Bernotat Fritz

SS-Standartenführer

Friedrich Bernotat, genannt Fritz Bernotat war im nationalsozialistischen Deutschen Reich als SS-Standartenführer sowie Landesrat und Dezernent für Anstaltswesen des Bezirksverbandes Nassau maßgeblich an der Organisation und Durchführung des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms in seinem Wirkungsbereich beteiligt.

geb.
10.04.1890 in Mittel-Jodupp (Ostpreußen)
+
04.03.1951 in Neuhof (bei Fulda) unter dem Falschnamen Kallweit Otto

Bernotat Fritz wurde im ostpreußischen Mittel-Jodupp (späterer Name Holzeck), Kreis Goldap, geboren. Er hatte fünf weitere Geschwister.

Nach dem Besuch der achtjährigen Volksschule in Czarnowken war er bis 1908 im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern in Mittel-Jodupp tätig.

Am 2. Oktober 1908 ging Bernotat zum Militär und begann seinen Dienst im Ulanen-Regiment Nr. 8 in Gumbinnen. Später verpflichtete er sich als Berufssoldat, kam zum Ulanen-Regiment Nr. 7 nach Saarbrücken und diente ab Oktober 1913 im Telegraphen-Bataillon Nr. 7 in Koblenz. Mit dieser Einheit nahm er am Ersten Weltkrieg zuletzt als stellvertretender Divisions-Nachrichten-Bauwart teil. Er erlitt eine 30%ige Kriegsbeschädigung und wurde für seine Verdienste mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet.
Nach Kriegsende war Bernotat Angehöriger des Korps-Nachrichten-Park 1 in Königsberg, wo er als Parkverwalter beschäftigt war.
Aufgrund der durch den Versailler Vertrag erzwungenen Verkleinerung der Reichswehr, verlor Bernotat 1919 seine Stelle als Berufssoldat.

1920 Anstellung als Vertragsangestellter beim Hauptversorgungsamt Koblenz und wechselte kurz danach zum Versorgungsamt Oberlahnstein.

Am 12. November 1920 heiratet er die 22-jährige Landwirtstochter Auguste R., aus Erbenheim bei Wiesbaden. Zwei Söhne wurden tot geboren. Die Ehe blieb somit kinderlos, hielt jedoch bis zu Bernotats Tod im Jahre 1951.

02. Oktober 1922 Militäranwärter beim Bezirksverband Nassau in Wiesbaden an.

Am 01. April 1925 wurde er dort planmäßig als Landesverwaltungsassistent angestellt.

Am 01. April 1927 wurde er zum Landesverwaltungssekretär befördert.

01. November 1928 Eintritt in die NSDAP (Mitglieds-Nr. 102.710), gleichzeitig Eintritt in die SA.

Am 01. April 1929 wurde er zum Landesverwaltungsobersekretär befördert.

Ab 1930 leitete er die Sektion Wiesbaden-Südstadt (nach anderen Angaben Wiesbaden-Südwest). Nach Unterbrechung aufgrund des sogenannten Severing-Erlasses fungierte Bernotat im Anschluss bis Anfang 1931 als stellvertretender Kreisleiter für Beamtenfragen.

Am 14. Januar 1932 trat er in die SS ein (Mitglieds-Nr. 22.546) und wurde Mitglied im Verein Lebensborn e.V.

Als Truppführer wirkte Bernotat vom 23. März 1932 an im SS-Sturmbann I/2.

1933 (nach der nationalsozialistischen Machtübernahme) wird Bernotat zum politischen Beauftragten des Gauleiters beim Bezirksverband Nassau und zum Adjutanten des Landeshauptmanns bestellt.

1933 NSDAP-Ortsgruppenleiter von Wiesbaden-Bahnhof

vom 01. Juni 1933 bis 31. März 1934 SS-Obertruppführer im Sturmbann z.b.V. beim Stab des SS-Abschnitts XI

zwischen 1933 und 1934 Landeskirchenrat

ab 10. Januar 1934 NSDAP-Ortsgruppenleiter z.b.V.

ab 01. Juli 1934 Fürsorgereferent beim Stab des SS-Sturmbanns I/78. SS-Standarte.

Am 17. Juni 1935 übergab Landeshauptmann Wilhelm Traupel seine Funktion als Fürsorgereferent im SS-Abschnitt XI (Wiesbaden) an Bernotat.

