Außenlager des Konzentrationslagers Riga
Bezeichnung Armeebekleidungsamt
Gebiet
Livland, Generalbezirk Lettland, Reichskommissariat Ostland
Eröffnung
18.08.1943
Schließung
ab 06.08.1944 Evakuierungen nach KZ Stutthof; ein Teil über KZ Riga nach Libau
Deportationen
Ab 06.08.1944 nach KZ Stutthof; ein Teil über KZ Riga nach Libau
Häftlinge
Geschlecht
Frauen und Männer
Einsatz der Häftlinge bei
ABA (Armeebekleidungsamt) -701
Art der Arbeit
Sortieren von Bekleidungsstücken
Namensliste der Häftlinge
Bemerkungen
Auflösung des Lagers
Bericht von Überlebenden
Eine reine Wehrmachtseinheit war das Armeebekleidungsamt am Mühlgraben der Vorstadt Riga. Die Hauptarbeit bestand aus dem Transportieren und Sortieren der Kleidungsstücke; hier mussten auch jugendliche Juden und gar Kinder mitarbeiten. Auch Karl Schneider wurde nach der Liquidierung des Ghettos diesem Amt zugewiesen. Dennoch galt sein Hauptaugenmerk dem religiösen Leben:
Wir kamen zu 1500 Juden zu einem Wehrmachts-Bekleidungslager, mussten dort hart arbeiten und hatten ein eigenes Lager. Kaum hatten wir uns etwas eingeordnet, kümmerten wir uns schon wieder um den Gottesdienst. Jeder hatte seine Gebetbücher mitgenommen. Zwei Thorarollen waren auch mit ins neue Heim gekommen. Auch hier musste erst wieder die Erlaubnis des Kommandanten eingeholt werden, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. Der neue Kommandant, ein Wehrmachtsangehöriger, der an für sich ein großer Verbrecher war, erlaubte das Abhalten des Gottesdienstes; jedoch wieder nur unter der Bedingung, dass die Arbeit darunter nicht leiden würde. Aber in dem neuen Lager gab es keinen Betsaal, da wir alle in großen Sälen untergebracht waren, die zugleich Schlaf- und Aufenthaltsräume waren. Dies war uninteressant für uns. Es fand sich schon eine Ecke, wo wir unser Gebet verrichten konnten. Hier hatten wir Gelegenheit, jeden Morgen und jeden Abend zu beten. Wir brauchten nur etwas früher aufzustehen. Die festen Kunden unseres Minjans wurden regelmäßig von der jüdischen Lagerpolizei, die Dienst hatte, zeitig geweckt, und dem Gottesdienst stand nichts im Wege. Minjan war immer. Man brauchte sich kaum umzugucken, und schon waren zehn Mann da. Zu diesem Minjan kamen regelmäßig auch lettische Juden, die jetzt mit uns zusammen waren.
Schon während des Bestehens des Ghettos hatten wir verschiedene Bar-Mizwos zu verzeichnen. Der erste unserer Gruppe war ein Sohn der Eheleute Jupp Hermanns. Den damaligen Verhältnissen entsprechend wurde dieser hohe Tag der Jugendlichen festlich gefeiert. Selbst innerhalb unserer Kasernierung hatten wir Verschiedene Bar-Mizwos. In diesem Falle war der Kommandant immer sehr großzügig. Die Lagerleitung hatte ihm erklärt, dass ein solch jüdischer Festtag mit einer heiligen Kommunion zu vergleichen wäre. Tatsächlich durften in Zukunft besondere Ausnahmen gemacht werden.
