Der Tod des jüdischen Arztes Dr. Roland Choranzicky

An einem Morgen in der zweiten Aprilhälfte des Jahres 1943 entdeckte der Angeklagte Franz bei dem im deutschen Krankenrevier tätigen, aus Warschau stammenden jüdischen Arzt Dr. Roland Choranzicky einen größeren Geldbetrag.
Es kam zwischen dem Arzt und dem Angeklagten zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Schließlich sprang Dr. Choranzicky aus dem Fenster. Draußen brach er, vermutlich weil er Gift genommen hatte, zusammen. Der Angeklagte und weitere deutsche SS-Männer stürzten sich nun auf den am Boden liegenden Arzt und schlugen ihn zu einer fast unkenntlichen Masse zusammen. Dann ließ Franz sämtliche Arbeitsjuden des unteren Lagers zu einem Sonderappell zusammentreten. Als alles auf dem Appellplatz angetreten war, wurde der wie ein blutiges Bündel aussehende Arzt, der noch röchelnd atmete, herangeschleift und vor den Augen der angetretenen männlichen und weiblichen Häftlinge erneut misshandelt, indem man ihn auspeitschte. Daran beteiligte sich mit besonderem Eifer auch der Angeklagte Franz, nachdem er mit großem Bedacht aus den Peitschen der anwesenden SS-Männer diejenige Peitsche ausgewählt hatte, die ihm am besten in der Hand lag. Nach dieser Auspeitschung gab Dr. Choranzicky kaum noch Lebenszeichen von sich. Der Angeklagte, der unter allen Umständen von Dr. Choranzicky erfahren wollte, von welchem Goldjuden er das Geld hatte, versuchte, ihn wieder zum Bewusstsein zu bringen, jedoch nicht, um ihn endgültig zu retten, sondern um ihn nach einer Vernehmung über die Herkunft des Geldes anschließend zu töten.
Er ließ den Arzt mit kaltem Wasser überschütten, ihm nach öffnen des Mundes die Zunge herausziehen und ihm Wasser in den Mund gießen. Dann trat er mit beiden Füssen auf dem Bauch des Arztes herum, um ihn hierdurch zum übergeben zu veranlassen. Schließlich ließ er ihm durch eine jüdische Ärztin den Magen mit Hilfe eines Schlauchs auspumpen. Als jedoch alle diese Versuche ergebnislos blieben, wurde der Arzt auf den Prügelbock gelegt und erneut auf das Schwerste misshandelt und geschlagen. Nachdem er noch eine Zeitlang zu Abschreckungszwecken auf dem Prügelbock gelegen hatte, ließ Franz ihn schließlich ins Lazarett schaffen. Hier erhielt der Arzt, dessen Körper einem blutenden Fleischbündel glich, noch einen Gnadenschuss, bevor er in die Lazarettgrube zum Verbrennen geworfen wurde.

Der Angeklagte Franz, der über den Vorfall und insbesondere darüber, dass er von Dr. Choranzicky nichts mehr über die Herkunft des vorgefundenen Geldes erfahren konnte, in große Wut geraten war, ließ anschließend sämtliche Goldjuden, etwa 10 an der Zahl, bei denen er die Quelle der bei Dr. Choranzicky vorgefundenen Geldmittel vermutete, zum Lazarett kommen. Dort mussten sie sich nackt ausziehen. Sie wurden dann unter Todesdrohungen darüber verhört, ob einer von ihnen Dr. Choranzicky das Geld gegeben hatte. Da das Verhör ergebnislos verlief und der Angeklagte Suchomel sich bereits zuvor an Franz gewandt und ihn gebeten hatte, die eingearbeiteten Goldjuden zu schonen, entließ Franz schließlich die Goldjuden wieder zu ihrer Arbeit.