09. November 1935 Beförderung zum SS-Untersturmführer

01. August 1936 - 1942 Ratsherr der Stadt Wiesbaden

13. September 1936 Beförderung zum SS-Obersturmführer

ab 1937 Vereinsleiter des Trägervereins der Heil- und Pflegeanstalt
Kalmenhof in Idstein

ab 07. Mai 1937 Vorsitzender des Vereins für Volkspflege e.V.

01. Juli 1937 Beförderung zum SS-Hauptsturmführer

ab 08. August 1937 Vorstand der Heil- und Pflegeanstalt Scheuern

12. September 1937 Beförderung zum SS-Sturmbannführer

im Januar 1938 tritt Bernotat aus der evangelischen Kirche aus und bezeichnete sich fortan als gottgläubig.

10. September 1939 Beförderung zum SS-Obersturmbannführer

November 1941 erlitt Bernotat aufgrund seiner chronischen Herz-Kreislauferkrankung eine Embolie, die ihn vorübergehend erblinden ließ. Nach einer Operation konnte er jedoch mit Einschränkungen zu Beginn des Jahres 1942 wieder seinen Dienst antreten. Schon zuvor hatte er von seiner Wohnung in der Wiesbadener Eichendorffstraße 1 aus telefonisch den Gang seiner Dienstgeschäfte gesteuert.

im Mai 1943 wird unter Leitung Bernotats in einer Abteilung der Landesheilanstalt
Hadamar ein Erziehungsheim eingerichtet, in das jüdische Mischlinge ersten Grades im Sinne der Nürnberger Gesetze eingewiesen wurden. Mindestens 40 Kinder und Jugendliche fielen dort der Medikamenten-Euthanasie zum Opfer

09. November 1943 Beförderung zum SS-Standartenführer und Führer beim Stab des SS-Oberabschnitts Rhein-Westmark
Seine persönlichen Verdienste für die SS sowie die von ihm geförderte Zurverfügungstellung von Raum für SS-Lazarette in den Einrichtungen des Bezirksverbandes, wurden durch die Aufnahme Bernotats in den Kreis jener hervorgehobenen SS-Angehörigen belohnt, denen der Reichsführer-SS zum Weihnachtsfest – im neuheidnischen SS-Jargon als Julfest bezeichnet – den sogenannten Julleuchter überreichte.

März 1945
beim Heranrücken der US-Armee setzte sich Bernotat mit seiner Frau und Sekretärin nach Osten ab. In Cottbus trennte sich seine Sekretärin von ihm. Seitdem verlor sich seine Spur. Ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren, unter anderem auch gegen Bernotat, führte nicht zu einem Strafverfahren, da er offiziell als verschollen galt.
Wie sich später herausstellte, war Bernotat nicht verstorben, sondern nur untergetaucht, seine Wiesbadener Schwiegereltern und seine letzte Sekretärin hatten sich jedoch von seinem Ableben überzeugt gezeigt. Tatsächlich hatten der in Ostpreußen gebürtige Bernotat und seine Ehefrau sich im Oktober 1945 in Neuhof bei Fulda als Flüchtlingspaar Kallweit ausgegeben und dort zunächst in einer Baracke von Schacht II Unterschlupf gefunden. Fritz Bernotat alias Otto Kallweit gab an, er habe seit über zehn Jahren ein Zigarrengeschäft in Goldap in Ostpreußen betrieben. Er habe keiner Partei angehört, lediglich der NSV. Bei der Entnazifizierung wurde er daraufhin als nicht betroffen eingestuft.
Er starb am 04. April 1951 in Neuhof. Seine Identität und sein Tod wurden erst bekannt, als seine Witwe 1954 wieder seinen Namen annahm
und beim ehemaligen Dienstherrn ihres Mannes die Witwenpension beantragte..

Auszeichnungen
Eisernes Kreuz (1914) II. Klasse
Totenkopfring der SS
Kriegsverdienstkreuz (1939) II. Klasse im August 1942
Goldenes Parteiabzeichen der NSDAP am 30. Januar 1943


