Der blutige Alois
Eines Morgens hatte ich im Block 5 (neue Nummerierung) Arbeitskameraden besucht und rannte schnell zum Appell über den schon leeren Korridor – da stand ich plötzlich von Angesicht zu Angesicht mit „Krwawy Alojz“, der mich erkannte, obwohl fast ein Jahr vergangen war. Er hielt an und schrie mit einigem Erstaunen, aber gleichzeitig mit einer mir unverständlichen Freude: „Was? Du lebst noch?“ Er packte mich an der Hand und schüttelte sie. Was hätte ich tun sollen? Ich riss mich nicht los. Ein eigenartiger Mensch war das. Von den blutrünstigen Kerlen der ersten Zeit, zu denen er auch gehörte, waren schon einige nicht mehr am Leben.
Lager-Inspektionen
Die Lagerführung wollte die das Lager besuchenden Kommissionen (unter ihnen tauchten irgendwelche Männer in Zivilkleidung auf) das Lager in einem möglichst guten Licht zeigen. Sie wurden in die neuen Blöcke geführt und nur dorthin, wo Betten waren. Die Küche kochte an diesem Tag ein gutes Essen. Das Orchester spielte schön. Das Lager betraten nach der Arbeit nur gesunde, starke Kommandos und die Handwerker. Die restlichen Kommandos – die „Zugänge“ und andere von erbärmlichem Aussehen – warteten auf dem Feld, bis die Kommission abgefahren war, die vom Lager einen vollkommen angenehmen Eindruck bekommen hatte. Es war nötig, das Lager von einer besseren Seite zu zeigen, und die Machthaber waren gezwungen einige der Henker aus den ersten Lagermonaten in ein anderes Lager zu verlegen, insbesondere die am meisten gehassten – unter ihnen auch Krankemann und Sigrud. Nachdem man sie in an der Bahnstation in Eisenbahnwaggons gesteckt hatte, gaben die die Arbeit der Häftlinge an dieser Station beaufsichtigenden SS-Männer, den Häftlingen zu verstehen, dass sie nichts dagegen hätten, wenn sich die Häftlinge nun an ihnen rächen würden. Die Häftlinge hatten nur darauf gewartet. Sie drangen in die Waggons ein und hängten Krankemann und Sigrud an ihren eigenen Gürteln auf. Die SS-Männer hatten sich solange auf die andere Seite gedreht und mischten sich nicht ein. So starben die Henkersknechte.
Jeder Zeuge so vieler von den Machthabern sanktionierter Morde war unangenehm, auch wenn es ein deutscher Kapo war. Nun waren auch diese beiden keine Zeugen mehr.
März 1942 - noch mehr Mitglieder
Die Organisation wuchs immer weiter. Zusammen mit Kamerad 59 [Henryk Bartosiewicz] erreichten wir, dass folgende Leute beitraten: Oberst 23 [Aleksander Stawarz], Oberstleutnant 24 [Karol Kumuniecki] sowie neue Leute: 90 [nicht bekannt], 91 [Stanisław Polkowski], 92 [Wacław Weszke], 93, 94 und 95 [alle nicht bekannt]. Unser prachtvoller 44 [Wincenty Gawron] kümmerte sich um mehrere Kameraden, er gab ihnen auch sein Essen, denn er portraitierte einen der Machthaber und konnte sich damit Essen für sich selbst verdienen.
Ein Transport aus Warschau (März 1942) brachte wieder viele meiner Bekannten und Nachrichten, was bei uns geschah. Es kamen Major 85 [Zygmunt Bohdanowski] und der durch und durch ehrenhafte 96 [Tadeusz Stulgiński] – er war Rekordhalter, was die Schläge in der Szucha-Allee und im Pawiak betraf. Von ihnen erfuhr ich, dass Oberst 1 [Władysław Surmacki] wieder verhaftet worden und im Pawiak inhaftiert sei. Oberst 1 hatte Kamerad 96 zu mir geschickt. Ich brachte ihn über 97 [Jan Machnowski], der schon bei uns mitarbeitete, in seinem Kommando unter.
Gleichzeitig expandierten wir in zwei andere Richtungen und zogen 98 und 99 [beide nicht bekannt] im Baubüro in unsere Arbeit hinein sowie 100 [nicht bekannt] und 101 [Witold Kosztowny] im Krankenhaus. In dieser Zeit starb Prof. 69 [Roman Rybarski].
Die Organisation stützte sich auf zwei institutionelle Pfeiler: den Häftlingskrankenbau HKB und den Arbeitsdienst. Wenn wir einen der unseren aus einem Transport retten und unter ein Dach bringen oder einen aus einem Kommando nehmen mussten, wo er schon anfing unangenehm aufzufallen bzw. ein Schuft ein Auge auf ihn geworfen hatte, oder wenn es nötig war, irgendeinem Kommando einen Teil unserer Arbeit zuzuführen – dann ging man zu Dr. 2 [Władysław Dering] und sagte: „Dziunek, morgen kommt Nr… zu dir, den du für einige Zeit im Krankenhaus aufnehmen musst.“ Die Sache konnte auch über Dr. 102 [Rudolf Diem] geregelt werden. Wenn die Aufnahme schon gemacht war, dann war der Häftling für den Kapo erledigt, da aus dem Krankenhaus nur wenige zurückkamen. Dann ging man zu 68 [Mieczysław Januszewski, Arbeitsdienst] und sagte: „Gib uns einen Zettel für die Nr… damit er ins Kommando X kann“, oder manchmal zu 103 [nicht bekannt], was auch gute Resultate brachte – und die Sache war erledigt.