Der Angeklagte lässt sich wie folgt ein:
Er sei am deutschen Revier, dessen Tür geöffnet gewesen sei, vorbeigegangen und habe zufällig gesehen, wie Dr. Choranzicky einen Bündel von Zloty-Geldscheinen in seiner Hosentasche gehabt habe, da er seinen Arztkittel aufgeknüpft hatte. Da der Besitz von Geld verboten gewesen sei, habe er ihn zur Rede gestellt. Dr. Choranzicky habe geantwortet, er brauche das Geld zur Flucht. Er habe sich mit einem Seziermesser auf ihn gestürzt. Er, Franz, habe einen Stuhl ergriffen und ihn als Schutz benutzt. Dr. Choranzicky habe das Seziermesser nach ihm geworfen, ihn aber nicht getroffen, da er ausgewichen sei. Hierbei habe er, Franz, jedoch sein Gleichgewicht verloren und sei auf sein Gesäss gefallen. Dr. Choranzicky habe Gift genommen und sei aus dem Fenster gesprungen. Da er draußen liegengeblieben sei, habe er ihn auf eine Trage legen lassen. Er habe ihm durch eine Ärztin aus dem jüdischen Krankenrevier den Magen auspumpen lassen, um ihn zu retten. Er sei dem Arzt nämlich zu großem Dank verpflichtet gewesen, da er von ihm mehrfach Ärztlich gut versorgt worden sei. Das Auspumpen des Magens habe zu seinem grössten Bedauern keinen Erfolg gehabt. Er habe Dr. Choranzicky nicht geschlagen und ihn auch nicht schlagen lassen. Derartiges habe ihm ferngelegen. In keinem Falle sei ihm daran gelegen gewesen, den Tod des Arztes herbeizuführen. Wegen des Besitzes des Geldes hätte er ihm allenfalls eine Verwarnung erteilt oder die Angelegenheit dem Kommandanten Stangl gemeldet.
Es sei auch nichts Wahres daran, das er anschließend die Goldjuden im Lazarett verhört und nur auf die Bitte von Suchomel wieder freigegeben habe.

Soweit der Angeklagte den Vorgang im deutschen Krankenrevier schildert, ist von seiner insoweit unwiderlegten Einlassung auszugehen. Im übringen vermag das Schwurgericht jedoch seiner Darstellung nicht zu folgen. Aus den eidlichen und glaubhaften Bekundungen des 44 Jahre alten Ingenieurs Gl. aus Prag, des 43 Jahre alten Braumeisters Un. aus Vancouver im Staate Washington der USA, des 62 Jahre alten Sägewerksleiters Raj. aus Montreal in Kanada, des 51 Jahre alten Mechanikers Tu. aus Bat Jam / Israel, des 55 Jahre alten Bautechnikers Koh. aus Ramat Gan / Israel, des 56 Jahre alten Geschäftsführers Zygmund Stra. aus Montreal, des 48 Jahre alten Schneiders Lac. aus Washington im Staate New York der USA, des 51 Jahre alten Hoteldirektionsassistenten Sed. aus New York und des 46 Jahre alten Schlossers Ku. aus Giwataim/Israel ergibt sich vielmehr für das Gericht mit voller Gewissheit, dass der Angeklagte Franz keineswegs darauf bedacht war, Dr. Choranzicky zu retten, sondern dass er alles tat, um ihn auf bestialische Art und Weise zu töten, nachdem es ihm nicht mehr gelungen war, von ihm Auskünfte über die Herkunft des Geldes zu erhalten. Diese Aussagen der in den verschiedensten Städten und Ländern wohnhaften Zeugen stimmen in allen wichtigen Punkten überein. Sie schildern unter anderem übereinstimmend das Schlagen und Auspeitschen des Dr. Choranzicky durch Franz und den Umstand, dass Franz versuchte, den Arzt mit Hilfe von eingeflösstem Wasser wieder zum Bewusstsein zu bringen. Sie bekunden schließlich übereinstimmend, dass Franz auf dem Bauch des Arztes herumtrat, als dieser sich trotz des eingeflössten Wassers nicht mehr rührte.
Allerdings lassen alle diese Zeugenaussagen nicht zwingend den Schluss zu, dass Dr. Choranzicky aufgrund der von Franz erlittenen Misshandlungen gestorben ist. Die Möglichkeit, dass er durch das vorher eingenommene Gift den Tod gefunden hat, lässt sich nicht ausschließen. Sie muss deshalb zugunsten des Angeklagten Franz angenommen werden.
Dass Franz sich nach dem Vorfall im Dr. Choranzicky der Goldjuden annahm und sie nackt im Lazarett verhörte, um etwas darüber zu erfahren, woher Dr. Choranzicky sein Geld hatte, wird nicht nur durch den Zeugen Gl., dessen besondere Glaubwürdigkeit bei der Schilderung des Falles A.VI. 6. 6. ausführlich begründet wird, sondern auch durch den Mitangeklagten Suchomel bestätigt, der damals nach seinen Angaben Franz gebeten hat, er möge den Goldjuden nichts tun, da sie eingearbeitete Leute seien. Die Frage, ob seine Bitte Franz gegenüber wegen des Lebens der Goldjuden nötig gewesen sei, hat Suchomel nach längerer Bedenkzeit, wahrend der ihn Franz zornig anblickte nicht beantworten wollen. Da Suchomel die Frage sicherlich beantwortet hätte, wenn seine Antwort für Franz günstig gewesen wäre, zieht das Gericht aus seinem Schweigen in diesem Punkt den Schluss, dass er seinerzeit befürchtete, Franz werde die Goldjuden töten.