Aktenzahl des Gerichts (Geschäftszahl): LG Wien Vg 8e Vr 455/51

Prozess wegen Endphase-Verbrechen, Prozess wegen Funktion im NS-Regime (Gendarmerie/Polizei/Gestapo/SD), Denunziationsprozess, Arisierungsprozess
(Röhrling-Prozess)

Opfer
Widerstand/Opposition, Häftlinge, Juden/Jüdinnen

Tatland (Tatort)
Niederösterreich (Sankt Pölten, Moosbierbaum), Wien (Liesing-Inzersdorf), Burgenland (Eisenstadt)

Volksgerichtsverfahren gegen
Johann Röhrling
Gestapo-Referent in Sankt Pölten

Adolf Swoboda
V-Mann der Gestapo

Robert Huber

Tatvorwurf/Tatvorwürf
Sonderaktion Moosbierbaum der Gestapo-Außenstelle Sankt Pölten (Verhaftungswelle vom 16.01.1945 gegen Mitglieder der Widerstandsgruppe Moosbierbaum): Swoboda (V-Mann der Gestapo), Röhrling.
Ermordung von 12 Angehörigen der Österreichischen Freiheitsbewegung (diese wurden nach Standgerichtsurteil vom 13.04.1945 in Sankt Pölten am selben Tag erschossen): Röhrling und Swoboda.
Arisierung der Firma Brüder Selinko, Mechanische Weberei Wien-Inzersdorf, im Jahre 1938 (Swoboda, Huber).
Misshandlung von Häftlingen unter Ausnützung seiner dienstlichen Gewalt in den Jahren 1938 bis 1945: Swoboda (dieser war im Referat Spionage, Sabotage, Umgang mit Kriegsgefangenen der Gestapodienststelle Sankt Pölten tätig).
Denunziation in Eisenstadt im Jahre 1938 sowie Illegalität: Röhrling

Verlauf der Vorerhebungen/Voruntersuchung bzw. des Gerichtsverfahrens
01.08.1947: Getrennte Ausscheidung des Verfahrens gegen Peter Böhm, Gustav Pulker wegen §§ 10, 11 VG, §§ 3, 4 KVG, gegen Rudolf Holzweber, Johann Kaspar und Josef Zisterer wegen §§ 3, 4 KVG sowie gegen Willibald Tremer wegen §§ 10, 11 VG, § 4 KVG. Ausscheidung und getrennte Weiterführung des Verfahrens gegen Friedrich Seyfried wegen §§ 1, 2, 3, 4 KVG, gegen Johann Kaltner wegen §§ 1, 3, 4 KVG, 134 StG, Josef Sandner wegen §§ 1, 3, 4 KVG, gegen Georg Freyberger wegen §§ 3, 4 KVG und gegen Maximilian Bittermann wegen §§ 1, 3, 4 KVG. Einstellung des Verfahrens gegen Adolf Swoboda wegen § 11 VG, § 1 KVG, gegen Josef Zisterer und Gustav Pulker wegen § 1 KVG, gegen Willibald Tremer wegen §§ 1 KVG, 134 StG und gegen Peter Böhm wegen § 7 KVG gemäß § 109 StPO (Erklärung der Staatsanwaltschaft: kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung).

19.12.1947: Röhrling (Hauptverhandlung wegen §§ 10, 11 VG, § 3 Abs. 1 und 2 KVG, § 7 Abs. 1 KVG, § 7 Abs. 3 KVG und 5 StG) zu 15 Jahren schweren Kerkers verurteilt.
Swoboda (Hauptverhandlung wegen § 7 Abs. 1 und 2 KVG) zu 6 Jahren schweren Kerkers verurteilt.

17.12.1951: dem Wiederaufnahmeantrag von Swoboda wird stattgegeben

10.06.1952: Einstellung des Verfahrens gegen Swoboda wegen § 7 KVG gemäß § 109 StPO (Erklärung der Staatsanwaltschaft: kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung).

23.07.1952: Anklageerhebung wegen § 6 KVG gegen Swoboda und Huber.

31.07.1952: Verfahren gegen Swoboda wegen § 6 KVG in den Fällen Klimt, Schreiber und Weiss gemäß § 109 StPO (Erklärung der Staatsanwaltschaft: kein Grund zur weiteren gerichtlichen Verfolgung) eingestellt.

