10. Apriltage in Neubrandenburg und Friedland

Als sich am 26./27, April der operative Durchbruch der sowjetischen Truppen nördlich und südlich von Prenzlau abzeichnete, klafften in diesen Abschnitten bereits Lücken in der faschistischen Verteidigung.
Hektisch leitete deshalb die Heeresgruppe Weichsel und die 3. Panzerarmee Maßnahmen zur Abriegelung des Durchbruchs der 65. und 70. Armee der 2. Belorussischen Front ein. Die noch kampffähige 281.Infanteriedivision erhielt am 27. April die Aufgabe, die sog. Feldbergstellung zu besetzen. Das XXXII. Armeekorps mit dem Stab in Klockow (8 km östlich Friedland) wurde in den Raum Friedland und nordöstlich davon zurückgenommen.
Die sog, Gruppe Brühl und die 549.Volksgrenadierdivision waren jedoch stark angeschlagen.

General Batow schrieb darüber:
Die Reste der 27. (SS-Panzergrenadierdivision D. K.) und 549. Infanteriedivision waren total demoralisiert, die Offiziere hatten an Einfluß verloren.
Gleichzeitig liefen von Serien des OKW (Oberkommandos der Wehrmacht) Maßnahmen zum Verschieben von Truppen in Richtung der sowjetischen Durchbrüche ab. Eine Eintragung im Kriegstagebuch des Führungsstabes Nord (A) sagt dazu:
27. April 1945. Um 15.00 Uhr wird klar, daß der Feind die 3. Panzerarmee bei Prenzlau durchbrochen hat und im Vorstoß auf Lychen Templin ist. Die 3. Panzerarmee hat keine Reserven mehr. So schwer es ist, es bleibt keine anderer Entschluß als den Angriff Steiners einzustellen, die 7. Panzerdivision und 25. Panzergrenadierdivision zum Angriff in Richtung Templin-Prenzlau an der Südflanke des Gegners einzusetzen. Diese Absicht wird um 17.00 Uhr als Befehl formuliert voraus übermittelt.
Die genannten Verbände haben den Befehl Keitels nicht erhalten, sondern sind von vornherein auf die Verlegung in Richtung Neustrelitz orientiert worden. Das stellte Keitel am 28. April vormittags fest. Die Ursache für die veränderte Handlungsrichtung lag in den persönlichen Diskrepanzen der Nazigenerale.
Am 27. April begann das Herausziehen der 25. Panzergrenadierdivision des Generalmajors Burmeister aus dem Raum nördlich Oranienburg in Richtung Neustreliz. Von der 3. Panzerarmee war ein Raum östlich Feldberg befohlen worden. Vor der Verlegung waren im Kampfbestand noch 20 Panzer. Am 29. April hatte der Verband keine Panzer mehr. Ein anderer Verband, der in diesen Tagen in den Raum Neustrelitz vorgeschoben wurde, war die 7. Panzerdivision, Kommandeur Oberst Christern. Reste dieser Truppe waren von der Halbinsel Hel am 18. 19. April 1945 in Swinemünde aufgeladen worden. Nach einer Zwischenkonzentrierung gelangte der Verband im Eisenbahntransport in den Raum Waren— Penzlin, aus dem er am 20. April in das Gebiet um Fürstensee (7 km südöstlich Neustrelitz) verlegte. Gepanzerte Technik war nur noch wenig vorhanden.
Eine aus dem Reichsarbeiterdienst gebildete Division mit dem Namen Schlageter (1. RAD) wurde am 27. April der Heeresgruppe Weichsel unterstellt und der 3. Panzerarmee im Raum Löwenberg—Gransee zugeführt.
Am 28. April befahl Generaloberst Jodl in seiner Funktion als Chef der Wehrmachtführungsstabes, die Division Schlageter solle in den Raum Neubrandenburg zum Abbremsen des feindlichen Vorstoßes zugeführt werden. Unmittelbar wirksam für die Sperrung der Tollense-Niederung konnte nach Meinung der faschistischen Generale der Stab der zerschlagenen Infanteriedivision z. b. V.-610 werden. So gelangte Oberst Pullriede als Kampfkommandant nach Neubrandenburg.
Aufgabe dieses Stabes war es, versprengte Wehrmachtsangehörige und einheiten zu sammeln sowie zugeführte Truppen in die zu schaffende Verteidigung einzuordnen.
Am 28. April traf in Neubrandenburg ein Ersatz- und Ausbildungsbataillon des Panzerkorps Groß-Deutschland, ausgerüstet mit nur 4 leichten Maschinengewehren und einigen Karabinern ein. Es handelte sich durchgehend um ganz junge Leute, faschistisch verblendet. Angekündigt für Neubrandenburg waren ein weiteres Ersatzbataillon und zwei Marinebataillone. Am Nachmittag dieses Tages traf sich in Usadel (13 km südlich Neubrandenburg) der Generalfeldmarschall Keitel mit den Generalen Heinrici und Manteufel.
Ziel der Unterredung war die Beschleunigung der eingeleiteten Maßnahmen zum zeitweiligen Stoppen des erfolgreichen Vormarsches der 2. Belorussischen Front. Einigkeit herrschte unter den faschistischen Militärs über das anzustrebende Ergebnis. Meinungsverschiedenheiten bestanden in den Fragen der Art und Weise. Offenbar nahm Keitel die veränderte Zuführungsrichtung der 7. Panzerdivision und 25. Panzergrenadierdivision hin, drängte aber auf einen Angriff in die Flanke der 70. und 65. Armee.