Diese Ausnahmen waren folgende:
Auch im Armeebekleidungsamt bzw. in unserem Lager waren die Tauschgesetze recht streng. Die größten Strafen trafen den, der sich vom Außenkommando zusätzliche Lebensmittel mitbrachte. Im Falle einer Bar-Mizwo aber konnten die Eltern oder Angehörigen dennoch sich einen kleinen Teil Lebensmittel beschaffen, was tatsächlich erlaubt war. Wir wurden gemeinschaftlich aus der Küche verpflegt. Im Falle einer Bar-Mizwo war die Küche angewiesen, die illegal, doch jetzt legal hereingebrachten Lebensmittel für die Familie bzw. das Fest herzurichten. Die schönsten Kuchen wurden gebacken und sehr gutes Essen hergerichtet. Am Tage des Festes waren die Eltern von der Arbeit befreit; doch machten in den wenigsten Fällen die Männer davon Gebrauch, weil der Gottesdienst auch erst am Nachmittag war. Oft wurde der Junge reichlich beschenkt, denn die Freunde des Kindes und die Angehörigen der Gruppe versuchten doch, unterwegs Kleinigkeiten wie Gebäck, Zucker und dergleichen zu beschaffen.
Doch mit der Zeit wurden immer mehr Menschen von Riga nach Deutschland verschickt, und es wurde immer schwieriger, Minjan zu bekommen. Eines Tages kam auch für uns die Zeit, daß wir Riga und das Lager verlassen mussten. Wir verblieben noch als ein kleiner Rest von etwa 100 Männern und 120 Frauen. Das Lager wurde plötzlich aufgegeben, und wir mussten unser Quartier im Exporthafen von Riga aufschlagen. Alle noch in Riga befindlichen Militärlager mussten ausgeräumt und auf Schiffe verladen werden. Das begann am Tag vor Erev Jom-Kippur im Jahre 1944.
Die Evakuierung Rigas wird in vielen Erlebnisberichten einheitlich geschildert. So stellt auch Max Kaufmann das Beladen der Schiffe, das Verlassen des Hafens, aber auch die Gottesdienste an Bord beeindruckend deutlich dar. Auch Karl Schneider äußert sich zu dem Tage der Ausschiffung, berücksichtigt aber wiederum dabei religiöse Momente:
Tag und Nacht mussten wir arbeiten wie die Tiere, denn die Russen standen kurz vor Riga. Erev Jom-Kippur versuchten wir uns noch zusätzlich einige Lebensmittel zu beschaffen, um wenigstens nicht ganz nüchtern fasten zu müssen. Einzelnen gelang dies, aber dem größten Teil der Menschen nicht. Trotzdem kann ich sagen, dass fast alle, Frauen und Männer, am Jom-Kippur fasteten. Zudem darf nicht vergessen werden, dass wir die ganze Nacht und den ganzen Tag furchtbar getrieben wurden, weil die Soldaten größte Angst hatten, von den Russen überrascht zu werden.
Von Riga fuhren wir dann mit den Schiffen, die wir beladen hatten, nach Libau. Zuerst glaubten wir, nach dem, was wir dort sahen, dass der Krieg zu Ende gehe. Aber wir wurden enttäuscht. Ein paar Tage später befanden wir uns wieder in einem neuen Lager, und das schwere Leben begann wieder. Nachdem wir das neue Quartier bezogen hatten, gab es schon wieder Männer, die sich um ein neues Minjan bemühten. Hierbei muss ich zuerst unseren Kameraden Josef Strauß von der ehemaligen Gruppe Kassel nennen, der die Menschen um sich sammelte. Weiter war da ein frommer, älterer lettischer Jude, Flaks, der sehr am Gebet interessiert war.
Als Vorbeter amtierte jeder, der sich berufen fühlte, denn inzwischen hatten wir unsere alten Kräfte bereits verloren.
Der neue Kommandant, dem wir in Libau unterstellt waren, hatte gegen unsere jüdischen Gottesdienste keine Bedenken. Aus der Thora, die wir auch wieder nach Libau mitnahmen, las uns ein guter Freund, Georg Fries, vor, der früher jüdischer Lehrer war und aus Süddeutschland stammte.
Das Leben in Libau dauerte nur kurze Zeit; aber in dieser Zeit mussten wir 14 Opfer beklagen, die infolge eines Luftangriffes ihr Leben lassen mussten. Als wir Libau räumten, nahmen wir unsere zwei Thorarollen mit. Eine hatte Josef Strauß in seinem Handgepäck, und die andere war in unserer Lebensmittelbagage versteckt.
