Der Tod des jungen Kutschers

In der neben dem Lazarett befindlichen großen Abfallgrube wurden der im Lager anfallende Müll, die Papiere und Dokumente der Opfer und auch die bei der Entladung der Eisenbahnwaggons anfallenden Transporttoten verbrannt. Die Abfälle des Lagers wurden unter anderem in einem zweirädrigen Pferdewagen zur Müllgrube gefahren. Kutscher dieses mit einem Pferd bespannten Wagens war ein junger Häftling.
An einem Tage im Herbst 1942 lenkte dieser junge Kutscher den mit Müll beladenen Pferdekarren zur Abfallgrube, in der ein kräftiges Feuer brannte. Am Rande der Grube scheute das Pferd. Sein Kutscher konnte nicht verhindern, dass es in die Grube fiel. Sofort wurden alle in der Nähe der Grube arbeitenden Häftlinge mobilisiert. über die Köpfe der Häftlinge hinwegschießend, trieben deutsche SS-Männer, darunter die Angeklagten Franz und Miete, sowie ukrainische Wachmänner die sich zunächst sträubenden Häftlinge in die brennende Müllgrube, damit sie das Pferd lebend herausholen sollten. Als das nicht gelang, wurde es erschossen und dann mit Hilfe eines Krans aus der Grube herausgeholt. Später wurde es enthäutet. Sein Fleisch wurde zur Ernährung der Häftlinge verwandt. über den Verlust des Pferdes war Franz sehr wütend. Er winkte den jungen Kutscher zu sich und gab bekannt, dass dieser für den Verlust des Pferdes verantwortlich und dass er deshalb zu erschießen sei. Franz und Miete führten den jungen Kutscher vor den Augen der an der Abfallgrube versammelten Häftlinge ins Lazarett. Hier wurde er erschossen, und zwar entweder durch Franz persönlich oder auf Anordnung von Franz durch Miete oder einen anderen deutschen SS-Unterführer.

Diese Feststellungen beruhen auf den eidlichen Bekundungen des 40 Jahre alten, in Berlin lebenden Kaufmanns Ja., des 62 Jahre alten, in Montreal/Kanada lebenden Sägewerksleiters Raj. und des 46 Jahre alten, in Norfolk in Virginia/USA lebenden Kaufmanns Bu.
Der Zeuge Ja., der sich vom 3.Oktober 1942 an etwa 3 Wochen lang im Vernichtungslager Treblinka befand, hat auf das Schwurgericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Da er sich nur etwa 3 Wochen in Treblinka befunden hat, hat er nicht so viel erlebt wie andere Zeugen. Seine Bekundung beschränkte sich deshalb abgesehen von einer präzisen Schilderung der damaligen Lagerverhältnisse auf die Darstellung weniger Exzesstaten durch Franz und Miete. Die bis zu seiner Vernehmung nicht bekannte Erschießung des jungen Kutschers hat er aus eigenem Erleben ausführlich und überzeugend bekundet. Die Angeklagten Franz und Miete hat er spontan identifiziert. Der Zeuge Raj., der dem Aufstandskomitee angehörte und damit das besondere Vertrauen seiner Kameraden besaß, hat auf das Gericht einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Er hat die meisten der Angeklagten, insbesondere die Angeklagten Franz und Miete, sofort wiedererkannt. Er hat das alltägliche Geschehen und die besonderen Ereignisse im Lager ruhig und objektiv geschildert. Wenn er völlig unabhängig von dem in Berlin lebenden Zeugen Ja. den Vorfall mit dem Pferd und die Erschießung des Kutschers genauso - wenn auch nicht so ausführlich schildert wie Ja., so hat das Schwurgericht keine Bedenken, seiner Bekundung zu folgen.

Schließlich hat der Zeuge Bu., der mit den Zeugen Ja. und Raj. keinerlei Verbindung hat, den Tod des jungen Kutschers bei seiner Vernehmung vor dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in New York ausführlich geschildert. Bu. bestätigt in vollem Umfang die von den Zeugen Ja. und Raj. vor dem Schwurgericht gemachten Aussagen. Obwohl diese Tat des Angeklagten Franz bereits durch die eidlichen Bekundungen der drei Zeugen Ja., Raj. und Bu. bewiesen ist, zieht das Gericht die eidliche Aussage des vor dem Generalkonsulat in New York vernommenen 53 Jahre alten und in New York wohnhaften Metzgers Schnei. unterstützend mit heran. Schnei. hat zwar den Vorfall mit dem Pferd und die Erschießung des Kutschers nicht selbst miterlebt, sondern hiervon nur durch andere Häftlinge erfahren. Er weiß aber aus eigenem Erleben, dass er am Tattage damit beauftragt wurde, das erschossene Pferd zusammen mit einem anderen Kameraden abzuhäuten. Das spricht ebenfalls dafür, dass sich dieser Vorfall mit dem Pferd entgegen dem Bestreiten der Angeklagten Franz und Miete tatsächlich zugetragen hat. Während sich der Tatbeitrag des Angeklagten Franz abgesehen von der Frage, ob er den Kutscher persönlich erschossen oder dessen Erschießung durch einen anderen lediglich befohlen hat durch die Beweisaufnahme hat eindeutig klären lassen, hat nicht festgestellt werden können, ob der Mitangeklagte Miete an der Erschießung des Häftlings persönlich mitgewirkt hat, denn die Möglichkeit, dass Franz persönlich den Kutscher erschossen oder dass ihn ein anderer, namentlich nicht bekannter SS-Unterführer auf Befehl von Franz getötet hat, kann nicht ausgeschaltet werden.