Az.: IV ZR 26/62
Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.05.1962, Az.: IV ZR 26/62
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 23.05.1962
Referenz: JurionRS 1962, 14712
Aktenzeichen: IV ZR 26/62
Verfahrensgang:
vorgehend:
OLG Schleswig - 16.06.1961
LG Kiel
Voraussetzungen für ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen (hier die Verhältnisse im Zigeunerlager am Continer Weg in Königsberg).
hat der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 16. Mai 1962 unter Mitwirkung des Senatspräsidenten Ascher und der Bundesrichter Raske, Johannsen, Wüstenberg und Dr. Loewenheim
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des 4. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 16. Juni 1961 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtsgebühren und Auslagen werden für das Revisionsverfahren nicht erhoben.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1.) Der Kläger ist Zigeuner. Er ist am 7. Mai 1934 in Königsberg geboren. Er macht Entschädigungsansprüche für Schaden an Freiheit und für Schaden im beruflichen Fortkommen (Schaden in der Ausbildung) geltend. Er hat vorgetragen:
2.) Er habe seit seiner Geburt mit seiner Mutter in Königsberg in dem Barackenlager am C. Weg gelebt. Dieses Lager sei seit 1936 mit Maschen- und Stacheldraht umsäumt gewesen und im Juni 1938 in ein Zwangslager umgewandelt worden. Seitdem habe dieses Lager unter strenger Bewachung der Gestapo gestanden. Mindestens ab 1. März 1945 bis zur Befreiung kurz vor der Kapitulation sei er - der Kläger - in seiner persönlichen Freiheit beschränkt worden. Er habe keine Schule besuchen dürfen.
3.) Das Landesentschädigungsamt hat es abgelehnt, dem Kläger Entschädigung zu gewähren.
4.) Der Kläger hat Klage erhoben und beantragt,
5.) das beklagte Land zu verurteilen,
6.) an ihn
a) DM 3.150,- Entschädigung für Freiheitsschaden und
b) DM 5.000,- Entschädigung für Ausbildungsschaden
7.) zu zahlen.
8.) Das beklagte Land hat beantragt,
9.) die Klage abzuweisen.
10.) Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht hat durch Teilurteil die Berufung des Klägers zurückgewiesen, soweit er Entschädigung wegen Schadens in der Ausbildung verlangt. Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil durch Urteil vom 16. März 1960 aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweiten Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Das Berufungsgericht hat nunmehr die Berufung des Klägers insgesamt zurüchgewiesen. Die Revision ist vom erkennenden Senat auf Beschwerde des Klägers zugelassen worden. Der Kläger hat Revision eingelegt. Er verfolgt seinen im ersten Rechtszug gestellten Antrag weiter. Das Land hat sich im Revisionsrechtszug nicht vertreten lassen.
Entscheidungsgründe:
11.) Die Revision ist begründet.
12.I.) Zu dem Anspruch auf Entschädigung für Schaden in der Ausbildung hat das Berufungsgericht ausgeführt, der Kläger sei von Geburt deutscher Staatsangehöriger gewesen. Für ihn hätte daher Schulzwang bestanden. Er habe die Schule nicht besucht. Demnach stehe ihm der geltend gemachte Anspruch nicht zu; denn es sei nicht erwiesen, daß er am Besuch einer Volksschule verhindert worden sei. Für die Zigeunerkinder des Lagers am C. Weg sei eine besondere Zigeunerklasse in einer Volksschule eingerichtet worden. Wenn die Zigeunerkinder in der Schule vielleicht nicht gern gesehen worden seien, so rechtfertige das nicht den Schluß, daß sie zu irgendeiner Zeit von dem Schulbesuch ausgeschlossen oder an einem regelmäßigen Schulbesuch gehindert worden seien.
13.) Diese Feststellungen rechtfertigen es nicht, den geltend gemachten Anspruch zu versagen. Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daß eine nationalsozialistische Gewaltmaßnahme auch darin bestehen kann, daß eine Behörde aus einem der in §1 BEG genannten Gründe davon absieht, eine Maßnahme zu treffen, die sie nach dem Gesetz zu treffen hatte (das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 14. Februar 1962 IV ZR 238/61). Das Berufungsgericht hätte daher prüfen müssen, ob die Schulbehörde versucht hat, den Kläger durch geeignete Zwangsmaßnahmen anzuhalten, die Schule zu besuchen. Nach Lage der Sache ist anzunehmen, daß das nicht geschehen ist. Denn unter den Verhältnissen, in denen der Kläger lebte, wäre es seinen Eltern sicherlich nicht möglich gewesen, ihn entgegen einem ernsten staatlichen Gebot von dem Besuch der Schule fernzuhalten. Falls der Kläger nicht zwangsweise angehalten worden ist, die Schule zu besuchen, so sind für ein solches Unterlassen der Behörde kaum andere Umstände denkbar, als solche, die ihren Grund in der Rasse des Klägers haben.