Mit dem Truppenteil, bei dem wir viele Monate gearbeitet hatten, sollten wir nach Deutschland ziehen, wo selbst wieder ein neues Lager aufgemacht werden sollte. Aber auf dem Schiff ereilte uns die Nachricht, dass wir in Hamburg anlegen müssten. Wir wussten nicht, was dies zu bedeuten hatte. In Hamburg angekommen, wurden wir am Hafen von der SS und Polizei in Empfang genommen, die nicht schön mit uns verfuhren.
Man brachte uns ins Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel, wo wir in zwei Sälen untergebracht wurden. Bevor wir aber in die Zellen kamen, wurden wir einer strengen Leibesvisitation unterzogen. Vollständig nackt standen wir da, und alles, was wir besaßen, wurde uns abgenommen. Auf diese Weise verloren wir unser Sefer und alle Ritualgegenstände, die wir immer bei uns hatten.
Nun sollte man annehmen, es wäre Schluss mit dem Beten. Nein! Wie durch ein Wunder konnte Josef Strauß ein kleines Taschenbuch retten, und abends und morgens versuchten wir so gut wie möglich unseren religiösen Pflichten nachzukommen.
Später mussten wir nach Kiel-Hassel, wo sich ein Arbeits-Erziehungslager befand. Hier war es unmöglich, Betstunden abzuhalten, denn wir waren in einer Baracke, wo vielleicht 60 Menschen Platz hatten, zu etwa 200 Mann untergebracht. Obwohl die anderen keine Juden waren, versuchte man selbst hier zu beten.
Wir wissen, dass nach der Evakuierung Rigas für die meisten überlebt habenden lettischen und deutschen Juden die eigentliche Leidenszeit erst begann. Viele kamen in deutsche Konzentrations- oder Vernichtungslager, wo sie das ersehnte Kriegsende nicht mehr erlebten. Nur wenige überlebten.
Nach dem Kriege lebten die Überlebenden in Camps für Displaced Persons, ehe sie dann nach Israel, in die Vereinigten Staaten oder andere Länder auswanderten. Karl Schneider bevorzugte Schweden, später dann die Vereinigten Staaten.
Im Mai 1945 wurden wir befreit und kamen nach Schweden. Kaum hatten wir wieder ein festes Lager, entstand unsere jüdische Gemeinde wieder, und mit Stolz konnten wir feststellen, dass wir jeden Morgen, jeden Abend Schabbes hatten und auch unsere Feiertage mit Gottesdiensten feiern konnten.
Wie bei vielen jüdischen Berichten über die langjährige Leidenszeit verzichtete auch Karl Schneider auf die historisch detaillierte Darstellung, um das rein Menschliche, das meist subjektiv und dennoch differenziert Wahrgenommene wiederzugeben:
Soweit es mir möglich war, habe ich das niedergeschrieben, was wir in den Jahren des Exils an jüdischen-religiösen Dingen erleben durften. Es ist möglich, dass ich den einen oder anderen, der sich hierbei sehr verdient gemacht hat, vergessen habe.
Wirklich war jedoch, dass immer die Zeit, die wir beim Gottesdienst verbringen durften, die ruhigste Zeit war. Man vergaß das Furchtbare, das sich um einen herum abspielte.
Man könnte annehmen, dass sich auch das allgemeine Leben innerhalb des Ghettos in so ruhigen Bahnen gehalten habe. Das ist falsch! Täglich hatten wir Erschießungen und Erhängungen im Ghetto zu verzeichnen und waren stets der Hand unseres möglichen Mörders ausgeliefert.
Von all den Personen, die sich so für jüdische Dinge eingesetzt haben, lebt wohl keiner mehr. Sie alle haben jedoch dazu beigetragen, uns Stunden der inneren Ruhe und Zuversicht zu geben. Sie waren durch ihren Glauben voller Optimismus, und jeder wollte mit uns gemeinsam wieder den Tag der Freiheit erleben!
Hier endet der Bericht von Karl Schneider, der zu den wenigen aus Köln nach Riga deportierten Juden gehörte, die mit dem Leben davongekommen waren.