28.04.1953: Einstellung des Verfahrens gegen Swoboda und Huber wegen § 6 KVG (Arisierung der Firma Brüder Selinko) gemäß § 227 StPO

Einbezogene Akten:
Mit Beschluss vom 14.05.1946 vereinigter Akt Vg 6d Vr 1566/46, Strafsache gegen Röhrling, W. Tremer, J. Kaltner u.a., wurde als Sammelakt Gestapo Sankt Pölten geführt.
Mit Beschluss vom 18.10.1946 vereinigter Akt Vg 7a Vr 1001/46, Strafsache gegen Swoboda und Walter Ehart.
Vg 5d Vr 1315/48, Verfahren gegen Swoboda und Huber, Arisierung der Fa. Brüder Selinko, Mechanische Weberei Wien-Inzersdorf.

LG Wien Vg 8e Vr 455/51 (Vereinigt mit Vg 8e Vr 679/55)
(ursprüngliche Geschäftszahl: Vg 7a Vr 1265/46)

Beitrag ist kein Bestandteil der Gerichtsakten

Am 7. April 1945 wurde, im Zuge einer Aktion der Gestapo-Außenstelle Sankt Pölten eine Widerstandsgruppe unter der Führung des Kremser Friseurs Josef Czeloth, zu der auch der Justizwachebeamte Josef Diewald und der im Zuchthaus Stein beschäftigte Werkmeister Rudolf Scheidl gehörten, in Wolfenreith von der Polizei ausgehoben, wobei ein griechischer Häftling des Zuchthauses Stein, der sich nach seiner Entlassung am 6. April der Gruppe angeschlossen hatte, erschossen wurde.
Die Gruppe hatte sich beim Bauern Heinrich Schwarzhappel in Wolfenreith getroffen, um von dort aus Kontakt mit der vorrückenden Roten Armee aufzunehmen und so vielleicht St. Pölten und Krems vor größeren Zerstörungen bewahren zu können.
An der Aktion in Wolfenreith am 7. April 1945 nahm auch Leo Pilz mit einer Volkssturmeinheit teil. Czeloth und der Arzt Gustav Adolf Kullnig wurden vor ein Standgericht gestellt und am 15. April in der Strafanstalt erschossen.

Dieses Verbrechen war auch Gegenstand der verschiedenen Gerichtsverfahren gegen den St. Pöltner Gestapo-Referenten Johann Röhrling (Aktenzahl des Wiederaufnahmeverfahrens vor dem Kreisgericht St. Pölten: 5 Vr 212/56)

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Sonderaktion Moosbierbaum
16.01.1945: Im Zuge einer Gestapo-Aktion werden 200 Männer und Frauen im Umkreis des Werkes Moosbierbaum verhaftet; unter ihnen auch Leo Kuhn und Alfred Monz. Durch die indirekte Hilfe des Leiters des Zuchthauses Stein, Franz Kodré, bleibt Monz im Zuchthaus Stein. Leo Kuhn wird von der Gestapo verhört und in das KZ Mauthausen gebracht, kann sich der Liquidierung durch das Häftlingskomitee entziehen. Als Robert Litter muß er den Todesmarsch nach Ebensee mitmachen, er erkrankt an Ruhr und Typhus. Er erwacht erst nach der Befreiung aus einem Erschöpfungsschlaf.

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Schreiben von Innenminister Helmer an den Justizminister Gerö spiegelt anschaulich und erschreckend die Befindlichkeit der österreichischen Politik wieder, der zu dieser Zeit die Ahndung von NS-Verbrechen kein Anliegen mehr war, und von der die Bemühungen der Justiz, diese Verbrechen ihrer Schwere gemäß zu ahnden missachtet und rechtskräftige Urteile ganz einfach ignoriert wurden.

"Lieber Freund!
In Anbetracht der bevorstehenden Weihnachtszeit gestatte ich mir, in der Anlage eine Liste von wegen politischer Delikte in der Strafanstalt Stein inhaftierten ehemaligen Nationalsozialisten zu übermitteln.
Die genannten Personen scheinen infolge ihrer persönlichen sowie ihrer familiären Umstände für die Einbeziehung in eine Weihnachtsamnestie geeignet.
Mit besten Grüßen
Oskar Helmer"

Strafende: 28.12.1960
Hat die Hälfte seiner Strafe bereits verbüßt, hat zwei Kinder und Frau, die in den ärmlichsten Verhältnissen leben.

