Die innere Einstellung des Angeklagten Miete zu seinem Einsatz in Treblinka
Dem Angeklagten Miete war bekannt, dass den mit den Transporten angekommenen Juden zunächst in kurzen Ansprachen, später durch Schilder in deutscher und polnischer Sprache vorgespiegelt wurde, sie würden gebadet und schließlich zu neuen Arbeitsplätzen weitertransportiert werden, während sie in Wirklichkeit in den Gaskammern, zu Hunderten eng aneinandergepresst, eines qualvollen Todes sterben mussten. Er wusste auch, dass alte und kranke Ankömmlinge sich willig ins Lazarett führen ließen, weil man ihnen der Wahrheit zuwider erklärte, sie würden dort Ärztlich behandelt werden, obwohl von Anfang an geplant war, sie in der Weise zu erschießen, dass sie während der Tötung die in der Grube brennenden Leichen vor Augen hatten. Miete war sich dessen bewusst, dass die Tötung der Juden gegen das Recht, gegen die Religion und gegen die Sittlichkeit verstieß.
Trotzdem machte er sich den unter anderem von Hitler, Göring, Himmler, Globocnik und Wirth ausgearbeiteten Plan zur Vernichtung der nach Treblinka gebrachten Juden und Zigeuner aus Hass gegen diese in seinen Augen rassisch minderwertigen Menschen und aus Freude am Töten derart zu eigen, dass er nicht nur die ihm von seinen Vorgesetzten übertragenen Aufgaben (Dienst im Lazarett, Aufsicht über das Sortierkommando und andere Arbeitskommandos) eifrig ausführte, sondern darüber hinaus auch viele Arbeitshäftlinge ohne jeden Anlass oder wegen geringer Verstöße gegen die Lagerordnung tötete oder durch andere töten ließ, obwohl das nicht von seinen Vorgesetzten angeordnet worden war.
Vor seinem Einsatz in Treblinka hatte Miete keine Machtbefugnisse. Bis 1940 musste er den väterlichen Hof und die Mühle gemeinsam mit seinem Bruder bewirtschaften. Selbständige Entscheidungen blieben ihm hier versagt. Auch bei seiner Arbeit in den Heil- und Pflegeanstalten in Grafeneck und Hadamar blieb er Weisungen unterworfen.
In Treblinka dagegen hatte er wohl auch Vorgesetzte, die ihm Befehl erteilen konnten, jedoch verblieb ihm selbst ein großer Spielraum zur eigenen Machtentfaltung. Konnte er doch eigenmächtig Arbeitsjuden töten, ohne jemanden um Erlaubnis hierzu fragen zu müssen. Es bot sich für ihn somit eine gute Gelegenheit, Minderwertigkeitskomplexen wirksam zu begegnen und seinen Arbeitshäftlingen zu demonstrieren, dass auch er trotz seines niederen Dienstgrades ein Mann von Macht und Einfluss war. Hinzu kommt, dass er seinen starken sadistischen Neigungen nachgehen konnte, denn er genoss jede Tötung eines Juden und zeigte sich nach jeder Exekution sehr befriedigt. Da er sich aufgrund dessen im Vernichtungslager Treblinka wohlfühlte, unternahm er keinen Versuch, aus Treblinka versetzt zu werden. Weil er die Vernichtungsaktion vollauf billigte und weil er für ihre rasche und gründliche Durchführung Sorge tragen wollte, kam für ihn auch weder eine Befehlsumgehung noch eine Befehlsverweigerung in Betracht. Im Gegenteil tat er sogar mehr, als ihm befohlen war.
Diese Feststellungen beruhen auf der Einlassung des Angeklagten Miete sowie auf den eidlichen Bekundungen der Zeugen
Gl.
Sed.
Au.
Raj.
Oscar Stra.
Zygmund Stra.
Ja.
Bom.
Rap.
Pla.
Sz.,
Tai.
Lak.
Tu.
Koh.
Ku.
Lew.
Roj.
Wei.
Zi.
Kols.
Br.
Do.
Bu.
Der Angeklagte lässt sich wie folgt ein:
Er habe niemanden zu fragen brauchen, um irgendeinen Häftling zu erschießen. Allerdings habe er von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch gemacht, sondern immer nur auf Befehl gehandelt. Er habe geglaubt, diese Befehle seiner Vorgesetzten ausführen zu müssen, weil sie letzten Endes auf Hitler zurückgingen. Er habe sich aus Treblinka deshalb nicht weggemeldet, weil das zwecklos gewesen sei. Der für seine Grobheit bekannte Lagerinspekteur Christian Wirth hätte einem Versetzungsgesuch ja doch nicht stattgegeben.
An dieser Einlassung des Angeklagten ist richtig, dass er nichts unternommen hat, um von Treblinka versetzt zu werden, und dass er mehrfach Juden auf Befehl von Vorgesetzten getötet hat. Unrichtig ist jedoch, dass er niemals eigenmächtig Häftlinge erschossen haben will, wie aus den Feststellungen in den Abschnitten E.VI. und E.VII. hervorgeht. Dort sind zahlreiche Erschießungen von Arbeitsjuden aufgeführt, die Miete aus eigenem Entschluss heraus begangen hat.
Aus den Bekundungen der eingangs erwähnten Zeugen ergibt sich, dass Miete seine Geschäfte in Treblinka mit einem besonderen Eifer durchführte. Er achtete mit einer kaum zu überbietenden Genauigkeit darauf, dass jeder Mann des Sortierkommandos schnell und genau arbeitete,
wie unter anderem die Zeugen
Gl.
Au.
Ja.
Tai.
Tu.
Rap.
Ku.
betont haben.
Durch diese Zeugen ist auch erwiesen, dass Miete aus Sadismus heraus tötete. So hat der glaubwürdige Zeuge Au. beobachtet, dass Miete häufig vor Exekutionen der Speichel aus den Mundwinkeln heraustrat, und zwar so ähnlich wie bei einem Feinschmecker, der sich auf eine Schlemmermahlzeit freut.
Die Zeugen
Au.
Gl.
Tai.
Tu.
Rap.
Ku.
haben glaubhaft dargetan, dass sich die undurchdringlichen Gesichtszüge des Angeklagten Miete aufhellten und einem Ausdruck großer Zufriedenheit wichen, sobald er von einer Exekution im Lazarett wieder zum Sortierplatz zurückkehrte.
Das alles lässt den Schluss zu, dass Miete aus sadistischen Neigungen tötete und dass ihm deshalb sein Handwerk in Treblinka gut gefiel.