Keitel forderte: Aufgabe der Heeresgruppe Weichsel ist es, unter Festhalten der Süd- und Ostfront in Richtung Neubrandenburg durchbrochenen Feind mit allen Kräften anzugreifen und zu schlagen. Hierzu sind die 25. Panzergrenadierdivision und die Division Schlageter unter einheitlicher Führung einzusetzen.
Am 28. April stießen die 65. und 70. Armee der 2. Belorussischen Front zügig weiter in nordwestlicher Richtung vor. Marschall Rokossowski unterstellte dem 1. Gardepanzerkorps, welches in der Richtung Strasburg — Friedland handelte, zusätzlich die 30. schwere Panzerbrigade mit 25 schweren Panzern. Das Korps verfügte somit über 53 Panzer der Typen T-34, IS-II und M-4.
Bis zum Abend des 28. April erreichten die Hauptkräfte des Korps die Linie Brohm (7 km südöstlich Friedland) — Schönebeck —Golm (11 km nördlich Woldegk).
Im Zentrum handelte die 1. motorisierte Schützenbrigade, an den Flanken die Panzerbrigaden, (nördlich: 30. schw. Pz. -Brigade, südlich; 38. Gardepanzerbrigade).
In der Richtung des Hauptschlages 65. Armee griff hinter dem Panzerkorps das 46. und 105. Schützenkorps mit angelehnten Flanken an. Noch am 28. April erreichte die 44. Schützendivision des 105. Korps den Raum um Galenbeck (11 km südöstlich Friedland), während die 413. Schützendivision des 46. Korps den Abschnitt Groß-Daberkow (6 km westlich Strasburg) Aufklärungs- und Vorauskräfte hatten dabei teilweise einen Vorsprung von 10—20 km. Daraus ist erklärbar, daß noch in den späten Abendstunden sowjetische Panzer von Lübbersdorf kommend, vor Friedland standen. Dabei kam es an der Kotelower Mühle (7 km südöstlich Friedland) und bei Lübbersdorf zu kurzen Feuergefechten mit den sich überstürzt zurückziehenden Truppen des XXXII. Armeekorps.
Bereits am 27. April war in Friedland mit der Räumung der Lazarette begonnen worden. Am Spätnachmittag des 26. April verließ ein Teil der Bevölkerung mit zwei Zügen der Schmalspurbahn die Stadt.
Die Züge gelangten bis Ramelow-Forsthaus (10 km nordwestlich Friedland).
Albert Götz in der Weimarer Republik politischer Leiter der KPD-Ortsgruppe, ging den sowjetischen Truppen mit einer weißen Fahne entgegen. Das um die Stadt Friedland herum vorbereitete Stellungssystem wurde von den faschistischen Truppen nur teilweise besetzt. Zwei Rotarmarmisten, die durch das Neubrandenburger Tor die Stadt betreten wollten. hat ein fanatischer Polizeikommisar erschossen. Brände und ein explodierter Wagen mit Munition vernichteten 435 Häuser der Innenstadt. Auch in Friedland gab es menschliche Tragödien unter der Bevölkerung. In und um Friedland gaben 13 Rotarmisten ihr Leben. Weitere 9 verstarben noch im Monat Mai an ihren Verletzungen. 11 Wehrmachtsangehörige fielen im Stadtgebiet. Weitere 16 sind im Monat Mai an verschiedenen Stellen der Feldmark geborgen worden. General Batow stellte dem 1. Gardepanzerkorps die Aufgabe, am 29. April den Raum Neuendorf— Burow (9 km nördlich AItentreptow).
Altentreptow—Werder (8 km östlich Altentreptow) zu besetzen und in Richtung Demmin anzugreifen. Dazu hatten die Pioniere über die Datze Brücken zu schlagen. Das 18. Schützenkorps sollte nach der Weisung Batows am 29. April den Abschnitt Neubrandenburg – AItentreptow besetzen.
Am 28. April war dieser Korps auf eine Widerstandslinie der noch Nordwesten abgedrängten 281. Infanteriedivision gestoßen. Diese Division stand am Morgen dieses Tages wenige Kilometer südostwärts Woldegk, nachdem sie sich ostwärts Zernikow (12 km nordwestlich Prenzlau) von den Truppen der 69 Schützendivision 18. Schützenkorps, nach einem Kampf gelöst hatte. Unter Ausnutzung des Sees und des Waldgebietes bei Wollshagen (5 km südöstlich Woldegk) war der Verband erneut zur Verteidigung übergegangen.
Bei Amalienhof (6 km östlich Woldegk) schlug die sowjetische 69. Schützendivision erfolgreich zwei Gegenangriffe ab, die mit Stärke von je 200 Mann und 5 Sturmgeschützen geführt wurden. Die 281. Infanteriedivison ging gegen 14.00 Uhr über Woldegk auf Neubrandenburg zurück. In Woldegk waren die Fensterläden von vielen Häusern verschlossen, und es waren die ersten weißen Fahnen sichtbar. Am Westausgang lag ein von sowjetischen Schlachtfliegern vernichtetes Sturmgeschütz. Ein Zeuge berichtet. Woldegk habe einer toten Stadt geglichen. Es brannten bereits durch Fliegereinwirkung die ersten Häuser. Versprengte wurden zum Besetzen einer Panzersperre am Ostrand der Stadt von einem sog. Auffangstab eingesetzt, sie verschwanden aber, als eine 8,8 cm Flak vor der Sperre in Stellung ging. Die Stadt Woldegk ist von Truppen des 47 Schützenkorps aus der 70. Armee eingenommen worden.