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Ignaz (Ignatz) Selinko, Seniorchef firma Brüder Selinko

Firma Brüder Selinko mechanische Weberei
Die Firma Brüder Selinko mechanische Weberei hatte sich aus dem 1869 gegründeten Großhandelsunternehmen Brüder Selinko entwickelt. Bis 1926 befasste sich die in Wien 1, in der Gonzagagasse 1 ansässige Firma ausschließlich mit dem Großhandel mit Stoffen und Tüchern. Erst 1927 wurde ihr eine Produktionsstätte in Inzersdorf in Niederösterreich angegliedert, so dass auch der Firmenname in Brüder Selinko mechanische Weberei abgeändert wurde. Bis zum Jahr 1936 war der Betrieb eine offene Handelsgesellschaft. Gesellschafter waren Marguerite Kary und ihr Onkel Ernst Fischer. Am 3. Juli 1936 wurde der Betrieb in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt. Komplementäre waren die ehemaligen Gesellschafter, Kommanditist mit einer Vermögenseinlage von 5.000 ÖS wurde der zu dem Zeitpunkt minderjährige Sohn von Marguerite Kary, die wiederum Tochter des 1935 verstorbenen Firmengründers Ignatz Selinko war. Der Betrieb bot zum Zeitpunkt der Arisierung 149 ArbeiterInnen und 52 Angestellten eine Beschäftigung. Umgerechnet in RM ergab sich für den Zeitraum 1935 bis 1937 ein Durchschnittsumsatz von 2,405.137 RM pro Jahr. Die Wertschöpfungsquote pro Beschäftigtem lag mit 12.000 RM weit über den Durchschnittswerten in der Wollindustrie. Dennoch beurteilte der Wirtschaftsprüfer die Reingewinnquote von 7,6 Prozent als nicht besonders günstig und monierte, dass das Unternehmen auf Grund der Fabrikation von billigen Damenstoffen sehr streng kalkulieren müsse.
Der Export machte mit 3–5 Prozent in diesem wie in den meisten schafwollverarbeitenden Betrieben lediglich einen unbedeutenden Teil des Umsatzes aus und ging primär nach Italien.

Bewerber
Um die Arisierung der Firma Brüder Selinko bewarben sich zwei politisch hochdekorierte NSDAP-Funktionäre. Beide – Erich Larche und SS-Sturmführer Lorenz Steimer – waren Blutordensträger und Besitzer des Goldenen Ehrenzeichens der NSDAP. Steimer war Obersturmbannführer der SA und Verwaltungsbeamter der Reichsgauleitung. Den beiden standen nach eigenen Angaben im Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung Bargeldmittel in der Höhe von 1 Mio. RM zur Verfügung; außerdem wurde ihr Arisierungsansuchen von Rudolf Heß unterstützt, der am 1. November 1938 ein Schreiben an Gauleiter Bürckel schickte, mit der Bitte, das Ansuchen von Larche und Steimer zu unterstützen.
Ihr Konkurrent um die Arisierung der Firma Brüder Selinko, der Webereibetriebsleiter Emil Schreiber, dürfte auf Grund seines – im Vergleich zum festgesetzten Kaufpreis von 1,1 Mio. RM und einer Auflage von 120.000 RM – geringen Gesamtvermögens von 65.000 RM von vornherein eine ziemlich aussichtslose Ausgangsposition gehabt haben. Er gab in seinem Ansuchen um Genehmigung der Erwerbung an, 20.000 bis 40.000 RM investieren zu wollen. Ein dritter Arisierungsbewerber, der Druckereiunternehmer Anton Kaufmann aus Wels, zog sein Angebot am 8. Dezember 1938 auf Grund des seiner Ansicht nach überhöhten Kaufpreises zurück.
Am 16. Dezember 1938 wurde die Fa. Brüder Selinko schließlich einem gewissen
Robert Huber zugesprochen. Dieser war zufolge der Kreisleitung III in Wien seit
1934 Parteimitglied und hatte während der illegalen Zeit monatlich 10 ÖS für
inhaftierte Nationalsozialisten gespendet. Wie es kam, dass Huber, der nicht zu den
ursprünglichen Bewerbern gehörte, die Firma zugesprochen bekam, wird nicht
begründet. Er konnte 300.000 RM an eigenen Geldmitteln einbringen und wollte
insgesamt 1 Mio. RM investieren. Der Kaufpreis wurde mit 1,1 Mio. RM festgelegt
und sollte in sechs Raten bis zum 1. August 1941 beglichen werden. Die
Entjudungsauflage wurde mit 120.000 RM festgelegt.
Auch nach der Erteilung der Endgenehmigung an Huber wurden weiter Ansuchen auf Erwerbung dieses offensichtlich sehr lukrativen Betriebs an die VVSt gestellt. Ein Anton Kaltenberger bemühte sich noch am 20. Dezember 1938 um den Betrieb, und der Wirtschaftsprüfer Ekkehard Czedron versuchte, als alter Kämpfer noch im Januar 1939 den Zuschlag für die Arisierung zu erhalten.
Als erster kommissarischer Verwalter wurde bei der Firma Brüder Selinko Kommerzialrat Edmund Steinhauer eingesetzt. Er wurde jedoch bereits am 16. August 1938 in Schutzhaft genommen. An seine Stelle trat der kommissarische Verwalter Max Kaltenberger. In einem Brief an die VVSt vom 13. Oktober 1938 schildert Kaltenberger, dass die Milde seines Vorgängers nun ein Ende habe. Vor seiner Einsetzung hätten die jüdischen Inhaber pro Kopf monatlich 4.000 ÖS bezogen und noch Zutritt zu den Fabrikräumen gehabt. Er, Kaltenberger, hätte dies sofort abgestellt.

