Arbeitserziehungslager Heddernheim
Das Lager befand sich in der ausgehobenen Lehmgrube einer ehemaligen Ziegelei am nördlichen Rande des Frankfurter Stadtteils Heddernheim am Oberschelder Weg/Ecke Zeilweg.
Im Volkmund hieß das Lager Kajenn (Cayenne), eine Anspielung auf eine der Hauptstadt Französisch Guayana vor gelagerte berüchtigte Häftlingsinsel.
Das Lager bestand vom 01. April 1942 bis zum 18. März 1945. Die Häftlinge des Lagers wurden im März 1945 zu einem Evakuierungsmarsch in den Vogelsberg gezwungen. Nach der Flucht der Wachmannschaften löste sich der Marsch bei Lindheim auf.
Das Lager war der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Frankfurt am Main Lindenstraße 27 unterstellt.
Das Lager war etwa 1.250 qm groß und bestand aus drei langgestreckten Baracken für die Häftlinge, mehreren Schuppen sowie einem kleinen Wachhäuschen direkt am Eingang. Ferner gab es einen Wachraum, einen Wachturm, einen Bunker (Gefängnis), ein Entlausungsbad, einen Hundezwinger sowie zwischen den Baracken einen Appellplatz. In jeder Häftlingsbaracke waren Stockbetten mit Strohmatratzen untergebracht. In jeder Baracke waren ca. 30 Personen untergebracht. Die Unterkünfte waren voller Läuse und anderen Ungeziefer. Eine Waschgelegenheit befand sich nur im Freien.
Belegt war das Lager zeitweise mit über 400 Gefangenen.
In den knapp drei Jahren der Existenz dieses Lagers waren insgesamt etwa 10.000 Deutsche und Ausländer hier inhaftiert.
Viele von ihnen waren zur Arbeit für die deutsche Rüstungswirtschaft gezwungene Ausländer aus den besetzten Gebieten, vor allem aus Polen und der Sowjetunion. Aus den Arbeitslagern (Gemeinschafts- oder Firmenlager) wurden sie oft wegen geringster Vergehen (unerlaubtes Verlassen der Arbeitsstätte oder des Aufenthaltsbezirkes, Verweigerung des Deutschen Grußes, Entgegennahme von Lebensmitteln) in das Arbeitserziehungslager gebracht.
Lebensbedingungen
Was unter straffer Zucht und Ordnung zu verstehen war, regelte die Lagerordnung: Die Häftlinge sind zu strenger Arbeit anzuhalten, um ihnen ihr volksschädigendes Verhalten eindringlich vor Augen zu führen, um sie zu geregelter Arbeit zu erziehen und um anderen durch sie ein abschreckendes und warnendes Beispiel zu geben.
Versorgung
Das Hauptnahrungsmittel der Häftlinge war eine Art Kartoffelsuppe aus ungeschälten Kartoffeln, Wasser und einem halben Pfund Margarine, die in einem großen Bottich zubereitet wurde, als Tagesration erhielten sie zusätzlich etwas Brot und Wurst. Sie sollten bei mangelhafter Ernährung und ständig drohender Prügelstrafe durch Zwangsarbeit umerzogen“ werden, wobei auch die Vernichtung durch Arbeit in Kauf genommen wurde. Diese Einstellung besonders gegen Gefangene aus dem Osten war allerdings keine Erfindung der Nazis, sondern wurde bereits im 1.Weltkrieg praktiziert. Diese Vorgehensweise wurde ebenfalls in Kinder und Pflegeheime eingesetzt um Lebensunwertes Leben zu vernichten. Fälle sind bis in die 1980er Jahren nachgewiesen.
Arbeitsbedingungen
Die meisten Häftlinge arbeiteten außerhalb des Lagers in diversen Firmen.
Wie viele der der im ganzen Reich verteilten Arbeitserziehungslager lag auch das AEL Heddernheim in der Nähe eines Industriebetriebs. Das Verzeichnis der Konzentrationslager und deren Außenkommandos des Komitees des Internationalen Roten Kreuzes vom Februar 1969 nennt als Arbeitgeber des AEL Heddernheim die seinerzeit nahe gelegenen Vereinigten Deutschen Metallwerke (VDM). In welchem Umfang die VDM tatsächlich Arbeiten durch die Häftlinge hat ausführen lassen, ist offen. Die wenigen Dokumente und auch die Zeitzeugenberichte erwähnen die VDM zwar eher am Rande, aber unwahrscheinlich ist ein Arbeitseinsatz für den kriegswichtigen Betrieb nicht.
Nach Zeitzeugenberichten waren die Häftlinge u. a. mit Erdarbeiten beschäftigt, die geplante Baumaßnahmen des benachbarten Werkes durchaus erleichtern konnten. Andere Quellen berichten vom Entladen von Waggons, aber auch von Arbeiten im Palmengarten und in Köppern, wo sich die Frankfurter Pflegeanstalten für geistig Behinderte befanden.
Auch außerhalb des Lagers mussten sie Sträflingskleidung tragen. Die Wechselschichten dauerten von 6 bis 14 Uhr bzw. von 14 bis 22 Uhr. An die Lagerleitung zahlten die Firmen ein festgelegtes, sehr niedriges Arbeitsentgelt. Durch eine rationierte Verpflegung, die gerade die physische Existenz der Häftlinge sicherstellte, konnte die Lagerleitung sogar noch Gewinn erwirtschaften. Im Urteil gegen die Lagerleitung wurde ein Betrag von 300.000 bis 400.000 Reichsmark genannt.
Viele von ihnen wurden von hier aus in Konzentrationslager deportiert.
Die ca. 30 Wachleute, die im Schichtdienst im Lager tätig waren, stammten überwiegend aus Heddernheim.
