24/652 Minsk (Maly Trostinec)
Transportliste
Die Betroffenen erhielten eine Transportnummer, die gleichsam zu einem Bestandteil ihres Namens wurde und im amtlichen Verkehr angegeben werden mußte. Man hatte etwa die Transportnummer W 982 oder AA 475 oder Cv 13, was besagte, daß die Person mit dem Transport W oder AA oder Cv nach (Ort, Lager) gekommen war und in der entsprechenden Transportliste unter der Position 982, 475 oder 13 geführt wurde. Die Transportlisten wurden mehrfach ausgefertigt und dem Kommandanten der deutschen Begleitmannschaft mitgegeben, wo je ein Durchschlag an das Zentralsekretariat und an die Zentralevidenz, also an jüdische Stellen gelangte.
Auch die Transporte aus anderen Ländern brachten in der Regel Verzeichnisse mit, aber ohne Bezeichnungen, die im Lager übernommen worden wären. Endgültige Listen (mit der Häftlingsnummer) aber wurden erst im Lager oder in der Zentralevidenz angelegt, sofern sie überhaupt aufgenommen wurden, und nicht vorher ermordet wurden.
Als Grundlage wählte man römische Ziffern von I bis XXVI, jede einem oder mehreren Ankunftsorten vorbehalten, die meist den einzelnen Gestapobereichen entsprachen. So besagte I Berlin, IV Wien und XXIV Holland. Den einzelnen Transporten wurde eine arabische Nummer zugesetzt, so war I/90 der neunzigste Transport aus Berlin. Die Transportnummern wurden diesen Deportierten in fortlaufender Reihenfolge zugewiesen, so daß sich die individuellen Nummern, z.B. unter römisch I, nicht wiederholten und die Personalziffern bei Berlin, Wien usw. in die Tausende gingen.
Blagowshtchina und Maly Trostinec liegen 10 bis 12 km südöstlich von Minsk. Blagowshtchina liegt auf der linken Seite der Straße in Richtung Mogilew, gegenüber befindet sich das Dorf Maly Trostinec. Westlich des Dorfes lag die Kolchose Karl Marx. Diese hatte die Aufgabe, die Lebensmittelversorgung der deutschen Einheiten im Gebiet Minsk zu sichern. Das Gut, das etwa 200 Hektar groß war, betrieb Ackerbau und Viehzucht. Verschiedene Betriebe waren außerdem auf dem Gelände zu finden. Um diese zu betreiben, setzte man Juden und sowjetische Kriegsgefangene ein. Anfangs mussten die Menschen in einer großen Scheune hausen, auch ehemalige Erdkeller der örtlichen Bauern dienten als Übernachtungsmöglichkeiten. Später mussten die Häftlinge Baracken für sich und ihre Bewacher bauen. Auf diese Weise entstand Anfang Mai 1942 das Lager Maly Trostinec auf dem Gutsgelände.
Viele Transporte kamen gar nicht ins Ghetto Minsk, sondern auf das Gut Maly Trostinec. Der Großteil erreichte jedoch nicht das Gut. Sie wurden bereits vor Maly Trostinec aus den Zügen geladen, um im nahen Wald erschossen zu werden. Laut Zeugenaussagen sollen die Juden mancher Transporte von Theresienstadt nach Maly Trostinec gar nicht einmal angekommen sein. Sie sollen bereits auf einem Feld vor Maly Trostinec in Gaswägen umgeladen worden sein. Andere wurden direkt an der Grube erschossen.
Diese grausamen Verbrechen wurden von 80 bis 100 Männern des SS-Einsatzkommandos durchgeführt. Ab 1943 gab es in Minsk nur mehr ca. 90 ständige Lagerinsassen. Am 30. Juni 1944 wurde eine Handvoll Überlebender von der Roten Armee befreit.
Die offizielle sowjetische Opferzahl von 206.500 hat sich in der Forschung als stark überhöht erwiesen, da der gesamte Raum um Minsk, wo sich zahlreiche weitere Hinrichtungsstätten und Sterbelager u. a. für über 100.000 sowjetische Kriegsgefangene befanden, Maly Trostinez zugerechnet wurden.
Um die 40.000 Opfer lassen sich relativ sicher nachweisen. Zu den mehr als 15.000 aus dem Westen deportierten und ermordeten Juden wird man 20.000 addieren müssen: Bei der großen Ghettoräumung Ende Juli 1942 in Minsk wurden nachweislich insgesamt 10.000 Juden ermordet, davon vermutlich 5.000 in Maly Trostinez. Dieselbe Zahl an Opfern forderte die Auflösung des Ghettos im Oktober 1943. Im Februar 1943 wurden etwa 3.000 angeblich unproduktive Bandenverdächtige (Alte, Frauen und Kinder), darunter auch Juden, aus dem Gebiet Polazk in Trostinez ermordet. Als sowjetische Truppen Ende Juni 1944 (Operation Bagration) vorrückten, wurden die letzten 80 bis 100 Gefangenen des nunmehrigen Zwangsarbeiterlagers Maly Trostinez erschossen. Beim deutschen Rückzug in den letzten Junitagen 1944 wurden etwa 6.500 Insassen der Minsker Lager und Gefängnisse nach Maly Trostinez transportiert und dort erschossen.