Mehr noch als sein Dienstrang fiel seine Funktion als Adjutant des Landeshauptmanns Wilhelm Traupel ins Gewicht. Insbesondere nachdem letzterer ab 1936 seinen Dienstsitz nach Kassel verlegt hatte, da er nunmehr in Personalunion neben dem Bezirksverband Nassau auch den Bezirksverband Hessen leitete, war es Bernotat als Leiter des Wiesbadener Büros von Traupel möglich, seine Machtposition mit Rückendeckung des Landeshauptmanns, mit dem er per Du war und der ihn mit Berno anredete, kontinuierlich auszubauen. Im Lauf der Jahre wurde der als herrschsüchtig beschriebene Bernotat (ausgesprochener Willensmensch und sehr hart, SS-Personalbericht vom 03. August 1939) so zum eigentlichen Herrscher im Bezirksverband Nassau. Seine Position festigte er durch Intrigen und unverhohlenem Terror. Auch seine schon früh geschlossene Freundschaft mit dem Gauleiter von Hessen-Nassau und Reichsstatthalter Jakob Sprenger, als dessen Vertrauter er innerhalb des Bezirksverbandes galt, stellte eine wesentliche Stütze seiner Machtstellung dar.
1940 übernahm Bernotat die Funktion eines Fachschaftsgruppenwalters des Reichsbundes der Deutschen Beamten, die ihm als Parteimann Einfluss auf die Personalpolitik des Bezirksverbandes ermöglichte.
Bereits in seiner ersten Rede als neuer Dezernent für das Anstaltswesen des Bezirksverbandes profilierte sich Bernotat auf einer am 24. September 1937 vom Deutschen Gemeindetag in München veranstalteten Anstaltsdezernentenkonferenz als der Verfechter einer radikalen Sparpolitik zu Lasten der Kranken.

Aus dem von ihm angeführten Hitlerzitat:
All unsere Arbeit hat dem deutschen Volk zu dienen, leitete Bernotat ab, dass die Aufwendungen für Erbkranke, Asoziale so niedrig zu halten sind, wie nur irgend möglich.

Mit einer maximalen Belegung beziehungsweise Überbelegung und einer Änderung des Pflegeschlüssels durch die Verdoppelung der auf einen betreuenden Arzt entfallenden Patientenzahl, habe er bereits die notwendigen Sparmaßnahmen eingeleitet, die er seinen Kollegen zur Nachahmung empfahl. Hinzu kämen noch Einsparungen bei der Ernährung und die Verwendung von Strohsäcken anstelle von Matratzen.

Dass er letztlich den Kranken ihr Lebensrecht absprach, formulierte er bereits am 05. April 1937 bei einer Anstaltsleiterkonferenz in Schloss Dehrn mit den drastischen Worten:
Wenn ich ein Arzt geworden wäre, ich würde diese Kranken umlegen.

Der ärztliche Leiter der Heil- und Pflegeanstalt Eichberg, Friedrich Mennecke, zitierte nach dem Krieg Bernotat mit dessen Ausspruch gegenüber den Ärzten und dem Pflegepersonal über die Insassen der Anstalten: Schlagt sie doch tot, dann sind sie weg!

1938 ergaben sich erste Differenzen zwischen Bernotat und Landeshauptmann Traupel, als dieser sich für eine letztlich gescheiterte Zusammenlegung der beiden Bezirksverbände in der Provinz Hessen-Nassau stark machte, was mit einer Verlegung der Verwaltung von Wiesbaden nach Kassel verbunden gewesen wäre. Bernotat ließ sich daher im Frühjahr 1939 in das neu gebildete Protektorat Böhmen und Mähren abordnen, um dort mit weiteren Mitarbeitern des Bezirksverbandes in Prag ein Bodenamt aufzubauen. Er kehrte jedoch schon im September 1939 nach Wiesbaden zurück.

1940 fand ein Machtkampf zwischen Landeshauptmann Traupel und dem Gauleiter von Hessen-Nassau, Jakob Sprenger, statt, bei dem es um die Vorherrschaft der politischen oder staatlichen oder kommunalen Verwaltung ging. In dieser Auseinandersetzung schlug sich Bernotat mit sicherem Instinkt auf die Seite von Sprenger als dem Gewinner dieses Kräftemessens. Der Gauleiter erwies sich für die erfahrene Unterstützung durch interne Informationen aus dem Bezirksverband gegenüber Bernotat als großzügig, so dass dieser nach dem Abgang Traupels endgültig zum starken Mann des Bezirksverbandes avancieren konnte. Ab Mai 1941 gab Bernotat dort den Ton an und wirkte zugleich als verlängerter Arm des Gauleiters.