April 1942
Die Flucht von Stefan Bielecki und Wincenty Gawron
Auf diese Art bereiteten wir ebenfalls die Flucht von 25 [Stefan Bielecki] und 44 [Wincenty Gawron] vor. Beides waren erstklassige Menschen, und beide waren hier für Waffenbesitz. Ihre Fälle waren nachgewiesen, und man würde sie auf jeden Fall erschießen. Die Frage war nur, wie schnell ihre Fälle in der politischen Abteilung Grabner auffallen würden. Wie durch ein Wunder waren sie noch am Leben. 44 porträtierte SS-Männer und sein Fall wurde vielleicht deswegen auf die Seite geschoben. Aber allzu lange konnte das nicht dauern.
Wir verlegten 25 auf die Art wie oben beschrieben im Februar 1942 in das Kommando „Harmense“ – das waren Fischteiche, die sich einige Kilometer vom Lager entfernt befanden, und wo sich die Häftlinge um die Fische kümmerten und auf diesem Gebiet auch wohnten. Viel später, im April, ging auch 44 dorthin, und am selben Tag, als er mit meiner Nachricht an 25 auftauchte, dass er nicht auf mich warten, sondern sich einfach nur aus dem Staub machen solle, rissen beide aus.
Sie flohen aus einem kleinen Haus durch das Fenster und brachten meinen Bericht nach Warschau.
Krise in der Bildhauerei
Im Königreich von Erich Grönke, in der Gerberei, kam es im Kommando der Bildhauer und ausgewählten Tischler (nachdem Konrad in den Bunker gesteckt worden war) zu einer Krise. Tadek Myszkowski, der den Kapo vertrat, kam in eine schwierige Lage. Den sanften sich an den schönen Künsten ergötzenden Blick Konrads ersetzte der boshafte und stechende Wildkatzenblick Erichs. Bald wollte er das zerstören, was Konrad aufgebaut hatte und nannte die Existenz der Bildhauerei einen Luxus, löste diese auf und befahl uns, Löffel anzufertigen. Zum Kapo gab er uns einen Wüstling, einen boshaften Idioten. Den Tischlern, die sich damit beschäftigt hatten, Kunstschatullen anzufertigen, befahl er, Schränke und die ordinärsten Dinge herzustellen. In der Löffelwerkstatt fertigten wir je fünf Löffel pro Tag, später 7 und schließlich 12.
Zu der Zeit arbeitete dort der ehemalige Abgeordnete 104 [Józef Putek]. Dann zog ich folgende Kameraden mit in die Organisation hinein: 105 [Edward Berlin], 106 [nicht bekannt], 107 [nicht bekannt], einen ehemaligen Soldaten unserer Partisaneneinheit (im Jahr 1939) – 108 [Stanisław Dobrowolski] sowie Unterleutnant 109 [nicht bekannt], 110 [Andrzej Makowski-Gąsienica], 111 [nicht bekannt]. Von jenen, die das von uns hergestellte Spielzeug bemalten (dort hatte kurz vor dem Bunker auch 62 [Jan Karcz] gearbeitet), trat der vom freigelassenen Hauptmann 8 [Ferdynand Trojnicki] vermittelte Offiziersanwärter 112 [Stanisław Jaster] unserer Organisation bei.
Uns fehlt nur noch ein Kommando
Wir hatten schon alle Kommandos unter unsere Kontrolle gebracht, aber in eines konnten wir nicht hineinkommen. Endlich war es so weit: Im Februar 1942, als wir „kommandiert“ waren und erst spät ins Lager zurückkehrten, erfuhr ich nach der Rückkehr in den Block von 61 [Stanisław Piekarski], dass 68 [Mieczysław Januszewski] da sei. Die „Funkstelle“ brauchte zwei Kartographen, um Karten zu zeichnen. 61 gab seine Nummer und die unseres ehemaligen Kapitäns zur See 113 [Sokołowski] an. Nach ein paar Tagen zeigte sich, dass 113 die Hand zitterte, also verlegten wir ihn in das Kartoffelschäl-Küchenkommando für die SS, wo ihm gutes Essen sicher war, und ich schmuggelte mich auf seinen Platz. (Nach Rücksprache mit Nummer 52 [Tadeusz Myszkowski] aus der Holzschnitzerei).
Mit 61 arbeiteten wir ein paar Wochen an den Karten. Nachdem ich dank 77 [Zbigniew Ruszczyński] die Lage überblicken konnte, gelang es mir in dieser Zeit endlich hier (an diesem Ort arbeiteten bei der Station SS-Männer, außerdem gab es auch Lehrgänge), die uns fehlenden Lampen und andere Teile zu bekommen, denen wir schon lange ohne Erfolg hinterhergejagt hatten.
Unser Funkgerät - Kontakte zur Zivilbevölkerung
Aus dem Vorrat an Ersatzteilen, zu denen unsere Häftlinge Zugang hatten, bauten wir innerhalb von sieben Monaten ein eigenes Funkgerät, das Unterleutnant 4 [Alfred Stössel] bediente – an einem Ort, den die SS-Männer nur sehr ungern betraten.
Im Herbst 1942 mussten wir das Gerät aufgrund der etwas zu losen Zunge eines unserer Kameraden demontieren. Wir strahlten Sendungen aus, die von anderen Stationen wiederholt wurden: Nachrichten über die Anzahl der „Zugänge“ und Toten im Lager, den Zustand und die Bedingungen, in denen die Häftlinge sich befanden. Die Machthaber waren rasend vor Wut und rissen bei der Suche die Böden in den Werkstätten im „Industriehof I“ und in den Lagerräumen heraus. Weil wir nur selten und zu unterschiedlichen Zeiten sendeten, war es schwer uns zu orten. Am Ende gaben die Machthaber die Suche im eigentlichen Lager auf und machten im Gebiet außerhalb, in der Region Oświęcim, weiter. Sie erklärten sich die detaillierten Nachrichten aus dem Lager mit unseren Kontakten zu einer Organisation außerhalb, die über Zivilarbeiter stattfanden. So wurde im Gemeinschaftslager gesucht.
