Mordmethode
Der Nahrungsentzug in den Anstalten ist als gezielte Mordmethode und nicht als Ergebnis äußerer Ernährungsschwierigkeiten zu werten.
Bereits im Ersten Weltkrieg wurden Menschen in Anstalten und Krieggefangenenlager durch gezieltem Entzug von Nahrungsmittel getötet. Damals waren über 70.000 Geisteskranke und Körperbehinderte, insbesondere Bewohner der öffentlichen Irrenanstalten, verhungert. Das war ein knappes Drittel aller Anstaltsinsassen zu dieser Zeit
Der Wert eines Behinderten für die Allgemeinheit wurde in einer Kosten-Nutzenrechnung festgelegt und zur Grundlage seines Schicksals bestimmt. Auch dies war schon lange zuvor von ordentlichen Professoren vorgedacht worden. Wer als nutzlos galt, geriet in die Räder der Vernichtungsmaschinerie: Kinder, mindestens 5.000 an der Zahl, wurden ab Sommer 1939 in Kinderfachabteilungen durch Medikamente oder Nahrungsentzug getötet.
Er wurde mithilfe verwaltungstechnischer Mittel hervorgerufen, nicht Ärzte und Pflegekräfte in den Anstalten trugen in erster Linie die Verantwortung für den Nahrungsmangel, sondern die leitenden Beamten sowie die Verwaltungsbeamten in den jeweiligen Anstalten. Der Nahrungsentzug war eine Methode, die am ehesten geeignet war, Verantwortlichkeiten zu verwischen. Der erste Schritt war die Festlegung eines extrem niedrigen Beköstigungssatzes von zuletzt 44 Reichspfennig (pro Patient und Tag) im Etat, der aufgestellt wurde. Bereits mit diesem Satz, der 1944 sogar kritische Nachfragen des Frankfurter Oberbürgermeisters hervorrief, war eine auch nur lebenserhaltende Ernährung kaum mehr möglich. In einem zweiten Schritt aber sorgte eine zusätzliche Senkung der tatsächlichen Lebensmittelgaben noch unter diesen offiziellen Satz vollends für den Entzug der Lebensgrundlage. Hierfür waren die ersten Verwaltungsbeamten und ihre Mitarbeiter in den Anstalten vor Ort verantwortlich. Die etatmäßig bereitgestellten Mittel kamen nicht als Lebensmittel den Patienten zugute, da sie teilweise gar nicht erst ausgegeben wurden oder da die beschafften Lebensmittel an andere Anstalten und Parteistellen abgetreten wurden oder wie für die Anstalten Eichberg und Kalmenhof festgestellt – durch Korruption von der Belegschaft entzogen wurden.
Der Mord an den psychisch kranken Anstaltsinsassen geht auf das rassenhygienische Gedankengut, gepaart mit wirtschaftlichen Überlegungen, zurück. Die drastische Herabsetzung der Ausgaben im Fürsorgebereich bedeutete besonders für die Heil- und Pflegeanstalten starke Einschränkungen. In Hessen zum Beispiel sank der tägliche Verpflegungssatz auf unter 40 Pfennig, eine Summe, von der man einen erwachsenen Menschen nicht ernähren konnte. Viele Kranke verhungerten, noch bevor die eigentliche Euthanasie begann. Die in Anstalten untergebrachten Kranken wurden systematisch vernachlässigt und durch Nahrungsentzug, medizinische Versuche oder Euthanasie getötet. Aber auch Kranke, die von ihren Familien gepflegt wurden, sollten vernichtet werden. Die zuständigen Ärzte und Fürsorger wurden angewiesen, Einweisungen zu veranlassen. Oft genug war es der langjährige eigene Hausarzt, der dafür sorgte, dass die Familie von ihrem bisher zu Hause lebenden und gepflegten kranken Angehörigen Abschied nehmen musste. Sie hatte gegen die Entscheidung des Arztes keine Handhabe und wurde über das weitere Schicksal des Kranken im Unklaren gelassen, da es psychiatrische Anstalten gab (z. B. Jerichow in Sachsen-Anhalt), die nur als Zwischenanstalten genutzt wurden, um Spuren zu verwischen. Einige Zeit später erhielt dann die Familie die Todesnachricht (z. B. TBC für einen bisher organisch völlig gesunden Angehörigen) und die Benachrichtigung, sie könne sich die Urne des Verstorbenen auf Wunsch zuschicken lassen. Oft genug wurde die Urne nicht angefordert, ahnten oder wussten doch die Familien, dass es nicht die Asche ihres Angehörigen, sondern die eines anderen Ermordeten sein würde.
Für die Anstalt Eichberg sind in der Folge Eingaben oder Einspritzungen von tödlichen Mitteln, wie es bei Kindern ohnehin schon praktiziert wurde, auch für erwachsene Patienten bewiesen, für die Anstalt Weilmünster sind sie mit hoher
Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Zahlreiche Nutzungen des Anstaltsraumes für psychiatriefremde Zwecke verringerten zusätzlich die Überlebenschancen der Patienten. Von den insgesamt etwa 6.000 Patienten, die während des Zweiten Weltkriegs in diesen beiden Anstalten verstarben, sind etwa drei Viertel als Opfer dieser regionalen Mordinitiative anzusehen, wobei sich das Verhältnis von Medikamentenmord und Nahrungsentzug nicht beziffern lässt; in Weilmünster spielte in jedem Fall der Nahrungsentzug die entscheidende Rolle.
Mittlerweile aber konnten die Stadt- und Landkreise sich dennoch als Nutznießer betrachten, denn durch den zahlreichen Mord sparten sie jährlich zum Teil mehrere hunderttausend Reichsmark an Pflegekosten. So entwickelte das Frankfurter Fürsorgeamt selbst auf Anfragen hin keinerlei Interesse, dem tausendfachen plötzlichen Tod seiner Fürsorgeempfänger nachzugehen. Die Interessenslage kehrte sich aber mit den Hungermorden um.
Verordnung
: Verpflegung in den Heil und Pflegeanstalten Bayerns