Bernotat stellte auf Regionalebene den Prototyp eines überzeugten und fanatischen nationalsozialistischen Karrieristen dar, der sich politisch protegiert rücksichtslos von unten nach oben kämpfte, sich dabei instinktsicher immer auf die Seite der Gewinner von machtpolitischen Auseinandersetzungen schlug und skrupellos seinen persönlichen Vorteil und Machterhalt suchte. Ebenso wie er in seinem persönlichen Karrieredrang Rücksichten auf andere nicht kannte, setzte er auch die ideologisch begründeten Rassehygienemaßnahmen des NS-Staates mit einer beispiellosen Radikalität in seinem Wirkungsbereich durch. Als Vertreter einer auch im damaligen Staat extremen Richtung, die vor allem psychisch und geistig Kranke generell als nutzlos für die Volksgemeinschaft betrachtete, teilte er vorbehaltlos die Auffassung, dass solche überflüssigen und die Gemeinschaft wirtschaftlich belastenden Existenzen im Sinne einer effektiven Rasse- und Sozialhygiene zu beseitigen seien. Es sorgte mit dafür, dass in den Anstalten des Bezirksverbandes Nassau 20.000 Menschen durch Gas, Medikamente und Hunger umgebracht werden konnten.

Ebenso wenig wie Bernotat, wurden auch die übrigen Verantwortlichen des Bezirksverbandes wegen der Verbrechen strafrechtlich belangt, die in ihrem Wirkungsbereich geschahen.




Studie zur Geschichte eines preußischen Provinzial- beziehungsweise Bezirksverbandes als Träger der Anstaltsfürsorge von Peter Sandner.

Sofort nach der Machtübernahme wurde Fritz Bernotat, damals noch ein kleiner Verwaltungsbeamter, von Gauleiter Jakob Sprenger, der ihn schon seit der Kampfzeit kannte und inzwischen als den agilsten Nationalsozialisten im Landeshaus – dem Sitz der Bezirksverbandes in Wiesbaden – schätzen gelernt hatte, zum politischen Beauftragten für den Bezirksverband ernannt. Diese machtvolle Position konnte er noch ausbauen, als ihn der neue Landeshauptmann Wilhelm Traupel im Herbst 1933 zu seinem Adjudanten ernannte und mit vielen Kompetenzen und Vollmachten ausstattete. Sowohl zu Traupel – der wie Bernotat SS-Mitglied war – als auch zu Sprenger entwickelte Bernotat enge persönliche Beziehungen, was nicht zuletzt auch seiner rasanten Beamtenkarriere zugute kam. Gemeinsame Überzeugung dieser Führungstroika war die energische Verfolgung rassenhygienischer Ziele und des Abbaus der ungeheuren Fürsorgelasten. In einem Punkt aber unterschied sich Bernotat deutlich von seinen Gesinnungsgenossen, nämlich in einem persönlichen, in seiner Motivation noch unklaren, tiefgehenden Hass gegenüber allen psychisch Kranken und geistig Behinderten. Schon in der Vorkriegszeit sprach er offen davon, dass man »diese Kranken umlegen, oder einfach totschlagen solle.

Nachdem Traupel 1936 auch noch die Leitung des Bezirksverbands Hessen, des nördlichen Teils der Provinz Hessen-Nassau übernommen und seinen Dienstsitz nach Kassel verlegt hatte, schwang sich Bernotat zum eigentlichen Herrscher des Bezirksverbandes Nassau auf. Zunächst betrieb er mit der ihm eigenen brutalen Energie die von Traupel eingeleitete Politik der Ausschaltung der konfessionellen Anstaltsträger aus der Betreuung psychisch kranker und geistig behinderter Menschen, wobei man auch vor falschen Versprechungen und illegalen Machenschaften nicht zurückschreckte. Durch Berechnung der in den staatlichen Anstalten höheren Pflegesätze bei den übernommenen Patienten ließen sich dabei erhebliche Gewinne erzielen.

Diese Erkenntnis, dass man an der Versorgung von Geisteskranken auch gut verdienen könne, wurde für Bernotat zu einem der Leitmotive seines zukünftigen Handelns. Bald wandte er es auch auf diejenigen Patienten an, die sich ohnehin schon in staatlicher Anstaltsfürsorge befanden, indem er sie weit unter dem Niveau versorgen ließ, welches die Pflegesätze an sich erlaubt hätten. Erreicht wurde dies durch massive Einsparungen in allen Bereichen, so beim Personal und bei der Ernährung, vor allem aber durch eine enorme Überbelegung. Anhand der Entwicklung von Weilmünster zu einer nationalsozialistischen Sparanstalt kann Sandner dies eindrücklich demonstrieren. Aufgrund der Entkonfessionalisierungsaktion, aber auch durch Übernahme zahlreicher Patienten aus der Rheinprovinz stieg dort die Belegung zwischen 1935 und 1938 von rund 500 auf 1500 Patienten an. Damit ging eine massive Qualitätsverschlechterung der pflegerischen Versorgung einher, die auch dadurch entstanden war, dass man gerade in Weilmünster bei der Wiederaufnahme des Krankenhausbetriebes viele alte Kämpfer, darunter etliche SS-Männer, eingestellt hatte, die von Krankenpflege keine Ahnung hatten und oft brutal mit den Patienten umgingen.