Und Kontakt über die Zivilbevölkerung gab es tatsächlich. Der Weg zu uns führte über Kontakte mit der Zivilbevölkerung (unter denen Mitglieder der Organisation draußen waren) in Brzeszcze und auch über das Gemeinschaftslager über jene, die bei uns arbeiteten und die scheinbar unsere Vorgesetzten waren. Einen weiteren Kanal gab es auch nach Buna über Kontakte mit den Zivilarbeitern.
Dienstleistungen der Organisation
Dienstleistungen der Organisation, mein Kamerad Henryk Bartosiewicz
Auf diese Art übermittelte ich auch ein ganzes Bündel von chiffrierten deutschen Abkürzungen „in die Freiheit“, sogenannte „Verkehrsabkürzungen“.
Aus der Freiheit bekamen wir Medikamente, Spritzen gegen Fleckfieber. Dabei arbeitete auf der einen Seite Dr. 2 [Władysław Dering] und auf der anderen mein Kamerad 59 [Henryk Bartosiewicz]. Das war ein interessanter Zeitgenosse. Er nahm alles mit Humor, und alles gelang ihm. Er rettete, fütterte mehrere Kameraden solange bei sich im Saal und in der Gerberei, bis er sie soweit aufgepäppelt hatte, dass sie weiter für sich selbst sorgen konnten. Es war immer jemand in der Gerberei, dem er Zuflucht gewährte. Er ging aufs Ganze, mutig, mit einer gewissen Unverfrorenheit, wo ein anderer sich schon längst zurückgezogen hätte. Hoch gewachsen, mit breiten Schultern, einem heiteren Gesicht und großen Herz.
Besuch von Himmler
Einmal erschien Heinrich Himmler mit irgendeiner Kommission. 59 [Henryk Bartosiewicz] war zu der Zeit Stubendienst im Block 6 (alte Nummerierung) und wurde darüber belehrt, wie er vor Himmler zu rapportieren hatte, vor dem alle zitterten. Als dieser feierliche Moment kam und Himmler den Saal betrat, da stand 59 vor ihm und… sagte nichts. Dann brach er in Lachen aus – und Himmler lachte ebenfalls. Vielleicht rettete ihn, dass Himmler von zwei Herren in Zivil begleitet wurde und ihm ein so milder Umgang mit einem Häftling eine willkommene Reklame für seine Einstellung gegenüber einem Häftling war.
Henryk Bartosiewicz
Henryk Bartosiewicz und eine deutsche Untersuchungskommission
Ein anderes Mal in der Gerberei sah 59 durch das Fenster auf dem Hof eine Kommission, die die Werkstätten besichtigte und auf die Tür zuging, durch die sie in die große Halle gelangte, in der die Gerber arbeiteten. Er packte einen Gummischlauch, und so als ob er Ordnung machen würde, spritze er Wasser auf die Wände und auf den Boden – dabei spritze er ganz besonders und gründlich die aus deutschen Offizieren bestehende Kommission ab. Er tat so, als ob er sich schrecklich erschrocken hatte, warf den Schlauch auf den Boden und stand stramm… Und erneut passierte nichts.
Wenn die Kolonnen der Häftlinge mit düsteren Gedanken in das Lager zurückkehrten, dann gab 59 plötzlich mit lauter Stimme polnische Kommandos und zählte laut: raz, dwa, trzy…[eins, zwei, drei…].
Er hatte sicher auch Fehler, aber wer hat die nicht. Auf jeden Fall hatte er immer viele Freunde und Anhänger um sich. Er beeindruckte sie und hätte viele anführen können.
Letzte Freilassungen
Die letzten Freilassungen hatten im März 1942 stattgefunden, dabei wurden ein paar Kameraden aus dem Orchester entlassen, da der Kommandant, der Musik liebte, bei den Behörden in Berlin erreicht hatte, dass er jedes Jahr ein paar Musiker aus dem Orchester entlassen könne. Dem Orchester wurde gesagt: Jener, der sich bemühe gut zu spielen, werde freigelassen, also spielte das Orchester schön. Der Kommandant berauschte sich an der Musik. Jedes Jahr wurden aber nur jene entlassen, die diesem Orchester am wenigsten nützlich waren.
Ab Ende März wurde das ganze Jahr über keiner freigelassen, da die Existenz auch nur irgendeines Oświęcimer Zeugen in Freiheit äußerst unerwünscht war, besonders wegen dem, was sich in Oświęcim in diesem Jahr abzuspielen begann.
Das Frauenlager
In den von uns durch die Mauer abgetrennten Teil von Oświęcim wurden die ersten Frauen eingeliefert: Prostituierte und Verbrecherinnen aus deutschen Gefängnissen – man ernannte sie zum der Erziehungsapparat für die bald darauf hierhergebrachten redlichen Frauen, „politische Verbrecherinnen“.
In Brzezinka fanden bereits in den bereits fertigen Gaskammern täglich die ersten Massenvergasungen von Menschen statt.
Am 19. März 1942 wurden 120 (144) Frauen ins KL Auschwitz-Birkenau eingewiesen – Polinnen. Sie lächelten die Häftlinge an, die das Lager in Kolonnen betraten. Nach der Untersuchung, und möglicherweise durch eine besondere Foltermethode (was niemand bestätigen konnte), wurden am Abend desselben Tages einige in Stücke abgeschlachtete Körper auf Wagen ins Krematorium gefahren, mit abgetrennten Köpfen, Armen, Beinen, Brüsten, verstümmelte Leichen.
Adam Cyra präzisiert, dass es 144 Polinnen aus dem Gefängnis in Myslowice (einem Städtchen 9 km östlich von Katowice) waren.
