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Barth Sophie Karlsruhe
Von Sophie Barth war nahezu nichts bekannt. Man wusste nur, dass Sophie Barth, geborene Tannhauser, am 31. Dezember 1864 auf die Welt gekommen und die Witwe eines Moses Barth war. Der von den Behörden als Geburtsort notierte Ort Dittensee wurde ebenfalls als zutreffend angenommen. Die Deportation am 22. Oktober 1940 nach Gurs in Frankreich war ebenso gesicherte Erkenntnis wie ihr Tod im dortigen Lager am 02. Dezember 1940.
Vor ihrer Deportation wurde sie in den Adressbüchern von Karlsruhe als Sophie Barth, Witwe des Moses Barth erstmals 1935 in der Zähringerstr. 78, und letztmals 1938 in der Kronenstr. 62 erwähnt. Danach wurde sie nicht mehr genannt, da es sich bei letztgenannter Adresse um das jüdische Altersheim handelte und die Heimbewohner nicht aufgeführt wurden. Demnach ist anzunehmen, Meldeunterlagen existieren kriegsbedingt nicht mehr, dass Sophie Barth Ende des Jahres 1934 nach Karlsruhe zuzog. Sie wird im Adressbuch als Privatiers-Witwe geführt, das heißt, sie ging keinem Gewerbe mehr nach, schließlich war sie 1935 bereits 69 Jahre alt. Ob allerdings das Vermögen aus der vorangegangenen Ehe allein ausreichte, um das Leben in der Stadt zu bestreiten, ist ungewiss. Ebenso die Gründe, die sie zu ihrem Zuzug nach Karlsruhe bewegten. Ob sie mit den beiden anderen Karlsruher jüdischen Familien Barth in verwandtschaftlichem Bezug stand, ließ sich nicht feststellen.
Die Spurensuche ausgehend vom Geburtsort, gestaltete sich schwierig. Ein Ort Dittensee war nirgends ausfindig zu machen, nicht in alten Ortsbüchern, nicht mit Hilfe des modernen Informationssystems Internet. Die Vermutung, dass es sich um einen kleinen Flecken handeln könnte, vielleicht im heutigen Polen gelegen, der in keiner Konkordanz auftauchte, führte zunächst in die Sackgasse.
Dann kam der Zufall zu Hilfe. Immerhin ist der Name Barth auch in jüdischen Familien in der ganzen Region im Landkreis Karlsruhe verbreitet gewesen. Ich hatte schon einmal im Mai 1997 den jüdischen Friedhof in Flehingen aufgesucht mit dem Wissen, dass Vorfahren meiner Familie in Flehingen wohnhaft waren und den Grabstein von Moses Barth fotografiert. Die Vermutung und Hoffnung, dass er vielleicht der Ehemann von Sophie Barth gewesen sein könnte, bestätigten sich tatsächlich. Dies ließ sich durch Recherchen bei der Ortsverwaltung Flehingen, Stadtteil von Oberderdingen durch Unterstützung der Verwaltungsangestellten Frau Brandtner absichern. Durch die engagierte Mithilfe und dank der wirklich überaus freundlichen Unterstützung des Bürgermeisters von Flehingen, Herrn Breitinger (im Ruhestand seit April 2003), ließen sich Unterlagen über die Familienmitglieder des Moses Barth erhalten. Nun konnte als gesichert gelten, dass Moses und Sophie Barth keine Kinder hatten. Moses Barth hatte laut den vorhandenen Meldekarteikarten höchst wahrscheinlich mindestens drei Brüder: Gustav, Louis und Wolf Barth. Von der erwähnten Frau Brandtner war zu erfahren, dass im November 1959 eine Frau Gertrud Barth, geborene Ehreich (Ehefrau des Louis Barth), die zunächst in Stuttgart, später in New York wohnhaft war, versuchte, Unterlagen aus Deutschland zu erhalten. Der Versuch, über die Stadtverwaltung Stuttgart diese Spur weiterzuverfolgen blieb dann aber erfolglos. Des weiteren ging auch der Versuch über die Ehefrau des Wolf Barth, Frau Jeanette Barth, geborene Schönfärber, die Spuren weiter aufzunehmen ins Leere. Auch die Suche über das Internet unter Ancestry.com sowie RootsWeb.com blieb leider erfolglos. Über ein Jahr später kam die Erkenntnis, dass Sophie Barth nicht in einem Dittensee geboren war, sondern wohl in Dettensee, einer kleinen Gemeinde bei Horb am Neckar, heute Stadtteil desselben. Der daraufhin vorgenommene Versuch jetzt in Dettensee über die Eheschließung von Sophie und Moses Barth mehr zu erfahren, schlug jedoch auch fehl, da das Archiv der Gemeinde Dettensee 1945 und auch 1970 niedergebrannt war und mögliche Unterlagen den Flammen zum Opfer fielen. Dank des Heimatforschers von Dettensee, Herrn Herbert Zander, konnte der Nachweis erbracht werden, dass Sophie Barth tatsächlich hier aufgewachsen war. Es war nach wie vor nichts über das Leben von Sophie Barth zu erfahren, aber Herr Zander konnte anhand seiner Forschungen zur Ortsgeschichte den Stammbaum von Sophie Barths Eltern, der Familie Tannhauser aufstellen.