Peter Sandner kann in Weilmünster noch ein anderes Phänomen herausarbeiten, das für zukünftige Entwicklungen in den Anstalten des Bezirksverbandes bedeutsam werden sollte, nämlich die Stärkung der Macht der Verwaltungsleiter auf Kosten der ärztlichen Direktoren. Bernotat ließ den Verwaltungsleiter von Weilmünster jede Woche in seinem Jagdschlösschen in Weilmünster zum Rapport antreten, um mit ihm die erreichten Fortschritte im Sparprogramm zu besprechen, während es mit dem ärztlichen Direktor keinen Austausch gab. Sandner stellt fest: Im Einklang mit Landeshauptmann Traupel baute Bernotat das Anstaltswesen als Herrschaftsgebiet der Verwaltung und nicht der Medizin aus. In dem 1940 voll entbrannten Machtkampf zwischen Sprenger und Traupel, der zur Entmachtung des Letzteren führte, schlug sich Bernotat instinktsicher und rechtzeitig auf die Seite des Gauleiters, womit seine dominierende Position im Bezirksverband endgültig zementiert war.

Wie es genau dazu kam, dass als letzte der sechs Gasmordanstalten der T4 das nicht ganz ideal gelegene Hadamar ausgewählt wurde, kann auch Sandner nicht definitiv klären, da die entsprechenden Akten des Bezirksverbandes vernichtet wurden. Er muss sich deshalb mit der Konstruktion behelfen, dass der Besuch jener hohen Kommission vom Februar 1939, der Prof. Carl Schneider, Dr. Herbert Linden vom Reichsinnenministerium und ein SD-Mann angehört hatten und die alle Vorwürfe des Frankfurter Psychiatrieprofessors Kleist über die miserablen Verhältnisse in den nassauischen Anstalten zurückwies, von entscheidender Bedeutung für die Einbindung des Bezirksverbandes Nassau in die Euthanasie-Verbrechen gewesen sei. Dabei hätten sich neben Bernotat auch der Eichberger Direktor Dr. Mennecke als grundsätzliche Befürworter der Euthanasie zu erkennen gegeben und dadurch für die Beteiligung an der Mordaktion geradezu empfohlen.
Sandner kann unter minutiöser Auswertung der gesamten Euthanasie-Literatur und -Prozessakten nachweisen, dass keine andere Länder- oder Provinzialverwaltung so eng und intensiv mit der T4-Zentrale zusammengearbeitet hat wie der Bezirksverband Nassau. Die Kooperation reichte vom Einsatz eigener Arbeiter bei der Einrichtung der Mordanstalt und der Abordnung eigenen Personals zum Betrieb derselben bis zur kostenlosen Überlassung der Anstalt Hadamar. Ein besonderes Entgegenkommen Bernotats bedeutete auch die Tatsache, dass er alle seine Anstalten als Zwischenanstalten zur Verfügung stellte und sich auch aktiv an der Steuerung der Zu- und Abtransporte beteiligte. In dem Wiesbadener Anstaltsdezernenten Bernotat fand T4 einen engangierten Mitstreiter, der aufgrund seiner Präsenz und Durchsetzungskraft den Bezirksverband Nassau insgesamt zu einem verlässlichen Partner der Mordorganisation formen konnte.
Die engen Verbindungen zwischen Bezirksverband und T4-Organisation blieben auch nach dem Stopp erhalten, so wurde einerseits das vom Bezirksverband zur T4 abgeordnete Personal teilweise zum Russlandeinsatz mitgenommen, andererseits T4-Personal nach Eichberg und Weilmünster versetzt, wo es sich maßgeblich an den aufkommenden
Medikamentenmorden beteiligte. Die Grundlage für Letzteres war die von einzelnen Anstaltsdezernenten, so auch von Bernotat an zuverlässige Ärzte ausgegebene Devise in ausgewählten Fällen weiter Euthanasie zu betreiben. Ein Hungersterben hatte es in Nassau und Kurhessen schon vor der Aktion T4 gegeben. Nach dem überraschenden Stopp der Aktion, als viele für Hadamar bestimmte Patienten in den Zwischenanstalten zurückgeblieben und Ende 1941 auch noch Evakuierungstransporte aus den luftgefährdeten norddeutschen Anstalten hinzugekommen waren, nahm es ab 1941/42 in den Anstalten des Bezirksverbandes, besonders aber in Weilmünster neue Dimensionen an.


