Staatsanwalt Kügler:

Herr Präsident, meine Damen und Herren Richter und Geschworenen. Der eiserne Griff, der das uniformierte SS-Mordkommando zusammenhielt und ihm dort Schärfe gab, wo es stumpf zu werden drohte, war der Adjutant. Es gab im Verlauf der Jahre 1940 bis 1945 mehrere Adjutanten in Auschwitz. Zwei davon befinden sich hier unter den Angeklagten: der Angeklagte Mulka und der Angeklagte Höcker. Die äußeren Daten ihres Lebens lauten wie folgt.

Der Angeklagte Mulka ist der Sohn eines Postassistenten. Er besuchte in seiner Geburtsstadt Hamburg die Volksschule und die Realschule, die er 1911 nach dem sogenannten Einjährigen verließ. Anschließend begann er eine kaufmännische Lehre. Im August 1914 wurde er als Freiwilliger zur Truppe eingezogen. Er war in Frankreich, Rußland und der Türkei bei Pioniereinheiten im Fronteinsatz, wurde ausgezeichnet und schließlich zum Leutnant befördert. Nach Kriegsende schloß er sich der baltischen Landeswehr an. 1920 kehrte er nach Hamburg zurück, wo er als Angestellter in einer Agenturfirma arbeitete. Im gleichen Jahr wurde er von dem Landgericht Hamburg wegen Hehlerei zu acht Monaten Gefängnis und zwei Jahren Ehrverlust verurteilt, weil er bei seinen Einsätzen im Baltikum erlangte Duma-Rubel nicht abgeführt hatte. Im Jahre 1931 gründete er eine selbständige Inland- und Exportagentur. Obwohl er 1935 noch an mehreren militärischen Übungen teilgenommen hatte und zum Oberleutnant befördert worden war, wurde er nach Bekanntwerden seiner eben zitierten Vorstrafe aus dem Offizierskorps der Wehrmacht ausgeschlossen.

Da ihn die Wehrmacht auch nach Kriegsausbruch nicht als Offizier übernahm, allenfalls als gemeinen Mann wieder einstellen wollte, meldete er sich 1941 freiwillig zur Waffen-SS, bei der er den Dienstrang eines SS-Obersturmführers erhielt. Er tat zunächst als Kompanieführer Dienst bei einem SS-Pionierbataillon in Dresden. Spätestens im Januar 1942 wurde er als SS-Obersturmführer zu dem Konzentrationslager Auschwitz versetzt. [...] Dort wurde er zunächst als Kompanieführer einer [Wacheinheit] eingesetzt. Kurze Zeit später wurde er Adjutant des Lagerkommandanten Höß. Im Juli 1942 wurde er Stabsführer für eine Spanne von mehreren Wochen. Zwischen dem 6. Juni 1942 und dem 4. August 1942 wurde der Angeklagte Mulka zum Hauptsturmführer befördert. Am 9. März 1943 verließ er Auschwitz.

Zu seiner Anwesenheit und zu der Dauer seiner Anwesenheit in Auschwitz läßt sich mit Sicherheit feststellen, daß er vom 13. Oktober bis zum 15.12.1942 – das ist eine im Sinne des Angeklagten Mulka günstige Auffassung – nicht in dem Lager Dienst tat. In der Zeit vom 10. März 1943 bis zum 31. März 1943 und vom 4. Mai bis zum 18. Mai 1943 war der Angeklagte Mulka in dem SS-Lazarett Berlin-Lichterfelde.

Was dann kommt, ist nicht ganz aufzuklären gewesen. Nach den Eintragungen in der Offizierskarte war er bis zum 19. Januar 1944 der Amtsgruppe D, also den Konzentrationslagern, bei dem Wirtschafts-Verwaltungshauptamt zugeteilt. Nach dem Inhalt der gleichen Karte war er dann bis 31. August 1944 dem SS-Personalhauptamt zugeteilt, vom 31. August 1944 bis zum 19. Januar 1945 der SS-Schule Rajsko. Dann gehörte er noch bis Kriegsende dem SS-Pionier- und Ausbildungsersatzbataillon in Dresden an. Während dieser Zeit, das heißt nach Beginn der starken Bombenangriffe auf Hamburg, war er während einer gewissen Zeit, die sich genau nicht feststellen läßt, bei dem Höheren SS- und Polizeiführer Nordsee.

Nach seinem Weggang in Auschwitz ist gegen ihn ein Verfahren wegen Vergehens gegen das Heimtücke-Gesetz eingeleitet worden. Auf diesen Sachverhalt werde ich noch bei der Darstellung der subjektiven Tatseite zu sprechen kommen. Am 8. Juni 1945 wurde der Angeklagte Mulka interniert. Er war bis zum 28. März 1948 in den Internierungslagern Iserbrook, Neumünster, Eselheide bei Paderborn sowie in den Kriegsverbrecherlagern Fischbeck und Neuengamme inhaftiert. Von der Spruchkammer in Hamburg-Bergedorf wurde er zunächst zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt, später jedoch als entlastet in die Kategorie V eingestuft.

Der Angeklagte hat im Jahre 1920 geheiratet. Aus seiner Ehe sind eine Tochter und zwei Söhne hervorgegangen. Ein Sohn fiel im letzten Krieg. Seit dem Jahre 1948 betätigte sich der Angeklagte wieder als selbständiger Kaufmann in Hamburg. Er beschäftigte drei Angestellte. Das Geschäft wird jetzt von dem Sohn des Angeklagten Mulka weitergeführt. Er selbst hat hier bei der Einlassung zur Person angegeben, er sei Angestellter in dieser Firma und beziehe ein Gehalt von 1.200 Deutschen Mark monatlich.

Der Angeklagte Höcker ist das jüngste von sechs Kindern eines Bauunternehmers, der im Ersten Weltkrieg fiel. Er besuchte die Volksschule in Preußisch-Oldendorf und machte anschließend in einer Maschinenfabrik eine vierjährige kaufmännische Lehre durch. Nachdem er bis Herbst 1930 in einem Eisenwarengeschäft in Preußisch-Oldendorf tätig gewesen war, blieb er bis Ende 1932 arbeitslos. Anschließend wurde er bis April 1933 bei Notstandsarbeiten, Flußregulierungen und dergleichen, eingesetzt. Im Juni 1933 wurde er als Kassengehilfe bei der Amtskasse in Preußisch-Oldendorf angestellt, später wechselte er dann zu der Kreissparkasse in Lübbecke über.

Etwa im Oktober 1933 bewarb sich der Angeklagte um Aufnahme bei der Allgemeinen SS. Bei Kriegsausbruch war er SS-Staffelsturmmann. In die NSDAP wurde er im Jahre 1937 als Anwärter aufgenommen. Im November des Jahres 1939 wurde der Angeklagte zum 9. SS-Infanterieregiment nach Danzig eingezogen. Im April oder Mai 1940 wurde er zu einer SS-Totenkopfsturmeinheit in das Konzentrationslager Neuengamme versetzt. Dort versah er kurze Zeit Wachdienst, kam anschließend zur Kompanieschreibstube und dann zur Schreibstube der Kommandantur, wo er Sachbearbeiter für Personalangelegenheiten der zum Konzentrationslager Neuengamme gehörenden SS-Truppe war. Während seiner Tätigkeit in Neuengamme wurde der Angeklagte zum SS-Unterscharführer befördert.

Im Frühjahr 1942 dann kam der Angeklagte als Stabsscharführer – das ist so etwas Ähnliches wie ein Spieß – in das Konzentrationslager Nebenlager Arbeitsdorf in die Nä he von Wolfsburg. Nach Auflösung dieses Lagers wurde der Angeklagte im Herbst 1942 etwa einige Wochen lang auf dem Truppenübungsplatz Dębica militärisch ausgebildet. Er kam anschließend zu einer Vorbereitungslehrkompanie für die SS-Junkerschule in Braunsch weig. Nach Absolvierung dieser Junkerschule wurde der Angeklagte Ende Mai 1943 zum SS-Untersturmführer befördert und über das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt in Berlin-Oranienburg als Adjutant zu dem Konzentrationslager Majdanek bei Lublin versetzt.

In dieser Eigenschaft als Adjutant des dortigen Lagerkommandanten war er bis etwa Mitte Mai 1944 in Majdanek tätig. Anschließend kam der Angeklagte als Adjutant des verstorbenen Lagerkommandanten Baer, der etwa gleichzeitig Kommandant in Auschwitz geworden war, nach Auschwitz. Dort wurde der Angeklagte am 21. Juni 1944 zum SS-Obersturmführer befördert. Der Angeklagte verblieb bis zur Auflösung des Lagers im Jahre 1945 in Auschwitz und wurde anschließend Adjutant bei dem Konzentrationslager Nordhausen. Dort verblieb er etwa vier bis sechs Wochen. Alsdann kam er zu einer Kampfgruppe, die sich im Raume Hamburg formierte.

Bei Kriegsende geriet der Angeklagte in britische Gefangenschaft, aus der er Ende Januar 1946 entlassen wurde, ohne Angaben über seine Tätigkeit in Lublin-Majdanek und Auschwitz gemacht zu haben. Erst im Jahre 1952 erstattete der Angeklagte gegen sich selbst bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld Anzeige, um ein Spruchgerichtsverfahren gegen sich durchführen zu lassen. Durch Strafbescheid vom 19. Januar 1953 erhielt er eine Gefängnisstrafe von neun Monaten, die er aufgrund des Straffreiheitsgesetzes von 1954 nicht zu verbüßen brauchte.

Bis zu seiner Verhaftung war der Angeklagte als Hauptkassierer bei der Kreissparkasse in Lübbecke beschäftigt. Der Angeklagte hat im Jahre 1937 geheiratet. Aus der Ehe sind zwei Kinder, eine heute verheiratete Tochter und ein Sohn hervorgegangen.

Beiden Angeklagten wird durch den Eröffnungsbeschluß zur Last gelegt, an der Tötung einer unbestimmten Vielzahl von Häftlingen aus dem Gesamtbereich des Konzentrationslagers Auschwitz und von Personen, die zur Massenvernichtung aus verschiedenen Ländern Europas nach Auschwitz verbracht worden waren, mitgewirkt zu haben.

Ich darf zunächst Sie erinnern an die Lagerordnungen, die von dem Gericht am 24. Juli 1964 verlesen worden sind und die der Zeuge Nebbe, ehemals Spieß, auf Vorhalt des Herrn Nebenklägers Rechtsanwalt Ormond am 14. September 1964 als inhaltlich richtig bestätigt hat. In diesen Lagerordnungen werden unter anderem die Aufgabengebiete des Adjutanten wie folgt umschrieben: »Der Adjutant ist dem Lagerkommandanten für die schnellste und genaueste Ausführung seiner Befehle innerhalb des Kommandanturbereiches verantwortlich. Er nimmt die Abzeichnung und Verteilung der eingehenden Post vor, überwacht den gesamten Schriftverkehr und bearbeitet die Verschlußsachen und Geheimschreiben. Gleichzeitig ist er zur Führung eines Geheimtagebuches verpflichtet. Funksprüche, Fernschreiben und Telegramme« »hat er vordringlich zu erledigen beziehungsweise die Weitergabe zu veranlassen. Zur Unterzeichnung von Belegwechseln, Fahrbefehlen und so weiter kann ihm der Adjutant die Genehmigung erteilen. Er zeichnet mit aB, das heißt auf Befehl. Der Adjutant hat darauf zu achten«, heißt es in dieser Lagerordnung weiter, »daß außer den vom Kommandanten gegebenen Anordnungen und Befehlen auch alle personellen Änderungen, wie Versetzungen, Kommandierungen, Beförderungen und so weiter, im Kommandanturbefehl erscheinen und alle für die Stabsangehörigen wichtigen Verordnungen des Kommandoamtes der Waffen-SS und des Heeres mit vermerkt beziehungsweise vom Stabsscharführer am nächsten angesetzten Appell den Stabsangehörigen verlesen werden. Weiterhin obliegt ihm die Bearbeitung von Führerangelegenheiten. Das sind Beurteilungen, Beförderungen, Stellenbesetzungen und so weiter. Er überwacht ferner das gesamte Kraftfahrwesen und ist in Abwesenheit des Gerichtsoffiziers als dessen Vertreter berechtigt, die vom SS- und Polizeigericht angeordneten Maßnahmen durchzuführen. Darüber hinaus steht er dem Lagerkommandanten für persönliche Zwecke zur Verfügung.«

Weiter sind in dieser Lagerordnung, die ich hier nicht ganz rekapitulieren will, mit Bezug auf den Adjutanten folgende Stellen von Interesse. Es heißt da unter anderem: »Der Gerichtsoffizier ist vom zuständigen SS- und Polizeigericht zur Durchführung von Vernehmungen von SS-Angehörigen eingesetzt. Er arbeitet auf Anweisung seiner Dienststelle im Einvernehmen mit dem Lagerkommandanten beziehungsweise Adjutanten. Sein ständiger Vertreter«, also der ständige Vertreter des Gerichtsoffiziers, »ist der Adjutant.« Ferner: »Dem Gerichtsoffizier beziehungsweise dem Adjutanten als dessen Stellvertreter obliegt die Berichtstätigkeit und Freigabe von Leichen bei unnatürlichen Todesfällen und Selbstmord in Verbindung mit dem SS- und Polizeigericht.« Ferner: »Die Weitergabe der Exekutionsprotokolle gehört zu der dem Adjutanten vorzulegenden Dienstpost.« Und schließlich: »Zur Durchführung von Dienstfahrten erhält der K-Geräteverwalter«, das ist also der Kraftfahrzeuggeräteverwalter, »vom Adjutanten weitere Befehle.« Der Kraftfahrzeuggeräteverwalter, meine Damen und Herren, war, wie ich später noch ausführen werde, ein SS-Angehöriger namens Wiegand.