14. II.) Den Anspruch auf Entschädigung für erlittenen Freiheitsschaden hat das Berufungsgericht abgelehnt, weil der Zwangsaufenthalt in dem Lager am C. Weg weder eine rassische Verfolgung noch eine Freiheitsentziehung noch ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes gewesen sei.
15.1.) Die von dem Kläger erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht hätte die von ihm benannten Zeugen über die Verhältnisse in dem Lager am C. Weg vernehmen müssen, es hätten nicht stattdessen deren Aussagen in einem anderen Verfahren verwerten dürfen, ist unbegründet.
16.) Es kann zwar zweifelhaft sein, ob das Berufungsgericht aus den von ihm angegebenen Gründen berechtigt war, von der Vernehmung dieser Zeugen abzusehen. Denn auch in einem Entschädigungsverfahren kann der Partei wenigstens nicht generell das Recht abgesprochen werden, der Vernehmung eines Zeugen beizuwohnen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Die Rüge greift hier jedoch deswegen nicht durch, weil der Kläger durch das Verfahren des Berufungsgerichts nicht beschwert ist.
17.) Das rechtliche Gehör ist dem Kläger nicht versagt worden. Ihm sind die Aussagen, die die Zeugen in dem anderen Verfahren gemacht haben, bekannt gegeben worden. Er hatte Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen, und hat dies auch getan. Falls das Berufungsgericht dadurch, daß es die von dem Kläger benannten Zeugen nicht vernommen hat, gegen das Verfahrensrecht verstoßen haben sollte, wäre der Kläger dadurch nicht beschwert. Das Berufungsgericht hat auf Grund der Aussagen dieser Zeugen nur für den Kläger günstige Tatsachen festgestellt. Es ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht dargelegt, welche weiteren für ihn günstigen Feststellungen hätten getroffen werden können, wenn die Zeugen in Gegenwart des Klägers vernommen worden wären.
18.2.) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es könne nicht festgestellt werden, daß die Zigeuner in dem Lager am C. Weg aus rassischen Gründen festgehalten worden seien. Grundlage hierfür sei das Schreiben des Reichssicherheitshauptamts vom 22. Juli 1941. Der Bundesgerichtshof habe in seinem LM BEG 1956 §176 Nr. 2 veröffentlichten Urteil ausgeführt, daß die auf Grund dieses Erlasses angeordneten Maßnahmen nicht getroffen worden seien, um die Zigeuner rassisch zu verfolgen. Es habe sich nicht feststellen lassen, daß die Lebensbedingungen in dem Lager sich mit dem Auschwitz-Erlaß ab 1. März 1943 verschärft hätten.
19.) Diese Ausführungen des Berufungsgerichts können die Feststellung, daß der Zwangsaufenthalt in dem Lager seinen Grund nicht in einer rassischen Verfolgung der Zigeuner gehabt hat, nicht tragen.
20.) Die allein auf Grund des Schreibens des Reichssicherheitshauptamts vom 22. Juli 1941 getroffenen Anordnungen mögen rein sicherheitspolizeilicher Natur gewesen sein. Das Berufungsgericht hätte aber, wie auch das vom Berufungsgericht angeführte Urteil des Senats LM §176 BEG Nr. 2 ergibt, prüfen müssen, ob daneben nicht auch andere, aus der Rasse der Zigeuner sich ergebenden Gründe für den Zwangsaufenthalt in dem Lager wesentlich mitursächlich gewesen sind. Es war notwendig, diese Frage zu prüfen, da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts viele Zigeuner des Lagers ohne vorheriges gerichtliches Verfahren sterilisiert worden sind. Das Berufungsgericht hätte prüfen müssen, worin der Grund für diese Maßnahmen bestanden hat. Es könnte sein, daß es sich dabei nicht nur um eine eugenische oder sozialpräventive Maßnahme gehandelt hat, sondern daß diese Maßnahme schlechthin darauf zielte, die Zigeuner als solche oder einzelne ihrer Stämme rassisch zu verfolgen.
21.) Wenn das zutrifft, würde die Annahme sehr nahe liegen, daß der Zwangsaufenthalt in dem Lager zugleich dazu diente, diese rassische Verfolgung zu ermöglichen. Das beklagte Land könnte dann gegenüber einem Anspruch nach §43 BEG nicht schlechthin einwenden, daß der verfolgte Zigeuner auch ohnedem aus sicherheitspolizeilichen Gründen in dem Lager festgehalten worden wäre. Denn das Festhalten in dem Lager unter den Umständen, wie sie hier festgestellt worden sind, wäre auch dann rechtsstaatswidrig und unrechtmäßig, wenn es allein aus sicherheitspolizeilichen Gründen erfolgte. Das beklagte Land kann sich, um den Anspruch des Verfolgten abzuwehren, nicht darauf berufen, daß ihm dasselbe Unrecht auch ohne die rassische Verfolgung von dem Deutschen Reich zugefügt worden wäre.
22.2.) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht ferner angenommen, der Kläger habe im Lager Continer Weg nicht unter haftähnlichen Bedingungen im Sinne des §43 Abs. 3 BEG gelebt. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß bei der Beurteilung der Verhältnisse in diesem Lager nicht darauf abgestellt werden kann, wie sich diese auf den damals noch minderjährigen Kläger ausgewirkt haben, insbesondere darauf, ob er das Leben als haftähnlich empfunden hat. Es kommt vielmehr auf den Gesamtcharakter des Lagers an, auf die Bedingungen, denen die in dem Lager befindlichen erwachsenen Zigeuner und ihre Kinder allgemein unterworfen waren.
23.) Das Berufungsgericht hat festgestellt, das Lager sei ab 1938 eingezäunt worden. Ab 1941 oder von Frühjahr 1942 an seien die Insassen des Lagers stärkeren Einschränkungen unterworfen worden und hätten in ungünstigeren Verhältnissen leben müssen. Im einzelnen hat das Berufungsgericht dazu ausgeführt:
a) Die Zigenuer durften das Lager nur mit besonderer Genehmigung verlassen. Auf dem C. Weg, zu dessen beiden Seiten sich das Lager befand (vgl. hierzu die Skizze im Umschlag Bl. 19 der Akten 4 U 25/57), waren Wachposten aufgestellt.
b) Persönliche Einkäufe durften die Zigeuner nur in beschränktem Umfange in einem Kiosk am C. Weg vornehmen, aber auch das nur mit Erlaubnis der Posten.
c) Von Besuchen von Kinos, Gaststätten und Theatern in Königsberg waren die Zigeuner ausgeschlossen. Sie durften die Straßenbahn nicht benutzen.
d) Wenn sie außerhalb des Lagers arbetieten, wurden sie, soweit sie nicht vereinzelt allein zur Arbeitsstelle gehen durften, auf dem Wege aus dem Lager und in das. Lager zurück von Polizei, sonstigen uniformierten Wachleuten oder Aufsichtspersonen der Arbeitgeber (Vorarbeiter, Schachtmeister oder dergl.) begleitet. Die Zigeuner erhielten zu ihrer freien Verfügung nicht den vollen normalen Arbeitslohn, sondern nur ein geringeres Entgelt.
e) Sie wurden aus einer Gemeinschaftsküche verpflegt. Die Lebensmittelrationen waren gegenüber den Normalsätzen gekürzt.
f) Als Verbindungsmann zur Lagerleitung war ein Zigeuner als Lagerältester eingesetzt.
g) Viele Zigeuner des Lagers wurden ohne vorheriges gerichtliches Verfahren sterilisiert.
h) Es fanden im Lager polizeiliche Kontrollen und Razzien statt.
i) Es sind Mißhandlungen vorgekommen, auch solche schwerer und demütigender Art.
k) Viele Zigeuner wurden aus dem Lager in Konzentrationslager gebracht. Ein großer Teil von ihnen ist dort umgekommen.
24.) Die Ermittlungen hätten nicht ergeben, daß sich nach dem Inkrafttreten des Auschwitz-Erlasses die Lebensbedingungen der Zigeuner in dem Lager noch mehr verschlechtert hätten. Sie seien bis zur Befreiung der Zigeuner im Jahre 1945 die gleichen geblieben.
25.) Das Berufungsgericht hat angenommen, das Leben in dem Lager könne nicht als polizeiliche Haft angesehen werden; die Zigeuner seien nicht vollständig und nachhaltig von der Umwelt abgesondert worden. Sie hätten in dem Lager ihr Familien- und Sippenleben weiterführen können. Sie hätten teilweise ohne Bewachung, teilweise nur unter Aufsicht ihrer Arbeitgeber an ihre Arbeitsplätze gehen dürfen. Schließlich hätten sie sich auf einer zwar bewachten Durchgangsstraße, dem C. Weg, aufhalten und dort Einkäufe in einem privaten Kiosk machen können.
