Lublin

Pläne, die Juden aus Pommern zu vertreiben, stellte Heydrich Ende Januar 1940 während einer Konferenz der höheren Polizei- und SS-Führer vor.

In der sternenklaren Nacht vom 12.02.1940 war es in Stettin kalt wie selten zuvor. Es waren minus 30 Grad. In den Häusern, die von Juden bewohnt waren hatten Mitglieder von SA, SS und NSDAP am Abend Sturm geklingelt. Sie holten alle Juden aus ihren Behausungen und zwangen sie Erklärungen zu unterschreiben, Erklärungen in denen sie auf Wohnungseinrichtungen, Bargeld und Wertgegenstände verzichteten. Die Vertreibungsaktion der Juden aus Stettin hatte begonnen.

SA-Männer treiben die Unglücklichen zum Güterbahnhof der Stadt. Dort, berichtet eine Zeugin später, hätten sie stundenlang stehen müssen. Viele Frauen seien ohnmächtig geworden. Im eiskalten Zug habe man die Menschen schließlich abtransportiert.

Bei der Ankunft am 17. Februar 1940 in Lublin, reißen Soldaten die Türen auf und ziehen alte, gebrechliche Leute an den Beinen aus den Wagen. Bei 40 Grad Kälte müssen die Verschleppten, zu Fuß und auf offenen Schlitten, kilometerweit durch Schneefelder. Am nächsten Tag, so eine Überlebende, seien im Lubliner Krankenhaus 130 Amputationen erfrorener Gliedmaßen vorgenommen worden. Die Deportierten werden auf drei Städtchen verteilt. Die ganzen Zustände sind unbeschreiblich und auf die Dauer nicht zu ertragen.

Der Transport umfasste etwa 1.500 pommersche Juden, die dann auf die Lager in Lublin, Bełżec, Piaski und Głusk verteilt wurden. Im Oktober 1942 wurden sie alle in Bełżec ermordet. In Stettin blieben einige Dutzend Menschen (Alte und Kinder), die bald nach Berlin und Hamburg abtransportiert wurden. Das war die Liquidierung der deutsch-jüdischen Bevölkerung im deutschen Stettin.

Dieser Todestransport, so genannt wegen der entsetzlichen Bedingungen, unter denen er stattfand, ist in die Geschichte eingegangen und darf nicht vergessen werden. Es zeigt zu welchen "Heldentaten" die Deutschen, das Volk der Dichter und Denker fähig sind.

Merkblatt

ausgesuchten Parteigenossen wird die Vorgehensweise der Deportation der Stettiner Juden am 12./13. Februar 1940 erläutert.

Durch Ihren Kreisleiter sind Sie ausgesucht, an einer wichtigen Aktion teilzunehmen. Es handelt sich darum, den Regierungsbezirk Stettin möglichst judenfrei zu machen. Durch den Kreisleiter wird Ihnen gemeinsam mit einem oder zwei Parteigenossen bzw. SA-Männern eine bestimmte Judenfamilie zugewiesen werden. Diese haben Sie am 12.2.1940 um 20 Uhr aufzusuchen, sich dort diesem Merkblatt entsprechend zu verhalten und mit den Juden in der Wohnung zu bleiben, bis Sie abgeholt werden. Das wird zwischen 3:00 und 6:00 Uhr sein in der Nacht vom 12. auf den 13. Ich erwarte, daß Sie mit der notwendigen Härte, Sorgfalt und Umsicht diesen Befehl ausführen.

Die Juden werden versuchen, Sie durch Bitten oder Drohungen oder sonst etwas weich zu stimmen, oder sich widerspenstig zeigen. Sie dürfen sich dadurch in keiner Weise beeinflussen und in der Ausführung Ihrer Pflichten hindern lassen.
In diesem Merkblatt ist niedergelegt, was von Ihnen alles zu veranlassen ist. Diese Regelung kann natürlich nur eine allgemeine sein. Im Einzelfall werden Sie deshalb selbst zu entscheiden haben, was erforderlich ist, um eine ordnungsmäßige Abwicklung zu gewährleisten. Es ist veranlaßt, daß in der Zeit, während Sie sich in der Judenwohnung aufhalten müssen, Streifen in die Wohnung kommen. Diesen Streifen, die sich durch Kriminalmarke oder SD-Ausweis ausweisen, teilen Sie Schwierigkeiten oder Fragen, die sich ergeben haben, mit. Die Streifen sind genauestens unterrichtet, welche Dienststellen in Alarmbereitschaft liegen, und werden diese zu Ihrer Hilfe herbeirufen (z.B. Ärzte, Krankenwagen, NSV, Leute zum Transport des lebenden Inventars usw.). Soweit in der Judenwohnung ein Fernsprechapparat ist, können Sie auch bei der Staatspolizeileitstelle Stettin Rückfrage halten (Ruf-Nr. 3 52 31, Nebenanschluß 770). Ein Zettel, auf dem die wichtigsten Anschlüsse notiert sind, die für etwaige Rückfragen in Betracht kommen, wird Ihnen gleichzeitig mit dem Merkblatt ausgehändigt. Sie verfahren am zweckmäßigsten folgendermaßen:

1.)
Um 20 Uhr begeben Sie sich in die Ihnen zugeteilte Judenwohnung. Vor Betreten der Judenwohnung nehmen Sie mit dem Hauswirt Fühlung auf, und sorgen dafür, daß die Haustür die Nacht über nicht verschlossen wird. Einer von Ihnen wird sich auch in der Folgezeit ab und zu davon überzeugen müssen, daß die Haustür noch offen ist. Dies ist notwendig, damit die Streifen jeweils zu Ihnen gelangen können. Falls die Juden Ihnen den Einlaß verweigern und nicht öffnen, bleibt einer von Ihnen an der Wohnung, während der andere sofort das nächste Polizeirevier benachrichtigt. In der Judenwohnung rufen Sie sämtliche Familienangehörige zusammen und verlesen ihnen die "Staatspolizeiliche Verfügung", die Ihnen ebenfalls zugleich mit dem Merkblatt ausgehändigt worden ist. Die Juden haben nunmehr in einem Raum zu bleiben, den Sie ihnen anweisen. Der oder die Ihnen zugeteilten SA-Männer oder Pg. bleiben während der ganzen Zeit bis zum Abtransport mit den Familienmitgliedern des Juden zusammen. Sie selbst wenden sich an den Haushaltungsvorstand der Judenfamilie.

2.)
Mit dem Haushaltungsvorstand gehen Sie durch die Wohnung. Soweit in der Wohnung geheizte Öfen sind, ist nicht mehr nachzulegen. Handelt es sich um Dauerbrandöfen (Kachelöfen oder ähnliches), so ist die Ofentür aufzuschrauben, damit das Feuer noch in der Zeit, die Sie in der Judenwohnung sind, ausgeht. Wenn Sie die Wohnung verlassen, muß das Feuer gelöscht sein.

3.)
Alsdann machen Sie sich mit dem Haushaltungsvorstand daran, die Koffer zu packen. Sie müssen dabei beachten, daß nur das in der Staatspolizeilichen Verfügung Vorgesehene mitgenommen wird. Sie sind dafür verantwortlich, daß Wertgegenstände usw., die nach der Verfügung nicht mitgenommen werden dürfen, auch nicht in den Koffer gepackt werden. Soweit Rückfragen bei anderen Familienmitgliedern erforderlich werden, gehen Sie mit dem Haushaltungsvorstand wieder in den Raum, in dem sich alle Juden aufhalten, zurück und lassen sich sagen, was sonst gepackt werden soll. Notfalls lassen Sie den Haushaltungsvorstand da und gehen mit der Jüdin einpacken. Falls Sie 2 Parteigenossen oder SA.-Männer zu Ihrer Unterstützung zugeteilt bekommen haben, kann einer von diesen auch mit einem Familienmitglied packen. Es muß jedoch auf jeden Fall dafür gesorgt sein, daß die übrigen Familienmitglieder auch unter Aufsicht stehen und nicht einen Augenblick allein sind.

4.)
Die Decken, die mitgenommen werden dürfen, müssen eingerollt oder doch so gelegt werden, daß sie ohne Schwierigkeiten transportiert werden können.

5.)
Gehen Sie mit dem Haushaltungsvorstand durch die Wohnung (auch Keller und Bodenräume!) und stellen fest, was an Lebensmitteln und lebendem Inventar in der Wohnung ist. Diese Sachen tragen Sie, wenn sich das möglich machen läßt, mit dem Haushaltungsvorstand in einem Raum zusammen. Die Streifen benachrichtigen Sie und lassen die Sachen abtransportieren.