Die neuen Krematorien in Birkenau
Das alte Krematorium war nicht in der Lage, die Leichen aus unserem Zentrallager und noch zusätzlich die Leichen aus Rajsko zu verbrennen. (Der im Jahr 1940 gebaute Kamin barst und fiel von den ständigen heißen Ausdünstungen aus den Körpern in sich zusammen. Ein neuer wurde gebaut). Also wurden die Leichen in breiten Gräben begraben; dazu wurden aus Juden zusammengesetzte Kommandos genommen. In aller Eile baute man zwei neue Krematorien mit einer elektrischen Verbrennungsvorrichtung in Birkenau.
Die Pläne wurden im Baubüro gemacht. Kameraden aus dem Büro berichteten mir folgendes: Jedes Krematorium hat acht Abteile, in das man jeweils zwei Körper legen kann. Ein dreiminütiger elektrischer Brennvorgang. Die Pläne wurden nach Berlin geschickt. Nach ihrer Bestätigung kamen sie mit dem Befehl zurück, bis zum ersten Februar fertig zu sein; später verschob man den Termin auf den ersten März, und im März waren sie fertig. Jetzt fing die Fabrik an, mit voller Kraft zu arbeiten. Es kam der Befehl, alle Spuren der bisherigen Morde zu beseitigen. Also begann man, die in den Gräben zugeschütteten Leichen wieder auszugraben. Es waren Zehntausende.
Die Leichen waren schon daran zu verwesen. In der Nähe dieser geöffneten großen Massengräber herrschte ein bestialischer Gestank. Einige Zugeschüttete älteren Datums wurden ausgegraben, indem man bei der Arbeit Gasmasken trug. Die Arbeitsbelastung in dieser ganzen Hölle auf Erden war gewaltig. Neue Transporte wurden in einem Tempo von über tausend Opfern pro Tag vergast. Die Leichen wurden in den neuen Krematorien verbrannt.
Um die Leichen aus den Gräben auszugraben, wurden Kräne eingesetzt, die ihre großen Eisenkrallen in die verwesenden Leichen rammten. Hier und da spritzte in kleinen Fontänen stinkender Eiter hervor. Von den Kränen aus den Leichenschwaden herausgerissene und manuell herausgeholte Leichenklumpen wurden zu riesigen Scheiterhaufen gebracht, die sich abwechselnd aus Holz und menschlichen Resten zusammensetzten. Diese Scheiterhaufen wurden in Brand gesetzt. Manchmal scheute man sogar nicht davor, beim Anzünden Benzin zu benutzen. Die Scheiterhaufen brannten Tag und Nacht über zweieinhalb Monate und verbreiteten um Oświęcim herum einen Geruch nach verbranntem Fleisch und menschlichen Knochen.
Die für diese Arbeit eingesetzten Kommandos waren ausschließlich aus Juden zusammengesetzt und lebten nur zwei Wochen. Nach dieser Zeit wurden sie vergast, und ihre Körper verbrannten andere neu angekommene Juden, die zu neuen Arbeitskommandos zusammengeschlossen wurden. Diese wussten noch nicht, dass ihnen nur noch zwei Wochen blieben und hatten noch Hoffnung weiterzuleben.
Frühling
Die Kastanien und Apfelbäume standen in prächtiger Blüte. Besonders zu dieser Jahreszeit, im Frühling, war die Gefangenschaft am schwersten zu ertragen. Wenn wir in der Kolonne marschierten und Staubwolken auf der grauen Straße in die Gerberei aufwirbelten, dann sahen wir einen schönen Sonnenaufgang, sich rötlich färbende, wunderschöne Blumen in den Gärten und an den Bäumen neben der Landstraße. Oder wenn wir auf dem Rückweg junge Paare trafen, die den Duft des Frühlings einatmeten, oder Frauen, die zufrieden ihre Kinder im Kinderwagen ausfuhren – dann kam einem ein Gedanke in den Sinn, der unruhig im Kopf umhergeisterte, irgendwo verschwand und wieder hartnäckig einen Weg nach draußen oder eine Antwort auf die Frage suchte: „Sind wir alle zusammen Menschen?“ Jene, die inmitten Blumen umherspazieren und jene, die in die Gaskammern gehen? Und jene, die ständig neben uns mit ihren Bajonetten umherspazieren, und wir, die seit einigen Jahren dem Tod unerschrocken ins Auge Blickenden?
Frauentransporte
Die ersten größeren Frauentransporte wurden angeliefert und in den eingezäunten Blöcken untergebracht (Nummer 1–10, neue Nummerierung). Bald darauf kam ein Transport nach dem anderen voller Frauen an. Es kamen Deutsche, Juden und Polen. Alle wurden unter die Aufsicht eines aus verbrecherischen Elementen gebildeten Apparats gestellt: Prostituierte und Verbrecherinnen. Bis auf die Deutschen wurden allen die Haare auf dem Kopf und am Körper abrasiert. Diese Tätigkeit wurde von unseren männlichen Friseuren durchgeführt. Die Neugierde der Friseure, denen nach Frauen gedürstet hatte, und die Sensation verwandelte sich schnell in Erschöpfung, da ihr Verlangen nicht befriedigt wurde und das Übermaß Widerwillen erregte.
Die Frauen wurden den gleichen Bedingungen unterworfen wie die männlichen Häftlinge. Sie waren jedoch nicht mit den so schnellen Tötungsmethoden konfrontiert wie wir im ersten Jahr des Bestehens des Lagers; denn auch bei uns im Männerlager hatten sich die Methoden schon geändert. Aber genauso wie uns töteten sie auf dem Feld der Regen, die Kälte, die ungewohnte Arbeit, die unzureichenden Ruhezeiten und das Stillstehen bei den Appellen.
Jeden Tag trafen wir die gleichen Kolonnen von Frauen – wir gingen aneinander vorbei, wenn wir in unterschiedliche Richtungen zur Arbeit strebten. Vom Sehen kannten wir schon einige Gestalten, Köpfe, einige feine Gesichter. Zu Anfang hielten sich die Frauen tapfer, bald darauf verloren sie den Glanz der Augen, das Lächeln auf den Lippen und die Frische ihrer Bewegungen. Einige lächelten noch, aber immer trauriger. Die Gesichter wurden grau, aus den Augen blickte ein fast animalischer Hunger. Langsam wurden sie zu „Muselfrauen“. Immer häufiger bemerkten wir, dass uns bekannte Gestalten in ihren Fünfergruppen fehlten.