Darüber hinaus hat der ehemalige Lagerkommandant Höß während seiner Haft in Krakau aus der Erinnerung eine Lagerordnung niedergeschrieben, die speziell auf die Verhältnisse in Auschwitz ausgerichtet ist. Hierin heißt es im Hinblick auf das Interesse, das für die Angeklagten insoweit besteht: »Der Adjutant ist der erste Gehilfe des Lagerkommandanten und steht zu ihm in einem besonderen Vertrauensverhältnis. Er hat dafür zu sorgen, daß dem Lagerkommandanten kein wichtiger Vorgang im Lager unbekannt bleibt.

Der Adjutant ist der Vorgesetzte sämtlicher Unterführer und Männer des Kommandanturstabes. Der gesamte Posteingang wird dem Adjutanten vorgelegt, der ihn durchsieht und an die einzelnen Abteilungen verteilt.

Er bearbeitet den gesamten Schriftverkehr der Kommandantur mit außenstehenden Dienststellungen in den Abteilungen. Er unterzeichnet Schriftstücke mit iA oder aB«, im Auftrag oder auf Befehl, »die nicht wichtig sind oder einen sich ständig wiederholenden Inhalt haben.

Er ist Personalsachbearbeiter des Kommandanturstabes und schlägt Ernennungen und Beförderungen dem Kommandanten vor.

Er bearbeitet alle Disziplinarangelegenheiten und überwacht das Strafbuch.

Für die Einhaltung aller Termine ist er besonders verantwortlich. Alle Verschlußsachen bearbeitet er persönlich und ist verantwortlich für deren sichere Verwahrung.

Falls kein geeigneter Führer oder Unterführer vorhanden, obliegt dem Adjutanten die weltanschauliche Schulung des Kommandanturstabes.

Dem Adjutanten untersteht das gesamte Nachrichtenwesen des Lagers; für das richtige Funktionieren des gesamten Nachrichtenapparates ist er verantwortlich.

Er ist verantwortlich für die Waffen, Munition und das Gerät des Kommandanturstabes. Durch ständiges Überprüfen hat er sich von dem Zustand und der Vollzähligkeit zu überzeugen.

Beim täglichen Wachwechsel melden sich die jeweiligen Führer vom Dienst und der 1. Wachhabende beim Adjutanten und legen ihre Dienstbücher zur Kenntnisnahme und Abzeichnung vor.

Als Hilfskräfte stehen dem Adjutanten der Stabsführer und mehrere geeignete Unterführer des Kommandanturstabes zur Verfügung.

Falls kein geeigneter Führer oder Unterführer vorhanden, hat der Adjutant die weltanschauliche Schulung des Kommandanturstabes durchzuführen.

Dem Adjutanten untersteht die Fahrbereitschaft. Für die ordnungsgemäße Handhabung und Ausstellung der Fahrbefehle ist er verantwortlich.«1

Da der Angeklagte Mulka nach Auflösung des Stabes SS-Totenkopfsturmbann Konzentrationslager Auschwitz durch den Sonderbefehl vom 6.6.19422, der hier verlesen wurde, neben seiner Stellung als Adjutant noch diejenige des stellvertretenden Sturmbannkommandeurs erhielt, sind insoweit folgende Ausführungen der zuerst erwähnten Lagerordnung von Interesse: »Zur Sicherung des Konzentrationslagers untersteht dem Lagerkommandanten der SS-Totenkopfsturmbann als Wachsturmbann. Der Führer des SS-Totenkopfsturmbanns hat dem Kommandanten über den militärischen Ausbildungsstand und die Einsatzfähigkeit der ihm unterstellten SS-Führer, Unterführer und Männer zum Wach- und Bereitschaftsdienst, Begleitposten, laufend zu berichten. Insbesondere hat er darauf zu achten, daß seine Kompanie- beziehungsweise Zugführer die SS-Männer in kurzen Zeitabständen über die Wachvorschriften belehren. Die Einteilung des Führers vom Dienst und des Kasernentagesdienstes zur Sicherung des Lagers hat der Führer des SS-Totenkopfsturmbanns vorzunehmen. Dem Lagerkommandanten überreicht er einen wöchentlichen Dienst [unverständlich]. Der Dienst Vorgenannter erstreckt sich über jeweils 24 Stunden.«

In der von dem Kommandanten Höß niedergeschriebenen Lagerordnung heißt es hierzu: »Der Wachsturmbann ist selbständig. Der Führer des Wachsturmbannes stellt dem Lagerkommandanten die täglich angeforderte Anzahl an Führern, Unterführern und Männern für Wache und Gefangenenbegleitung. Für die Dauer ihres Dienstes unterstehen Führer vom Dienst, Wache und Gefangenenbegleitung der Befehls- und Disziplinargewalt des Lagerkommandanten.

Eine Bereitschaft in Stärke der Wache hat sich im Lagerbereich aufzuhalten, um im Alarmfall sofort zum Einsatz bereit zu sein. Im Alarmfall tritt der gesamte Wachsturmbann unter den Befehl des Lagerkommandanten.«3

Aus dem so festgestellten und eindeutigen Aufgabenbereich des Adjutanten beim Kommandanten des Konzentrationslagers ergibt sich im Hinblick auf die besonderen Funktionen des Konzentrationslagers Auschwitz als Vernichtungsanstalt und Vernichtungslager, daß der Adjutant umfassend auf den reibungslosen Ablauf der Ermordung von Menschen hinzuwirken hatte. Das, meine Damen und Herren, läßt sich nachweisen.

Der Angeklagte Mulka hatte zunächst einmal eine genaue räumliche Kenntnis von den Verhältnissen. Die Ortsbesichtigung hat ergeben, daß das Zimmer, in dem der Angeklagte Mulka saß, in dem Kommandanturgebäude 1 gegenüber der Villa von Höß zum Lager hin ging. Und es ist ferner festgestellt worden, daß zu der Zeit, als der Angeklagte Mulka dort im ersten Stock dieses Hauses saß, mit Blickrichtung auf das Lager, der Block 1 noch nicht aufgestockt war. Der Angeklagte Mulka hatte die Geschehnisse im Lager, die Ihnen hier von den Zeugen dargestellt worden sind, aus dem Jahre 1942 vor Augen. Von seinem Dienstsitz zum Krematorium, wo damals noch Vergasungen stattfanden, waren es nur ein paar Schritte. Auch das hat die Ortsbesichtigung ergeben.

Aber der Angeklagte Mulka hatte nicht nur einen Überblick über die räumlichen Verhältnisse und zumindest über das, was sich in dem Bereich des Stammlagers abspielte. Wir haben hier eine Unmenge von Fernschreiben, Funksprüchen, Abschriften und Schreiben verlesen, die der Angeklagte Mulka unterschrieben, abgezeichnet, gegengezeichnet, für die Richtigkeit sich verbürgt hat, die beweisen, daß letztlich alles, was schriftlich auf die Kommandantur des Konzentrationslagers Auschwitz zukam, über den Schreibtisch des Adjutanten gegangen ist. Es ist ferner bewiesen durch das hier verlesene Schreiben über eine Besprechung mit dem General Glücks vom 5. Januar 1943, daß sich der Adjutant, der Angeklagte Mulka, auch um Dinge kümmerte, die sich innerhalb des Lagers für die SS-Verwaltung als Probleme darstellten, die wichtig genug waren, um sie dem Brigadeführer Glücks mitzuteilen.

In diesem Schreiben vom 5. Januar 1943 heißt es unter anderem: »Die Leiter sämtlicher Abteilungen bereiten bis zum Mittwoch, dem 6.1.43, alles Material vor, das geeignet und notwendig ist, mit dem Amtsgruppenchef«, denn das war Glücks, »besprochen zu werden. Und sie halten sich am 7.1.43 ab 17.00 Uhr bereit, um auf Abruf alsdann an einer gemeinsamen Besprechung mit dem Amtsgruppenchef teilnehmen zu können. Eine Vorbesprechung der von den einzelnen Abteilungen zur Erörterung gestellten Punkte findet am 6.1.43 um 16.00 Uhr hier im Dienstzimmer des Kommandanten statt. Die Abteilungsleiter wollen sich zu diesem Termin rechtzeitig einfinden«4 und so weiter.

Dieses Schreiben hat der Angeklagte Mulka als SS-Hauptsturmführer und Adjutant selbst verfaßt. Dieses Schreiben beweist, daß der Angeklagte Mulka nicht nur mit den Problemen vertraut war, die sich innerhalb der Adjutantur und des Kommandanturstabes ergaben, sondern daß er darüber hinaus über die sonstigen Probleme, die sich in der Abteilung Verwaltung und in den anderen Abteilungen ergaben, unterrichtet war.

Der Angeklagte Mulka hat sich sogar, wie sich nachweisen läßt, selbst um das Verhalten der Posten gekümmert. [In] einem Schreiben, das einen Eingangsstempel vom 25. Juli 1942 trägt und das an den SS-Totenkopfsturmbann in dem Konzentrationslager Auschwitz mit einem Durchschlag an die Zentralbauleitung und einem weiteren Durchschlag an die Abteilung Landwirtschaft gerichtet ist und das von dem Angeklagten Mulka in seiner Eigenschaft als SS-Hauptsturmführer und Stabsführer unterzeichnet wurde, nimmt er Veranlassung, aufgrund verschiedener Vorkommnisse auf die Haltung der SS-Männer bei der Bewachung des Gemeinschaftslagers der Firma Huta hinzuweisen.5

Der Angeklagte Mulka hat sich weiter, wie ebenfalls durch Dokumente nachgewiesen werden konnte, auch um den Häftlingseinsatz selbst gekümmert. Ich darf Sie erinnern an das hier verlesene Dokument vom 4. Mai 1942, das der Angeklagte Mulka als SS-Obersturmführer und Adjutant unterschrieben und an sämtliche Abteilungen des Konzentrationslagers Auschwitz gerichtet hat. In diesem Dokument heißt es, daß ab Dienstag, den 5. Mai 19426 die Arbeitszeit der männlichen und weiblichen Häftlinge von sechs Uhr früh bis 18 Uhr abends festgesetzt wird, mit einer einstündigen Mittagspause. Der Angeklagte hat sich, wie dieses Schreiben beweist, also auch mit dem Arbeitseinsatz der Häftlinge befaßt. Und er wußte, in welchem Umfang die Häftlinge zur Arbeit eingesetzt werden.

Ein weiteres Schreiben, das hier verlesen wurde, vom 23. Januar 1943, das der Angeklagte Mulka als SS-Hauptsturmführer und Adjutant unterschrieben hat, setzt fest, daß ab Montag, den 25. Januar 1943 das Einrücken der Häftlinge auf 16.30 Uhr festgesetzt wird.7 Daraus ergibt sich, daß es Aufgabe des Angeklagten Mulka war, die Dauer der Arbeitszeit der Häftlinge durch eine entsprechende Verordnung zu bestimmen.

