Im Januar 1940 begannen im Deutschen Reich die seit 1939 konkret vorbereiteten systematischen Morde an psychisch kranken und geistig behinderten Menschen in Gaskammern: die groß angelegte (später so genannte) Aktion T4.
Allerdings wurde diese Euthanasie-Aktion nicht im gesamten Reichsgebiet gleichzeitig, sondern zeitversetzt in den verschiedenen Ländern und Provinzen in die Wege geleitet und umgesetzt.
Mit Datum vom 30. 08. 1940 ging der Oldenburgischen Landesheil- und Pflegeanstalt Wehnen ein Schreiben des Reichsinnenministeriums zu.
Betrifft: Verlegung geisteskranker Juden. Der noch immer bestehende Zustand, daß Juden mit Deutschen in Heil- und Pflegeanstalten untergebracht sind, kann nicht weiter hingenommen werden, da er zu Beschwerden des Pflegepersonals und von Angehörigen der Kranken Anlaß gegeben hat. Ich beabsichtige daher, die in der nachbezeichneten Anstalt untergebrachten Juden am 26. oder 27. September 1940 in eine Sammelanstalt zu verlegen.
Der Abtransport erfolgt an einem der genannten Tage aus der Landesheil- und Pflegeanstalt Wunstorf. Zur Sicherung der Transporte sind die in Frage kommenden Geisteskranken zum 21. September 1940 aus ihren derzeitigen Unterbringungsanstalten in die Landesheil- und Pflegeanstalt Wunstorf zu überstellen.
Nach den mir zugegangenen Berichten sollen sich in folgenden Anstalt(en) nachstehend aufgeführte Juden befinden.
Es folgt eine Anlage mit dem Text Landesheil- und Pflegeanstalten des Landes Oldenburg, 4 Juden, 1 Jüdin. Ich ersuche, die vorgenannte(n) Anstalte(en) mit Weisung im Sinne dieses Erlasses baldgefälligst zu versehen. Im Auftrag Dr. Cropp.
Diesem Erlaß kamen die Landesregierungen in unterschiedlichen Zeiträumen nach, wovon die oldenburgsche eine der pünktlichsten war.
Als Euthanasie-Dienststellen am 23.5.1942 beim Oldenburger Staatsministerium nach etwa noch vorhandenen jüdischen Geisteskranken anfragten, konnte der stellvertretende Landesarzt Dr. Jacobs, versichern: Jüdische Geisteskranke sind in den Anstalten des Landes Oldenburg nicht mehr untergebracht.
Zur Vertuschung des Massenmordes gehörte auch die Angabe eines falschen Sterbeortes in den offiziellen Sterbeurkunden. Bei den nichtjüdischen Patienten wurde ein falscher Sterbeort nur gelegentlich eingetragen. Zu diesem Zweck wurde der Todesfall von einer anderen Tötungsanstalt beurkundet.
Bei den jüdischen Patienten wurde dagegen regelmäßig ein fingierter Sterbeort in die Urkunde eingetragen.
Die T4-Zentrale nutzte das falsche Sterbedatum auch finanziell aus. Sie zog die Pflegegelder für die Ermordeten bis zum fiktiven Todestag ein. Die jüdische Gemeinschaft wurde daher doppelt vom deutschen Staat ausgeplündert, da sie schon von der öffentlichen Fürsorge ausgeschlossen und gezwungen worden war, die Wohlfahrtspflege selbst zu finanzieren.
Die Täter
Nationalsozialistische Ärzte, erzogen im eugenischen Denken, träumten vom Ideal des "Erbarztes", der das Wohl des "Volkskörpers" über das des Individuums stellt. Ein typischer Vertreter seiner Art war Dr. Fritz Cropp, der Medizinalbeamte, von dem die Sammel- und Vernichtungsaktion ausgegangen war. Seine Karriere hatte in Oldenburg begonnen. Hier war er 1887 auch geboren und aufgewachsen. Im Jahr 1920 wurde er "Stadtarzt", also Leiter des Gesundheitsamtes, in Delmenhorst, 1931 trat er in die NSDAP und SA ein, Anfang 1934 avancierte er im Oldenburgischen Staatsministerium zum höchsten Medizinalbeamten ("Landesarzt") und organisierte die Zwangssterilisationen nach dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Sein besonderes Engagement wird in einer Meldung an das Reichsinnenministerium deutlich: "Sämtliche Mitglieder der oldenburgischen Ärztekammer sind außerdem vom Landesarzt persönlich zur regen Mitarbeit an den Zielen des Gesetzes ermahnt worden". Parallel dazu baut er die "bevölkerungspolitische Propaganda" auf, läßt Vorträge über "rassenmäßge Geschichtsbetrachtung" halten, und installiert ein Netzwerk, das sich mit der "erbbiologischen Kartei" im Gesundheitsamt ein Instrument zur erb-rassischen Ausforschung aller oldenburgischen Familien schafft.
Seine Aktivitäten bleiben in Berlin nicht unbekannt, und so wird Cropp 1934 in die Gesundheitsabteilung des Reichsinnenministeriums berufen. Von dort greift er weiter in die heimatliche Gesundheitspolitik ein und sorgt z.B. dafür, daß die mit der Durchführung der Erbgesetze betrauten Kollegen hier eine eigene Sezierabteilung erhalten. Seinen fanatischen Antisemitismus beweist er 1937, als er die Teilnahme des jüdischen Physiologen Prof. Freund aus Münster an einem medizinischen Kongreß verhindert, "damit im Ausland bei der internationalen Bedeutung Freunds kein Aufsehen erregt wird"
In der SA bringt es Cropp 1937 zum Standartenführer. 1940 wird er Leiter der Gesundheitsabteilung im Reichsinnenministerium. Hier obliegt ihm ab 1939 ein Teil des NS-Euthanasieprogramms, besonders die Erfassung und Aussonderung der Opfer. Sein direkt damit betrauter Untergebener heißt Herbert Linden, den er zum führenden Bürokraten der Todesmaschinerie macht. Cropp greift jedoch auch persönlich in die Umsetzung der "Euthanasie" ein, z.B. bei der "Säuberung" der Psychiatrien von jüdischen Patienten im Jahr 1940. Später weitet er seine Übergriffe im Rahmen der "Aktion Brandt" auf Altenheime und Krankenhäuser aus und läßt die hilflosen Opfer in die Todeskliniken verschleppen.
Wie die meisten "Erbärzte" bleibt Cropp nach dem Krieg ungeschoren, im Gegenteil, die evangelische Kirche ehrt ihn mit einer Aufgabe als "Vertreter des Centralausschusses der Inneren Mission" in Bethel. Cropp stirbt 1984 als angesehener Mitbürger in Oldenburg. Weder für seine medizinischen Gewaltmaßnahmen, mit denen er Tausende um ihre Fortpflanzungsfähigkeit brachte, noch für den Mord an zahllosen Kranken, noch für die Ermordung der jüdischen Patienten wurde er je zur Verantwortung gezogen.