Ru.
Der Angeklagte Ru. förderte die Massentötungen dadurch, dass er zunächst im unteren Lager bei der Ankunft von Transporten das Entladen der Güterwaggons und das Einordnen der Ankömmlinge in zwei nach Geschlechtern getrennte Gruppen überwachte und hierbei auch von seiner Peitsche Gebrauch machte und dass er im oberen Lager die Leichenträger mit Zurufen und Peitschenhieben zu möglichst schneller Arbeit antrieb, denn je schneller die Gaskammern geleert und gereinigt waren, um so eher konnten sie wieder mit weiteren Opfern gefüllt werden. Wenn der Leichentransport nicht zügig voranging, dann konnte es sogar zu großen Stockungen in der Abfertigung insgesamt kommen, so dass auch die Aufsicht über die Arbeiter vom Leichenkommando eine wichtige Aufgabe darstellte.
Diese und auch alle anderen Einzelheiten über das untere und das obere Lager waren dem Angeklagten Ru. genau bekannt.
Er wusste auch, dass die Massenvernichtung auf Befehlen der obersten Staatsführung beruhte und dass die höchsten Staatsfunktionäre die Juden und Zigeuner im Rahmen einer ausgeklügelten Organisation aus rassischen und machtpolitischen Motiven, also aus niedrigen Beweggründen, körperlich vernichten wollten. Obwohl er alle diese Tatumstände kannte, war er doch dazu bereit, seinen Beitrag zur Vernichtung der Juden und Zigeuner zu leisten.
Er handelte mithin vorsätzlich.
Er ist als Gehilfe, nicht als Mittäter der Massenvernichtung in Treblinka anzusehen. Obwohl er bei der Aufsicht über die Ankömmlinge im unteren Lager und bei der Kontrolle der Leichenträger im oberen Lager einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Massenvernichtung geleistet hat, kann man nicht davon ausgehen, dass sein Wille über die Leistung eines Unterstützungsbeitrages hinausging und dass er die Tötungen als eigene wollte.
Er war zwar seit 1933 Mitglied der NSDAP und seit 1937 auch Blockwart der Partei. Es fehlen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass er mehr als nur ein zahlendes Parteimitglied und als Blockwart mehr als nur ein Kassierer von Beiträgen gewesen ist. Die rassepolitischen Ansichten und Forderungen der Partei hatte er sich jedenfalls nicht in ihren letzten Konsequenzen zu eigen gemacht.
Wäre er antisemitisch eingestellt gewesen, dann würde er sich in Treblinka mit größerem Eifer betätigt und vor allen Dingen zumindest einige der vielen Gelegenheiten wahrgenommen haben, um jüdische Häftlinge zu schikanieren, zu misshandeln oder gar zu töten. Das aber hat keiner der vernommenen jdischen Zeugen bekundet.
Soweit Ru. seine Peitsche schwang, geschah das nachweislich nur bei der Ankunft und der Ausladung von Transporten im unteren Lager oder beim Abtransport der Leichen im oberen Lager, um die Totenjuden zu schnellerer Arbeit anzutreiben. An den eigentlichen Prügeleien, die in der Regel bei Appellen durchgeführt wurden, beteiligte er sich dagegen nach seiner insoweit unwiderlegten Einlassung nicht. Sein gemäßigter Diensteifer lässt den Schluss zu, dass er lediglich eine fremde Tat weisungsgemäß unterstützen wollte. An einem Täterwillen hat es ihm also gefehlt, so dass er nur als Mordgehilfe zur Verantwortung gezogen werden kann.
In Treblinka hat Ru. an der Vernichtung von mindestens 100000 Menschen mitgewirkt. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka von Anfang Dezember 1941 bis Ende November 1943, also knapp 12 Monate angehört. Zieht man hiervon rund 12 Wochen Heimaturlaub ab, dann hat er sich rund 9 Monate im Lager Treblinka aufgehalten. Als er Anfang Dezember 1942 ins Lager kam, waren bereits viele der größten Transporte aus polnischen Städten, insbesondere aus dem Warschauer Ghetto, abgefertigt. Dennoch ist davon auszugehen, dass der Angeklagte Ru. während der Zeit seines Aufenthaltes in Treblinka im Rahmen der Transportabfertigungen noch an der Tötung von mindestens 100000 Personen teilgenommen hat.
Der Angeklagte Ru. hat deshalb den Tatbestand der Beihilfe zum gemeinschaftlichen, aus niedrigen Beweggründen (Rassenhass), heimtückisch und grausam begangenen Mord in mindestens 100000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen verwirklicht (211, 47, 49, 73 StGB).