Die Kolonnen der Frauen, die zu Tode gearbeitet werden sollten, wurden von ebensolchen Pseudo-Menschen begleitet, die die Heldenuniform des deutschen Soldaten trugen, und von einer ganzen Meute Hunde. Bei der Arbeit auf dem Feld wurde eine Hundertschaft von Frauen von zwei, manchmal einem „Helden“ und mehreren Hunden bewacht. Die Frauen waren geschwächt und konnten von einer Flucht nur träumen.
Änderung der Methoden - Phenolspritzen
Im Frühling 1942 wurden wir davon überrascht, dass alle Muselmänner bereitwillig in den HKB aufgenommen wurden, die noch nach der alten Praxis in einem Grüppchen bei der Küche standen, um inspiziert zu werden. Später stand schon niemand mehr im Grüppchen, alle gingen sofort in den HKB-Block 28 (neue Nummerierung), wo man sie ohne viel Federlesens bereitwillig aufnahm.
Es wird besser im Lager – sprachen die Häftlinge untereinander – man wird nicht geschlagen und auch ins Krankenhaus aufgenommen…
Und wirklich, im Krankenhaus lagen auf einigen Betten schon mehrere Kranke, aber immer noch nahm man bereitwillig auf. Nur der SS-Mann Josef Klehr kam täglich und schrieb die Nummern der schwächeren Häftlinge auf. Man dachte, dass sie eine zusätzliche Essensration bekommen würden. Die aufgeschriebenen Nummern wurden dann aufgerufen, und diese Häftlinge gingen in den Block 20 (neue Nummerierung). Bald darauf konnte man in den täglich vor dem Krankenhaus liegenden Leichenbergen dieselben Nummern sehen. (Jeder Häftling, der ins Krankenhaus aufgenommen wurde, bekam seine Nummer groß mit einem wasserunlöslichen Stift auf die Brust geschrieben, damit es keine Probleme gab, die Identität nach dem Tod festzustellen, wenn man die tägliche, lange Liste der Gestorbenen und Ermordeten anfertigte).
Sie wurden mit Phenol ermordet – eine neue Methode.
Ja, das Bild von Oświęcim hatte sich radikal gewandelt. (Wenigstens direkt auf dem Gebiet des Stammlagers). Jetzt konnte man nicht mehr sehen, wie Köpfe mit einer Schaufel gespalten oder Bretter tödlich in die Eingeweide gerammt wurden oder auch wie dem ohne Kraft am Boden liegenden Häftling der Brustkorb zerquetscht wurde. Es barsten keine Rippen mehr unter dem Gewicht der entarteten Henker, die dem Häftling mit ihren schweren Stiefeln auf die Brust sprangen. Jetzt standen die nackt ausgezogenen Häftlinge still und ruhig – die Nummern, die im HKB vom deutschen SS-Arzt aufgeschrieben worden waren – im Gang des Blocks 20 (neue Nummerierung) und warteten geduldig, bis sie an die Reihe kamen. Sie gingen einzeln ins Bad hinter einen Vorhang, wo sie auf einen Stuhl gesetzt wurden. Zwei Henker drückten ihnen die Schultern nach hinten, so dass sich ihr Brustkorb nach vorne bog, und Klehr verpasste ihnen mit einer langen Nadel eine Phenolspritze direkt ins Herz.
Am Anfang applizierte man eine intravenöse Spritze, aber der Delinquent lebte danach noch zu lange – einige Minuten. Um Zeit zu sparen, wurde also die Methode geändert und ins Herz gespritzt: Der Häftling lebte dann nur noch ein paar Sekunden. Die zitternde Halbleiche wurde in ein benachbartes sich hinter der Wand befindendes Klosett geworfen, und die nächste Nummer kam herein. Ja, diese Mordmethode war um einige intelligenter, jedoch abscheulich in seiner Kulisse. Alle, die auf dem Gang warteten, wussten, was sie erwartete. Wenn man an der Reihe vorbeiging, dann sah man Bekannte und sagte ihnen: „Serwus Jasiu“ oder „cześć Stasiu, dziś ty, a jutro może ja.“ [Hallo, Staś, heute bist du dran, morgen vielleicht ich selbst].
Es waren nicht unbedingt Schwerkranke oder Ausgemergelte. Einige kamen nur hierher, weil sie Klehr nicht gefielen und ihre Nummer auf die „Nadelliste“ gesetzt wurde. Einen Ausweg gab es nicht.
Die Henker waren nun auch andere, als zu Beginn des Lagers. Ich weiß jedoch nicht, ob man davon absehen kann, sie degenerierte Menschen zu nennen. Unter Zuhilfenahme der Nadel mordete Klehr mit einer riesigen Begeisterung, irrsinnigen Augen und einem sadistischen Lächeln und machte für jedes ermordete Opfer einen Strich an der Wand. Zu meinen Zeiten umfasste die Liste der von ihm Getöteten um die 14.000 Menschen. Jeden Tag lobte er sich für sein Tun mit einer ungemeinen Befriedigung – so wie ein Jäger von seinen Jagdtrophäen erzählt.
Etwas weniger, um die 4.000 Häftlinge, beseitigte Häftling [Mieczyław] Pańszczyk, und brachte große Schande über sich, da er zugestimmt hatte, freiwillig Spritzen in die Körper seiner Landesgenossen zu rammen.