Das alles, meine Damen und Herren, sind mehr oder weniger harmlose Begleiterscheinungen innerhalb des Lagerbetriebes. Der Angeklagte hat, und das ergibt sich ja bereits aus der Lagerordnung, auch mit der Vernichtungsanstalt des Konzentrationslagers Auschwitz direkt zu tun gehabt. Der Angeklagte Boger hat uns hier erklärt, daß die Krematorien neben der Politischen Abteilung auch dem Kommandanten unterstanden haben. Ein Schreiben des Leiters der Zentralbauleitung der Waffen-SS und Polizei in Auschwitz, des Herrn Bischoff, der die Krematorien in Auschwitz gebaut hat, an den Amtsgruppenchef C, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SS Doktor Ingenieur Kammler, vom 23. Januar 1943 beweist, daß der Angeklagte Mulka über die Baufortschritte bei den Krematorien, denen ja die Gaskammern angeschlossen waren, genau orientiert war.

Aus diesem Schreiben ergibt sich im Übrigen auch, daß der Angeklagte Mulka für die Fernschreibstelle verantwortlich war. Es heißt darin unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Wirtschafts-Verwaltungshauptamtes: »Mit o. a. Schreiben wurde die Zentralbauleitung angewiesen, über den Baufortschritt der Krematorien wöchentlich durch F.S. besonders zu berichten. Ich habe demzufolge«, schreibt Bischoff, »beiliegendes Fernschreiben an die Fernsprechstelle der Kommandantur des KL. Auschwitz zur Weiterleitung gegeben. Dasselbe wurde jedoch auf Weisung des Adjutanten, SS-Hauptsturmführer Mulka, der sich auf einen Reichsführerbefehl vom Soundsovielten beruft, nicht durchgegeben, so daß daher der Bericht per Post übersandt wird.«8

Der Angeklagte Mulka, der also durch ein Fernschreiben über den Baufortschritt bei den Krematorien orientiert wurde, hat aufgrund einer Verordnung, die die Weitergabe solcher Mitteilungen durch Fernschreiben verbot, angeordnet, daß dieses Fernschreiben des Bauleiters Bischoff nicht durchgegeben wurde.

Der Angeklagte Mulka hat sich auch direkt persönlich um den Häftlingseinsatz bei dem Bau der Krematorien und der Gaskammern gekümmert. Dies beweist ein Schreiben vom 29. Januar 1943, das der Angeklagte Mulka als SS-Hauptsturmführer und Adjutant unterschrieben hat. Es betrifft die erforderliche, dringende Fertigstellung sämtlicher Krematoriumsbauten. Ich darf Sie daran erinnern, daß um diese Zeit die auf der Karte hier zu sehenden vier Krematorien im Bau und kurz vor ihrer Fertigstellung waren. In dem Schreiben heißt es: »Infolge der Dringlichkeit der Fertigstellung dieser Bauten hat der Lagerkommandant angeordnet, daß die an diesen Bauten eingesetzten Häftlingskommandos und Posten auch am Sonntag, dem 31.1.43, genau wie werktags ausrücken, arbeiten und Dienst tuen.«9

Der Angeklagte Mulka ist ferner von der Bauleitung unterrichtet worden über Einzelheiten, die den Bau der Krematorien und ihren Betrieb betrafen. Dies beweist ein Schreiben des Hauptsturmführers Bischoff vom 13. August 1942, in dem dieser auf ein Telefongespräch, das er mit dem Angeklagten Mulka am 12. August 1942 mittags um zwölf Uhr gehabt hat, [+ Bezug nimmt]. In diesem Telefongespräch hatte Bischoff dem Angeklagten Mulka mitgeteilt, daß die neue Schornsteinanlage des Krematoriums – es seien alle drei Öfen in Betrieb – bereits Schaden am Mauerwerk habe.10

Der Angeklagte Mulka hat aber in seiner Eigenschaft als Betriebsdirektor direkt darüber hinaus bei dem Bau der Gaskammern mitgewirkt. Sie werden sich erinnern, daß sich der Angeklagte Mulka zu seiner Verteidigung dahin eingelassen hat, er habe ja in Auschwitz nichts weiter getan als einfache Verwaltungsarbeit und sei im übrigen als Betriebsdirektor für die Verwaltung verschiedener Betriebe, die mit dem Konzentrationslager zusammenhängen, eingesetzt gewesen.

Einer dieser Betriebe waren die sogenannten DAW. Ein Schreiben der Bauleitung an die DAW, am 16. April 1964 hier verlesen, mahnt die Fertigstellung der Türen für die Gaskammern an.11 Die Richtigkeit dieses Schreibens, von dem wir nur eine Fotokopie und keine beglaubigte Abschrift oder dergleichen besitzen, wird im Übrigen bestätigt von dem am 3. April 1964 hier vernommenen Zeugen Severa. Der Zeuge war ab Februar 1943 Betriebsdirektor bei den DAW. Er hat erklärt, daß der Angeklagte Mulka oft kam, um sich nach der Fertigstellung der Aufträge zu erkundigen. Und der Zeuge hat darüber hinaus auf besonderen Vorhalt auch bestätigt, daß die Deutschen Ausrüstungswerke mit der Fertigung für die gasdichten Türen für die Krematorien beauftragt waren.

Aber nicht nur um die Krematorien selbst hat sich der Angeklagte Mulka gekümmert. Er hat sich auch eingesetzt bei der Herbeischaffung des Gases, das zur Ermordung der Häftlinge in den Gaskammern verwendet wurde. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang erinnern an ein Fernschreiben – es ist der Funkspruch Nummer 83, der hier verlesen wurde. Er stammt vom 26.8.1942. Es ist ein Fernschreiben, das der Chef des Zentralamtes Liebehenschel, der später Kommandant von Auschwitz wurde, an das Konzentrationslager Auschwitz gerichtet hat. In diesem Schreiben heißt es: »Fahrgen. für einen Lkw nach Dessau zur Abholung von Material für Sonderbehandlung«, es heißt wörtlich: »Sonderbeha.«, »wird hiermit erteilt. Fahrgen. ist dem Kraftf. mitzugeben.«12 [Faksimile]

Wir haben hier die Erinnerungen von Höß verlesen. Und aus den Erinnerungen von Höß wissen wir, daß das an sich nicht der normale Weg der Beschaffung des Zyklon B in Auschwitz war. Das wurde normal per Frachtgut nach Auschwitz gesandt. Aber es kam vor – und gerade in dieser Zeit haben, wie ich später noch darstellen werde, die Vergasungen in einem schon recht erheblichen Umfang eingesetzt –, es kam in dieser Zeit vor, daß das Gas, das zur Ermordung der Zigtausenden gebraucht wurde, ausging. Fabriziert wurde das Zyklon B unter anderem in Dessau. Und wenn das Gas ausging, war es erforderlich, einen Lastkraftwagen nach Dessau zu schicken, um so in aller Kürze wieder im Besitz von Zyklon B zu sein. Zu dem rein technischen Vorgang, der sich dabei abgespielt hat, darf ich folgendes sagen: Es ist zunächst – wir haben ja nur dieses eine Fernschreiben, in dem eine Fahrgenehmigung erteilt wird –, es ist zunächst, und das ergibt sich aus diesem Fernschreiben, von der Kommandantur in Auschwitz, sei es nun der Adjutant oder der Kommandant, um eine Fahrgenehmigung für diese Fahrt in Berlin nachgesucht worden, weil nach den geltenden Bestimmungen bei einer solchen Entfernung eine Fahrgenehmigung und ein Fahrbefehl von dem Kommandanten oder dem Adjutanten selbst nicht erteilt werden konnte. Es wurde also in Berlin um eine Fahrgenehmigung nachgesucht. Dann kam die Fahrgenehmigung, eben jener Funkspruch Nummer 83. Und dann war es die Aufgabe des Adjutanten – nach der Lagerordnung unter Umständen auch die Aufgabe des Kommandanten –, den Fahrbefehl zu erteilen und dem Lastkraftwagenfahrer das FS mit der Fahrgenehmigung mitzugeben. Die Fahrt war also nicht möglich ohne Einschaltung dessen, der für die Fahrbereitschaft und für die Erteilung von Fahrbefehlen verantwortlich war.

Das ist nicht das einzige Dokument dieser Art, was sich aus der Zeit, in der der Angeklagte Mulka in Auschwitz tätig war, erhalten hat. Dieses Dokument vom 26. August 42 wird ergänzt durch einen Funkspruch Nummer 88 vom 22. Juli 1942. In diesem von dem SS-Brigadeführer Glücks unterzeichneten Funkspruch heißt es: »Ich erteile hiermit die Genehmig. mit einem 5 To.LKW. von Au. nach Dessau und zurück zu fahren und Gas zur Vergasung des Lagers, zur Bekämpfung der aufgetretenen Seuche, zu holen.«13 Der Angeklagte Mulka hat in Vertretung als SS-Hauptsturmführer und Stabsführer die Richtigkeit dieser Abschrift bestätigt. Folgt man dem, was sich aus der Lagerordnung ergibt, dann hat der Angeklagte Mulka auch in diesem Fall den Fahrbefehl erteilt und dafür gesorgt, daß dem Fahrer die Genehmigung von Glücks für diese Fahrt mitgegeben wurde. Es heißt in diesem Funkspruch zwar nicht ausdrücklich, daß das Gas für die Sonderbehandlung bestimmt ist. Es ist gesagt »Gas zur Vergasung des Lagers, zur Bekämpfung der aufgetretenen Seuche«. Aber, meine Damen und Herren, wir wissen, was die Seuchenbekämpfung in Auschwitz bedeutete.

Schließlich wird dieses Fernschreiben noch ergänzt durch ein weiteres Fernschreiben. Es ist der Funkspruch Nummer 13 vom 2. Oktober 1942. Dieser Funkspruch ist unterzeichnet von dem SS-Obersturmbannführer Liebehenschel als dem ständigen Vertreter des Leiters der Dienststelle im Range eines Generalleutnants der Waffen-SS in Berlin-Oranienburg. Er nimmt Bezug auf einen Antrag, der ihm aus dem Konzentrationslager Auschwitz vom 2. Oktober 1942 zugegangen ist. Die ganze Sache spielte sich also an einem Tage ab. Und in diesem Fernschreiben heißt es: »Fahrgenehmigung für einen 5 To. Lkw mit Anhänger nach Dessau u. zurück, zwecks Abholung von Materialien für die Judenumsiedlung, wird hiermit erteilt. Dem Kraftfahrer ist diese Fahrgenehmigung mitzugeben.«14 [Faksimile 1 und 2] Der Angeklagte Mulka hat als SS-Hauptsturmführer und Adjutant für die Richtigkeit dieses Fernschreibens unterschrieben.

In allen drei Fällen, meine Damen und Herren, handelt es sich also um die Beschaffung von Zyklon B in Dessau. Und wir wissen, daß das Zyklon B – sei es nun unausgesprochen oder, wie es zweimal geschehen ist in diesen Fernschreiben, ausgesprochenermaßen – für die Ermordung von jüdischen Personen, die aus allen Teilen Europas nach Auschwitz kamen, in den Gaskammern bestimmt war.

Der Angeklagte Mulka, mit diesen Fernschreiben hier vor dem Schwurgericht konfrontiert, hat in seiner Einlassung am 11. September 1964 eingeräumt, daß ihm bekannt war, daß es sich bei diesen Dingen um den Transport von Zyklon B handelte. Und er hat darüber hinaus eingeräumt – auf ausdrücklichen und dringlichen Vorhalt –, daß es zu seinen dienstlichen Aufgaben gehörte, diese Dinge zu erledigen, und daß der Fahrer aufgrund eines Tätigwerdens des Angeklagten Mulka das Fernschreiben mit der Fahrgenehmigung mitbekam. Das heißt, in eine bürotechnische Sprache übersetzt, der Angeklagte Mulka hat um Fahrgenehmigung nachgesucht, er hat die Fahrgenehmigung aus Berlin erhalten, er hat den Fahrbefehl erteilt und hat dem Kraftfahrer die Fahrgenehmigung mitgegeben, wissend, daß er durch diese Handlungsweise das Gas in das Lager brachte, mit dem die jüdischen Menschen umgebracht wurden.

