrn Dr. Fischbacher1
Herrn Justizminister Dr. Högner2
ohne Verfasser, ohne Datum
1. Persönl.: Der Inhalt der Angaben entsprechen der Wahrheit u. die bäuerliche Bevölkerung des Werdenfelsergebietes hatte damals schon Mitleid für diese leidgeprüfte Frau. Nunmehr aber ist die Bevölkerung der Umgebung empört über die neue Verurteilung. Die Arbeit ruht heute noch auf Mutter u. der 16jährigen Tochter. Der Sohn ist bis jetzt noch vermisst. Mutter Zahler war stets Nazigegnerin u. nie bei der Partei oder einer Nebengliederung.
2. Gerichtliche u. andere Meinung: In der gerichtlichen Angelegenheit ist durchsickernd scheinbar auch die Auffassung vertreten gewesen, dass ja der Flüchtling nicht zu dem Genuss aus der Schwarzschlachtung gekommen ist, da ja bei der Festnahme des Flüchtlings u. der Fluchtunterkunft gebenden Frau Zahler von dem Fleisch nichts verbraucht war. Die Schlachtung war eben auch diesselben Tage vor der Festnahme erfolgt. Schließlich wussten ja auch beide nicht, dass sie die nächsten Tage schon festgenommen werden, sonst würden sie wohl die Schlachtung unterlassen u. eine weitere Flucht vorgezogen haben. Jedenfalls waren die Vorräte der vergangenen 2 Monate, in denen sich der Flüchtling dort verborgen hielt, aufgebraucht u. der Schritt zur Selbsthilfe notwendig geworden. Die gesamte Menge der Schwarzschlachtung, Stierkalb u. dazu noch ein kleines Quantum Schaffleisch, wurden abgefahren u. es ging damit von dem Jungtier nicht ein Gramm der damaligen Wirtschaftsführung verloren.
3. Flüchtling Prof. Dr. Haushofer: Der von Sd. u. Polizei gesuchte Flüchtling war wegen Zusammenhängen v. 20. Juli 44 (Führerbeseitigung) verfolgt u. wurde nach den nunmehrigen Benachrichtigungen von dessen Bruder einige Tage vor Eintreffen der Alliierten bei Berlin von den Nazis noch erschossen. Die Nachrichten befinden sich bei Frau Zahler mit der letzten Bitte des Erschossenen an seinen Bruder, die edle Frau Zahler nach dem Krieg nicht zu vergessen. Der Flüchtling war der Sohn des bekannten General Haushofer aus Garmisch, welcher in der Jetztzeit verhaftet sein soll, sich aber seiner vollen Freiheit u. Ruhe erfreut. Der Sohn jedenfalls war gewaltiger Gegner u. in dem Zusammenhang waren nicht nur Haushofer, sondern ca. 6 - 7 Verwandte, darunter ein Geistlicher, verhaftet.
4. Ministerialdirektor Knappstein, Presse: Frau Zahler erfreut sich der Beliebtheit vieler Sommergäste aus der vergangenen Zeit, durchwegs Antinazi. Darunter befindet sich auch der heutige Ministerialdirektor Knappstein3 Heinz der Regierung Großhessen. Er nimmt regen Anteil u. ist von dem Vorfall genauestens unterrichtet u. wird in seiner alten Verbindung zur Presse vor 1933, als Schriftleiter in der Frankfurter Zeitung damals, heute dafür Sorge tragen, im Verurteilungsfall von Frau Zahler alles an die Presse zu bringen.
5. Verhandlung München: Nach eingelegter Berufung ist nunmehr Frau Zahler vorgeladen:
Oberstaatsanwalt München II
Verhandlung am 22. März 1946 vormittags 9 Uhr
im Justizpalast / Sitzungssaal 10/c
Eingang Elisenstraße
Als Rechtsanwalt vertritt nicht mehr, wie bis jetzt, Dr. Reisinger - Schlatan, sondern als Verteidiger ist geladen Rechtsanwalt Dr. Roesen, Partenkirchen.
6. Sonstiges: Ein letzter Brief vom 18.2.46 von Frau Zahler gibt den Eindruck einer völlig hilflosen u. kranken Frau, die nunmehr nach den vielen Schicksalsschlägen nicht mehr die Kraft für sich selbst aufbringt, vor allem aber als einfache Bergbäuerin das Unrecht besser u. feiner fühlt als andere, sich aber nicht helfen kann. Mitgenommen von der schweren harten Arbeit am Berg, von dem jähen, frühen Verlust des Mannes, vom Verlust des Sohnes, von den Erlebnissen im SS-Gefängnis u. dazu den jetzigen Dingen, die andere Menschen mit Lächeln abtun würden, versteht sie die Umwelt nicht mehr, von der sie für eine ihr selbstverständliche edle Tat nunmehr in den Gerichtssälen herumgeschleift wird u. nunmehr für ihr damaliges gutes Herz weiter büssen soll.
Bemerkung: Auch der Schwager von Frau Zahler, also Hans Zahler aus Partenkirchen, ist wegen Schwarzschlachtung damals 1944 angeklagt und wurde in der Verhandlung am 17.10.45 mit ca. 1/2 Jahr Gefängnis verurteilt u. hat ebenfalls Berufung eingelegt.
Zahler Hans hat diese Schlachtung aus eigener Not als armer Gebirgsholzarbeiter u. um seiner Schwägerin Anna aus ihrer Not im Zusammenhang mit dem ohne Marken lebenden Flüchtling u. ihrer freiwilligen Arbeitshelfer durchgeführt.
Dieses Stierkalb (Öchslein) wurde aber am Zahlerhof ohne Verbrauch damals sichergestellt u. in den Schlachthof Garmisch überbracht. Es ging somit der Naziwirtschaft nicht ein Gramm verloren.
Quellen: Archiv der Familie Zahler, Garmisch-Partenkirchen
© Alois Schwarzmüller 2010