Einmal passierte Klehr ein Unglück. Nachdem er mit allen aus der Schlange für die Spritze fertig war, ging er wie immer in das Klosett, in das die sterbenden Körper der Häftlinge einer nach dem anderen geworfen worden waren, um sich am Anblick seines Tagwerks zu ergötzen. Da erwachte eine der „Leichen“ wieder zum Leben. (Offensichtlich war ungenau gearbeitet worden, und er hatte zu wenig Phenol bekommen). Er stand auf und mit taumelndem Schritt, über die Leichen der Kameraden hinweg wie ein Betrunkener wankend, kam er langsam auf Klehr zu und sprach: „Du hast mir zu wenig gegeben – gib mir noch etwas!“.
Klehr wurde bleich, aber er verlor nicht die Beherrschung und stürzte sich auf ihn. Jetzt fiel die Maske des kultivierten Henkers von ihm ab – er zog seine Pistole hervor, und weil er keinen Lärm machen wollte, tötete er sein Opfer ohne einen Schuss abzugeben, indem er ihm mit dem Knauf auf den Kopf einschlug. Die Stubendienste im HKB machten täglich einen Bericht über die in ihrem Saal Gestorbenen. Einmal kam es zu einem Zwischenfall. (Ich weiß zumindest von einem, es könnten auch mehr gewesen sein). Der Stubendienst täuschte sich und gab eine Nummer als tot an, die noch lebte – anstatt der, die wirklich gestorben war. Der Bericht ging an die Hauptschreibstube. Aus Angst, seinen Posten zu verlieren und um Ruhe zu haben, befahl dieser Verbrecher dem Kranken, der ein „Zugang“ war und keine Ahnung hatte, was vor sich ging, aufzustehen und in der Schlange für Klehrs Spritze anzustehen. Für Klehr machte es keinen Unterschied, ob es einer mehr war. Auf diese Weise hatte der Stubendienst seinen Fehler ausgebügelt, da sowohl jener bei ihm im Saal als auch jener, der die Spritze von Klehr bekommen hatte [und der als tot gemeldet worden war], Leichen waren. Der Bericht stimmte, da die Nummer des im Saal Gestorbenen zur Liste hinzugefügt wurde.
Eine Rettungsmethode
Wir hatten aber viele Stubendienste im Krankenhaus, die sehr gute Polen waren.
Zweimal mussten wir Nummern ändern, was glatt und ohne jemandem Leid zuzufügen vonstatten ging. Zu der Zeit, als die Sterblichkeit an Fleckfieber sehr groß war, als die Leichen täglich in Massen aus einigen Blöcken geworfen wurden, retteten wir zwei unserer Leute, die wir im Krankenhausblock untergebracht hatten und die hier schwerwiegende Fälle waren. Wir schrieben ihre Nummern auf zwei Leichen und gaben ihnen wiederum die Nummern der Leichen und achteten dabei darauf, dass die Vergehen der gestorbenen Nummern keine allzu wichtigen für die politische Abteilung waren. So wurden sie von uns, ausgestattet mit den gleichzeitig geänderten Geburtsdaten, Nachnamen, Vornamen (die uns von den Kameraden in der Hauptschreibstube geliefert wurden) direkt vom Krankenhaus in Birkenau untergebracht. Sie waren dort noch nicht bekannt, neue Nummern, „Zugänge“ – der Fall wurde abgeschlossen, und unsere Aktion war ein voller Erfolg.
Plan für ein militärisches Eingreifen
Die Organisation wuchs weiter. Ich schlug Oberst 64 [Kazimierz Rawicz] vor, im Fall einer militärischen Aktion meinen Freund Mayor 85 [Zygmunt Bohdanowski] zum militärischen Oberbefehlshaber zu bestimmen, den ich einmal bei unserer konspirativen Tätigkeit im Jahr 1940 für so eine Position in Warschau vorgesehen hatte. Oberst 64 war gerne einverstanden. „Bohdan“ kannte das Gebiet um das Lager herum, er hatte einmal vor Jahren eine Batterie der 5. berittenen Artilleriekompanie angeführt.
Ich entschied dann mit dem Einverständnis von Oberst 64 zu diesem Projekt einen Plan für eine eventuelle [militärische] Aktion aufzustellen, der abhängig war von den auszuführenden Aufgaben, von denen wir vier wichtigsten auflisteten. Für den Plan, das Lager einzunehmen (in Einklang mit dem eigentlichen Ziel der Arbeit hier), wollten wir organisierte Abteilungen vorbereiten, aber das mussten wir auf zwei Arten lösen. Auf eine Art, wenn es einen Arbeitstag betreffen sollte und auf eine andere Art für die Nacht oder einen Feiertag, wenn wir in den Blöcken waren. Auch aus dem Grund, weil wir zu dem Zeitpunkt noch nicht alle als ganze Kommandos in einem Block wohnten. So gestalteten sich die Kontakte, Verbindungen, Anführer bei der Arbeit anders als in den Blöcken. Also musste der Grobriß des Plans auf grundlegende Aufgaben gestützt werden, und um diese umzusetzen, sollten sie auf jeden Fall einzeln ausgearbeitet werden.
Also wurde es nötig, vier Kommandoposten zu besetzen.
Auf den ersten Posten schlug ich Oberst 60 [Stanisław Katuba] vor, auf den zweiten Hauptmann 11 [Tadeusz Reklewski] – auf den dritten schlug Unterleutnant61 [Konstanty Piekarski] Oberleutnant 115 [nicht bekannt] vor und auf den vierten Hauptmann 116 [Zygmunt Pawłowicz – im Lager Julian Trzȩsimiech]. Oberstleutnant 64 [Kazimierz Rawicz] und Mayor 85 [Zygmunt Bohdanowski] waren mit uns einverstanden.
Mit der Hilfe von 59 [Henryk Bartosiewicz] schlossen sich uns schließlich Oberst 23 [Aleksander Stawarz] und Oberstleutnant 24 [Karol Kumuniecki] an und ordneten sich uns unter – nach längeren Gesprächen, in denen wir betonten, dass ein Einvernehmen unbedingt nötig sei und die Notwendigkeit unterstrichen, beharrlich zu schweigen, sogar wenn einer von uns in den Bunker kommen und von den Folterknechten der politischen Abteilung vernommen werden sollte.