Meine Damen und Herren, es ist in diesem Verfahren nicht so deutlich zur Sprache gekommen – nur am Rande, beispielsweise bei Erörterung des Sachverhalts bezüglich des Angeklagten Doktor Frank –, was mit dem geschah, was die Ermordeten zurückließen. In Zusammenhang mit dem Angeklagten Doktor Frank war die Rede von den Goldzähnen, die aus den Leichen herausgezogen worden sind. Aber es ist darüber hinaus noch mehr geschehen. Man hat alles, was diese unglücklichen Opfer mitbrachten und an sich hatten, zu verwerten versucht. Und wir haben es hier auch gehört, daß ihnen die Haare abgeschnitten wurden und daß also auch diese Haare verwertet wurden.

Auch das, meine Damen und Herren, hat der Angeklagte Mulka nachweisbar gewußt. In einem Fernschreiben vom 30.9.1942, ein Funkspruch Numero 98, erteilt Glücks eine weitere Fahrgenehmigung. Und es heißt: »Ich genehmige hiermit die Fahrt mit einem Pkw des SS-Obersturmf. Schwarz von Auschwitz nach Friedland zur Besichtigung des Haarverwertungsbetr. Held in Friedland, Bez. Breslau.«15

Es erscheint mir, um die Sache so beweiskräftig wie möglich zu machen, wichtig, noch einmal auf den Spruch Numero 83 zurückzukommen, in dem die Abholung von Material für die »Sonderbehandlung« genehmigt wird. Dieser Spruch ist vom 26. August 1942. Nachweisbar – und das ist hier in der Hauptverhandlung verlesen worden, und ich weise darauf besonders hin, weil das der einzige Funkspruch ist, der kein Handzeichen des Angeklagten Mulka enthält –, nachweisbar war der Angeklagte Mulka am 25.8.1942 in Auschwitz. Es ist verlesen worden der Funkspruch Numero 7816 von diesem Tag. Und er hat auch unter diesem Datum den Urlaubsschein für den SS-Unterscharführer Hatzinger unterschrieben.17 Und am 27. August 1942 hat der Angeklagte den Funkspruch Numero 89, der die Abstempelung von Kraftfahrzeugkennzeichen betrifft, unterschrieben.18 Er war also nachweisbar am 25. und am 28. August tätig, während dieses Fernschreiben in der Mitte, nämlich am 26. August 1942, liegt. [Pause]

Wir haben hier in der Hauptverhandlung gehört, daß die Fernschreiben, mit denen das Reichssicherheitshauptamt, die Abteilung IV B 4, Eichmann, die Judentransporte, die aus allen Teilen Europas nach Auschwitz kamen, ankündigten, bei der Kommandantur eingegangen sind. Zu der Frage, ob und inwieweit der Angeklagte Mulka auch mit diesen Fernschreiben befaßt war, erscheint es mir zunächst nicht ganz unwichtig, auf das hinzuweisen und an das zu erinnern, was der Angeklagte Boger hier gesagt hat. Der Angeklagte Boger, der es ja schließlich wissen mußte, als Angehöriger der Politischen Abteilung, hat gesagt, daß die Kommandantur in Auschwitz dem Reichssicherheitshauptamt, soweit es sich um die sogenannte »Endlösung der Judenfrage« handelte, direkt unterstellt war.

Der am 10. September 1964 vernommene ehemalige SS-Dienstgrad Herpel, der Anfang 1943 nach Auschwitz kam und auf der Schreibstube in der Kommandantur tätig war, hat gesagt: »Ich meine, der Fernschreibverkehr RSHA ging über den Adjutanten.«

Der am 14. September 1964 hier vernommene ehemalige Kommandanturspieß Nebbe, der in den Jahren 1943 bis 44 die Tätigkeit als Spieß bei der Kommandantur in Auschwitz ausgeführt hat, hat hier erklärt: »Nach Eingang einer solchen Meldung hat der Adjutant oder der Kommandant das Schutzhaftlager, die Politische Abteilung und das Wachbataillon verständigt.« Der Zeuge Nebbe meinte, das sei der Kommandant oder der Adjutant gewesen. Er hat aber hinzugefügt, daß sich der Kommandant um diese Dinge nicht gekümmert habe, woraus der Schluß zulässig ist, daß es dann eben der Adjutant war. Und er hat allgemein, ohne Bezug zu nehmen auf die RSHA-Fernschreiben, gesagt: »Die Fernschreiben gingen zum Adjutanten.«

Wenn der Zeuge Nebbe nur das Schutzhaftlager, die Politische Abteilung und das Wachbataillon genannt hat, das von der Ankunft eines Transportes durch den Adjutanten benachrichtigt wurde, so hat der am 25. Januar 1965 hier vernommene SS- Dienstgrad Wilhelmy, der Spieß bei dem Standortarzt war, bekundet: »Die Meldung für den Rampendienst kam von der Kommandantur.« Also hat der Adjutant über das Schutzhaftlager, die Politische Abteilung und den Wachsturm [+ hinaus] auch den Standortarzt von der Meldung, daß ein Transport ankommt, verständigt. Der Zeuge Nebbe hat darüber hinaus bekundet, daß es dem Adjutanten oblegen hat, die Kompaniedienstpläne und die Wachpläne auszuarbeiten. Und der Zeuge Nebbe hat bestätigt, was sich schon aus der Lagerordnung ergibt, daß dem Adjutanten die Fernschreibstelle unterstand.

Dazu hat sich der Angeklagte Mulka schließlich wie folgt eingelassen: Er hat zugegeben, daß die Fernschreibstelle dem Adjutanten unterstand. Er hat wörtlich hinzugefügt: »Der Fernschreibstellenleiter durfte nichts schreiben, was ich nicht genehmigt habe.« Und er hat zugestanden, daß drei bis vier Fernschreiben von dem Reichssicherheitshauptamt, die solche Transporte, die zur Vergasung bestimmt waren, ankündigten, durch seine Hand gegangen seien. Er hat dazu geglaubt ausführen zu müssen, er habe sie an die Politische Abteilung weitergeleitet. Diese Einlassung, daß er sie an die Politische Abteilung weitergeleitet habe – beziehungsweise nur an die Politische Abteilung weitergeleitet habe –, halte ich aufgrund der Bekundungen der Zeugen Nebbe und Wilhelmy, die als ehemalige SS-Sanitätsdienstgrade insoweit bestimmt Glauben verdienen können, für widerlegt.

Meine Damen und Herren, damit sind wir bereits mitten in dem praktischen Ablauf der Vernichtungsaktion. Und wir sind bereits mitten in der Darstellung der Tätigkeit, die der Adjutant ausgeübt hat im Rahmen der Funktionen des Konzentrationslagers Auschwitz als Vernichtungsanstalt. Aus dem bisher vorgelegten Beweismaterial ergibt sich, daß der Angeklagte von der Ankunft von Judentransporten unterrichtet wurde, daß er sein Wissen von der bevorstehenden Ankunft an die genannten Abteilungen weitergegeben hat und daß er nun durch diese Weitergabe einen Mechanismus in Gang setzte, der schließlich zur Ermordung von Zehntausenden führte. Aber es war nicht nur das, daß er die Abteilungen benachrichtigt hat, die uns die Zeugen Nebbe und Wilhelmy hier genannt haben. Er hat darüber hinaus – und das ist nach der Lagerordnung ja wohl das Nächstliegende gewesen – auch die Fahrbereitschaft von den ankommenden Transporten unterrichtet.

Ich darf Sie erinnern: Ganz am Anfang des Strafverfahrens haben wir, noch im Römer, den Leiter der Landwirtschaft, Herrn Doktor Caesar, gehört. Er hat ganz allgemein – und ohne für Auschwitz eine Ausnahme zu machen – und als selbstverständlich erklärt, bei allen Dienststellen, wo er war, hatten die Adjutanten die Fahrbereitschaft unter sich. Ich darf Sie erinnern an den Zeugen Böck, der mit die bewegendste Schilderung von dem gegeben hat, was sich an den Gaskammern abspielte. Er war als SS-Dienstgrad bei der Fahrbereitschaft einer der wenigen, die versucht haben, und ich möchte dem Zeugen wirklich glauben, mit Erfolg versucht haben, sich persönlich von den Dingen fernzuhalten. Er hat hier bekundet, daß der Adjutant die Fahrbereitschaft kommandiert hat. Und er hat ferner erklärt, daß der Angeklagte Mulka oft zur Fahrbereitschaft kam. Er hat darüber hinaus – und das ist für den Angeklagten Höcker insoweit von Bedeutung – bekundet, daß es in Birkenau keine selbständige Fahrbereitschaft gegeben habe. Er hat ferner völlig unabhängig von irgendwelchem besonderen Wissen aus Literatur und dergleichen aus seiner eigenen Erinnerung bekundet, daß er sich erinnern könne, daß damals im August 1942 sechs Lastkraftwagen speziell für die Rampenfahrten beschafft worden sind. Und wir haben damals dem Angeklagten Mulka in diesem Zusammenhang ein Dokument vorhalten können, daß tatsächlich Liebehenschel damals nach Auschwitz angekündigt hat, diese sechs oder fünf Lastkraftwagen seien unterwegs.

Der Angeklagte Mulka hat schließlich in seiner Einlassung am 6. August 1964 zugestanden, was er früher nie wahrhaben wollte, daß er wußte, daß der Einsatz der Lastkraftwagen auf der Rampe erfolgte. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang erinnern – um Ihnen das wieder etwas plastisch zu machen –, an diesem Tage ist er gefragt worden, ob er denn etwas unternommen hätte, wenn die Lastkraftwagenfahrer mit den Lastkraftwagen Spazierfahrten unternommen hätten, was der Angeklagte Mulka bejaht hat. Er hat damals sich dahin eingelassen: Ja, dann hätte er etwas unternommen. An diesem Tage hat er auch erklärt, daß er von dem Einsatz der Lkws auf der Rampe wußte. Und der Einsatz der Lkws auf der Rampe bestand darin, daß die als arbeitsunfähig von den Ärzten aussortierten Personen zum Teil auf die Lastkraftwagen verladen, dann von der Rampe zu den Gaskammern gefahren und vor den Gaskammern abgesetzt wurden.

Wie es da zuging, hat uns der Zeuge Christoph, der der Fahrbereitschaft angehörte, am 7. August 1964 bekundet. Beim Abladen wurde der Kipper betätigt. Die Leute sind – Herr Kollege Vogel hat es heute morgen im Zusammenhang mit der Darstellung der Taten des Angeklagten Baretzki erklärt – wie Holz und Kohle dort vor den Gaskammern abgeladen worden. Und diese Tätigkeit des Lastkraftwagenkommandos auf der Rampe, das durch den Angeklagten Mulka beziehungsweise durch den Angeklagten Höcker, wie später noch zu erörtern sein wird, in Gang gesetzt wurde, war umfangreich. Der Zeuge Christoph hat bekundet, er habe bei einem Einsatz zehnmal fahren müssen. Und der Zeuge Christoph bestätigt das, was die anderen ehemaligen SS-Dienstgrade hier bekundet haben, indem auch er sagte, der UvD bei der Fahrbereitschaft erhielt den Einsatzbefehl von der Kommandantur.

Auch der Zeuge Glaser, der zur Fahrbereitschaft gehörte, hat am 10. September 1964 hier bekundet, die Fahrbereitschaft unterstand der Kommandantur und dort dem Kommandanten beziehungsweise dem Adjutanten.

Der Zeuge Heger, der ebenfalls am 10. September 1964 hier vernommen wurde, weiß sich noch an Einzelheiten zu erinnern. Der Zeuge Heger hat bekundet, daß Wiegand, der Kraftfahrzeug-Geräteverwalter, oft den Namen Mulka erwähnt habe, und zwar im Zusammenhang mit Aufträgen, die er von diesem erhalten habe. Heger hat seinen Eindruck von der Tätigkeit des Angeklagten Mulka in bezug auf die Fahrbereitschaft dahin zusammengefaßt, daß er hier sagte: »Der Angeklagte Mulka trat funktionell als Vertreter des Kommandanten bei der Fahrbereitschaft in Erscheinung.«

Der Zeuge Siebald, der ebenfalls zur Fahrbereitschaft gehörte und am 17. September 1964 hier vernommen wurde, hat bekundet, daß die Befehle für die Gaskammerfahrten von der Kommandantur an Wiegand weitergegeben worden sind. Das, was der Zeuge Siebald hier gesagt hat, wurde von dem ehemaligen Angehörigen der Fahrbereitschaft Vollrath am 28. September 1964 bestätigt.