Bezüglich des Hungersterbens gebührt Peter Sandner das Verdienst, die strukturellen Voraussetzungen für den Einsatz der Unterernährung als Mordmethode als Erster genau und überzeugend herausgearbeitet zu haben. (Bei meinen vorwiegend statistischen Forschungen zu diesem Thema ging es mir seinerzeit vor allem um den Nachweis des Hungersterbens als solchem, um die allgemeinen Ernährungsbedingungen und auch um regionale Unterschiede. In der Regel standen mir jedoch keine Verwaltungsakten zur Verfügung.) Während Sandner die Verantwortung für die Medikamententötungen den ausführenden Ärzten und Pflegekräften zuschrieb, stellte für ihn die mangelhafte Nahrungsmittelversorgung eine Tat der Verwaltung im Einklang mit den grundsätzlichen Vorgaben aus der Politik dar. Tatsächlich war der Nahrungsentzug zusammen mit der Überbelegung mit all ihren gesundheitsschädigenden Auswirkungen diejenige Mordmethode, die die Verwaltung am leichtesten steuern konnte.

Konkret ließen sich im Bezirksverband Nassau zwei Entscheidungs- und Handlungsebenen nachweisen: Erstens die von Bernotat gelenkte Zentralverwaltung in Form der sehr niedrigen Ansätze für die Ernährung der Patienten im Haushaltsplan, zweitens in den Anstalten selbst durch die tatsächliche Bereitstellung von Lebensmittelmengen, die noch einmal deutlich unter den etatmäßig vorgesehenen Rationen lagen. Für diese zusätzlichen Einschränkungen waren die leitenden Verwaltungsbeamten, von Bernotat entsprechend instruiert, verantwortlich. Die eingesparten Nahrungsmittel, aber auch Kleidung und Ähnliches wurden an andere Institutionen und auch an Einrichtungen der Partei abgegeben. Dem Anstaltspersonal blieb die vom Bezirksverband und den Verwaltungsleitern betriebene Unterschlagung von Lebensmitteln nicht verborgen, was einer Aufforderung gleichkam, sich selbst ebenfalls nach Kräften zu bedienen. Das tat man dann auch. Die Unterschlagung von Lebensmitteln kam aber auch der Justiz zu Ohren, die strenge Sondergerichte zur Ahndung von Verbrechen gegen die Kriegswirtschaftsordnung eingerichtet hatte. Die 1943 im Kalmenhof und auf dem Eichberg durchgeführten Ermittlungen führten in zwei Prozessen zur Verurteilung von Verwaltungsangestellten und Wirtschaftspersonal. Auch Bernotat geriet ins Visier der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen, wurde aber von Gauleiter Sprenger gedeckt.
Im Jahre 1942 eskalierte aus verschiedenen Gründen der schon seit einiger Zeit schwelende Konflikt zwischen Bernotat und Mennecke, unter anderem deswegen, weil Mennecke auf dem Eichberg eine Therapieabteilung zur Durchführung der modernen Schockverfahren einrichten wollte, die er bei Prof. Carl Schneider in Heidelberg erlernt hatte. Mit seinem Vorhaben folgte Mennecke den Vorschlägen der leitenden T4-Ärzte, welche der Psychiatrie mit Forschung und Therapie – aber auch mit begleitender Euthanasie – eine neue Zukunft zu geben gedachten. Bernotat jedoch sperrte sich dagegen. Er betrachtete Menschen mit seelischen und geistigen Behinderungen ausschließlich als minderwertige unnütze Esser, die keiner medizinischen Behandlung bedürften und am besten alle beseitigt werden sollten. Der Konflikt zwischen den beiden Protagonisten in Nassau wird von Peter Sandner als exemplarisch für den Zerfall der NS-Psychiatrie in zwei völlig verschiedene Lager angesehen, nämlich in die Psychiatriefraktion der leitenden Ärzte in der T4-Organisation auf der einen und der Partei- und Verwaltungsfraktion auf der anderen Seite, zu der hochrangige Verwaltungsbeamte wie Linden im Reichsinnenministerium, aber auch Allers und H.J. Becker in der T4-Organisation gehörten. Mennecke, der seinen früheren Förderer Bernotat mittlerweile für den größten Feind der Zukunftspsychiatrie hielt, konnte sich durch seine Parteinahme für die Psychiatrie-Fraktion im Bezirksverband nicht mehr halten. Bernotat ließ im Januar 1943 seine Freistellung vom Militärdienst aufheben und sorgte dann auch noch dafür, dass er an der Ostfront eingesetzt wurde.