Ein erstklassiger Pole, ein Schlesier und mein Freund 76 [Bernard Świerczyna] ist in seinem Abschnitt sehr produktiv, er stattet unsere Reihen mit Unterwäsche, Uniformen, Bettlaken, Decken aus seinem Lager aus. Er gibt vielen unserer Kameraden Arbeit, unter ihnen Arbeitskameraden aus Warschau: Oberleutnant 117 [Eugieniusz Zaturski] und 39 [Kazimierz Radwański, Pileckis Neffe].
Unserer Organisation schließen sich unserer Kamerad 118 [nicht bekannt] und Wachmeister 119 [Jan Miksa] an. Mit einem Transport aus Krakau kommt mein früherer Arbeitskamerad aus Warschau Dr. 120 [Zygmunt Zakrzewski] an.
Bei Krakau wurde zu der Zeit eine Bombenfabrik entdeckt. Sie brachten die Leute hierher und töteten sie rasch. Dr. 120 kam irgendwie aus dieser Sache heraus und fuhr mit einem Transport in ein anderes Lager.
Verräter
Manchmal schickte die Lagerleitung Spitzel zu uns. Irgendein Volksdeutscher, der eingewilligt hatte für Grabner zu arbeiten, gab sich als Pole aus und wollte herausfinden, ob bei uns nicht etwas war. Bevor er zu uns kam oder gleich nach seiner Ankunft wurde er von unseren Kameraden angekündigt, die Verbindungen zu SS-Männern hatten. So ein Herr bekam von uns tröpfchenweise Crotonöl, das wir uns aus dem Krankenhaus besorgt hatten, was ihm geschickt ins Essen gegeben wurde, und bald danach hatte er so eine Magenverstimmung, dass er sich schnell in den HKB begab, um eine Arznei zu bekommen. Dort waren sie vor diesem Schuft gewarnt worden (seine Nummer hatte man aufgeschrieben): Als er kam, gaben sie ihm in einem harmlosen Medikament erneut ein paar Tropfen Crotonöl. Nach einigen Tagen war er so schwach, dass er wieder in den HKB ging, wo dem Liegenden eine angeblich unbedingt nötige Spritze verabreicht wurde – diese war an sich harmlos, wenn sie nicht mit einer rostigen Nadel gemacht worden wäre [eine Blutvergiftung war die Folge].
Zwei andere Fälle sind noch erwähnenswert. Beim ersten – als dieser Herr schon im HKB lag – wurden die Lungen geröntgt, und die Bilder zeigten, dass er eine offene Tuberkulose hatte (es war kein Bild seiner Lunge). Als Klehr am nächsten Tag die Säle durchlief, wurde er als ein Fall von TB präsentiert. Das langte, und er schrieb seine Nummer auf. Der Herr wusste von nichts, aber als er schon zur Nadel geführt wurde, wollte er sich losreißen und drohte mit Grabner. Der zweite Fall war mit diesem fast identisch, bis darauf, dass es ein neuer Mann im Lager war, und als er zur Nadel ging, da ahnte er nichts und drohte niemandem mit Grabner. Er wurde unerwartet mit der Nadel getötet.
Bald gab es jedoch einen großen Aufruhr, da Grabner längere Zeit keine Berichte von ihnen bekommen hatte. Er suchte sie und fand heraus, dass sie schon lange als Rauch durch den Kamin gegangen waren – und mehr noch, dass sie sein Mann Klehr erledigt hatte. Man führte eine Untersuchung im ganzen Krankenhaus durch, um herauszufinden, wie man die zwei so schnell zur Seite gebracht haben konnte. Von da an musste Klehr, bevor er seine Nadel ansetzte, die Liste der Opfer an Grabner schicken, und jener prüfte genau, ob sich nicht einer seiner Mitarbeiter auf der Liste befand.
Fleckfieber
Ich wohnte immer noch im Block 25 im Saal 7. Wenn man die Belegung des Saals mit der von Weihnachten verglich, dann musste man feststellen, dass viele Freunde schon nicht mehr unter den Lebenden waren. Uns tötete ein furchtbares Fleckfieber. Ringsherum waren alle krank. Nur einige von uns alten Freunden hielten noch durch. Wer sich mit Fleckfieber ansteckte, der wurde nur selten gesund. Aber auch unsere gezüchteten Läuse taten das Ihre: In den Baracken der SS-Männer brach auch das Fleckfieber aus, und eine Epidemie breitete sich aus. Die Ärzte bekamen das Sibirische Fleckfieber nur schwer in Griff, die Organismen der SS-Männer ebenso. In den Reihen der SS-Männer gab es immer größere Verluste. Sie wurden nach Katowice ins Krankenhaus geschickt, aber die meisten SS-Männer starben dort.
Juni 1942 - Transport nach Mauthausen
Im Juni ging ein Transport von Oświęcim nach Mauthausen. Oberst 64 [Kazimierz Rawicz] fuhr mit dem Transport mit (obwohl man ihn hätte zurückrufen können) – wie er sagte, hatte er vor, auf dem Weg die Flucht zu versuchen (die aber am Ende nicht stattfand). Mit dem gleichen Transport fuhren auch ab: Offiziersanwärter 15 [Witold Szymkowiak], Wachmeister 119 [Jan Miksa] und Unterleutnant 67 [Czesław Darkowski]. Vor seiner Abfahrt riet mir Oberst 64, dass ich an seiner Stelle Oberst 121 [Juliusz Gilewicz] die Aufnahme vorschlagen sollte, was ich auch tat. Oberst 121 war einverstanden und schloss sich uns an, und wir arbeiteten weiterhin einvernehmlich. Außerdem trat Oberst 122 [Teofil Dziama] bei. In dieser Zeit wurden Oberst 23 [Aleksander Stawarz] und der ehemalige Abgeordnete 70 [Stanisław Dubois] erschossen.