Meine Damen und Herren, wir haben hier eine ganze Reihe von Zeugen gehört, die auf der Rampe ankamen zu der Zeit, als der Angeklagte Mulka Adjutant war. Ich möchte aus der Masse dieser Zeugen nur einen Zeugen herausgreifen, der eine plastische Schilderung gegeben hat, die auch Sie möglicherweise in Erinnerung behalten haben. Es ist das der am 28. August 1964 vernommene Zeuge Doktor Bejlin, der seine Aussage, obwohl er Schweres in Auschwitz erlitten hat, ruhig und bestimmt gemacht hat, an dessen Aussage aber auch nicht ein Tüpfelchen ist, was auf irgendeine Unstimmigkeit oder Ungenauigkeit oder gar Unglaubwürdigkeit hindeuten könnte.

Der Zeuge Doktor Bejlin, der heute in Israel lebt, kam aus Osteuropa am 6. Februar 1943, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Angeklagte Mulka nachweisbar als Adjutant in Auschwitz tätig war, auf der Alten Rampe an. Der Zeuge kann sich erinnern, daß der selektierende Arzt Doktor Rohde war. Er hat uns erzählt, wie es auf der Rampe vor sich gegangen ist, was hier und jetzt im Zusammenhang mit dem Angeklagten Mulka keine solche Rolle spielt. Aber er hat dann gesagt, daß seine Mutter von ihm getrennt wurde und daß Sie auf einen Kippwagen aufsteigen mußte. Und dann wurde seine Mutter auf diesem Kippwagen weggefahren.

Der Zeuge hatte Glück, er stand verhältnismäßig weit vorne an der Marschkolonne, die auf den selektierenden Arzt zuschritt, und war also noch unter denjenigen, die für die Arbeit im Lager ausgesucht wurden, während der Rest, wie der Zeuge uns sagte, in das Gas gegangen ist. Er blieb als für die Arbeit Ausgesuchter dort auf der Rampe aus irgendwelchen technischen Gründen, technischen Verzögerungen längere Zeit stehen. Und der Zeuge hat dann erklärt, daß er einen Wagen von der Gaskammer habe zurückkommen sehen und daß auf diesem Wagen der Mantel seiner Mutter, den er hier im einzelnen beschrieben hat, heraushing, daß er ihn zufällig sehen konnte.

Aufgrund dieses Ergebnisses der Beweisaufnahme, meine Damen und Herren, steht doch wohl fest, daß der Adjutant die RSHA-Benachrichtigungen über das Eintreffen der Transporte an die verschiedenen Abteilungen weitergegeben, daß er den Mechanismus in Gang gesetzt hat und daß insbesondere die Lastkraftwagen dann auf die Rampe fuhren und die für die Vergasung Bestimmten zu den Gaskammern brachten.

Aber es ist ja nicht nur auf der Rampe für das Gas selektiert worden, sondern auch im Lager. Und ich darf Sie in Zusammenhang mit der Tätigkeit des Angeklagten Mulka nur an jene Selektion im Lager erinnern, die uns hier so oft geschildert wurde. Sie war am 29. August 1942, und zwar auf Block 20 im Stammlager, dem Infektionsblock, jenem Block, in dem mit Phenolspritzen getötet wurde. Damals sind etwa 700 Personen, die in diesem Block lagen, für die Vergasung ausgesondert und von Lastkraftwagen abgeholt worden. Das hat neben vielen anderen Zeugen der Zeuge Langbein eindrücklich und klar hier geschildert.

Ich will mich im Hinblick auf das, was durch den Anruf des Kommandanten bei den einzelnen Abteilungen noch weiter veranlaßt wurde, nicht auf Einzelheiten mehr einlassen. Aber es ist auch so gewesen, daß durch diesen Anruf und durch diese Benachrichtigung des Kommandanten die Postenkette um die Rampe aufmarschiert ist, die Postenkette, die den Zweck hatte, ausbrechende Häftlinge von dem Ausbrechen abzuhalten. In diesem Zusammenhang hat der Zeuge Bilibou, bloß um ein Beispiel zu nennen, geschildert, daß er als Mitglied der 1. Wachkompanie auf der Rampe zum Rampendienst eingesetzt war.

Die weitere Frage, ob sich der Angeklagte Mulka nicht nur vom Schreibtisch aus und mit Hilfe des Telefons betätigt hat, geht dahin zunächst, ob er auch selbst auf der Rampe war. Das wird man beurteilen können, wenn man sich folgende Zeugenaussagen ins Gedächtnis zurückruft.

Der Zeuge Steiner hat am 3. April 1964 hier bekundet, man habe davon gesprochen, daß der Angeklagte Mulka bei Selektionen auf der Rampe dabei war. Der Zeuge Boratyński hat am 9. April 1964 bekundet, er habe den Angeklagten Mulka im Jahre 1942 sehr oft auf der Rampe gesehen. Der Angeklagte Kaduk selbst hat es in der Voruntersuchung klar und deutlich gesagt. Er hat sich in der Hauptverhandlung dazu nicht mehr mit der entsprechenden Klarheit bekennen mögen. Aber das, was er in der Voruntersuchung gesagt hat, hat er nicht nur in Gegenwart des Untersuchungsrichters, sondern darüber hinaus in Gegenwart des am 5. Juni 1964 hier vernommenen Zeugen Reineck gesagt. Der Zeuge hat hier erklärt, daß er dem Angeklagten Kaduk in der Untersuchungshaftanstalt zusammen mit dem Untersuchungsrichter gegenübergestellt worden ist und daß Kaduk bei der Gegenüberstellung dem Zeugen erklärt hat, Mulka war auf der Rampe dabei und daß Mulka als Leiter der Fahrbereitschaft die Fahrten zu den Gaskammern organisiert hat.

Ich darf in diesem Zusammenhang auf Blatt 11.165 der Akten19 Bezug nehmen. Der Zeuge Amann bekundete, daß ihm der Offizier, der auf der alten Rampe herumlief, als Mulka bezeichnet worden sei. Ich darf jedoch darauf aufmerksam machen, daß diese Aussage nicht ganz widerspruchsfrei ist, denn der Zeuge will den Vornamen des Angeklagten Hofmann schon damals in Auschwitz gekannt haben, was nicht ganz wahrscheinlich ist – es kann möglich gewesen sein, ich möchte aber das Gericht auf diesen Umstand hinweisen.

Der Zeuge Henryk Porębski hat im Lager die elektrischen Einrichtungen, insbesondere die elektrischen Einrichtungen bei den Krematorien, also Ventilatoren, Leichenaufzug und dergleichen, kontrolliert. Und dieser Zeuge war bei Vergasungen auf dem Gebiet der Krematorien anwesend. Er hat den Angeklagten Mulka wiedererkannt als einen, der auf der Rampe war, der mehrmals auf der Rampe war. Der Zeuge erinnerte sich, daß der Angeklagte Mulka einmal eine Frau, die irgendetwas von ihm wollte – was, konnte der Zeuge nicht sagen –, in die Gruppe zurückschickte, aus der sie kam. Der Zeuge meinte auch, daß der Angeklagte Mulka bei der Einteilung mit entschieden hat.

Aber auch bei diesem Zeugen – und darauf darf ich das Gericht aufmerksam machen – ist ein Punkt, der möglicherweise gegen die Verwertbarkeit dieser Aussage spricht. Der Zeuge hat auf Blatt 5.577 der Akten20 im Laufe der Voruntersuchung belastende Angaben über den Angeklagten Bednarek gemacht, an die er sich hier in der Hauptverhandlung nicht mehr erinnern konnte.

Dann darf ich erinnern an den Zeugen Spicker, der angibt, daß er den Angeklagten Mulka Ende Februar 1943 auf der Rampe gesehen hat. Der Zeuge ist damals selbst auf der Rampe angekommen und hat erklärt, daß der Angeklagte Mulka den Zeugen von seiner Frau, zu deren Gruppe er hinüber wollte, zurückgezogen habe. Mulka habe sich dort aktiv auf der Rampe bei den Einteilungen beteiligt. Der Zeuge hat auch eine Angabe darüber gemacht, wie er den Namen Mulka erfahren hat. Der Blockälteste der Quarantänestation, der den Spitznamen Napoleon hatte, habe ihm den Angeklagten Mulka als eben Mulka bezeichnet. Und der Zeuge hat hier vor dem Gericht [+ auf] den Bildern, die ihm der Herr Präsident vorgelegt hat, den Angeklagten Mulka ohne Zögern identifiziert. Bei der Gegenüberstellung hat er allerdings den Angeklagten Schoberth für Schlage gehalten. Ich glaube nicht, meine Damen und Herren, daß dieser Irrtum, der dem Zeugen bei der Gegenüberstellung unterlaufen ist, so gravierend sein dürfte, daß man seine Aussage hier nicht verwerten könnte, soweit sie den Angeklagten Mulka betrifft.


Es gibt noch einen Zeugen, der den Angeklagten Mulka auf der Rampe gesehen hat, das ist der Zeuge Vrba. Ich bitte mir zu gestatten, daß ich auf diesen Zeugen erst zu sprechen komme, wenn ich zum subjektiven Tatbestand Stellung nehme.

Der Angeklagte Mulka hat sich nicht nur auf der Rampe aufgehalten und dort persönlich Kenntnis genommen von dem, was geschah. Er war auch innerhalb des Lagerbereichs, also nicht nur in jenem Bereich, der gerade noch die zwei Kommandanturgebäude und den Standortarzt mit der Apotheke einschließt und der vom Stammlager getrennt war. Er hat sich auch im Stammlager aufgehalten und vor dem Stammlager.

Da ist zunächst der Zeuge Olszówka, der am 13. April 1964 hier vernommen wurde. Er hat den Angeklagten Mulka im Winter 1942/43 gesehen im Lager, und er hat gesehen, wie der Angeklagte Mulka zu Block 11 ging. Was er dort tat, hat der Zeuge nicht beobachten können. Der Zeuge hat auch den Angeklagten Mulka in der Schutzhaftlagerschreibstube gesehen, und er hat ihn auch außerhalb des Stammlagers gesehen.

Der Zeuge Boratyński, der am 9.4.1964 hier vernommen wurde, hat den Angeklagten Mulka zwei- bis dreimal in Block 11 bei »Bunkerentleerungen« gesehen, ohne allerdings sagen zu können, ob und was der Angeklagte dort im einzelnen tat.

Der Zeuge Doktor Głowacki, der am 23.4.1964 hier vernommen wurde, bestätigt das, was der Zeuge Boratyński hier gesagt hat. In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, daß der Zeuge Boratyński von der Zeugin Pozimska – die ja hier durch ihr Verhalten, um es milde auszudrücken, einiges Aufsehen erregt hat – bezichtigt wird, er habe in Polen gestohlen und sei dann in die Tschechoslowakei geflüchtet. Aber der Zeuge Doktor Głowacki bestätigt das, was der Zeuge Boratyński hier gesagt hat. Er sagt, auch er habe den An geklagten Mulka in Block 11 gesehen. Er sei dabeigewesen, wenn Erschießungen stattgefunden hätten, habe aber selbst nicht geschossen.

Der Zeuge Kral, dessen Bekundungen von Herrn Kollegen Vogel bereits gewürdigt worden sind, hat hier erklärt, daß er ihn innerhalb und außerhalb des Lagers gesehen habe. Der Zeuge Kral hat darüber hinaus bekundet, es sei einmal eine Selektion vor der Küche gewesen, und zwar eine Selektion des Kommandos Neubau. Und da habe der Angeklagte Mulka in der Nähe gestanden.