Seinen ungebrochenen Vernichtungswillen konnte Bernotat im Sommer 1942 erneut unter Beweis stellen, nachdem die Berliner T4-Zentrale die Anstalt Hadamar an den Bezirksverband zurückgegeben hatte. Er machte daraus ein Zentrum der zentral organisierten und dezentral umgesetzten Krankenmorde mithilfe von Medikamenten. Auch hierzu haben sich keine Dokumente auffinden lassen. Sandner geht aber mit Recht davon aus, dass die Grundsatzentscheidung zur im August 1942 geschehenen Wiedereinrichtung der Mordanstalt Hadamar gemeinsam von Vertretern des Bezirksverbandes und von T4 getroffen wurde. Die mehrtägige Begegnung zwischen den Wiesbadener Landesräten Bernotat und Kranzbühler einerseits sowie dem Berliner Reichsbeauftragten für die Heil- und Pflegeanstalten und T4-Mitarbeiter Linden andererseits, die Mitte Mai 1942 stattgefunden hatte, dürfte für diesbezügliche Kontaktaufnahmen genügend Gelegenheit geboten haben. Später traf sich Bernotat auch noch mit dem Geschäftsführer der T4 Dietrich Allers und dem Leiter der zentralen Verrechnungsstelle Hans-Jochim Becker.
Wie schon während der Gasmordaktion kam es auch jetzt wieder zu einer reibungslosen Zusammenarbeit, von der sowohl der Bezirksverband als auch T4 profitierte. So stellte T4 das vorübergehend in Weilmünster beschäftigte Mordpersonal nun für Hadamar zur Verfügung, half bei der Neueinrichtung der Anstalt u.a. mit der Lieferung von Strohsäcken und ließ die ersten Transporte von der Gekrat durchführen. Der Verwaltungsleiter Klein, der sich schon während der Gasmorde in vielfacher Hinsicht nützlich gemacht hatte,wurde jetzt lokaler Ansprechpartner und Repräsentant von T4. Auf der Ebene des Bezirksverbandes avancierte er zum eigentlichen Direktor der Mordanstalt, während der Arzt Dr. Wahlmann lediglich die Rolle eines medizinischen Feigenblattes spielte.

Die Organisation der Verlegungen war dem Duo Bernotat und Linden vorbehalten, die zumeist telefonisch miteinander kommunizierten. Linden, den auch Sandner als die Schlüsselfigur der Patientenmorde nach T4 einschätzt, war durch die regelmäßigen Belegungsmeldungen der Anstalten genau informiert und konnte je nach Räumungserfordernissen die Evakuierungstransporte dorthin dirigieren, wo noch Platz war. Bernotats Aufgabe in diesem System war es, immer wieder freie Plätze anzubieten – auch durch die Ermordung der Patienten. Waren die Platzanforderungen für Hadamar zu groß, dann schickte er Transporte wieder in die ehemaligen Zwischenanstalten. Von dort erfolgte dann später der Weitertransport nach Hadamar als der effektiveren Tötungsanstalt. Insgesamt wurden in Hadamar in der Zeit von August 1942 bis zum Kriegsende mehr als 4400 Menschen ermordet, in der Hauptsache evakuierte psychisch Kranke aus vielen deutschen Anstalten, von denen fast 90% bis Kriegsende starben, ab 1944 aber auch körperlich und psychisch kranke Zwangsarbeiter, Fürsorgezöglinge und jüdische Mischlingskinder.

So ausführlich wie bisher noch kein anderer Euthanasie-Forscher beschäftigt sich Peter Sandner mit der Tatsache, dass praktisch zeitgleich mit der Wiedereröffnung von Hadamar auch in Meseritz-Obrawalde eine Anstalt mit eindeutigem Tötungsauftrag ihre Tätigkeit aufnahm und dass zwischen den beiden Anstalten auffällige Ähnlichkeiten bestanden: Beide wurden in der Regie von Provinzialverwaltungen betrieben, beide wurden von Verwaltungsbeamten geleitet, Klein in Hadamar und Grabowski in Meseritz – und in beiden wurden aus dem ganzen Reich antransportierte Psychiatriepatienten mit Medikamenten ermordet. Pointierter noch als in seinem Buch hat Peter Sandner in einem am 21. Mai 2004 in Warschau gehaltenen Vortrag vor polnischen Medizinern und Historikern und dem aus Deutschland angereisten Arbeitskreis zur Erforschung der Euthanasie die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Forschungen dahingehend zusammengefasst, dass Hadamar und Meseritz-Obrawalde zu Modellanstalten einer neuen systematischen Krankenmordaktion geworden seien, die als Ersatz oder Fortsetzung der Gasmordaktion gelten könne. Entscheidend sei dabei, dass dieses Kooperationsprojekt zentral durch den Reichsbeauftragten Herbert Linden und Vertreter der T4-Zentrale in Berlin gesteuert und dezentral von Anstaltsträgern umgesetzt worden sei, wobei nicht mehr – wie in der T4-Aktion – die Ärzte, sondern die Verwaltungsleute das Sagen gehabt hätten.

Die These von der zentralen Steuerung einer dann dezentral durchgeführten Mordaktion ist gerade für diese bisher noch viel zu wenig beachteten Sonderentwicklungen in Hadamar und Meseritz hochgradig evident, aber sie als Ersatz oder gar Fortsetzung der Gasmordaktion zu bezeichnen, in der es ausschließlich – wie seinerzeit in Aktion T4 – um die Vernichtung lebensunwerten Lebens gegangen sei, erscheint mir denn doch recht kühn. In dieser These fehlt mir wenigsten ein kleiner Hinweis darauf, dass die massive Steigerung der mörderischen Aktivitäten auch etwas mit dem gestiegenen Bedarf an Krankenhausbetten infolge des Bombenkrieges und der erheblichen Verluste im Ostfeldzug zu tun hatten. Gewagt ist auch die Annahme von Peter Sandner, dass diese Sonderaktion durch Karl Brandt legitimiert gewesen sei. Er stützt sich dabei auf die unmittelbare zeitliche Nähe der Wiedereröffnung der Anstalt Hadamar zur Ernennung von Karl Brandt zum Bevollmächtigten für das Sanitäts- und Gesundheitswesen am 28. Juli 1942. Nachdem er diesen Zusammenhang zunächst nur für wahrscheinlich hielt, stellt er danach die Legitimierung der neuen Aktion durch Brandt an vielen Stellen seines Buches als gegeben dar. Dabei hebt er besonders auf den in Hitlers Ernennungsschreiben enthaltenen Begriff der Sonderaufgaben ab, der sich aber im vollen Wortlaut des Erlasses ausdrücklich auf Sonderaufgaben und Verhandlungen zum Ausgleich des Bedarfs an Ärzten, Krankenhäusern usw. zwischen dem militärischen und dem zivilen Sektor bezog. Die zeitliche Nähe allein schafft sicherlich noch keinen inhaltlichen Zusammenhang.
Leute wie Fritz Bernotat oder der Gauleiter von Pommern, Franz Schwede-Coburg entsprachen genau der oben zitierten Beschreibung Bernd Walters von Führungskräften in den Gau- und Gesundheitsverwaltungen, die aus eigenem Antreib besonders radikal und skrupellos agierten: Beide hatten schon vor der Aktion T4 gemordet und konnten sich danach durch Hitlers Euthanasie-Ermächtigung nur bestätigt fühlen. Sie bedurften nicht ständig neuer Legitimation.
Weiter oben hatte ich Bernotats Erkenntnis, dass man an Leiden und Tod der Patienten auch noch Geld verdienen könne, neben seinem Hass auf alle psychisch Kranken als eines der Leitmotive seines Handelns herausgestellt. Durch ständige Überbelegung seiner Anstalten mit auswärtigen Patienten (für die er keine Pflegesätze zu bezahlen hatte), durch Unterernährung, Unterversorgung und Ermordung wurde diese perverse Profitgier so perfekt umgesetzt, dass der hoch verschuldete Bezirksverband Nassau am Ende der NS-Zeit alle Schulden in Höhe von 40 Millionen Reichsmark getilgt und 15 Millionen RM Rücklagen gebildet hatte. Als der Kämmerer Landesrat Willi Schlüter im Mai 1945 seinem Nachfolger über die günstige Finanzlage berichtete, soll dieser beglückt ausgerufen haben: Mir ist, als ob ich heute Geburtstag hätte!– Übrigens wurde keiner der höheren Beamten des Landeshauses, die an diesem Ergebnis fleißig mitgewirkt hatten, nach dem Krieg gerichtlich belangt. Sie waren noch nicht als Mittäter erkannt.