6. a)
Füllen Sie mit dem Juden die anliegende Vermögenserklärung aus. Die Erklärung ist von jedem Familienmitglied gesondert zu erstellen. Hier müssen Sie ganz besonders aufmerksam sein, damit der Jude auch auf jeden Fall alles angibt, was er hat. Auch die Außenstände und Schulden müssen genau angegeben werden. Dies ist unbedingt erforderlich. Weiterhin ist zu beachten, daß sehr viele Juden sich Scheinkonten angelegt haben. Weisen Sie diese daraufhin, daß sie verpflichtet sind, auch diese Scheinkonten anzugeben. Vielfach haben die Juden auch ihre Grundstücke mit Hypotheken usw. belastet, die in Wirklichkeit nicht oder doch nicht in der im Grundbuch eingetragenen Höhe bestehen. Auch hier müssen Sie die Juden darauf hinweisen und darauf drängen, daß Ihnen alles angegeben wird. Fragen Sie die Juden auch, ob sie in der Wohnung etwa irgendwelche Geheimfächer haben, sei es nun in der Wand, in Schränken, Tischen oder sonst wo. Auch diese müssen Ihnen angegeben werden. Angegeben werden muß auch, wenn der Jude wertvolle Kunstgegenstände oder besonders wertvolles Mobiliar hat. Soweit Wertgegenstände in der Wohnung angefunden werden, die nicht in der anliegenden Vermögenserklärung fragemäßig vorgesehen sind, so ist der Fragebogen von Ihnen entsprechend zu ergänzen. Der Fragebogen ist in 4facher Ausfertigung für jedes Familienmitglied zu erstellen. Achten Sie darauf, daß der Bogen in deutlich leserlicher Schrift geschrieben wird, wenn der Jude nicht richtig schreiben kann, übernehmen Sie es. Der Fragebogen ist von Ihnen und dem Juden zu unterschreiben.

6. b)
Sämtliche Wertgegenstände (z.B. Ringe, Schmucksachen, Schalen, Ohrringe, Becher usw. aus Edelmetallen) hat der Jude zusammenzutragen. Dazu gehören auch Sparkassenbücher, Hypothekenbriefe und sonstige Papiere von Wert und Bargeld. Diese Gegenstände sind in ein Säckchen zu tun. Ist kein derartiges Säckchen in der Judenwohnung aufzutreiben, so ist ein Koffer oder ein Kopfkissenbezug oder eine sonst genügende Sache zu nehmen. Falls größere Gegenstände vorhanden sind, ist dafür Sorge zu tragen, daß der betr. Behälter auf dem Transport nicht zerreißen kann. Über das, was mitgenommen wird, ist eine ganz genaue Liste in 3facher Ausfertigung zu erstellen. Es ist darin alles genauestens aufzuzählen, z.B. (genau!) wie viel kleine silberne Löffel und wie viel große silberne Löffel, wie viel Silber- und Goldringe, wie viel und welche Sparkassenbücher usw. Die Liste ist von dem Blockleiter, der mit dem Haushaltungsvorstand verhandelt hat, und dem betreffenden Juden zu unterschreiben. Diese Listen sind mit genauer Anschrift zu versehen und mit zu den Wertgegenständen zu legen.

7.)
Lassen Sie sich von dem Juden die Personalpapiere zeigen. Sofern ein über 14 Jahre alter Jude nicht im Besitz einer Kennkarte ist, sind für diesen 2 Lichtbilder (möglichst Paßbilder, wenn keine Paßbilder vorhanden, irgendwelche Aufnahmen, die den Juden allein darstellen. Sind auch solche nicht da, so ist doch irgendeine Gruppenaufnahme da. Aus dieser ist dann das Bild des Juden herauszuschneiden) mitzubringen.

8.)
Sämtliche Sachen (Koffer, Decken, lebendes Inventar, der zu 6b) erwähnte Behälter, sowie diejenigen Wohnungsschlüssel, die Sie abzuziehen und der Polizei abzugeben haben - vergl. Ziffer 9! -) sind mit haltbaren Schildern zu versehen, auf der Name und genaue Wohnungsangabe des jüdischen Eigentümers anzugeben ist. Diese Schilder müssen fest angebracht sein, damit sie auf keinen Fall abgehen. Die Beschriftung muß deutlich lesbar sein. Diese Schilder müssen Sie noch in der Wohnung fertigen und an den genannten Gegenständen befestigen. Außerdem muß jeder Jude ein Schild um den Hals tragen, auf dem sein Name und Geburtstag angegeben sind.

9.)
Sind Sie dann mit der Aufstellung der Verzeichnisse, Sichtung der Wohnung, Boden- und Kellerräume, die - wie ich noch einmal betonen muß - nur gemeinsam mit dem jüdischen Haushaltungsvorstand vorgenommen werden darf, fertig, so warten Sie noch in der Wohnung. Frühestens um 3 Uhr nachts werden Sie dann von einem Kraftwagen abgeholt werden. Ich weise darauf hin, daß zu diesem Zeitpunkt aber auch alles in der Wohnung geregelt sein muß! Sie müssen sich also auch überzeugt haben, daß bis auf das Zimmer, in dem Sie sich mit den Juden aufhalten, in den übrigen Zimmern die Feuer ausgegangen sind, das elektrische Licht gelöscht ist, daß Gas und Wasser abgestellt ist, Fenster geschlossen sind. Auch in dem Raum, in dem Sie mit den Juden warten, muß bis 3 Uhr das Feuer ausgegangen sein. Wenn Sie dann abgeholt werden, so nehmen Sie die eingesammelten Wertsachen und verlassen gemeinsam mit den Juden die Wohnung. Die Wohnungstür schließen Sie ab. Den Türschlüssel nehmen Sie an sich, ebenso den Schlüssel zur Haustür, nachdem Sie auch an diesem Schlüssel einen entsprechenden Zettel (aus Pappe o.ä.) mit Wohnungsangabe befestigt haben. Alsdann versiegeln Sie die Wohnung so, wie Ihnen das durch den Kreisleiter erklärt werden wird. Außerdem schreiben Sie die Uhrzeit, um die Sie die Wohnung verlassen, auch auf das Siegel und machen weiterhin auf jedes Ende 2 gekreuzte Tintenstiftstriche, die auch noch bis auf den Holzpfosten reichen. Erst dann dürfen Sie sich auf die Straße begeben.

Es kann nun auch sein, daß der Jude in Untermiete wohnt, in diesem Fall ist selbstverständlich nur die Tür zu der Wohnung, in der der Jude wohnt, zu versiegeln, jedoch nicht nur der zu dieser gehörende Schlüssel von Ihnen mitzunehmen, sondern auch der dem Juden vom Vermieter ausgehändigte Korridor- und Hausschlüssel. Falls in der Wohnung des Juden wiederum Arier als Untermieter wohnen, so sind sämtliche Türen der Wohnung zu versiegeln. Die Schlüssel zu den einzelnen Räumen sind in der vorgesehenen Weise mit einem Schild zu versehen. Kommt es vor, daß eine arische Familie mit den Juden eine Küche benutzt, so sind die dem Juden gehörenden Gegenstände aus der Küche herauszuholen und in den Wohnraum zu bringen. Es ist in solchen Fällen auch festzustellen, wie die Gas- und Lichtzähler stehen, und dieses auf einen Zettel zu schreiben unter Angabe des Namens und der Wohnung des Juden. Falls sich irgendwelche Zweifel bei derartigen Verhältnissen ergeben, ist bei der Streife oder bei der Staatspolizeileitstelle direkt anzufragen.

10.)
Die Fahrt von der Judenwohnung bis zum Hafen macht nur der Blockleiter mit, der mit dem Haushaltungsvorstand die Verhandlung geführt hat. Der oder die anderen sind in diesem Augenblick entlassen. Am Hafen angekommen, meldet der Blockleiter seine Juden und übergibt das Päckchen mit den Wertsachen und die Schlüssel. Ebenfalls sind dieses Merkblatt, die den Juden zu verlesende staatspolizeiliche Verfügung und die nicht gebrauchten Siegelmarken oder Klebestreifen zurückzugeben! Das Weitere erfährt er dann dort.
Über die Durchführung und den Verlauf der Aktion ist auch nachher strengstes Stillschweigen zu wahren. Sie werden ausdrücklich auf Ihre Geheimhaltungspflicht hingewiesen.