Die Witwe des Firmengründers, Irene Selinko, bat in einem Brief an die VVSt vom 27. September 1938, ihr möge ein Guthaben von 19.468 RM sowie ein weiteres von 3.266 RM ausgezahlt werden, das in den Büchern der Firma Brüder Selinko verbucht wäre, da sie als 76jährige arbeitsunfähig wäre, und ihre Tochter, die selbst keinerlei Bezüge aus der Firma bezöge, sie nicht mehr erhalten könne. Sie erhielt keine Antwort. Am 1. September 1943 wurde nach dem Verzeichnis der österreichischen Holocaustopfer ihr Tod im Konzentrationslager Theresienstadt registriert.
Über den Ariseur Robert Huber ist im Akt nichts genaueres vermerkt. Seinem Ansuchen zur Erwerbung liegt nicht der sonst übliche Lebenslauf bei. Er dürfte sich um die Arisierung mehrerer Betriebe bemüht haben und über Einfluss oder zumindest über gute Kontakte verfügt haben, um zwei Blutordensträger mit goldenem Ehrenzeichen und Befürwortung durch Rudolf Heß auszustechen.
Auffällig ist, dass Robert Huber in Firmenangelegen heiten nur im Kaufvertrag als Zeichner auftritt. Er dürfte nur als Strohmann für den Kauf fungiert haben. Denn bereits am 29. Dezember 1938, also knapp zwei Wochen nach der endgültigen Genehmigung an Huber, teilte dieser der VVSt mit, dass er nicht in der Lage wäre,
den ihm zugeteilten Betrieb zu leiten, da er durch die ebenfalls von ihm arisierte Herrenkleiderfabrik Robinson, Rubin & Kalwill zu sehr in Anspruch genommen würde, und alle seine finanziellen Kräfte auf diese Firma konzentrieren müsse. Seine Rechte und Pflichten trat er in diesem Schreiben an den – wie er ihn nannte – hochverdienten alten Pg. Anton Swoboda und an Dr. Artur Mache ab. Weiters erklärte er, dass ihm aus dieser Weitergabe kein Vorteil erwachsen wäre.
Im Arisierungsakt der Firma Robinson, Rubin & Kalwill, einer Herren- und Knabenkleiderfabrik, ist etwas mehr über den Ariseur zu erfahren. Robert Huber blieb bei dieser zweiten Arisierung, nicht unumstritten.
Der Kreisleiter des 3. Bezirks bezichtigte Huber, die Firma im Verein mit zwielichtigen Gesellschaftern arisiert zu haben. Außerdem würde er im 4. Bezirk nicht als Parteimitglied geführt, hätte sich aber als solches ausgegeben. Dr. Mache fungierte bei der Unterzeichnung des Kaufvertrages der Firma Robinson, Rubin & Kalwill am 12. Mai 1938 als Zeuge, dürfte also mit Robert Huber bereits vor der Übernahme der Firma Brüder Selinko gut bekannt gewesen sein.
Im Kaufvertrag war Huber noch als einziger Käufer angeführt, bei der Eintragung im
Handelsgericht Wien am 10. Januar 1939, also knapp ein Monat nach der Endgenehmigung der Arisierung für Robert Huber, wurde das Unternehmen jedoch unter der Nummer Reg. A 35/77 in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt, für welche die Inhaber Dr. Artur Mache und Adolf Swoboda mit Robert Huber gemeinsam als Gesellschafter verantwortlich zeichneten.
Mit 27. Juni 1939 trat Robert Huber aus der OHG aus; am 19. September wurde die offene Handelsgesellschaft aufgelöst und der Gesellschafter Adolf Soboda trat ebenfalls aus der Gesellschaft aus. Arthur Mache war somit ab diesem Zeitpunkt Alleininhaber der Firma Brüder Selinko.
Doch am 16. November 1939 wurde die Firma in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, in der Ing. Hans Perko mit einer Einlage von 5.000 RM Kommanditist wurde. Mit 25. April 1940 wurde der Name der Firma im Handelsregister unter dem geänderten Namen Inzersdorfer Weberei Dr. Mache & Co. KG. eingetragen.
Im März 1941 schied Hans Perko als Kommanditist aus; gleichzeitig trat Adolf Svoboda wieder als Gesellschafter in die Firma ein. Es scheint, dass er 1939 nur deshalb aus der Firma ausgeschieden war, weil ein Gerichtsverfahren gegen ihn anhängig war.
Einer Notiz der Gauwirtschaftsleitung zufolge wurde er jedoch freigesprochen, sodass er rehabilitiert war und einer Wiederaufnahme in die SS und die Partei nichts mehr entgegenstand. Das Vergehen, dessen er bezicht igt worden war, wurde nicht genannt.
Der Kaufpreis für die Firma Brüder Selinko wurde, wie bereits erwähnt, am 16. Dezember 1938 mit 1,1 Mio. RM festgesetzt, die Auflage betrug 120.000 RM. Der Kaufpreis war auf ein Sperrkonto der Creditanstalt (CA) einzuzahlen. Mit 23. Dezember 1940 wurde dem Unternehmen auf Grund einer angeblich zu geringen Auflagenbemessung eine zusätzliche Auflage von 330.685 RM auferlegt. Einem Ansuchen des Anwalts der Geschädigten, die Kaufsumme von 1,1 Mio. RM nicht auf ein CA-Sperrkonto, sondern auf eines beim Bankhaus Pinschof & Co. einzuzahlen, bei dem die ehemaligen jüdischen Besitzer ihre Geschäftstransaktionen abwickelten, wurde vorerst für die erste Kaufpreisrate von 200.000 RM, am 31. Januar 1939 von Seiten der VVSt stattgegeben. Mit 24. März 1939 wurde auch die Überweisung der restlichen Kaufpreisraten auf dasselbe Sperrkonto genehmigt. Bis zum Herbst 1940 war nach einem Bericht des Wirtschaftprüfers Dr. Ulrich Ostrowski ein Grossteil der Kaufsumme bereits entrichtet worden. Die Restschuld betrug nach seinen Angaben am 31. Oktober 1940 noch 283.859 RM.
Der Kaufpreis und die Auflage wurde von den Käufern ab 1939 in die Passiva des Unternehmens einbezogen. Der größte Teil des Kaufpreises scheint somit mit dem Vermögen des Unternehmens selbst bezahlt worden zu sein. Mit 1. Januar 1939 wurde ein Posten von 881.600 RM zur Begleichung der Kaufpreis- und Auflagenschuld vom Wirtschaftprüfer identifiziert.
Im Jahr 1940 sind es nochmals zwei Raten von je 283.900 RM. Eine absurde, aber
für den Arisierungsvorgang allgemein nicht seltene Situation: Der Betrieb wird

„gekauft“ und mit dem Betriebsvermögen der arisierten Firma bezahlt, wobei mit
1. Oktober 1940 immer noch ein Umlaufvermögen von 437.100 RM vorhanden war.
Dies war nur möglich, weil die wirtschaftliche Situation des Betriebs gut blieb. Nach
einem Reingewinn von 275.000 RM im Jahr 1938 wurde in den Folgejahren 1939
und 1940 trotz Umsatzrückgang weiterhin Gewinne von etwa 120.000 RM jährlich
erwirtschaftet. Im März 1943 wurde das Vermögen der jüdischen ehemaligen Gesellschafterin Margarethe Kary zu Gunsten des deutschen Staates eingezogen.
Über die Kaufsumme konnte sie dem Akt zufolge nicht verfügen. Ebenfalls im März 1943 stand die Überprüfung des Ablaufs der Arisierung durch die Gauleitung Wien an. Diese fragte bei der VVSt an, ob die Weiterveräußerung von Robert Huber an Dr. Arthur Mache und Adolf Swoboda von der VVSt genehmigt worden sei. Mit 3. Juni wies die Gauleitung die Abwicklungsstelle der Vermögensverkehrsstelle an, in der Angelegenheit der Entjudung der Firma Brüder Selinko mechanische Weberei Inzersdorf keine neuen Schritte zu unternehmen, ohne sich mit ihr ins Einvernehmen zu setzen.
Die VVSt antwortete im August 1943, dass Robert Huber eine solche Genehmigung nicht erteilt worden wäre. Es müsste also erst festgestellt werden, ob Robert Huber als Käufer des Unternehmens nur vorges choben worden sei. Dieser Vermerk für den Regierungspräsidenten ist der letzt datierte im Aktenbestand über die Arisierung der Firma Brüder Selinko mechanische Weberei Inzersdorf.
Nach 1945 wurde die Firma unter öffentliche Verwaltung gestellt. Im Industrie Compass 1947/48 ist die Firma weiter unter dem Namen Inzersdorfer Weberei Dr. Mache & Swoboda KG verzeichnet; öffentlicher Verwalter war Richard Basch.
Ab dem Jahr 1953 scheint die Firma wieder unter dem Namen Inzersdorfer Weberei Brüder Selinko im Compass auf. Inhaberin der Firma war zu diesem Zeitpunkt
wieder Marguerite Kary, die Tochter des Firmengründers Ignatz Selinko, der 1935
verstorben war. Kommanditist war wieder ihr Sohn Hans Kary.
Ein Arisierungsfall, der zeigt, wie mit allen Mitteln um eine Firma geworben wurde.
Selbst ein Brief von Rudolf Heß hat zwei Bewerbern nicht genützt. Die Genehmigung der Vermögensverkehrsstelle, dass der Verkaufspreis auf ein Sperrkonto einer anderen Bank als der CA überwiesen wurde, kam sehr selten vor. Trotzdem hatte die Familie auch auf dieses Konto bei der Bank ihres Vertrauens offensichtlich keinen Zugriff. Die Witwe des ehemaligen Besitzers bettelte bei der Vermögenverkehrsstelle um die Genehmigung einer Auszahlung, weil ihr das
Nötigste zum Leben fehle. Den nächste Eintrag in den Akten ist der ihres Todes in
Theresienstadt. Über die Rückstellung fanden sich keinerlei Unterlagen, der Akt
wurde skartiert.