26.) Auch haftähnliche Bedingungen (§43 Abs. 3 BEG) seien nicht erwiesen. Die festgestellten Einschränkungen der persönlichen Freiheit der Lagerinsassen seien nicht derart gewesen, daß sie schon einer Freiheitsentziehung nahegekommen wären. Die geschilderten Besonderheiten, die für die arbeitenden Zigeuner charakteristisch gewesen seien, schlössen die Feststellung aus, daß man allgemein eine ständige und laufende polizeiliche Kontrolle annehmen könnte. Auch der andauernde Druck, in ein Konzentrationslager verbracht werden zu können, genüge nicht, um haftähnliche Bedingungen anzunehmen. Ebensowenig könne das Lebensniveau, insbesondere die Ernährung, möge sie auch karg gewesen sein und noch unter dem durch die Kriegsverhältnisse bedingten Normalstand gelegen haben, als so niedrig angesprochen werden, daß ein hinreichender sicherer Schluß auf "haftähnliche" Bedingungen gerechtfertigt erscheine.
27.) Hiermit hat das Berufungsgericht den Begriff des Lebens unter haftähnlichen Bedingungen verkannt. In seinem LM BEG 1956 §43 Nr. 5 veröffentlichten Urteil hat der Senat ausgeführt, ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen sei anzunehmen, wenn der Verfolgte erheblich und laufend behördlich streng überwachten Einschränkungen seiner Bewegungsfreiheit unterworfen war und den sonstigen sich ergebenden Bedingungen ein Leben führen mußte, das dem eines Häftlings sehr nahe kam.
28.) Als Freiheitsentziehung sieht das Gesetz in §43 Abs. 2 BEG auch den Zwangsaufenthalt in einem Ghetto an. Ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen ist daher auch ein Leben, das sich unter ähnlichen Umständen wie das Leben im Ghetto abspielt. Das Berufungsgericht hätte prüfen müssen, ob nicht die Lebensverhältnisse der Zigeuner in dem Lager C. Weg sehr weit dem Leben in einem Ghetto glichen. Bei diesem Vergleich kann nicht ins Gewicht fallen, daß die Zigeuner in ihrem Lager mit ihren Sippen und Familien zusammenleben konnten. Das wäre bei einem Aufenthalt in einem Ghetto gleichfalls möglich gewesen.
29.) Die Bewegungsfreiheit der Zigeuner war in dem Lager nach den eigenen Feststellungen des Berufungsgerichts laufend erheblich eingeschränkt. Wenn auch einzelne Zigeuner ohne Bewachung ihre außerhalb des Lagers gelegene Arbeitsstätte aufsuchen durften, so muß berücksichtigt werden, daß ihnen damit nur eine sehr begrenzte Bewegungsfreiheit eingeräumt worden war und daß ihnen strengste Strafe angedroht war, wenn sie sich darüber hinaus frei in der Stadt oder ihrer Umgebung bewegten. Selbst der Teil des Continer Wegs, auf dem sich der Verkaufskiosk befand, wurde nach der Aussage des Zeugen F. (Bl. 193 R der Beiakten) durch Tore abgesperrt und mit in den Gesamtkomplex der Lager einbezogen.
30.) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, man könne nicht annehmen, daß das Lager ständig und laufend polizeilich kontrolliert worden sei. Es kann zweifelhaft sein, ob die Beweisaufnahme diesen Schluß rechtfertigt; selbst wenn die Annahme des Berufungsgerichts zutreffen würde, hat das Gericht jedoch nicht beachtet, daß haftähnliche Bedingungen, das Abgeschlossensein von der Umgebung auch durch andere Mittel als eine ständige polizeiliche Kontrolle erreicht werden können. Das Berufungsgericht hätte in diesem Zusammenhang mitberücksichtigen müssen, daß das Lager eingezäunt war und daß den Insassen bestimmte Weisungen erteilt waren und daß sie unter einem außerordentlich starken psychologischen Druck standen. Sie wurden bei der geringsten Widersetzlichkeit und bei kleinen Verfehlungen gegen die Arbeitsdisziplin körperlich schwer mißhandelt und lebten ständig in der Angst, bei der geringsten Widersetzlichkeit ins Konzentrationslager verbracht zu werden.
31.) Für den Charakter der Haftähnlichkeit ihres Aufenthalts kommt weiter in Betracht, daß in dem Lager häufiger nächtliche Razzien stattfanden, bei denen die Familien, Männer, Frauen und kleine Kinder auch bei Kälte und Frost dürftig bekleidet im Freien antreten mußten. Schließlich wurden sie aus einer Gemeinschaftsküche verpflegt und erhielten nicht die normalen Zuteilungen der Zivilbevölkerung. Es ist zu prüfen, ob damit ihre Verpflegung nicht derjenigen entsprach, die Strafgefangene oder Insassen von Konzentrationslagern erhielten.
32.) Damit das Berufungsgericht den Sachverhalt nach diesen rechtlichen Gesichtspunkten neu prüfen kann, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Verkündet am 23. Mai 1962
Becker
Just.Ang. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle