Aktenzahl des Gerichts (Geschäftszahl): LG Wien Vg 1a Vr 1097/45

Prozess wegen Funktion im NS-Regime (Gendarmerie/Polizei/Gestapo/SD)

Opfer
Ausländische ArbeiterInnen, Juden/Jüdinnen

Tatland (Tatort)
Niederösterreich

Volksgerichtsverfahren gegen
Paul Böhm (Meister der Schutzpolizei)

wegen
Illegalität, Misshandlung von polnischen und russischen Zwangsarbeitern sowie eines einheimischen Hilfsarbeiters unter Ausnützung seiner dienstlichen Gewalt als Meister der Schutzpolizei-Dienstabteilung in Krems (Niederösterreich) (Böhm war Chef des Ausländerreferates, welches für die Überwachung und Betreuung der ausländischen Arbeiter zuständig war), Teilnahme an der Misshandlung eines jüdischen Kaufmanns im Sommer 1938 in Laa an der Thaya (Niederösterreich)

Verlauf der Vorerhebungen/Voruntersuchung bzw. des Gerichtsverfahrens
Am 21.02.1946 wurde Böhm zu 5 Jahren schweren Kerkers verurteilt.

Beitrag ist kein Bestandteil der Gerichtsakte

Arisierungen in Laa an der Thaya
Auszug aus dem Bericht von Karola Österreicher aus Laa a. d. Thaya
In Laa war etwas Unerklärliches in der Luft, die Menschen waren aufgeregt u. eines Abends wurde der Himmel blutrot, wir standen vor dem Geschäft u. die alten Leute sagten „das bringt Unheil, Krieg, so ein Himmel war auch vor dem 1. Weltkrieg“. Es war März 1938. Schuschnigg hielt im Radio eine Rede, seine letzten Worte waren: Gott beschütze Österreich. Hitler marschierte mit seinen Scharen in Österreich ein u. alle Leute standen mit erhobenen Armen u. jubelten ihm zu.

Es kamen Tage des Schreckens u. der Qual, Unsicherheit, Demütigung u. Hass. Man durfte nicht mehr in unserem Geschäft einkaufen – wer es doch tat, bekam eine Tafel umgehängt, mit den Worten: „Ich bin von hier das grösste Schwein u. kaufe nur beim Juden ein.“ Ein Herr kam zu meinen Eltern u. verlangte den Kassenschschlüssel mit den Worten: Er muss unser Geld verwalten u. wir Saujuden brauchen sowieso kein Geld mehr. Die Strassen waren angeschmiert mit verschiedenen Parolen. Alle Juden mussten die Strassen mit Kübel u. Scheuerlappen putzen, ich weinte, als ich das sah, wie meine Eltern erniedrigt wurden, wie die Leute ringsherum standen, johlten u. lachten. Ich weinte auch, weil Heinz nicht mehr kam u. für ewig verschwunden blieb. Eines Tages sagte man mir, ich dürfe nicht mehr in die Schule kommen - das stimmte mich todtraurig, um so mehr, denn plötzlich wollte niemand mehr mit einer Jüdin sprechen, alle Schulkameradinnen beschimpften mich u. warfen Steine nach mir. In der Nacht gab es Fackelzüge mit braun uniformierter Hitlerjugend die sangen ganz schreckliche Lieder wie folgend:
Es zittern die morschen Knochen, schaut mir den grossen Sieg, wir haben die Rotfront durchbrochen, für uns war’s ein grosser Sieg, wir werden weitermarschieren, bis uns das Auge bricht, denn heute gehört uns Deutschland u. morgen die ganze Welt! Oder: Die Fahne hoch! Die Reihen dicht geschlossen, S.A. marschiert mit felsenfesten Schritt, Kameraden, die Rotfront u. Reaktion erschossen, marschieren im Geist in unsern Reihen mit.
Es gab auch ein ganz fürchertliches Lied: vom Judenblut, das vom Messer spritzen soll – ich nahm meine Decke über meinen Kopf, umarmte Burli, meinen treuen Hund, u. probierte zu schlafen.

Eines Tages sagte man meinem Vater, wir müssen Laa in 72 Stunden verlassen, da er tschechischer Staatsbürger war. Unser Geschäft wurde geplündert, die ganze Ware ausgeladen u. wegtransportiert. Das Haus u. Geschäft mussten meine Eltern für ganz wenig Geld einem Herrn B. (Name bekannt) verkaufen. Das nannte man damals „arisieren“.
Etwas Möbel sowie Klavier durften wir mit der Bahn in die C.S.R. schicken.

3 Tage packten meine armen Eltern alle Sachen, das Herz tat mir weh , denn sie verschenkten auch so viel. Ich nahm Abschied von Laa u. da kein menschliches Wesen mit einer Jüdin nicht mehr sprechen wollte ging ich zu den Denkmälern und Statuen. So sagte ich im Park Schubert u. Schiller „Auf Wiedersehen“, zur Roland Säule, Pranger Hansl, Burg u. Rathaus. Am letzten Tag vor der Abreise sagte mir meine Mutter, Burli u. alle meine anderen Pflegetiere müssen in Laa bleiben. Ich war ganz trostlos – wie konnte ich meine Tiere aussetzen? So nahm ich Burli mit der Leine – Vogel, Katze in einen Korb u. ging schnell zur Waschfrau. Klopfte laut u. hatte Glück, bat sie inständig die Tiere zu pflegen, da wir Laa in einer Stunde verlassen mussten. Sie band Burli mit der Leine am Baum an, nahm den Korb in Empfang u. schickte mich schnell weg, in der Hoffnung, dass kein Mensch sah, dass sie einer Jüdin die Türe öffnete. Burli bellte fürchterlich meine Tränen rannen ohne Ende, meine Mutter war am Ende ihrer Nerven u. sagte nur immer: „Was habe ich für ein komisches Kind“.

So fuhren wir in die Tschechei nach Bratislava, wo meine Mama Verwandte hatte. Die wohnten in einer schönen Villa Blaho-Weg, etwas bergauf zu gehen. Meine Cousine fuhr allein nach Ungarn zu ihren Eltern zurück. Bald wurde ich in die tschechische Schule geschickt - es war mir alles fremd, die Sprache, die Menschen, war todunglücklich! Etwa 3 Monate waren wir in Bratislava, bis wir eines Tages Gasmasken bekamen, die Sirenen heulten, wir setzten die Gasmasken auf. Dies ging so einige Tage bis Hitler auch die C.S.R. überrannte.

Mein Vater schlug vor, nach Samorin (Somorja) zu flüchten, wo sein Elternhaus stand u. darin noch sein Bruder u. Schwester wohnten. Unsere Möbel sind dort sowieso geschickt worden.
Über diesen Tausch freute ich mich – das Haus gefiel mir sehr: ein Misthaufen mit Hühnern u. Gockel, ein Pferdestall mit Pferden, ein Wagen, mit dem man die Pferde einspannte. Ein riesiger Birnbaum voll mit Birnen, Gänse u. Enten. Hatte im Haus als wir kamen 4 Cousins in meinem Alter ungefähr – so war es nicht langweilig. Onkel u. Tante waren reizend zu mir u. alle verwöhnten mich. Wir nahmen uns ein Zimmer u. Küche, mehr brauchten wir ja nicht.

Meldung der Laaer Nachrichten betreffend Arisierungen in Laa a. d. Thaya
vom 26.08.1938
Donnerstag wurde das Haus des Juden Bloch an Herrn Welzmüller und das Haus der Juden Heinrich Blau an die Molkereigenossenschaft verkauft. Das Haus des Juden Blau in der Erich Wohlrab-Straße erwarb Frl. Theresia Lester und das des Juden Österreicher Herr Karl Breiner, Friseur.

Laaer Nachrichten vom 13. Mai
"Der Verkehr mit Juden. Es ist vielfach in bäuerlichen Kreisen noch unklar, wie sie sich gegenüber den jüdischen Beziehungen aller Art zu verhalten haben. Dazu ist folgendes zu sagen: Im Schriftverkehr mit Juden, der sich aus irgendwelchen Gründen vielleicht noch als notwendig erweist, ist blos die Anschrift zu setzen, aber keine Höflichkeitsanrede, wie z. B.: Sehr geehrter Herr Kollege, oder gar: Sehr geehrter Geschäftsfreund. Sofort nach der Adresse und dem Namen hat daher der sachliche Briefteil zu beginnen. Am Schluß des Briefes entfällt jede Höflichkeitsform, wie z.B. "hochachtungsvoll" oder "mit deutschem Gruß" usw. Nach Beendigung der sachlichen Briefteils als solchen ist blos die Unterschrift oder firmenmäßige Zeichnung ohne "hochachtungsvoll" u. dgl. zu setzen. - Allerdings soll man auch nicht schreiben: "Sehr geehrter Herr Saujud!", wie es kürzlich jemand machte. Was den Geschäftsverkehr mit Juden betrifft, so gilt folgendes: Parteigenossen ist es grundsätzlich verboten, mit Juden einen Geschäftsverkehr irgendwelcher Art zu pflegen, das heißt, der jüdische Lieferant ist mit allen zu Gebote stehenden Mitteln auszuschließen."

Laaer Nachrichten vom 23. September 1938
Laa. Judenrein! Dieser Tage sind die letzten Reste der Juden von Laa weggewandert und befindet sich nun in Laa kein Jude mehr. Laa ist somit hundertprozentig judenrein!