Quelle dieses Beitrags: Markus Priller, Wien
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Familie Selinko

Karoline "Karry" Selinko
Geboren: 9. Mai 1878 in Kis Igmaud, Ungarn.
Verheiratet: 1904
Gestorben: 1941 in Minsk, Belartus KZ

Ignaz (Ignatz) Selinko
Geboren: 1846 oder 28. September 1849 in Kisigmánd , Ungarn.
Wohnort: Lilienbrunngasse 9, Wien.
Beruf: Seniorchef firma Brüder Selinko Mechanische Weberei Inzersdorf.
Gestorben: 10. Dezember 1935 in Wien im Alter von 90 Jahren

Felix Selinko
Geboren: 1878
1 von 3 Partner der Textilwerke Brüder Selinko.
Gestorben: 25. Dezember 1934 eingeäschert in Wien, Österreich
Verheiratet mit Irma Lévai aus Budapest.
Verheiratet seit 1911, ihre Mitgift 500,000 Kronen sollte in das Unternehmen investiert werden, aber bereits 1912 wurden sie geschieden, und Irma bat um ihr Geld zurück
2. Ehefrau von Felix Selinko: Grete (geb. Wolf)
Geboren: 1892
Verheiratet: 1913
1920 änderte Felix seinen letzten Willen und enterbte seine Frau
1926 geschieden
Gestorben: 1946 in Dänemark
2. Ehemann von Grete Wolf: (Birnbaum?)