Brzezinka
Nach dem Bau der ersten zwei Krematorien in Birkenau mit elektrischer Brennvorrichtung, begann man gleich mit dem nächsten Bau zwei ähnlicher Krematorien. Inzwischen arbeiteten die beiden ersten schon mit voller Kraft. Die Transporte nahmen kein Ende…
Einen Teil der Häftlinge brachte man zu uns ins Lager, hier wurden sie registriert, und man gab ihnen eine Nummer, die schon über 40.000 hinausging. Aber die überwältigende Mehrheit der Transporte ging direkt nach Brzezinka, wo die Menschen ohne registriert zu werden schnell in Rauch und Asche verwandelt wurden. Durchschnittlich wurden zu der Zeit täglich um die 1000 Körper verbrannt.
Wer kam hier an und warum fuhr er direkt in den Rachen des Todes?
Juden aus Böhmen und Mähren, Frankreich, den Niederlanden und anderen Ländern Europas. Sie fuhren ohne Eskorte, erst ein gutes Dutzend Kilometer vor Oświęcim wurden die Eisenbahnwaggons umstellt und auf das Nebengleis nach Brzezinka geleitet.
Warum waren sie gefahren? Ich hatte die Gelegenheit, einige Male mit Juden aus Frankreich zu sprechen und einmal mit einem hier selten anzutreffenden polnischen Transport. Das war ein Transport von Juden aus Białystock und Grodno [heute Weißrussland]. Aus dem, was sie mir übereinstimmend erzählten, konnte man schließen, dass sie aufgrund offizieller Bekanntmachungen in verschiedenen Städten und Ländern unter deutscher Besatzung weggefahren waren: Aus diesen ging hervor, dass nur noch die Juden weiterleben würden, die zur Arbeit ins Dritte Reich fuhren. Also fuhren sie zur Arbeit ins Reich. Umso mehr, da sie Briefe ermutigten, die Juden aus Oświęcim und sicher auch aus anderen Lagern schrieben, dass sie unter guten Bedingungen arbeiteten und es ihnen gut gehen würde.
Sie hatten das Recht, so viel Handgepäck mitzunehmen, wie sie tragen konnten. Also nahmen sie ein, zwei Koffer mit, worin sie versuchten, ihren ganzen Besitz zu transportieren, sie verkauften unbewegliche und bewegliche Besitzgüter und kauften dafür kleine Wertsachen, zum Beispiel Brillanten, Gold, Golddollars…
Die Zugtransporte, die täglich um die tausend Leute herbrachten, beendeten ihre Fahrt auf dem Nebengleis. Die Züge wurden an der Rampe abgestellt und ihr Inhalt entladen. Was wohl in den Köpfen der SS-Männer vor sich ging?
In den Wagen waren viele Frauen und Kinder. Manchmal auch Kinder in Kinderwagen. Hier sollten alle auf einmal ihr Leben beenden.
Sie transportierten sie wie eine Herde Vieh zum Schlachter.
Einstweilen, ohne irgendwelche Vorahnung, stiegen die Passagiere auf Befehl an der Rampe aus. Um problematischen Szenen vorzubeugen, wurde darauf geachtet, nicht allzu grob mit ihnen umzugehen. Man befahl ihnen, alles Essen auf einen Haufen zu legen, auf einen anderen alle anderen Sachen. Man sagte ihnen, dass sie die Sachen zurückbekämen. Unter den Passagieren verbreitete sich erste Unruhe: Würden ihnen die Sachen nicht verloren gehen, würde sie ihre Dinge wieder finden, würde man ihre Koffer nicht vertauschen…?
Später wurden sie in Gruppen eingeteilt: Männer und Jungen über 13 gingen in eine Gruppe, Frauen und Kinder in eine andere. Unter dem Vorwand, dass ein Bad nötig sei, wurde allen befohlen, sich separat in den zwei Gruppen auszuziehen, um den Anschein eines Schamgefühls zu wahren. Die Kleidung legten die beiden Gruppen ebenso auf zwei große Haufen, angeblich für eine Desinfektion. Die Unruhe war nun schon offensichtlich: Würde die Kleidung nicht verloren gehen, die Unterwäsche nicht vertauscht werden?
Dann gingen sie zu Hunderten, die Frauen und Kinder getrennt von den Männern in die Baracken, die die Bäder sein sollten. (Es waren aber Gaskammern!) Die Fenster waren nur von außen angebracht und fiktiv, von innen war eine Wand. Nachdem die Dichtungstür verschlossen war, fand drinnen ein Massenmord statt.
Von einem kleinen Balkon, einer Art Galerie, warf ein SS-Mann mit einer Gasmaske das Gas über der unter ihm versammelten Menschenmenge herab. Man setzte das Gas auf zwei Arten ein: in Gasballons, die man zerbrach oder als Feststoff in Scheiben, der sich in hermetisch verschlossenen Dosen befand. Diese wurden von einem SS-Mann mit Gummihandschuhen geöffnet, worauf der Feststoff in ein volatiles Stadium überging, die Gaskammer füllte und die dort versammelten Menschen schnell tötete. Das dauerte einige Minuten. Man wartete zehn. Danach lüftete man, öffnete die Türen der Kammern zu der Rampe abgewandten Seite, und aus Juden bestehende Kommandos verfrachteten die noch warmen Körper mit Hilfe von Schubkarren und Wägelchen in das nahe gelegene Krematorium, wo man die Leichen schnell verbrannte.
Unterdessen gingen die nächsten Hundert in die Gaskammern. Später machte man technische Verbesserungen in diesem Schlachthof für Menschen, nach deren Umsetzung der Prozess noch schneller und effizienter vor sich ging.