Das 47. Schützenkorps (70. Armee) ereichte mit seinen Hauptkräften bis zum Abend des 28. April die Straße Woldegk— Neustrelitz. Vorauskräfte nahmen Rehberg (8 km westlich Woldegk ein, während die des 114. Schützenkorps bei Gramelow (6 km südlich Burg Stargard) vorstießen. Vorraushandelnde Panzerkräfte die der 70. Armee zugeordnet waren, brachen tief in das noch von den Faschisten besetzte Territorium ein. Etwa 30 Panzer standen vor Usadel (13 km südlich Neubrandenburg). Am Morgen des 29. April umfuhren die Panzer die Lieps an deren Südrand und stießen über Prillwitz (10 km nordöstlich Neubrandenburg) in Richtung Hohenzieritz (9 km nördlich Neustrelitz).
Damit wurde der Verteidigungsraum Neubrandenburg südlich umfaßt. Am 28. April nachmittags war auch in Neubrandenburg das ferne Grollen der Front beunruhigend hörbar. Verantwortungsbewusst denkende Bürger, die sich um den Notar und von den Nazis suspendierten Stadtsyndikus Dr. Paul Koch zusammengefunden hatten, versuchten an diesem Nachmittag, mit allen möglichen Mitteln, die geplante Verteidigung der Stadt abzuwenden: Sie boten den Führer des örtlichen Volkssturmbataillons zu einer Unterredung in die Wohnung des Gemüsehändlers Albert Kählke, wo sie von ihm forderten, das Bataillon aufzulösen und nicht wie geplant kämpfen zu lassen. Nach heftiger stundenlanger Diskussion willigte der Volkssturm schließlich ein. So kam es, daß der örtliche Volkssturm das vorbereitete Verteidigungssystem am Westausgang der Stadt auf dem damaligen Bethanienberg (heute Lindenberg) nicht bezogen hat.

In den frühen Nachmittagsstunden meldeten Flugzeugpiloten der 1. Fliegerdivision bei ihrer Rückkehr auf den Flugplatz Trollenhagen die Annäherung sowjetischer Panzer auf Burg Stargard und Neubrandenburg. Daraufhin wurde der Flugplatz geräumt und die fliegenden Teile nach Barth verlegt. Ein Teil der Gebäude und Anlagen ist gesprengt bzw. angesteckt worden. Noch vor 14.00 Uhr erreichten sowjetische Panzer, von Sabel und Holldorf kommend, das Städtchen Burg Stargard über welches sich die geschlagenen Reste der faschistischen Truppen, überwiegend Einheiten aus der 28. SS-Division, zurückzogen.
Kurzzeitig hat eine Verteidigung am südöstlichen Ortsausgang bestanden. Der örtliche Volkssturm, der am Chausseehaus an der Teschendorfer Straße eine Barrikade verteidigen sollte, lief auseinander. Die sowjetischen Panzer stießen bis zu dem großen Kriegsgefangenenlager in Fünfeichen bei Neubrandenburg vor und erreichten über die Fünfeichener Wiese das Randgebiet von Neubrandenburg. Am Wasserwerk stoppte der sowjetische Kommandeur seine Einheit, zu schwach war der eigene Kampfbestand, zu unklar die Lage. In der Zwischenzeit trafen auch die ersten Teile der 281. Infanteriedivision In Neubrandenburg ein. Die Artillerie und die Panzerjäger gruppierte der Divisionskommandeur, der bereits genannte Oberst Schmid, von vornherein in den Raum um Weitin und Zirzow.
Noch vor Mitternacht eröffnete das Artillerieregiment den Beschuß der Zugänge auf Neubrandenburg. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten auch die infanteristischen Teile der Division den örtlichen Stadtrand und bezogen das dort vorhandene Stellungssystem, das Bataillon des Ersatzregimentes vom Korps Groß-Deutschdland ablösend. Vom Gefechtsstand des XXXXVI. Panzerkorps in Klein Vorchow (10 km nordwestlich Penzlin) wurde in der Nacht gefordert, Neubrandenburg unbedingt zu halten.
In der Geschichte der 281. Infanteriedivision heißt es dazu:
In diesem Augenblick verwirrt noch einmal, wie so oft in diesen letzten Kriegstagen, ein neuer Befehl die Verhältnisse vollkommen: Hatte es vorgestern noch geheißen, die einzige Aufgabe sei der geordnete Rückmarsch zur Elbe, so ergeht jetzt in der Nacht vom 28. zum 29. April der gegenteilige Befehl; der Abschnitt Neubrandenburg sei bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.
Auch die Kommandantur versuchte bis zum letzten Moment ihrer Anwesenheit Alarmeinheiten aufzustellen. Der Obergefreite Kopischke berichtete später:
In Neubrandenburg, Menschen, Pferde und Wagen wie an einem Markttag. Abend ist es und Futterzeit und keine Schlachtflieger mehr in der Luft. Wir melden uns auf der Versprengten Sammelstelle und werden einer Alarmkompanie zugeteilt. Der Zug, dem ich zugeteilt worden bin, kommt für die Nacht geschlossen in einem Haus unter. Am nächsten Morgen (29, 4.1945, D. K) soll es auf den umliegenden Höhen in Stellung gehen, es heißt Neubrandenburg ist unbedingt zu halten.
Große Teile der Bevölkerung, die bis dahin noch in der Stadt verblieben waren, wurden gegen Abend zum Verlassen der Stadt aufgefordert.
Der Evakuierungsbefehl, die Anwesenheit der Kampftruppen und das einsetzen des schießen löste eine Panik aus, da es noch gegen Mittag geheißen hatte, die Front habe sich bei Woldegk stabilisiert. Bereits in den Vortagen war mit der Evakuierung der Lazarette begonnen worden. Der letzte Lazarettzug verließ am 28. April gegen 19.00 Uhr die Stadt. Nach 20.00 Uhr wirkte Neubrandenburg wie ausgestorben. Die Torpedo-Versuchsanstalt und Einrichtungen des Flugplatzes brannten. Auch der ständig betrunkene Oberst Fullriede verschwand nun mit seinem Stab. Von Woldegk kommend, drangen Truppen der 69. Schützendivision, verstärkt von Panzern des 1. Gardepanzerkorps, bis zum Friedhof an der heutigen Oststadt vor. Unter ihnen der spätere Ehrenbürger Neubrandenburgs, Hauptmann Dmitrewski mit seinem Schützenbataillon.
Von Süden her gelangte der Major Tibujew, (Ehrenbürger Neubrandenburgs 1975) als Kommandeur der 133. selbständige Panzerabwehrabteilung aus der 71. Schützendivision des 47. Schützenkorps der 70. Armee an den Stadtrand.
Zusammen mit zwei Schützenzügen handelte die Einheit als Vorausabteilung. In breiter Front erreichten noch in der Nacht zum 29. April nördlich und südlich Neubrandenburgs die sowjetischen Truppen die Tollense-Niederung. So auch die 37. Gardeschützendivision des 18. Schützenkorps deren damaliger Stabschef, Gardeoberstleutnant Gorelow, heute Ehrenbürger der Stadt Neubrandenburg ist. Die Einnahme der Stadt durch die Truppen des 47. Schützenkorps der 70. Armee und Teilen des 18. Schützenkorps der 65. Armee begann nach einer kurzen Artellerievorbereitung am Morgen des 29. April.
Bereits um 5.00 Uhr hatte der Kommandeur der sich verteidigenden 281. Infanteriedivision an den Stab des XXXXVI. Panzerkorps gemeldet, daß er die Stadt nicht verteidigen könne und deshalb den Höhenrand westlich der Tollense besetzen würde.
In den Kasernen am südöstlichen Stadtrand befand sich ein deutsches Militärlazarett mit mehreren hundert transportunfähigen Verwundeten, bei denen nur wenig medizinisches Personal verblieben war. Als die sowjetischen Truppen die Kasernen erreichten, ging ihnen der Oberarzt Dr. Gubatta entgegen und übergab das Lazarett. Ein sowjetischer Oberstleutnant der Panzertruppe stellte ein Dokument aus, in welchem es hieß, daß das Lazarett weiterarbeiten solle und durch nachfolgende sowjetische Truppen zu respektieren sei.
Gegen 7.30 Uhr drangen die sowjetischen Truppen vom Gelände der heutigen Südstadt und von den Höhen südöstlich Neubrandenburgs in Richtung Innenstadt vor. Örtlich kam es dabei zu Kämpfen, u. a. in der Katharinentraße, am Stargarder Torkomplex und an der Einmündung Schwedenstraße in die damalige Neustrelitzer Straße. Als dann die sowjetischen Einheiten über die Rostocker Straße nach Westen vorstießen, eröffnete die Artillerie der 281. Infanteriedivison aus dem Raum Weitin—Zirzow—Ausbau das Feuer auf das westliche Stadtgebiet und Teile der Innenstadt. Zu diesem Zeitpunkt waren mehrere Brandherde in der Innenstadt entstanden, die sich schnell ausbreiteten. Rund 80% des Stadtzentrums sanken somit im Ergebnis des faschistischen Krieges in Schutt und Asche, so auch die Marienkirche, in welcher ein Sanitätsdepot mit brennbarem Material eingerichtet worden war. Neben der Kirche lagerte Artilleriemunition. Sog. Werwolf. bestehend aus verhetzten Jugendlichen, schoß aus dem Hinterhalt noch bis zum 8. Mai 1945 auf Angehörige der Roten Armee.
Am 5. Mai hatten sie den Bahnhof angezündet. Nachdem die sowjetischen Truppen die Tollense-Niederung überwunden hatten, kam es ostwärts Weitin erneut zum Kampf. Das auf beiden Seiten verlustreich geführte Gefecht zerstörte einen großen Teil dieses Dorfes. Die faschistischen Generale in Klein Varchow wollten aber nicht aufgeben. General Manteuffel, der sich zum Gefechtsstand des XXXXVI. Panzerkorps begeben hatte, forderte die Übernahme das Abschnitts Neubrandenburg durch die 25. Panzergrenadierdivision.
Die letzte Reserve des Korps, bestehend aus 6 Sturmgeschützen, wurde in Richtung Neubrandenburg in Marsch gesetzt. Noch am 30. April vormittags starteten vom Flugplatz Barth Flugzeuge der faschistischen Luftwaffe, um den sowjetischen Vormarsch im Raum Neubrandenburg zu stören. Einzelne Flugzeuge warfen ihre Bomben über dem Stadtgebiet ab und vergrößerten so die Zerstörungen. Doch der sowjetische Vormarsch war nicht aufzuhalten.
Am 30. April früh standen die Reste der 281. Infanteriedivsion westlich Gädebehn 12 km nordwestlich Neubrandenburg). Beim Kampf in und um Neubrandenburg sind 34 Rotarmisten gefallen. Weitere 25 sind an ihren Verletzungen bis zum 30. Mai 1945 verstorben. 51 Wehrmachtsangehörige (davon 3 Volkssturmmänner) fielen bei den Kämpfen. 34 weitere sind als unbekannt bestattet worden.
Eine persönliche Konsequenz, die ihm später in der BRD von den faschistischen ehemaligen Offizieren nicht verziehen wurde, zog Oberst Anton Schmidt der Kommandeur der 281. Infanteriedivision.
Er Berufsoldat und Ritterkreuzträger versenkte am 29. April Uniform samt Orden im Teich der Zirzower Mühle (4 km nordwestlich Neubrandenburg) und verließ in einem Zivilanzug seinen Stab. Er hatte die Division 10 Tage in verlustreichen zermürbenden Rückzugskämpfen geführt. So beendete er den Krieg für sich.

Als Neustrelitz Wesenberg und Mirow Kampfgebiet wurden
Am 28/29. April versuchten die faschistischen Generale die Front zu stabilisieren und den sog. Krisenraum bei Neubrandenburg zu bereinigen. General Heinrici hatte dazu die 25. Panzergrenadierdivision aus der Berliner Richtung abgezogen und in den Raum südostwärts Neustrelitz verlegt, während sich die 7. Panzerdivision im Raum Fürstensee versammelte.
Von Osten fluteten die Reste der 27. und 28. SS-Division, der I. Marine-lnfanteriedivison, des Panzerausbildungsverbandes Ostsee und der 547. Volksgrenadierdivision in Richtung Neustrelitz (nördlich und südlich davon) zurück.
Die faschistische militärische Führung hoffte unter Ausnutzung des Gewässer-und Waldreichen Geländes um Neustrelitz nicht nur den sowjetischen Einbruch aufzuhalten, sondern auch einen Angriff mit begrenztem Ziel in die Flanke der Stoßgruppierung der 70. Armee führen zu können.
Am 28. April früh standen die sowjetischen Truppen vor der Feldberger Seenplatte. Der Feldberger Volkssturm, zusammen mit Teilen der zurück gedrückten 27. SS-Division, besetzte Sperranlagen an Brücken und Engen. Kurz vor dem Eintreffen der ersten sowjetischen Truppen wurde der Straßenübergang am Erddamm gesprengt.
SS und Volkssturm flüchteten. Kommunisten hissten auf dem Kirchturm eine weiße Fahne. Feldberg konnte durch das 96. Schützenkorps der 70. Armee im Verlaufe des Tages kampflos eingenommen werden. Das 3.Gardepanzerkorps brach mit seinen Hauptkräften im Abschnitt südlich Fürstenwerder Großer Lutzin-See durch und stieß in Richtung nördlich Neustrelitz vor. In Fürstenwerder hatte sich der Kampfkommandant erschossen, die den Ort verteidigenden Truppen liefen auseinander. Von faschistischer Seite wurde die bis zu diesem Zeitpunkt im Raum um Zinow (3 km östlich Neustrelitz) dislozierte 33. SS- Division Charlemagne in den Raum südlich Alt Strelitz vorgeschoben, nachdem bei Bergfeld und Goldenbaum (12 km ostwärts Neustrelitz) sowjetische Panzer gemeldet wurden.

Der Divisionsstab verlegte nach Neustrelitz. Am Abend des 28. April hatte die SS Gefechtsberührung. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Luftmunitionslager Fürstensee gesprengt. Von Seiten des faschistischen Stadtkommandanten wurden Maßnahmen zur Verteidigung der Stadt Neustrelitz eingeleitet. An allen Ausfallstraßen hatte der Volkssturm Panzersperren errichtet. Die Lazaretts waren bereits in den Tagen vorher, z. T- auf dem Wasserwege, evakuiert worden.
Unter der Losung Neustrelitz wird nicht zerstört setzten Neustrelitzer Bürger und Antifaschisten ihr Leben ein.
Am 28. April versuchten der Lehrer Metzenthin und der Schneidermeister Schröder, den Nazioberbürgermeister Heyden von der Sinnlosigkeit des Widerstandes zu überzeugen. Sie fanden weder bei dem faschistischen Stadtkommandanten, Oberst von Massow, Gehör. Deshalb wandten sie sich an Frauen, die als mutige Hitlergegner bekannt waren. Am Vormittag des 29. April zogen etwa 200 Frauen zum Rathaus. Zu ihnen gehörten die Kommunistin Gertrud Breitkreuz, Ida Teizerow, Else Tepler, Anna Simon, Grete Wassalowski und Martha Hoth. Der Eisenbahner Paul Görk verhinderte die Einfahrt eines Sprengzuges nach Neustrelitz.
Er blockierte die Strecke mit Leerwagen und hielt den Sprengzug zwischen Alt Strelitz und Drewin fest.
Der 29. April, ein Sonntag, war ein klarer, sonniger Tag. Das ideale Flugwetter ermöglichte es der 4. Luftarmee des Generals Werschinin, den Luftraum im Kampfgebiet voll zu beherrschen. Im Tiefflug patrouillierten die Schlachtflugzeuge entlang der Straße und Eisenbahnlinie von Fürstenberg nach Neustrelitz. Die Vorwärtsbewegung von Wehrmacht und Zivilisten erfolgte deshalb auf Schneisen und Seitenwegen.
Unsere Familie zog am 29. April zusammen mit vielen anderen Leuten abseits der heutigen Fernverkehrsstraße 96 Fürstenberg in Richtung Neustrelitz. Auch Gruppen von Wehmachtsangehörigen, teilweise ohne Waffen, vermischten sich mit in der Bevölkerung. Unser Marschziel lag irgendwo in Richtung Schwerin-Lübeck. Gegen Mittag erreichten wir die Kreuzung an der Straßenmeisterei bei Düsterförde.
Uns entgegen kamen Flüchtlingskolonnen, die berichten, daß die Straßensperren in Alt Strelitz bereits geschlossen seien und Verteidigungsvorbereitungen getroffen würden. Von Godendorf her kreuzte die Straße eine Wehrmachtskolonne, bestehend aus ca. 10 Panzern, Halbkettenfahrzeugen und Kraftfahrzeugen aller Typen. Auch Pferdefuhrwerke und zu Fuß marschierende Einheiten waren dabei.
Vor der Bahnlinie teilte sich die Kolonne, alle Fahrzeuge verschwanden nach links im Hochwald, während alles, was zu Fuß war, weiter bis zum Bahnhof Düsterförde marschierte. Dort gab es Aufenthalt seitwärts der Straße, weil sowjetische Schlachtflugzeuge über der Eisenbahnlinie patrouillierten und auf alles schossen, was die Strecke überquerte. Als wir nach dem Abflug eines Flugzeuges über die Bahngleise rannten, sah ich für Sekunden einen Mann ohne Kopf auf dem Rücken liegen. Er trug einen Rucksack. Diesen Anblick habe ich seitdem nicht vergessen.
Auch eine Gruppe bis zu 20 sowjetischen Kriegsgefangenen wurde in Richtung Ahrensberg getrieben. Irgendwo im Wald ließ die Wachmannschaft die sowjetischen Soldaten laufen.
Während dos sowjetische 3. Gardepanzerkorps sich an diesem Tage mit den Hauptkräften bis Neustrelitz und nördlich davon vorschob, blieb der Raum um Strelitz wieder von Wehrmachts- und SS-Einheiten blockiert. Hektisch suchte die faschistische Führung die 7. und 25. Division doch noch zu einem Angriff vor zu treiben. Zu diesem Zeitpunkt stießen Vorauskräfte des 8. mechanisierten Korps bereits parallel der Trennungslinie zur 70. Armee vor.
Ein Augenzeuge, der damalige Leutnant und Kommandeur einer Panzereinheit, Wassilenko, heute Ehrenbürger der Stadt Neustrelitz berichtete 1974:
Zuerst kamen wir noch Alt Strelitz. Da auf den Straßen Minen waren, stießen wir auf dem Eisenbahndamm vor. Da erhielten wir Beschuß. Es war hier nicht sofort auszumachen, von wo geschossen wurde. Der Auftrag mußte erfüllt werden, ich gab den Befehl an anderen Panzer hinter mir her zu fahren. Dann sah ich, daß sich am Stadtrand von Neustrelitz zwei Tiger eingegraben hatten und von dort schossen. Alt Strelitz war schon zerstört. Wir glaubten daher, nicht die ersten zu sein und auf unsere eigenen Genossen zu stoßen. Als wir aber vom Gefängnis aus mit Panzerabwehrkanonen und Maschinengewehren beschossen wurden, wußten wir ganz bestimmt, daß unsere eigenen Genossen dort nicht waren. Da ist eine ältere Frau gekommen und hat uns gezeigt, wo sich die SS versteckt hatte.
Auch Hitlerjungen schossen jetzt mit Panzerfäusten auf uns. Ein Panzer brannte schon, der nächste auch. Jetzt galt es schnell und entschlossen zu handeln, um unser Leben nicht unnötig aufs Spiel zu setzten. Von dort sind wir nach Neustrelitz vorgerückt. Direkt auf dem Marktplatz erhielt mein Panzer einen Schuß und fing an zu brennen. Ich selbst wurde verwundet. Ein Hitlerjunge hatte den Panzer erst vorbeigelassen und dann geschossen. Ein Freund und Genosse von mir wurde schwer verwundet, während der Sergeant fiel.
Beim Kampf im Raum Neustrelitz fielen 128 Soldaten der Roten Armee. Direkt im Stadtzentrum erhielten 40 von ihnen ihre letzte Ruhestätte
Sowjetische Soldaten einer Panzereinheit wurden von einem deutschen Antifaschisten auf der B 96 von Weisdin her in die Stadt begleitet. Von der Kirche auf dem Markt wehte die weiße Fahne.
Am 29. April um 16.00 Uhr erhielt der Kommandeur der faschistischen Kampfgruppe 1001 Nacht den schriftlichen Befehl des XXXXVI. Panzerkorps, eine Sperrlinie zwischen dem Woblitz-See und dem Zirker See aufzubauen. Neustrelitz sollte nicht mit einbezogen werden. Dazu wurde der Kampfkommandant von Neustrelitz mit Besatzung sowie die Reste der 547. Volksgrenadierdivision dem Kommandeur der Kampfgruppe, Major Blancobois, unterstellt.
Um 21.00 Uhr befand sich der Stab des XXXXVI. Panzerkorps nördlich der Stadt Waren in einem Gutshaus. Die vom General Gareis angewiesene Verteidigung unter Ausnutzung des Kammerkanals südlich von Neustrelitz kam nicht zustande, da weder die Brücke ostwärts Lindenberg noch die bei der weiter südwestlich liegenden Useriner Mühle angesprengt wurde. Auch hier fanden sich mutige Männer aus Neustrelitz, die die Zündschnüre herausrissen und in den Kanal warfen.
Teile der zurückflutenden faschistischen Truppen im Raum Alt Strelitz sind vorn 8. mechanisierten Korps der Roten Armee umfaßt worden.
Dieser Stadtteil des heutigen Neustrelitz ist am 30. April freigekämpft worden. Gefallen sind in und um Strelitz Alt 15 Wehrmachtsangehörige. Die Anzahl gefallener Rotarmisten kann nicht mehr ermittelt werden. Insgesamt wurde Alt Strelitz durch Brand im Ergebnis der Kriegshandlungen zu 65 % zerstört, davon das innerstädtische Zentrum zu 80 %. In Neustrelitz wurden im Ergebnis der Kriegsereignisse das Schloß, das Landestheater, das damalige Regierungsgebäude sowie einige Wohnhäuser, alles durch Brand, insgesamt 10 % der Bausubstanz, vernichtet.
Für die Befreiung des Raumes Neustrelitz gaben etwa 20 Rotarmisten ihr Leben. Weitere 113 Rotarmisten sind unter der Eintragung Unbekannte in Neustrelitz bestattet.
Am 30. April entfaltete sich das 121. Schützenkorps der 70. Armee im Abschnitt Neustrelitz—Fürstenberg mit der Stoßrichtung Mirow, die faschistischen Truppen vor sich hertreibend. Dabei nahm die 385. Schützendivision den Ortsteil Ravensbrück von Fürstenberg ein und befreite ca. 3000 kranke, überwiegend gehunfähige Frauen, Kinder und Männer dieses faschistischen
Frauen und Männer Konzentrationslagers, sowie das Jugendschutzlager Uckermark nebst Vernichtungslager Uckermark.
Die Situation in der Handlungsrichtung des 121. Schützenkorps kennzeichnet ein Augenzeugenbericht: Die Nacht vom 29. zum 30. April 1945 verbrachten wir, meine Mutter, Oma und ich sowie weitere Flüchtlinge in Ahrensberg bei Wesenberg im dortigen Schloß.
In der Nacht sahen wir ein Gebäude am jenseitigen Ufer des Drewensee brennen und hörten das Brummen von Flugzeugen. Bereits deutlich hörbar war auch in Richtung Neustrelitz das Grollen der Front. Am frühen Morgen verließen wir das Schloß. Es hieß, die Besitzerin sei in der Nacht geflüchtet. Auf dem Gutshof rannten freigelassene Bullen herum. Bereits im Dorf hasteten uns deutsche Soldaten in ungeordneten Haufen entgegen. Verirrte Kugeln pfiffen durch die Bäume. Hoffnungslos standen wir auf der Straße. Meine Mutter hielt einen Offizier an, der ohne Sattel auf einem Pferd ritt. Wo wir als Zivilisten hinsollten, fragte sie. Der Offizier wies in Richtung der Straße nach Wesenberg, wo die fliehenden Truppen herkamen. Gläubig gingen wir weiter, entgegen den zurückflutenden Soldaten der Wehrmacht. Die letzten Wehrmachtsangehörigen, die ich sah, zogen ihre Stiefel aus und warfen die Ausrüstung weg. Dann rannten sie in das Dorf, aus dem wir kamen.
Auf der Straße Ahrensberg-Wesenberg detonierten bereits Granaten. Einige Frauen und Kinder schrieen angstvoll. Eine Frau wurde verletzt, wie ich sah. Es war nicht möglich weiterzugehen. Die Familien entschlossen sich, abseits des Weges zu verbleiben und sich dem Schicksal zu ergeben. Auch ein Wehrmachtsgespann ohne Pferde stand an dieser Stelle. Alle waren sehr erregt und drängten sich dicht zusammen. Es war Ruhe eingetreten, bereits westlich von uns, weit entfernt, wurde geschossen. Dann war es soweit. Wir sahen drei Soldaten in uns unbekannten Uniformen. Alle rissen die Arme hoch. Die Soldaten trugen Eierhandgranaten am Koppel. Sie überzeugten sich, daß keine Wehrmachts- oder SS-Angehörige unter uns waren. Dann deuteten sie an, daß wir die Arme wieder runternehmen sollten. Diese Soldaten waren freundlich; sie machten uns in gebrochenem Deutsch und durch Zeichen klar, daß wir keine Angst haben sollten. Dann wiesen sie auf das Fahrzeug mit Heeresgut und ließen Esswaren verteilen, die unter der Plane lagerten. Gegen Mittag des 30. April stießen die sowjetischen Truppen auf faschistische Nachhuteinheiten im Abschnitt Wesenberg— Priepert—Pelzkuhl (beide Dörfer ca. 10 km nordwestlich bzw. westlich von Fürstenberg). Wesenberg wurde ohne größere Kämpfe eingenommen.

Die Burg und 20 Häuser der Innenstadt brannten ab. An der Kirche entstand größerer Schaden. Bei den Gefechten um die Stadt und in der zugeordneten Feldmark fielen bzw. verstarben an ihren Verletzungen 47 Rotarmisten. Gefallen sind 31 Wehrmachtsangehörige. Bis zum Abend hatte das 121. Schützenkorps der 70. Armee den Abschnitt Groß-Quassow (6 km südwestlich Neustrelitz)—Ostrand Großer Labussee—Neu Drosedow (4 km südlich Wesenberg) eingenommen. Aufklärungs- bzw. Vorauskräfte erreichten noch am Nachmittag Mirow.
Hier in Mirow versuchten noch einmal die faschistischen Truppen, den sowjetischen Vormarsch zu verzögern. Sie stützten sich dabei auf das in Nord-Südrichtung verlaufende Seengebiet. Zum Einsatz kam das 49 SS-Regiment, die Reste der 547. Volksgrenadierdivision und die von 1001 Nacht verbliebene SS-Jagdpanzer-Abteilung-560 sowie eine Kompanie Luftwaffensoldaten aus Neustrelitz.
Über die militärischen Ereignisse in Mirow berichtete eine 1975 herausgegebene Broschüre unter der Kapitelüberschrift: 1945 — Maitage in Mirow:
30. April 1945 Ein herrlicher Frühlingstag ist angebrochen. Seit dem frühen Morgen hört der Strom der Flüchtlinge auf. Einige Nachzügler bringen die Nachricht mit, daß die Russen die Nachbarstadt Wesenberg erobert haben. Eiligen Schrittes nahen aus Richtung Wesenberg Infanterieeinheiten der Waffen-SS. Sie besetzen die bereits vorbereiteten Stellungen vor der Paulus-Siedlung bis hinunter zur Beethovenstraße. Die Panzersperre am Friedhof wird geschlossen. In den Nachmittagsstunden beginnt der Kampflärm am östlichen Stadtrand. Eine Aufklärungsabteilung der Roten Armee, von Zirtow kommend, hat die Stadt erreicht.
Nach kurzer Kampfpause erfüllen Kettengerassel und starker Motorenlärm die Luft. Eine sowjetische Panzerspitze dringt durch die Hauptstraße bis in den Stadtpark ein. Vom Westufer des Sees, von Mirow-Dorf, eröffnen die zurückflutenden SS-Truppen das Geschützfeuer auf die Stadt. Von einem Geschoß getroffen, zerberstet der Kirchturm. Die Molkerei und das Amtsgericht (neben dem Torhaus), einige Häuser in der Mühlenstraße sowie Gebäude im Inneren der Stadt und der Amtshof gehen in Flammen auf.
Kurz nach Mitternacht: Die Eisenbahnbrücke sowie die Schweins- und Mühlenbrücke sind gesprengt und unpassierbar geworden. 1. Mai 1945 Die Morgendämmerung bricht an. Schemenhaft tauchen, in breiter Linie ausgeschwärmt, die angreifenden Sowjetsoldaten auf. Schnell haben sie den nördlichen Stadtrand erreicht. Vereinzelt peitschen Gewehrschüsse durch die Luft. Sie durchkämmen die Häuser und Gärten in der Schillerstraße, der Granzower Straße und am Strand. Am Abend des 1. Mai ist die Stadt fest in den Händen der Roten Armee.
Der Beschuß hat aufgehört, der Kampflärm verliert sich in der Ferne. Einzelne Einwohner, die in den Kellern Schutz gesucht haben, wagen sich ängstlich und zögernd auf die Straße. Ein grausiger Anblick bietet sich ihren Augen. Die Straßen sind mit Trümmern, zerstörten oder weggeworfenen Waffen und mit Kriegsgeräten aller Art übersät. Die Mühlenstraße, einst die Geschäftsstraße, ist zum großen Teil zerstört. Hier und dort liegen gefallene Soldaten, die starren, weitgeöffneten Augen zum Himmel gerichtet. Pferdekadaver versperren den Weg. Mühsam bahnen sich endlose Kolonnen sowjetischer Kampftruppen, die eiligst dem flüchtenden Feind nachsetzen, einen Weg durch das Trümmerfeld. Im Ergebnis der Kämpfe wurden 25 % der innerstädtischen Gebäude und 15% der Häuser in den Stadtrandsiedlungen zerstört. Bei den Kämpfen fielen ca. 80 Rotarmisten, 63 Wehrmachtsangehörige und 3 SS-Leute. Nach Überwindung der Wasserhindernisse folgten die sowjetischen Einheiten der faschistischen Truppen dicht auf und stellten diese südlich der Müritz an verschiedenen Stellen erneut zum Kampf. Gefechte gab es bei Lärz, Krümmel, Vipperow und Buchholz. (Alle Dörfer westlich Mirow und unterhalb der Müritz). Damit war in dieser Richtung endgültig der letzte organisierte Widerstand der faschistischen Truppen gebrochen.

Die 2. Belorussische Front bestand 1945 aus der 3., 48., 49., 50., 65. und 70. Armee, der 2. Stoßarmee, der 5. Garde-Panzerarmee, der 4. Luftarmee sowie dem 1. und 8. Garde-Panzerkorps und dem 8. mechanisierten Korps. Eine sowjetische Armee gliederte sich dabei in mehrere Korps. Die Korps wiederum untergliederten sich in Divisionen bzw. bei den Panzertruppen in Brigaden.
Insgesamt umfasste die 2. Belorussische Front Anfang 1945 mehr als 880.000 Mann, 2.195 Panzer, 1.500 Flugzeuge und mehr als 11.000 Geschütze und Granatwerfer

Gemäß Armeegeneral Batov zählte die gesamte 2. Belorussische Front zu Beginn der „Ostpommerschen Operation“ am 10. Februar 1945 nur noch ganze 263
einsatzbereite Panzer. Insgesamt verlor die 2. Belorussische Front des Marschall Rokossowski, der im völligen Gegensatz zu dem bis heute wohl namhaftesten sowjetischen Marschall Georgi Shukow im Ruf stand, das Leben seiner Soldaten mittels einer durchdachten Operationsführung zu schonen und diese nicht bei Großangriffen sinnlos zu „verheizen“, vom 1. Januar 1945 bis 9. Mai 1945 80.962 Mann an Gefallenen, 5.921 Vermißte und 3.054 an Krankheiten und Verwundungen, Verstorbene.
264.037 Soldaten wurden verwundet, 38.107 Soldaten erkrankten, und 41 Soldaten erlitten Erfrierungen. Alles in allem büßte die 2. Belorussische
Front 392.122 Soldaten ein. Die Kämpfe um Westpreußen und Ostpommern
forderten also von den sowjetischen Truppen einen nur schwer vorstellbaren
Blutzoll.