Der Zeuge Karel Klein, der am 18. Januar 65 hier vernommen wurde, sagte: »Der Angeklagte Mulka hat am Lagertor gestanden, wenn die Häftlinge von der Arbeit zurückgekommen sind.« Und er hat erklärt, er erinnere sich gerade deshalb an den Angeklagten Mulka, weil er sich gegenüber den anderen SS-Dienstgraden, die dort standen, so fein herausnahm. Eine Schilderung, die das, was der Zeuge bekundet, als durchaus glaubhaft erscheinen läßt. Er hat auch hier im Saal den Angeklagten Mulka wiedererkannt. Und das, was der Zeuge Klein sagt, wird von einem Angeklagten bestätigt, nämlich dem Angeklagten Baretzki, der uns hier klar und ausdrücklich gesagt hat: »Der Angeklagte Mulka hat vor dem Lagertor gestanden.«

Zusammenfassend darf ich insoweit feststellen, meine Damen und Herren, daß der Angeklagte Mulka aufgrund seiner Tätigkeit als Adjutant in dem Konzentrationslager Auschwitz nicht nur über das, was allgemein geschah, unterrichtet war, sondern daß er als Adjutant einen vollständigen Überblick hatte insbesondere über die Funktion des Konzentrationslagers Auschwitz als Vernichtungsanstalt und auch über die Funktionen des Konzentrationslagers Auschwitz als Vernichtungslager. Er hat nicht nur auf seinem Schreibtischsessel gesessen. Und er hat nicht einmal nur das Telefon bedient, wenn RSHA-Transporte ankamen. Er ist herumgelaufen und hat sich persönlich gekümmert. Und er ist auch an den Stellen gewesen, wo der Mord das unglaubliche Ausmaß angenommen hat, was wir hier gehört haben.

Gegen den Angeklagten Mulka ist eine Nachtragsanklage erhoben worden. Er hat der Verhandlung dieser Nachtragsanklage zugestimmt. Sie beruht auf den Bekundungen, die der aus der Tschechoslowakei stammende Zeuge Rybka hier gemacht hat. Nach den Erklärungen des Zeugen Rybka soll sich der Vorfall – es handelt sich um die Erschießung von drei Häftlingen durch den Angeklagten Mulka Ende August, Anfang September 1942 – nicht allzu weit vom Stammlager entfernt auf dem Weg nach Harmense, wo die Fischteiche waren, ereignet haben.

Der Zeuge Rybka sagt, er sei damals aus dem Stammlager mit einem Pferdefuhrwerk weggefahren – er hat Typhus gehabt und sollte zurück nach Harmense, wo die Fischteiche waren und wo er als Häftling eingesetzt war. Der SS-Dienstgrad Thran aus Harmense und der Zeuge Pomreinke, der hier vernommen wurde, seien auf dem Wagen gewesen. Und bei ihm sei noch der Zeuge Kornacki gewesen. Man sei mit diesem Pferdefuhrwerk aus dem Stammlager herausgefahren und habe alsbald eine Häftlingskolonne gesehen, die beschmutzte Strohsäcke getragen habe. Diese Strohsäcke sind von dem Häftlingskommando auf einen Haufen geworfen worden, offenbar sollte das angesteckt werden und vernichtet werden.

Dann ist dem Pferdefuhrwerk ein Personenkraftwagen entgegengekommen. Aus diesem Personenkraftwagen ist ein SS-Offizier ausgestiegen. Er hat sich zu der Häftlingsgruppe begeben, die die Strohsäcke trug, hat seinen Unwillen über irgend etwas ausgedrückt – der Zeuge Rybka meint, die Häftlinge hätten die Strohsäcke so getragen, daß das Stroh unten aus der Öffnung herausgefallen sei, daher den Weg beschmutzt und, falls es sich um Strohsäcke gehandelt habe, auf denen Typhuskranke gelegen haben, Ansteckungsgefahr hervorgerufen. Es sei ein Durcheinander entstanden, und der SS-Offizier hat drei Häftlinge angeschossen oder erschossen. Der Zeuge Rybka glaubt sich mit Sicherheit daran erinnern zu können, daß es sich um den Angeklagten Mulka handelt, der das gewesen ist. Thran, der mit auf dem Pferdefuhrwerk war, soll zu einem SS-Posten gesagt haben: »Der alte Mulka ist wild geworden.« Er hatte vermutlich Angst vor dem Typhus.

Der Zeuge Rybka, von dem Sie hier einen sicherlich nicht ungünstigen persönlichen Eindruck erhalten haben und bei dem man den Versuch spürte, bei der Sache zu bleiben und wirklich die Wahrheit zu sagen, hat jedoch, als ihm verschiedene Bilder vorgelegt wurden, den Angeklagten Mulka nicht mühelos identifizieren können.

Der Zeuge Pomreinke, der mit dem Zeugen Rybka zusammen war auf dieser Fahrt, hat den Vorfall nicht bestätigen können, ein Umstand, dem an sich nicht viel Bedeutung beizumessen ist, weil der Zeuge als SS-Angehöriger derartige Vorfälle öfter gesehen haben wird und es nicht unbedingt so sein muß, daß sich ihm dieser Vorfall, der für den Zeugen Rybka etwas Besonderes war, eingeprägt hat. Der Zeuge Pomreinke insbesondere hat keinen Grund, den Angeklagten Mulka zu schonen. Er hat mit dem Angeklagten Mulka unangenehme Erlebnisse gehabt, auf die ich noch später zu sprechen kommen werde. Er kann sich jedenfalls nicht an diesen Vorfall erinnern. Und der Zeuge Kornacki hat bei seiner Vernehmung jetzt in Polen Angaben gemacht, die im allgemeinen das wiedergeben, was der Zeuge Rybka uns hier auch gesagt hat – nicht so präzis, viel unbestimmter.

Aufgrund all dieser Umstände, all das zusammengenommen und abgewägt, glaube ich nicht, daß man lediglich auf die verbleibende Darstellung des Zeugen Rybka eine Verurteilung des Angeklagten Mulka wird stützen können. Es sind da doch Faktoren in dieser Aussage, die nicht ganz überzeugend wirken. Ich glaube nicht, daß der Zeuge Rybka bewußt etwas Falsches gesagt hat. Es ist auch durchaus möglich, daß es der Angeklagte Mulka war, der da drei Häftlinge erschossen hat. Bei der Darstellung zur subjektiven Tatseite, glaube ich, werden Sie erkennen, daß er dazu fähig gewesen wäre. Aber es fehlt doch die letzte Überzeugungskraft.

Vorsitzender Richter:

Herr Staatsanwalt, bitte fahren Sie fort.

Staatsanwalt Kügler:

Herr Präsident, meine Damen und Herren Richter und Geschworenen. Ich darf mich zunächst wegen eines bedauerlichen Versehens entschuldigen, was mir bei dem Plädoyer bezüglich der Frage des Aufenthalts des Angeklagten Mulka im Lager unterlaufen ist. Ich habe dem Zeugen Boratyński, der am 9. April 64 vernommen wurde und der bekundet hat, daß er den Angeklagten Mulka zwei- bis dreimal im Bunker bei »Entleerungen« gesehen hat, die Behauptung der Zeugin Pozimska angelastet, er sei wegen eines Delikts von Polen in die Tschechoslowakei gegangen. Das ist unzutreffend. Es handelt sich hier um eine Verwechslung mit dem Zeugen Beranovský. Ich bitte das zu entschuldigen.

Vorsitzender Richter:

Ja.

Staatsanwalt Kügler:

Zur subjektiven Tatseite, meine Damen und Herren, wäre folgendes zu sagen: Der Angeklagte Mulka wird vortragen lassen, daß das gegen ihn eingeleitet gewesene Heimtücke-Verfahren, das später eingestellt worden ist, ja doch beweise, wie er damals eingestellt gewesen sei. Wenn wir als wahr unterstellen wollen, was der Angeklagte Mulka hier erklärt hat, dann ist es so gewesen, daß er im Zusammenhang mit dem Arbeitseinsatz der Frauen der SS-Angehörigen in Auschwitz der Ehefrau des Bauleiters Bischoff in einem aufgeregten Moment nach [+ der] Sportpalastrede von Goebbels, die nach dem Fall von Stalingrad war und in der der totale Krieg verkündet wurde, gesagt hat: »Goebbels ist ein Sadist, ein Schürzenjäger« und dergleichen.

Ich bin der Auffassung – und ich glaube zurecht –, daß bei einer eingehenden Würdigung dieses Vorgangs sich genau das Gegenteil dessen erweisen wird, was der Angeklagte Mulka behauptet. Für einen SS-Führer, gleichgültig, wo er war, in Auschwitz oder bei einer SS-Einheit, die an der Front gekämpft hat, ist der damalige Reichsminister Goebbels kein Mann gewesen, dem man eine besondere Hochachtung entgegengebracht hat. Es war ein Mann, der allgemein damals der Kritik ausgesetzt war, nicht nur in SS-Kreisen. Und, meine Damen und Herren, stellen Sie sich vor: Ein Adjutant in einem Vernichtungslager, der ja damals, als wir noch nicht ahnten, was hinter dem Rücken der kämpfenden Front geschah, wußte, wie gemordet wurde, und der das aus Überzeugungen mitmachte, die in einer nationalsozialistischen Weltanschauung oder in einem mißverstandenen Vaterlandsgefühl, wie sich der Angeklagte Mulka ausgedrückt hat, begründet liegen – für den mußte diese Sportpalastrede ja doch wohl ein Affront sein. Der Angeklagte Mulka hat sich nicht gegenüber dem distanziert, was in Auschwitz passiert ist. Und es wäre ja wohl das Nächstliegende gewesen, wenn er über irgend etwas hätte sich ärgern müssen, was nicht zu billigen war in der Tat, daß er sich über die Dinge in Auschwitz aufgeregt hätte, gegenüber dieser Zeugin oder einer anderen Zeugin. Das hat der Angeklagte Mulka nicht getan. Er hat sich über den damaligen Reichsminister Goebbels erzürnt. Und er hat das von seinem Standpunkt aus als Adjutant in einem Vernichtungslager mit Recht getan.

Im übrigen ist der damalige Reichsminister Goebbels, wenn man die Dinge von heute betrachtet, gar nicht der geeignete Mann gewesen, daß er der Kritik des Angeklagten Mulkas sich damals hat aussetzen müssen. Er ist der einzige gewesen von jener ganzen Reichsregierung, der zumindest im Januar 1945 erkannt hat, daß es aus war, und der in diesem Bewußtsein den Bunker in Berlin verlassen hat und an die Front gegangen ist und mit den Soldaten gesprochen hat. Ich möchte nicht sagen, daß sich der Angeklagte Mulka ein Beispiel an diesem Mann nehmen soll. Aber der ehemalige Reichsminister Goebbels hat zumindest die Konsequenz gezogen, die zu ziehen war.

Die Zeugin Utner, auf die sich die Verteidigung des Angeklagten Mulka vermutlich auch stützen wird, meine Damen und Herren, die Zeugin Utner ist eine Psychopathin, wenn es je eine hier in diesem Saal gegeben hat. Mehr möchte ich dazu gar nicht sagen.

Meine Damen und Herren, bei der Frage, wie der subjektive Tatbestand im Falle des Angeklagten Mulka zu beurteilen ist, wäre es, wenn Sie die Einlassungen des Angeklagten Mulka hier vor diesem Gericht insgesamt berücksichtigen, bei einiger Eloquenz leicht, ihn menschlich und moralisch zu disqualifizieren. Ich glaube aber, meine Damen und Herren, wenn der Staatsanwalt in diesen Ton verfällt, dann ist er in der Regel auf der schwächeren Seite. Und ich glaube auch, daß man hier berücksichtigen sollte, daß der Angeklagte Mulka immerhin 70 Jahre alt ist.

Ich möchte dazu nur folgendes sagen: Es mag wahr sein, daß der Angeklagte Mulka Schriftstücke unterschrieben und Befehle erteilt hat, die wir nicht kennen und die über die Fälle hinausgehen, die wir hier gehört haben und die ebenfalls unmittelbar den Tod von Tausenden zur Folge hatten, ohne daß der Angeklagte Mulka im üblichen Sinne des Wortes bei Verstande war. Er mag nicht immer hingesehen haben, was er unterschrieb. Und wenn er nicht hingesehen hat, dann hat er das nicht deshalb getan, weil er sich etwa in einer Notstandslage, von der hier in diesem Verfahren so oft geredet wurde, befunden hat. Denn dann, bei einer echten Pflichtenkollision, hätte er hingesehen.

