Die innere Einstellung des Angeklagten Münzberger zu seinem Einsatz in Treblinka
Dem Angeklagten Münzberger war durch seine Tätigkeit im unteren und im oberen Lager bekannt, dass den in Treblinka angekommenen Juden durch Ansprachen und später durch die am Bahnhof aufgestellten Hinweisschilder in deutscher und polnischer Sprache vorgespiegelt wurde, sie würden entweder zur Behandlung in ein Lazarett oder zum Baden geführt und später zu ihrem neuen Arbeitsplatz gebracht werden. Er wusste auch, dass die alten und kranken Juden im Lazarett nicht behandelt, sondern erschossen wurden, und dass die Masse der übrigen Ankömmlinge nicht zum Baden, sondern zur Vergasung in die Gaskammern geführt wurde.
Münzberger war sich dessen bewusst, dass die Vernichtung der Juden gegen die Vorschriften der Religion, der Menschlichkeit und der Strafgesetze verstieß. Er meinte aber, sich an der Vollziehung dieses Unrechts beteiligen zu müssen, weil der Führer es angeordnet hatte. Durch seine Mitgliedschaft bei der Allgemeinen SS, bei der er sogar eine kurze vormilitärische Ausbildung absolviert hatte, und bei der NSDAP sowie durch seine Tätigkeit bei T4 war er daran gewöhnt, Befehle auszuführen, selbst dann, wenn er etwas tun musste, was ihm innerlich nicht behagte. Dieser Einstellung entsprechend verhielt er sich auch im Vernichtungslager Treblinka. Er zeigte sich mit seinem Einsatz bald einverstanden, brachte sein Gewissen zum Schweigen und entfaltete bei der Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben einen großen Eifer.
Den Angeklagten H. und dessen Freund Eisold, die beide keinen besonderen Eifer zeigten und im Kreise ihrer Kameraden Bedenken gegen die Judentötungen vorbrachten, machte er Vorhaltungen, weil sie bei der Ausführung des Führerbefehls nicht alle ihre Kräfte einsetzten, wie man es nach seiner Ansicht von wirklichen SS-Männern verlangen musste. Seine unbedingte Befehlsergebenheit ließ bei ihm gar nicht den Gedanken an eine Befehlsverweigerung aufkommen.
Im Gegenteil, er war einer der Stützen des oberen Lagers bei der Vergasung Hunderttausender von Juden.
Deswegen wurde er auch nach der Beendigung der Aktion Reinhard zum SS-Unterscharführer der Allgemeinen SS befördert.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Münzberger, soweit man ihr folgen kann, auf den Angaben seiner Mitangeklagten H. und Suchomel sowie auf den eidlichen Bekundungen der Zeugen Ros., Hell., Li. und Lew.
Münzberger macht folgendes geltend:
Er habe die Judenvernichtung in Treblinka von Anfang an nicht für richtig gehalten. Die Opfer hätten ihm sehr leid getan. Seine ihm übertragenen Aufgaben habe er deshalb nur widerstrebend und aus Angst vor einer schweren Bestrafung verrichtet. Es sei ihm auch nicht möglich gewesen, aus dem Lager wegzukommen.
Er habe in Treblinka zwei Gestellungsbefehle zur Waffen-SS erhalten, die er beide auf der Lagerschreibstube abgegeben habe. Von ihnen habe er jedoch nichts mehr gesehen und gehört. Später habe er einmal Christian Wirth um seine Abstellung zur Waffen-SS gebeten. Wirth habe das unter Hinweis darauf abgelehnt, zunächst seien die Befehle des Führers in Treblinka auszuführen. Mit dieser ablehnenden Antwort Wirths habe er sich zufrieden gegeben. Er habe es nicht gewagt, ihn dieserhalb ein zweites Mal anzusprechen, da Wirth grob und unberechenbar gewesen sei. Zwar habe er selbst mit ihm keine Auseinandersetzungen gehabt. Er habe aber gehört, wie Wirth einigen seiner Kameraden mit der Einweisung in ein Konzentrationslager oder der Versetzung in eine Bewährungseinheit für den Fall gedroht habe, dass sie in Treblinka nicht mitmachten oder sich bei anderen Stellen um eine Ablösung aus Treblinka bemühten. Er habe deshalb Angst vor Wirth gehabt und sei nur aus diesem Grunde in Treblinka geblieben.
Diese Einlassung des Angeklagten Münzberger ist durch das Ergebnis der Beweisaufnahme widerlegt.
Münzberger hat in Treblinka keine schweren inneren Kämpfe ausgefochten. Nach den glaubhaften Angaben des Mitangeklagten H. hat Münzberger öfter zum Ausdruck gebracht, dass es ihm überhaupt nichts ausmache, bei der Vernichtung der Juden mitzuwirken, außerdem hat er ihn und Eisold wegen ihrer offen geäußerten Missbilligung der Judenvernichtung verspottet. Der über alle Lagervorfälle gut informierte Angeklagte Suchomel hat bestätigt, dass man sich allgemein im Lager über H. und seinen Freund Eisold lustig gemacht habe, weil sie gegenüber ihren Kameraden moralische Bedenken bezüglich der Massentötungen äußerten und darauf hinwiesen, sie könnten sich nicht vorstellen, dass die Tötung der Juden für die an ihr beteiligten Deutschen gut ausgehen würde. Auf die Frage, ob auch Münzberger sich deswegen über H. und Eisold lustig gemacht habe, hat Suchomel nach längerer Überlegung gesagt, hierzu möchte er sich nicht äußern. Da Suchomel, der es mit keinem verderben will, bemüht sich, seine Kameraden zu entlasten, soweit das ohne Schaden für ihn möglich ist, deutet sein Schweigen in diesem Punkt darauf hin, dass die Angaben H's über Münzberger richtig sind und dass auch Münzberger zu denen gehört hat, die sich über H. und Eisold wegen der von ihnen ausgesprochenen Missbilligung der Judenvernichtung amüsierten.
Andernfalls würde Suchomel wie das Schwurgericht aus der Kenntnis seines übrigen Verhaltens in der Hauptverhandlung weiß, sofort erklärt haben, dass Münzberger nicht zu den Spöttern gehört habe.
Auffallend ist weiter, dass Münzberger keineswegs nur dann übereifrig auf die in die Gaskammern hineingestoßenen Opfer eingeschlagen und nach den Vergasungen die Leichenträger durch Peitschenhiebe zu besonderer Eile angetrieben hat, wenn er sich durch Wirth, Franz oder Matthes beobachtet fühlte, sondern dass er sich regelmäßig auch dann so verhielt, wenn keine Vorgesetzten in der Nähe waren. Es ist zudem kein einziger Fall bekannt geworden, bei dem er sich einem Häftling gegenüber menschlich und barmherzig gezeigt hätte. Er war stets hart und grausam zu den Juden.
Das alles bestätigen der Angeklagte H. und die Zeugen Ros., Li. und Hell. Diese Feststellungen sprechen dagegen, dass er seine Arbeit im oberen Lager einzig und allein aus Angst vor Christian Wirth getan hat.
Nach seiner eigenen Einlassung unternahm Münzberger, abgesehen von einer einzigen Rücksprache mit Wirth, nichts, um aus Treblinka abgelöst zu werden. Er wurde weder bei der Dienststelle T4 in Berlin noch bei seinem zuständigen Wehrbezirkskommando noch bei seiner Heimatdienststelle der Allgemeinen SS wegen einer Versetzung vorstellig, obwohl er in seinem häufigen Heimaturlaub hierzu Gelegenheit gehabt hätte.
Wenn ihm seine Tätigkeit in Treblinka wirklich so zuwider gewesen wäre, wie er jetzt vorgibt, dann hätte er vor allen Dingen alle Hebel in Bewegung gesetzt, um mit den beiden regulären Einheiten der Waffen-SS in Verbindung zu treten, zu denen er mit den beiden Gestellungsbefehlen einberufen war. Der Umstand, das er dies alles unterließ, lässt den Schluss zu, dass er seine Aufgaben in Treblinka keineswegs widerwillig und aus Angst vor Wirth, sondern aufgrund seiner besonderen Befehlsergebenheit ausführte.