Die Anwohner des Oberschelder Wegs hatten aus den obersten Etagen ihrer Häuser ungehinderten Einblick in das Lager.
Nach 1945 berichtete eine seit ihrer Jugend im Zeilweg lebende Frau, sie habe seinerzeit oft Häftlingskolonnen in der Nähe ihres Elternhauses gesehen. Einzelne Männer hätten getragen werden müssen, alle seien in gestreifter Häftlingskleidung unterwegs gewesen und hätten auf dem Weg zur Arbeit und zurück einen Essenstender mit sich geführt. Als Jugendliche habe sie auch wiederholt durch die Astlöcher des Bretterzauns geschaut und könne sich erinnern, Häftlinge gesehen zu haben, die im Kreis umher liefen und wohl als Strafmaßnahme Matratzen über dem Kopf trugen. Auch andere ältere Heddernheimer Bürger berichteten, dass Häftlinge zum Beispiel häufig durch die Hessestraße marschierten, auf dem Weg zum Arbeitseinsatz im nahe gelegenen Straßenbahndepot.
Aussagen im Strafprozess gegen Heddernheimer Wachleute
Häufig sei es vorgekommen, dass die Häftlinge nach dem Abendessen in den Baracken exerzieren mussten. Bei Liegestützen sei oft der Kopf der Männer vom Wachpersonal auf den Boden getreten worden. Häufig seien Häftlinge auf einer Bank ausgepeitscht worden. Das Lager sei in Verruf gekommen, weil hier eine andere Gestapo-Dienststelle Häftlinge bei Vernehmungen misshandelt hätte. Die Züchtigungen seien manchmal so grausam gewesen, dass er vor den Schreien der Misshandelten aus dem Lager geflohen sei
Der Leiter des AEL Hedderheim Hans Tauber wurde 1946 zu 5 Jahren und 6 Monaten Gefängnis verurteilt.
Reinhard Breder, Leiter der Frankfurter Gestapo und für die Inhaftierungen in das AEL Heddernheim verantwortlich, wurde freigesprochen.
Nach Aussage ehemaliger Wachleute waren Fesselungen und Prügelstrafen für Ostarbeitskräfte an der Tagesordnung. Dokumentiert sind mehrere Erschießungen wegen Plünderungen und Arbeitsverweigerung.
Zeitzeugenbericht:
Der Zeitzeuge, war 1943 festgenommen worden, weil er an einem Sonntag das in einer Eschersheimer Gaststätte untergebrachte Fremdarbeiterlager aufgesucht hatte und zufällig in eine Razzia der Gestapo geraten war. Seine Familie blieb trotz Nachfragen bei allen denkbaren Behörden und Institutionen drei Wochen ohne Nachricht zu seinem Verbleib und erfuhr erst durch einen im Lager tätigen Wachmann, der mit der Familie bekannt war, unter Hinweis auf absolute Verschwiegenheit und insofern inoffiziell näheres zum Verbleib des Mannes. Nach etwa drei Monaten Aufenthalt im Lager, während der er in der Küchenkolonne eingesetzt war und seine Zivilkleidung tragen durfte, wurde er über die Frankfurter Gestapo-Zentrale ins KZ Dachau überstellt. Nach ca. einem Dreivierteljahr, in dem er außerhalb des KZ in einer Fabrik arbeitete, durfte er ohne weitere Begründung wieder nach Hause fahren und wurde kurz darauf zur Wehrmacht eingezogen.
Zeitzeugenbericht: Häftling P 14640
In einem Bericht beschreibt der Überlebende seinen ersten Tag seines Aufenthalts in Heddernheim. Der Mann, der nach dem Abitur Journalist hätte werden wollen, war zum Arbeitseinsatz zwangsweise nach Deutschland gebracht worden. Man habe ihn 1943 unter dem Vorwurf der Sabotage festgenommen und von Wetzlar aus nach Heddernheim gebracht: Nach den Zugangsformalitäten hat mich ein SS-Mann mit Bambusrohrschlägen in Empfang genommen. Es sollte mir deutsche Ordnung und deutsche Disziplin beigebracht werden. In den Baracken habe es von Ungeziefer gewimmelt, am folgenden Morgen sei er durch harte Schlagstockschläge auf den Kopf, auf Schultern und Arme geweckt worden. Durch ein Spalier prügelnder, junger SS-Wachmänner seien die Gefangenen einer Baracke zum verschmutzten Wasser des Waschraumes geprügelt worden und anschließend unter weiteren Schlägen wieder zurück in die Baracke. Nach einem Zählappell, während dem einer der Häftlinge mutwillig mit Stockhieben traktiert wurde, habe es Essen gegeben: ein Stück Brot, vielleicht 200 Gramm, und dann eine Kelle voll Suppe. Ich würgte meine Portion, den Ekel vor dem penetranten Geruch der Suppe überwindend, herunter. Danach habe er in einem Frankfurter Stadtteil Gräben ausheben müssen. Abends sei man im Eilschritt zurück ins Lager marschiert, habe nach dem Zählappell mehrere Runden um den Appellplatz rennen müssen und danach erneut die gleiche Suppe wie am Morgen erhalten. Sonntags sei arbeitsfrei gewesen, aber man habe Sport treiben müssen bis zum Umfallen. Sein Fazit: Geschlagen wird hier immer, von morgens bis abends, Tag für Tag. Hier ist ein Arbeitserziehungslager, und deswegen muß hier alles im Laufschritt erledigt werden. Zum Waschen, zum Austreten auf der verdreckten Latrine, zum Essensempfang, immer muss man laufen. Immer und überall Prügel, Brüllen, Flüche. Nach sechs Wochen, der üblichen Verweildauer in einem solchen Arbeitserziehungslager, wurde er als Unverbesserlicher ins KZ Buchenwald gebracht.