Es war viel elementarer, wie es in dem Angeklagten Mulka in Auschwitz zuging. Identifiziert mit Amt, Ansehen, Rang, Uniform, Orden durfte er sich spätestens Ende 1942 nicht mehr den Preis klarmachen, den die makabre Fütterung seiner Eitelkeit dort kostete. Er, ebenso wie der Angeklagte Höcker, operierte dort in Auschwitz im Dickicht der unmenschlichen Methoden einer Diktatur für die Aufrechterhaltung ihrer Sinnlosigkeit. Woran er sich schließlich klammerte und auch heute noch klammert, ist ein Gespenst – das Gespenst seiner Ehre, ein Nachhall menschlicher Würde, die er spätestens in dem Augenblick verloren hatte, als er den Pakt mit Höß schloß. Mit Höß, der ihn unter vielen Gleichgesinnten als den besten herausgesucht hat, als denjenigen, der Adjutant werden sollte. Aber dies, meine Damen und Herren, nur nebenbei.

Das Ergebnis der Beweisaufnahme spricht zur subjektiven Tatseite eine ebenso harte wie eindeutige Sprache. Wenn der Angeklagte Mulka in dieser Hinsicht hier leugnet, so geschieht das bei ihm aus denselben Gründen wie bei vielen anderen Angeklagten. Gegenüber ihren Söhnen und Töchtern und gegenüber ihren Frauen wollen sie nicht eingestehen, was sie damals in Auschwitz getan haben. Deshalb, und vermutlich nur deshalb, scheuen sie die Wahrheit.

Ich darf Sie erinnern an den heutigen Bürgermeister Ludwig Damm, der damals als SS-Dienstgrad in Auschwitz, im Amtsbezirk Auschwitz, tätig war. Er ist einer der wenigen, von denen wir hier im Prozeß gehört haben, daß er sich zu Hause über die Vorgänge während des Krieges noch öffentlich entrüstete. Er hat zu Hause erzählt, was er in Auschwitz erlebt hat. Der Angeklagte Mulka hat ihn einen Landesverräter genannt und hat ihm ein Verfahren mit Bestrafung angedroht. Der Zeuge Wilhelmy, der Spieß bei dem Standortarzt, hat kurz und bündig und knapp hier erklärt: »Alle hatten Angst vor Mulka.«

Und dann darf ich auf jenen Mann zu sprechen kommen, den ich schon im Zusammenhang mit der Nachtragsanklage genannt habe, den Zeugen Pomreinke. Ich glaube, dieser Mann hat auf Sie, ebenso wie auf mich, einen biederen, ehrlichen Eindruck gemacht. Ein Mann, der versucht hat, aus dem Räderwerk, in das er da hineingeraten war, mit heiler Haut und unbefleckt von Schuld herauszukommen. Diesem Mann hat der Angeklagte Mulka die Braut weggenommen, um eine Hausgehilfin zu bekommen. Die Heiratspapiere hat er vor den Augen des Zeugen zerrissen. Er hat diesen Zeugen drei Tage in den Bau gesteckt, weil der Zeuge einer menschlichen Regung nachgegeben und einem Häftling Brot zugesteckt hatte. Und dieser Zeuge hat weiter bekundet, daß der Angeklagte Mulka, als sich ein 23 Jahre alter Fahrer, weil er einen Unfall gebaut hatte, erschossen hatte, anordnete, daß dieser Mann verscharrt werden sollte wie ein Hund. Keiner sollte mitgehen.

Aber, meine Damen und Herren, zwischen jeder Versuchung, dem Angeklagten in subjektiver Hinsicht entgegenzukommen, steht der Zeuge Vrba. Sie werden sich an diesen Zeugen sofort erinnern, wenn ich erwähne, daß es derjenige war, dem es seinerzeit gelungen ist, aus Auschwitz zu fliehen, und der dann zusammen mit einem Kameraden den ersten wahrheitsgetreuen Bericht über die Vorgänge in Birkenau verfaßt und dem päpstlichen Nuntius in der Slowakei zugeleitet hat.

Der Zeuge Vrba war sicherlich mit Abstand von allen Zeugen, die wir hier im Saal gehört haben – soweit wir das beurteilen können –, der intelligenteste, der schärfste Beobachter. Der Zeuge Vrba arbeitet heute als Biochemiker. Er befaßt sich, wie er uns hier erklärt hat, mit der Veränderung von Gehirnzellen. Eine Arbeit, die wohl außerordentliches Können, außerordentliche geistige Fähigkeiten voraussetzt.

Und dieser Zeuge war damals auf der Rampe, auf der Alten Rampe, tätig. Er hat hier bei der Gegenüberstellung Mulka als denjenigen identifiziert, den er oft auf der alten Rampe gesehen hat. Und er hat gesagt: »Ich habe mir diesen Mann sehr gut gemerkt. Er stand da mit einem weißen Pelzkragen. Und einmal, das war im Winter 1942/43«, genau zeitlich konnte sich der Zeuge nicht festlegen. Aber es paßt in die Zeit, in der der Angeklagte Mulka in Auschwitz war. Er ist am 15. Dezember von dem Kuraufenthalt wieder zurückgekommen und war dann bis März 43 in Auschwitz.

In diesem Winter, so sagt [+ der Zeuge], sei es vorgekommen, daß SS-Leute, die auf der Rampe Rampendienst hatten und bei den Selektionen beschäftigt waren, zu eben jenem Mann, den der Zeuge als Mulka identifiziert, mit einem Häftling des sogenannten Rampenkommandos gekommen sind und ihm gesagt haben, was der Zeuge gehört hat. Dieser Häftling, der beim Rampendienst war, habe mit Zugängen gesprochen, also mit Neuankömmlingen – etwas, was strikt verboten war. Und die Antwort des Angeklagten Mulka war: »Machen Sie ihn fertig. Es ist spät.« Die zwei SS-Männer, die diesen Häftling vom Rampendienst dem Angeklagten Mulka vorgeführt haben, haben dann auf den Mann eingeschlagen, bis er tot war. Der Zeuge Vrba hat zusammen mit seinen Kameraden die Leiche in das Lager mit zurückgenommen.

Der Zeuge Vrba hat seiner Aussage nichts Dramatisches und nichts hinzugefügt, was er offenbar nicht selbst gesehen hat. Er hat nur gesagt, daß er den Angeklagten Mulka oft auf der Rampe gesehen, daß er aber nicht gesehen hat, daß dieser Angeklagte selektiert habe.

Meine Damen und Herren, wenn das, was der Zeuge Vrba hier gesagt hat, wahr ist – und nach ernsthafter Beschäftigung mit diesem Zeugen und mit seiner Aussage bin ich der Überzeugung, daß es wahr ist. Wenn dieser Zeuge hier aus Motiven, die wir nicht kennen, gelogen haben sollte, dann können wir keinem Zeugen glauben. Wenn das also wahr ist, dann hat der Angeklagte Mulka durch dieses Verhalten mit aller Klarheit gezeigt, daß er sich mit dem, was in Auschwitz geschah, identifizieren wollte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände habe ich keine Bedenken, daß hinsichtlich der subjektiven Tatseite noch irgend etwas offenbleiben könnte.

Als der Angeklagte Höcker nach Auschwitz kam, da war gerade jener Winter vergangen, in dem der Zeuge Bacon, der am 30.10.64 hier vernommen wurde, die Asche aus dem Krematorium auf die vereisten Wege in Birkenau gestreut hatte. Da war gerade jener Winter vergangen, in dem dieser Zeuge, der damals noch ein junger Mann war, zwischen zwei Vergasungen die Erlaubnis erhielt, sich mit seinen Kameraden im Vergasungsraum zu wärmen. Und als der Angeklagte Höcker nach Auschwitz kam, da wurden die Überstellten und Verlegten – der Herr Kollege Vogel hat es heute morgen geschildert – vor die Füße des Angeklagten Baretzki abgeladen. Da lief das Kind des Lagerführers Schwarzhuber mit einer Tafel im Lager herum, auf der der Name stand, damit es, wie der Angeklagte Baretzki sagte, nicht zufällig mit in die Gruppe geriet, die vergast werden sollte.

Das waren grob gesprochen die Verhältnisse, die der Angeklagte Höcker vorfand, als er dorthin kam. Und für den Angeklagten Höcker, meine Damen und Herren, war das nichts Neues. Wir haben hier in der Beweisaufnahme nicht im einzelnen erörtern können, was sich in Majdanek-Lublin abgespielt hat. Wir haben nur einen Zeugen hier gehört, der gesagt hat: »Die Gelehrten streiten sich, ob es nur ein Vernichtungslager und auch eine Vernichtungsanstalt oder nur eine Vernichtungsanstalt oder beides war.«

Wenn ich jetzt sage, daß aufgrund der Lagerordnung, aufgrund der Aussagen der Zeugen, wenn sie sich auch nicht direkt auf die Person des Angeklagten Höcker beziehen, es mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf seine Person und sein Verhalten in Auschwitz nicht anders gewesen sein kann als bei dem Angeklagten Mulka, dann werden Sie möglicherweise bei der Verteidigung des Angeklagten Mulka den Satz hören: In dubio pro reo, das heißt zu deutsch: Im Zweifel für den Angeklagten.

Vorsitzender Richter:

Höcker.

Staatsanwalt Kügler:

Ja, Höcker. Ich darf mich in diesem Zusammenhang insbesondere an die Damen und Herren Geschworenen wenden. Dieses Wort, in dubio pro reo, werden Sie hier noch oft zu hören bekommen. Man wird Ihnen sagen, im Zweifel müssen Sie für die Angeklagten entscheiden.

Und ich möchte hier sagen: Diesen Satz gibt es nicht, jedenfalls nicht so. Sie haben das, was in der Beweisaufnahme vorgetragen wird, und das ist der Wille des Gesetzes, zu würdigen nach freiem Ermessen. Und wenn Sie der Auffassung sind, daß bestimmte Umstände vorliegen, die keine Zweifel in Ihnen mehr aufkommen lassen, daß der Angeklagte das und das getan hat, [Pause] dann müssen Sie gegen den Angeklagten entscheiden. Erst dann, wenn Sie zu der Überzeugung kommen, es kann möglicherweise noch irgendwo fehlen, erst dann kann dieser Satz, in dubio pro reo, angewandt werden. Und es ist doch hier in diesem Zusammenhang zu fragen, ob nicht aufgrund des Beweismaterials, was hinsichtlich der Tätigkeit des Angeklagten Mulka, hinsichtlich der Tätigkeit der Kommandantur, wenn ich es abstrakt nennen darf, vorliegt, ob man da nicht doch schon mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen kann, wenn der Angeklagte Mulka sich streng an die Lagerordnung gehalten hat, dann wird es bei dem Angeklagten Höcker nicht anders gewesen sein.

Aber wie dem auch immer sei, meine Damen und Herren, es liegen auch bei dem Angeklagten Höcker konkrete Beweismittel vor, die ihn der Taten überführen, die ihm durch den Eröffnungsbeschluß zur Last gelegt sind. Der Angeklagte Höcker hat sich insbesondere darauf berufen, daß durch die Dreiteilung der Lager eine vollständige Verschiebung der Verhältnisse eingetreten sei. Der Angeklagte Höcker ist ja sogar so weit gegangen, daß er uns hier bei seiner Einlassung zur Sache allen Ernstes versichern wollte, er habe in Auschwitz nur auf dem Papier gestanden.

Die vorgelegten Fahrbefehle und die vorgelegten Ersuchen um Genehmigung für eine Fahrt und das eine Schreiben des Kraftfahrzeuggeräteverwalters Wiegand, das hier verlesen wurde, ergeben ganz klar, daß es zunächst in Auschwitz eine Fahrbereitschaft gab und daß diese Fahrbereitschaft zu einem Zeitpunkt, der ungefähr mit der Dreiteilung der Lager zusammentrifft, in »Standortfahrbereitschaft« umbenannt wurde. Ich bitte Sie sehr, diesen feinen Unterschied, den Sie an den Urkunden ablesen können, zu berücksichtigen.

Das, was früher einfach die Fahrbereitschaft war, war dann die Standortfahrbereitschaft. Und die Standortfahrbereitschaft unterstand, wie früher die Fahrbereitschaft, der Kommandantur in Auschwitz I. Und daneben gab es keine selbständige Fahrbereitschaft, ebensowenig wie es eine selbständige Politische Abteilung in einem der Nebenlager, eine selbständige Abteilung Verwaltung, oder was immer Sie nehmen wollen, gegeben hätte. Dazu bestand auch überhaupt kein Anlaß, zu einer solchen Trennung.