Sie war das fünfte Kind von Samuel Tannhauser und Karoline, geborene Augsburger. Der älteste Bruder Heinrich, war gleich nach der Geburt 1857 verstorben, auch die Brüder Max (1858-1860) und Nathan (1859-1860) starben früh, vielleicht ein Hinweis auf eine besonders schlechte Lage der Familie. Es folgten noch die Schwestern Kaßina (geboren 1861) und Auguste (geboren 1863), nach Sophie kam noch das Nesthäkchen Hermann (geboren 1867). Sophie heiratete 1888 in Dettensee den Handelsmann Moses Barth aus Flehingen und zog dorthin.
Als Sophie Barth wegging, lebten immer weniger Juden in dem kleinen Örtchen, nahezu alle zog es wegen ihrer schweren wirtschaftlichen Lage in die größeren Städte Süddeutschlands oder gar nach Amerika. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts war nahezu die Hälfte des 400-Seelendorfes jüdischer Konfession, 1904 gab es dann nur noch vier Personen. Die jüdische Gemeinde hatte ihren Anfang als Bevölkerungsmaßnahme des den Ort besitzenden schweizerischen Klosters Muri am Ende des 17.Jahrhunderts genommen, seit der Säkularisation durch die napoleonische Neuordnung gehörte die Gegend nach 1803 zum Herrschaftsgebiet Hohenzollern. Viele Generationen jüdischer Einwohner hatten ihren Lebensunterhalt als Handelsleute, zumeist als arme Hausierer, bestritten; auch der Vater von Sophie Barth war Händler. Das jüdische Leben muss überschaubar und geordnet gewesen sein, man ging in die jüdische Schule im Örtchen, besuchte am Freitag die dortige kleine Synagoge und wurde auf dem ebenfalls hier befindlichen jüdischen Friedhof begraben. Die Erfahrung dieser hohenzollerschen ländlichen Lebenswelt dürfte sich für Sophie Barth im badischen Flehingen kaum verändert haben. Auch die dortige jüdische Gemeinde bestand seit Ende des Dreißigjährigen Krieges als Wiederbevölkerungsmaßnahme der örtlichen Herrschaft durch Aufnahme von Schutzjuden. In dem gegenüber Dettensee mehr als doppelt so großen Ort machte der jüdische Bevölkerungsanteil im 19.Jahrhundert bis fünfzehn Prozent aus. Auch hier waren die meisten Viehhändler oder Händler von Agrarprodukten. Ebenso zeigt sich hier das typische Bild einer jüdischen Landgemeinde mit vorhandener eigener Schule, der Synagoge und dem Friedhof. Der war ihnen im 17. Jahrhundert weit außerhalb des Dorfes an einem steilen Bergrücken zugewiesen worden. Spannungen zwischen der jüdischen und christlichen Bevölkerung sind aktenkundig: Als im 19.Jahrhundert die Judenemanzipation, das heißt die gleiche staatsbürgerliche Rechtstellung, anstand, organisierten die christlichen Flehinger Bürger wie in anderen Gemeinden der Gegend den Protest. 1848 sandten sie eine Petition nach Frankfurt an die deutsche Nationalversammlung in der Paulskirche und abermals nach Karlsruhe an den badischen Landtag, als dort das Emanzipations-Gesetz 1862 beraten wurde. Im Gegensatz zu einigen anderen Gemeinden in der Gegend kam es 1848 aber nicht zu gewaltsamen Ausschreitungen der Bürger, die fürchteten, dass vollberechtigte jüdische Bürger nun denselben Nutzen beanspruchten und der ihrige darum kleiner ausfallen könnte. Inwieweit das Ehepaar Barth daran noch erinnert wurde oder wie es sich in der mehrheitlich christlichen Gemeinde alltäglich fühlte, wissen wir nicht. Max und Sophie Barth blieben ohne Kinder. Ob der Wegzug Sophie Barths aus Flehingen Jahre nach dem Tod des Ehemannes Moses vielleicht auf schlechten Erfahrungen beruht, wäre reine Spekulation. Der Grabstein von Moses Barth erinnert an den im Ersten Weltkrieg an der lothringischen Front gefallenen Sohn Hermann (geboren 1889) seines Bruders Gustav. Über Sophie Barths Leben in Karlsruhe ist nichts bekannt.
Als sie am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert wurde, war sie bereits eine alte Frau. Vermutlich starb sie infolge der vollkommen unzureichenden Bedingungen im Lager, das 1938 für junge, kräftige spanische Bürgerkriegsteilnehmer für einen Sommer geplant war oder aber an fehlenden Medikamenten, die sie unter den gegebenen Bedingungen nicht mehr erhalten konnte. Sie wurde auf dem Lagergelände von Gurs begraben, auf dem Grabstein ihres zuvor gestorbenen Ehemannes gibt es keine Erinnerung an sie. Es gab niemanden mehr, der dies hätte tun können.
Leider musste ich bei meiner Spurensuche erfahren, dass trotz der mitunter akribischen Grausamkeit der Dokumentationen aus der dunklen Zeit in Deutschland, es immer wieder Fälle gibt, in denen man mit der schmerzlichen Tatsache leben muss, dass Unterlagen nicht mehr vorhanden sind und dadurch Lebensspuren mit Lücken behaftet bleiben müssen. Ich hoffe, dass ich durch mein Bemühen auf das Leben von Sophie Barth aufmerksam machen und dafür sorgen kann, dass Frau Sophie Barth und ihr grausames Ende niemals in Vergessenheit geraten werden.
Quelle: Ute Rachel Schuler, Januar 2004
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