Der Zeuge Gaar, den ich schon erwähnt habe, hat es hier bestätigt, und er muß es ja wissen. Er war unter den Unterführern einer derjenigen, die einen gewissen Überblick hatten. Er hat gesagt, es gab keine Trennung bei der Fahrbereitschaft. Der Zeuge Heger, der von 1940 bis zum Schluß in Auschwitz bei der Fahrbereitschaft war, sagt: »Für die Gaskammerfahrten erteilte der Kommandant oder Adjutant mündlich die Befehle.« Die Praga- Halle – und das ist jene Institution, auf die der Angeklagte Höcker die Verantwortung abwälzen will –, die Praga-Halle lag etwas näher nach Birkenau, und dort standen die Wagen, die zu den Gaskammerfahrten eingesetzt worden sind. Die Praga- Halle, so sagt der Zeuge Heger – der es schließlich wissen muß und der keinen Grund hat, uns hier irgend etwas zu erzählen, insbesondere keinen Grund, den Angeklagten Höcker zu entlasten –, die Praga-Halle unterstand Auschwitz I, wie die gesamte Fahrbereitschaft. So sagte [+ Heger]. Und ich kann immer nur in diesem Zusammenhang auch die Angeklagten beim Wort nehmen. Der Angeklagte Baretzki sagt auch, die Kommandantur von Auschwitz I meldete den Transport an die Blockführer. Und wenn sie den Transport an die Blockführer gemeldet hat und der Zeuge Heger bekundet, daß es keine getrennte Fahrbereitschaft gab und daß die Meldung von Auschwitz I kam, dann weiß ich nicht, wo man da noch zweifeln sollte.


Der Angeklagte Baretzki, dem es gelegentlich gelungen ist, sich ein bißchen frei zu machen von jener Mauer des Schweigens, die ja heute noch unter den Angeklagten herrscht, der Angeklagte Baretzki sagt: »Der Angeklagte Höcker mußte auch auf der Rampe sein. Es gehörte zu seinen Pflichten. Was Höcker sagt«, so der Angeklagte Baretzki, »ist nicht wahr.«

Nicht anders, meine Damen und Herren, ist es mit der Fernschreibstelle gewesen. Ich erinnere an die Zeugin Bartsch, die zu dieser Zeit, als die Ungarn-Transporte kamen, bei der Fernschreibstelle tätig war. Sie sagt: »Meines Erachtens sind alle Fernschreiben zur Kommandantur I gegangen. Wir haben auch die Vollzugsmeldungen alle durchgegeben, wir Fernschreiberinnen bei der Kommandantur in Auschwitz I.« Und sie sagt: »Es gab keine Fernschreibstelle in Birkenau.«

Im übrigen, falls es wirklich noch darauf ankommen sollte, der Angeklagte Höcker hat es in der Voruntersuchung selbst eingestanden. Er hat in seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter am 6. Juni 1962 – und das ist ihm auch vorgehalten worden bei seiner Vernehmung zur Sache – auf die Frage, was mit den Fernschreiben geschah, die Judentransporte ankündigten, gesagt: »Der Eingang des Fernschreibens mußte in einem Quittungsbuch bestätigt werden. Dies war ein Beleg für die Fernschreibstelle, daß sie das Fernschreiben weitergeleitet hatte. Wenn sie dem Kommandanten direkt vorgelegt wurden, hat er auch selbst quittiert. Wenn der nicht anwesend war, wurden dieselben bei mir abgegeben. Dann habe ich quittiert. Die Fernschreiben habe ich dann dem Kommandanten vorgelegt. Baer hat dann die Fernschreiben an das Lager II weitergeleitet.«21

Und er hat dann in dieser Vernehmung auch gesagt, er könne zahlenmäßig nicht angeben, wie viele Fernschreiben über »Sonderbehandlung« von ihm gegengezeichnet worden sind. Das ist auf Blatt 11.667 der Akten22. Und ich erwähne es in diesem Zusammenhang nur, falls das Gericht es gleichwohl für erforderlich erachten sollte, noch einmal in die Beweisaufnahme einzutreten und dies nach den Vorschriften über die Verlesungen eines Geständnisses zu verlesen. Denn ich glaube, es ist nicht verlesen worden. Aber darüber hinaus, meine Damen und Herren, glaube ich nicht, daß es nötig sein wird, den Angeklagten Höcker insoweit selbst beim Wort zu nehmen.

Soweit der Angeklagte Höcker und sein Verhalten bei der Ankündigung von RSHA-Transporten betroffen ist, haben wir den Zeugen Walter, der damals Spieß bei der Kommandantur war. Der Zeuge Walter ist aus Ihnen bekanntem Anlaß hier dreimal vernommen worden. Nachdem er bei der ersten Vernehmung sich an absolut nichts erinnern konnte, hat er bei seiner zweiten Vernehmung hier gesagt, der Adjutant, also Höcker damals, hat die Fernschreiben, die die RSHA-Transporte ankündigten, erhalten. Er hat erklärt: »Ich habe einmal dabeigestanden, als Höcker telefonisch die einzelnen Abteilungen von der durch Fernschreiben gemeldeten Ankunft eines Transportes unterrichtete, Schutzhaftlagerführung, Verwaltung, Politische Abteilung.«

Der Zeuge Walter ist dann noch einmal vernommen worden, und er hat in dieser Vernehmung genau das bestätigt, was er damals gesagt hat. Es seien fast alles Geheimschreiben gewesen. Zum Teil hätten sie entschlüsselt werden müssen, hat er noch hinzugefügt. Dann wurden sie zur Adjutantur gebracht. Und dann hat er gesagt: »Fernschreiben hat in jedem Fall der Adjutant erhalten. Ich selbst«– Walter – »habe sie zwei- oder dreimal entgegengenommen und dann dem Angeklagten Höcker«– den er beim Namen nennt – »übergeben.« Und er hat wiederholt, daß der Adjutant Höcker die verschiedenen Abteilungen von der Ankunft eines Transportes verständigt habe. Und das sei 1944 gewesen.

Ich glaube nicht, daß ich in diesem Zusammenhang auf die Vernehmung eines Staatsanwalts eingehen muß.

Für den Angeklagten Höcker kann hinsichtlich der objektiven Tatseite also nichts anderes gelten als das, was ich für den Angeklagten Mulka bereits ausführlich geschildert habe. Zur subjektiven Tatseite ist zu sagen – und ich darf in diesem Zusammenhang erinnern, was Herr Kollege Vogel im Hinblick auf den Angeklagten Hofmann ausgeführt hat: Der Angeklagte Höcker war ein alter KZ- Mann. Er kam aus Majdanek, nachdem er vorher schon in anderen Konzentrationslagern gewesen ist, aus Majdanek, aus einem Lager, in dem auch gemordet wurde – das darf ich wohl als historisch bekannte Tatsache unterstellen. Und es war, nach allem, was wir wissen, doch schlechthin ausgeschlossen, daß die Stellung eines Adjutanten in Auschwitz einem SS-Führer anvertraut worden wäre, der sich nicht bedingungslos mit den dort vollbrachten Morden einverstanden erklärt und sie sich nicht zur eigenen Sache gemacht hätte.

Meine Damen und Herren, die Telefone und das Papier, das die Angeklagten Höcker und Mulka auf ihren Schreibtischen bewegten, wurden zu Mordwaffen, wirkungsvoller als nur eine Phenolspritze oder nur eine Büchse Zyklon B. Daß die Angeklagten den Umfang der Opfer kannten, die ihre Maßnahmen erforderten, dürfte unter den gegebenen Umständen nicht zweifelhaft sein. Ich darf in diesem Zusammenhang noch einmal zurückkommen auf das, was uns der Zeuge Doktor Paczuła hier am 30.4.1964 gesagt hat. Er hat von Sommer 1942 bis September 1944 130.000 Tote in das Totenbuch von Auschwitz I eingetragen. Er hat gesagt, es waren nur Männer, und er hat hinzugefügt: »Die Todesmeldungen gingen als sogenannte Kommandanturmeldungen an die Kommandantur.«

Wir haben hier am 19.2.1965 die Zeugin Danuta Czech gehört, die im Auschwitz-Museum mit der Zusammenstellung des sogenannten Kalendariums beschäftigt ist. Die Zeugin hat uns im einzelnen erklärt, auf welchen Unterlagen das »Kalendarium« aufgebaut ist. Zu einer wahllos herausgegriffenen Meldung über die Abfertigung eines RSHA-Transportes hat sie gesagt: »Ja, das waren holländische Transporte damals. Die Listen haben wir von dem entsprechenden Institut aus Holland bekommen.«

Wenn Sie das »Kalendarium« durchsehen nach der Art und Weise, wie die RSHA-Transporte von der Zeugin in diesem »Kalendarium« behandelt worden sind, dann werden Sie sehen, daß sie in der Regel sagt: Es kam ein RSHA-Transport von Soundso, die und die Nummern wurden an die Häftlinge ausgegeben, die ins Lager kamen; der Rest wurde vergast. Sie ist sehr, sehr vorsichtig. Sie gibt keine Zahlen an, wo sie es nicht sicher weiß. Und die Fälle, in denen die Zeugin Zahlen angibt, sind weitaus in der Minderheit, jedenfalls was die Jahre 1942 und 1943 betrifft. Und wenn Sie nun die RSHA-Transporte im August 1942 nur nehmen – nur im August – und im Januar und im Februar 1943, um einen weit möglichen Spielraum zu lassen, wo der Angeklagte Mulka möglicherweise nicht da war

Vorsitzender Richter [unterbricht]:

Höcker.

Staatsanwalt Kügler:

Mulka, 42.

Vorsitzender Richter:

42, ja.

Staatsanwalt Kügler:

August 42, Januar und Februar 43. Und [+ wenn Sie] nun nur diejenigen Zahlen nehmen, die die Zeugin Czech positiv angeben konnte aufgrund von amtlichen Unterlagen, dann kommen Sie für diese drei Monate auf 36.502 Personen, die vergast worden sind. Bei dieser Zusammenstellung habe ich einen Transport, den sie auf 8.000 Personen geschätzt hat – und das ist die einzige Schätzung in diesem Zusammenhang –, auf 5.000 reduziert. Und in diesem »Kalendarium« sind für die Zeit von Februar 1942 bis August 1942 – weiter geht es nicht, weil dann das Totenbuch fehlt – 20.264 im Lager Verstorbene eingetragen; dazu kommen 1.256 Russen. Das betrifft die Zeit, in der der Angeklagte Mulka in Auschwitz tätig war.

Und hinsichtlich des Angeklagten Höcker darf ich auf den Zeugen Hilse Bezug nehmen, den ich schon im Zusammenhang mit den angeklagten Ärzten erwähnt habe. Der Angeklagte Höcker war ab Mai 1944 in Auschwitz. Wenn Sie nur die Ungarn- Transporte nehmen, es sind mindestens 100.000. Und dazu kommt – ich halte das für wichtig im Hinblick auf seine Tätigkeit als Leiter der Fahrbereitschaft – die Liquidation des Zigeunerlagers. Die Zigeuner sind ja auf Lastkraftwagen weggefahren worden. Und zumindest die Liquidation des Theresienstädter Lagers, das sind Tausende – und gar nicht zu sprechen von den Lagerselektionen.

Meine Damen und Herren, so wie diese beiden Angeklagten in Auschwitz tätig geworden sind, haben sie nicht nur ein mörderisches Ende und ein in Worten nicht mehr faßbares Elend über Zehntausende Männer und Frauen und ungezählte Kinder gebracht. Sie gehören auch zur untersten Garnitur jener, welche der Jugend unseres Volkes, des ganzen Deutschlands, den Weg in eine freie und glückliche Zukunft bis zur Unmöglichkeit erschwert haben. Es fehlte diesen Angeklagten die Fähigkeit, auch nur zu erschrecken, und alle Phantasie, um zu fürchten, was sie taten.

Ich beantrage, den Angeklagten Höcker wegen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus zu verurteilen, ihm die bürgerlichen Ehrenrechte für dauernd abzuerkennen und den Haftbefehl aufrechtzuerhalten.

Ich beantrage, den Angeklagten Mulka wegen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus zu verurteilen, ihm die Bürgerrechte für dauernd abzuerkennen und den Haftbefehl aufrechtzuerhalten.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident.