Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald


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Übersicht

Braunkohle-Benzin AG Berlin), Werk Böhlen

Bezeichnung: Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald
(Brabag (Braunkohle-Benzin AG Berlin), Werk Böhlen)

Gebiet
Deutschland, Sachsen, Direktionsbezirk Leipzig, Landkreis Leipzig

Standort des Lagers:
Werksgelände der Brabag (Braunkohle-Benzin AG Berlin), Werk Böhlen

Betreiber:
Braunkohle-Benzin AG (BRABAG)
Die BRABAG hatte ihren Sitz am Schinkelplatz 1 in Berlin. Aufsichtsratsvorsitzender war Wilhelm Keppler, Vorstandssprecher wurde Friedrich Carl Arthur Kranefuß. Vorstandsmitglieder waren u. a. Heinrich Koppenberg, Alfred von Vollard-Bockelberg und Helmut Wohlthat.
(1934 gründeten zehn Unternehmen der deutschen Braunkohlenindustrie die Braunkohle-Benzin AG (Brabag) mit Sitz in Berlin. Gegenstand des Unternehmens waren die Herstellung von Treibstoffen und Schmierölen unter Verwendung von Braunkohle und die Errichtung und der Erwerb diesbezüglicher Anlagen. Am 1. März 1935 begannen die Bauarbeiten in Böhlen, und im Februar 1936 erzeugte das Hydrierwerk Böhlen das erste Benzin. Von 1938 bis Ende 1942 folgten drei Ausbaustufen. Während des Zweiten Weltkrieges erlitt das Werk starke Zerstörungen. Am 3. Oktober 1945 ordnete die Zentralverwaltung der Brennstoffindustrie der SBZ die Auflösung der Hauptverwaltung der Brabag in Berlin an und unterstellte sich die Brabag-Werke. Im Dezember 1945 gab die Landesverwaltung Sachsen das Hydrierwerk Böhlen in treuhänderische Verwaltung. Am 1. August 1946 ging das Werk als Reparation Deutschlands in Eigentum der UdSSR über und firmierte nun als Sowjetische Aktiengesellschaft der Brennstoffindustrie in Deutschland Benzinwerk Böhlen.)

Betreiber heute:
Dow Chemical Company
Rechtsform Aktiengesellschaft
Gründung 1897
Auflösung 1. September 2017
Auflösungsgrund Fusion mit DuPont
Sitz Midland, Vereinigte Staaten
Leitung Andrew N. Liveris (CEO)

Wachmannschaft
80 bis 113 ehemalige Wehrmachtssoldaten

12.05.1944
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 1 030 Bomben abgeworfen
(Zur Mittagszeit des 12. Mai bombardierten alliierte Verbände die Treibstoff-werke in Leuna, Lützkendorf, Zeitz, Böhlen und Brüx. Für die Spitzen der deutschen Rüstungswirtschaft war dies ein noch bedeutsamerer Rückschlag als alle vorherigen Angriffe.)

29.06.1944
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 1 600 Bomben abgeworfen

07.07.1944
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 1 500 Bomben abgeworfen

10.07.1944
Ein Schriftstück vom 10. Juli 1944 (im Bundesarchiv in Berlin) bestätigt, dass neben der Führung des Brabag-Werkes in Böhlen auch die der ASW in Espenhain im Sommer 1944 beim stellvertretenden Leiter der Inspektion der Konzentrationslager im SS-Wirtschafts- und Verwaltungsamt, Standartenführer
Gerhard Maurer*, KZ-Häftlinge (im Sprachgebrauch der SS auch als KL-Häftlinge bezeichnet) angefordert hat. Wie die Abschrift offenbart „benötigten“, der Werksbeauftragte von Felbert für Böhlen 1.000 und sein Amtsbruder Schwarz in Espenhain 500 KZ- Häftlinge, und zwar umgehend. Von Felbert und auch Schwarz waren im herkömmlichen Sinne Firmenchefs, die sich gemäß der NS-Ideologie Werksbeauftragter oder Betriebsführer nennen mussten. Wie aus dem Geheimdokument hervorgeht waren, Unterkünfte in beiden Werken vorhanden und für Böhlen bereits durch Obersturmbandführer Schwarz vom Lager (KZ d. A.) Buchenwald für gut befunden worden. Damit der Häftlingseinsatz auch die „notwendige Rentabilität“ bei der Ausbeutung gewährleisten sollte wurde gleichzeitig ein Schlüssel für den Einsatz des Bewachungspersonals vorgegeben. Auf 8 Häftlinge sollte mindestens ein Bewachungsmann kommen. Für die Bewachung der Häftlinge in den Außenlagern und während der Arbeitseinsätze war die SS verantwortlich.

Eröffnung
25.07.1944 (1. Eröffnung)

Häftlinge
Insgesamt 1.100 nichtjüdische Häftlinge (Russen, Polen, Tschechen, Franzosen, Italiener und Deutsche)

Fluchten
35 registrierte; fünf davon erfolglos

16.08.1944 12:00 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 1 000 Bomben abgeworfen

11.09.1944 11:30 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 500 Bomben abgeworfen

12.09.1944 11:25 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 500 Bomben abgeworfen

07.10.1944 10:50 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 1 500 Bomben abgeworfen

15.11.1944
Aus dem aufgelösten Außenlager Böhlen des KZ Buchenwald wurden mit einem
Transport am 15.11.44 zunächst 210 Häftlinge nach Königstein verlegt. Sie wurden im Mittelgasthof Struppen (Adresse heute: Hauptstraße 52A, 01796 Struppen) untergebracht. Ihre Aufgabe bestand darin, ein Gefangenenlager auf dem Sportplatz Eselswiese zu errichten. So entstanden ca. 45 Rundzelte -sogenannte Finnenzelte -, Wirtschaftsbaracken und Wachunterkünfte. Dieses Lager mit dem Decknamen „Orion I“ war mit Stacheldrahtzaun umgeben. Bis zur Fertigstellung der Wasserleitungen herrschten sehr schlechte sanitäre Bedingungen vor. Das Lager befand sich direkt an der Autostrasse und sollte zunächst als provisorisches Lager dienen.

28.11.1944
Aus dem aufgelösten Außenlager Böhlen des KZ Buchenwald wurden am 28.11.1944 mit einem
Transport 780 Häftlinge nach Königstein (Eselswiese (Milchweg/Schwarzer Weg) verlegt. Dieses Arbeitskommando, welches in dem Lager auf der Eselswiese untergebracht war, sollte an einem neuen, noch größeren Lager im Bereich Milchweg/Schwarzer Weg bauen. Das Lager, mit dem Decknamen „Orion II“ bestand aus Holzbarracken und massiven Bauwerken, von welchen heute noch die Grundmauern zu sehen sind. Die Gebäude waren mit einem elektrischen Zaun, Wachtürmen und Suchscheinwerfern gesichtert. Es gab eine Lagerstrasse, eine Küchenbaracke und eine Hauptwache. Ein Strafblock wurde nicht fertiggestellt, ein Strafbunker war aber unterirdisch vorhan-den. Die Häftlinge wurden dem Geilenberg-Stab unterstellt und dem KZ Flossenbürg zugeordnet. Sie mussten zum Aufbau einer Dehydrieranlage zur Herstellung von Flugzeugbenzin Stollen in den Steinbruch von Strand vorantreiben. Für das Projekt, welches die Bezeichnung „Schwalbe II“ trug, wurden schon im Sommer 1943 Vermessungsarbeiten durchgeführt. Den Menschen teilte man mit, es solle dort eine Nudelfabrik entstehen.

Schließung
28.11.1944 (Am 28. Nov. 1944 löst die BRABAG das Lager auf)

30.11.1944 11:00 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Am 30. November 1944, unternimmt die 8. Air Force eine wiederholte Kraftanstrengung, um die Treibstoffwerke in Mitteldeutschland zum Stillstand zu bringen. Erneut fliegen 1200 Bomber der unterschiedlichen Bomber Groups mit 1000 Jagdflugzeugen als Begleitung Richtung Deutschland. Es ist der sechste Anflug auf Leuna und der Zweite für Lützkendorf in diesem Monat November 1944.
539 B-17 Bomber werden nach Leuna und Lützkendorf ausgesandt, davon greifen 470 Bomber diese beiden Werke an, 19 Bomber bombardieren die Ölwerke bei Zeitz und 9 die Stadt Weißenfels.
451 Bomber werden nach Zeitz und Böhlen beordert, 132 davon greifen die BRABAG Zeitz an, 68 das Böhlener Werk, 116 Bomber bombardieren die Leunawerke als Ausweichziel.
29 Bomber gehen bei den Angriffen verloren, 450 Crewmitglieder gelten als vermißt, verwundet oder tot.

00.02.1945
(Feb. 1945 wurde das KL Außenlager Böhlen erneut mit einer unbekannten Zahl von Häftlingen belegt.)

13.02.1945 23:00
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 700 Bomben abgeworfen

17.02.1945 12:30 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe

20.02.1945 04:10 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 250 Bomben abgeworfen

02.03.1945 11:10 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 100 Bomben abgeworfen

17.03.1945 14:00 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 100 Bomben abgeworfen

21.03.1945 03:15 Uhr - 03:40 Uhr
Bombardierung der BRABAG und des A.S.W. in Böhlen / Lippendorf durch die Alliierte Luftwaffe
Es wurden 2 000 Bomben abgeworfen

Der lange Weg zur Karbochemie

Benzin aus Böhlen - eine (fast) unendliche Geschichte

Der 12. März 1936 war ein denkwürdiger Tag für Böhlen. An ihm trat der Ort erstmals als Chemiestandort ans Licht der Öffentlichkeit, denn damals verließ der erste Kesselwagen mit Benzin, das aus Braunkohle hergestellt worden war, die Werksanlagen. Damit erreichten Bemühungen ihr Ziel, die vor weit über einem Jahrzehnt begonnen hatten.

Schon 1917/18, also bereits während des ersten Weltkrieges, unternahmen die staatlichen Braunkohlenwerke Sachsen erste Schwelversuche. Bereits mit dem Aufschluss der Braunkohlenvorkommen bei Böhlen waren Pläne verbunden, die dortige Förderung auch der chemischen Verarbeitung zuzuführen. Man war sich bewusst, dass hier dafür wesentlich günstigere Voraussetzungen gegeben waren als am anderen Großstandort des Unternehmens, in Hirschfelde. In einer 1927 verfassten Denkschrift der ASW heißt es: "Wenn [sich] bei unserem Werk Böhlen die … sog. Bankkohle über das gesamte nördlich von Böhlen für den Abbau in Betracht kommende Gebiet erstreckt", liegen die Verhältnisse für die chemische Verwertung der Kohle "besonders günstig, weil sich die Gewinnung der bitumenreichen Bankkohle ohne Schwierigkeit mit normaler Baggerarbeit durchführen lässt."

Die Aktiengesellschaft Sächsische Werke bemühte sich deshalb ernsthaft um den Einstieg in die Kohlechemie. In der zweiten Hälfte der 20er Jahre stieß das Unternehmen damit jedoch auf erhebliche Widerstände. Zwar lagen die für die Kohlehydrierung wesentlichen chemischen Entdeckungen längst vor; es war jedoch keineswegs ausgemacht, ob sich ihre großtechnische Verwertung vom unternehmerischen Standpunkt aus auch rechnen würde. Anlässlich einer am 24. Juni 1927 stattfindenden "Besprechung über die Planung einer Schwelanlage für das Braunkohlenwerk Böhlen" wurde deshalb beschlossen "zunächst selbst keine Großanlage oder Versuchsanlage zu bauen, sondern erst die Großversuche" anderer Unternehmen abzuwarten.

Die wichtigsten einschlägigen Patente befanden sich im Besitz der I.G. Farben. Seit 1927 betrieb die I.G. in Leuna eine Versuchsanlage zur Hochdruckhydrierung von Kohle.

Für die Braunkohlenunternehmen stellten sich die Anfänge der Kohlechemie somit alles andere als verheißungsvoll dar. Dr. Piatschek, der Generaldirektor des Mitteldeutschen Braunkohlensyndikats, äußerte sich 1928 in diesem Sinne in den "Leipziger Neuesten Nachrichten": "Natürlich", schrieb er, "wendet der Braunkohlenbergbau seine gespannteste Aufmerksamkeit auf diese Dinge. Aber der wirkliche Erfolg ist bisher mehr als bescheiden. Künstlich hergestellte Wertstoffe können zur Zeit noch nicht einen erfolgreichen Wettbewerb mit den von der Natur gegebenen aufnehmen. Nur etwa 3 Millionen t Kohle kommen zur Zeit in den bestehenden chemischen Anlagen zur Verarbeitung; also noch keine 3 % von der Gesamtförderung. Es liegt auf der Hand, dass die chemische Auswertung in diesem Umfange für die Rentabilität des Braunkohlenbergbaues überhaupt noch keine Rolle spielt. Diese Entwicklung bedarf noch viele Jahre ernstester Arbeit."

Dessen ungeachtet war die ASW weiterhin am Ball. Um die Jahreswende 1927/28 erfuhr die Öffentlichkeit durch die Indiskretion eines Aufsichtsratsmitgliedes der ASW von diesbezüglichen Planungen des Unternehmens. In den "Leipziger Neuesten Nachrichten" hieß es am 8. Januar 1928: "In Böhlen soll, um eine wirtschaftliche Ausbeutung der Braunkohle zu erzielen, mit der Schwelung der Kohle und mit der chemischen Auswertung des dafür geeigneten Rohproduktes begonnen werden." Die Techniker der ASW empfahlen zunächst die Errichtung einer Großversuchsanlage, in der auf verschiedenen Verfahren basierende Anlagen getestet werden sollten. Die Unternehmensführung stellte jedoch die Realisierung des Vorhabens angesichts der ungünstigen Absatzchancen für Schwelteer immer wieder zurück. Nur dessen Verarbeitung zu Treibstoffen hätte eine solche Investition gerechtfertigt.

Vorerst lagen jedoch die Produktionskosten des aus Braunkohle gewonnenen Benzins weit über dem Weltmarktpreis. 1930 musste die IG Farben 40 bis 50 Pfennig aufwenden, um einen Liter Benzin zu erzeugen. Zur gleichen Zeit befanden sich die Preise auf einer rasanten Talfahrt. USA-Benzin, das 1925 noch 15,4 Pfennig/Liter gekostet hatte, wurde 1931 nur noch für 5,2 Pfennig gehandelt. An den deutschen Tankstellen bezahlte man für den Liter Kraftstoff damals 23 Pfennig. Vom unternehmerischen Standpunkt aus erschien die Herstellung von Braunkohlenbenzin mithin kaum sinnvoll.

Ungeachtet dessen wuchs das Interesse an der Verbesserung der einschlägigen Verfahren. Das "Bornaer Tageblatt" schrieb am 23. Oktober 1933 dazu: "Zurzeit ist Deutschland in seiner Treibstoffversorgung noch durchaus vom Auslande abhängig. Von den 1,36 Millionen Tonnen Betriebsstoff, die 1933 voraussichtlich verbraucht werden, müssen 830.000 Tonnen aus dem Auslande eingeführt werden. Dadurch wird die Außenhandelsbilanz bereits jetzt mit 200 Millionen Mark belastet. Diese Last wird noch beträchtlich größer werden, wenn mit der Zunahme des Kraftverkehrs der Treibstoffbedarf und damit die Einfuhr ausländischer Treibstoffe ansteigt."

Infolge der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten gesellten sich zu diesen volkswirtschaftlichen Gründen zunehmend auch politische und militärische. Die Ziele der neuen Machthaber ließen sich nur dann verwirklichen, wenn es gelang, eine eigene, von ausländischen Lieferungen unabhängige Treibstoffversorgung aufzubauen.

In diesem Kontext nahmen die Pläne zum Aufbau karbochemischer Anlagen in Böhlen immer konkretere Züge an. Am 22. August 1933 verkündete der sächsische Finanzminister Kamps im Landtag die Absicht, an diesem Standort eine Anlage zur Gewinnung von Benzin aus Braunkohle zu errichten. Eine schnelle Realisierung dieser Pläne wurde jedoch durch verschiedene unternehmerische Interessen verhindert.

Die IG Farben, die im Leuna-Werk eine Anlage zur Herstellung von 300 - 400 Tausend t Benzin pro Jahr errichtet hatte, hofften zu diesem Zeitpunkt, ihren technologischen Vorsprung in klingende Münze verwandeln zu können. Auf einer von der Reichsregierung initiierten Beratung, die am 3. August 1933 in Berlin stattfand, drohten sie, eine Verletzung ihrer Patentrechte durch die ASW keinesfalls zuzulassen. Der auf dem Gebiet der Kohlehydrierung führende Wissenschaftler Dr. Matthias Pier von der IG Farben vertrat damals die Auffassung, es werde, ganz gleich, welches technische Verfahren man in Böhlen wähle, unausweichlich zu Patentverletzungen kommen. Auch auf dem Gebiet des Anlagenbaus tätige Unternehmen wie die Lurgi GmbH drohten mit Patentklagen. Erst infolge von Gutachten u.a. seitens des Braunkohlenforschungsinstitutes der Bergakademie Freiberg konnten im Herbst 1933 diese Hindernisse ausgeräumt werden. Es ergab sich nämlich, dass keines der Unternehmen ein alleiniges Patentrecht auf die entscheidenden technologischen Verfahrensschritte besaß.

Bereits Anfang September 1933 luden die ASW an vier aufeinander folgenden Tagen die auf diesem Gebiet tätigen Firmen zur Präsentation der unterschiedlichen Verfahren und zu Verhandlungen nach Böhlen ein. Anfang November 1933 lagen die Kostenanschläge für die verschiedenen Anlagen vor. Dennoch zögerte man in der Dresdener Unternehmenszentrale mit einer endgültigen Entscheidung. In einer Stellungnahme zum Projekt "Treibstoff-Gewinnungsanlage Böhlen", die am 16. Dezember 1933 für das sächsische Finanzministerium verfasst wurde, ist die Rede davon, dass "die ASW zu ihrem Bedauern außerstande" sei, "ein finanzielles Risiko für das eingereichte Projekt zu übernehmen." Schließlich gelte es, "keinesfalls neue Schulden aufzunehmen, sondern in den nächsten Jahren mit erhöhten Raten die vorhandenen Schulden zu tilgen", die aus den Dollaranleihen resultierten, die für den Bau der bisherigen Anlagen aufgenommen worden waren.

Das Unternehmen versuchte selbst die bei der Projektierung anfallenden Kosten weitgehend zu minimieren. Als im August 1933 ein freiberuflicher Ingenieur für Gutachtertätigkeiten auf dem Gebiet der Hochdruckhydrierung beauftragt werden musste, bat die ASW das Finanzministerium, es möge ihr beim Aufbringen der dafür nötigen Honorarmittel in Höhe von 5000,- Reichsmark behilflich sein. Die Summe wurde schließlich durch die "Kraftverkehr Freistaat Sachsen Aktiengesellschaft" zur Verfügung gestellt.
Auch etwaigen finanziellen Risiken bei der Errichtung der Anlagen versuchte die ASW aus dem Wege zu gehen. In der bereits zitierten Stellungnahme vom 16. Dezember 1933 heißt es, man solle erwägen, "ob die Durchführung des Projektes zweckmäßig einer neu zu gründenden GmbH zu übertragen wäre, deren Finanzierung durch das Reich oder durch das Land Sachsen zu erfolgen hätte."
Dieser Vorschlag umfasste bereits einige Aspekte jener Lösung, die im Herbst 1934 durch die nationalsozialistische Reichsregierung herbeigeführt wurde. Diese sah freilich hinsichtlich der entscheidenden Frage, jener der Finanzierung ganz anders aus, als sich das die Unternehmensführung der ASW vorgestellt hatte.

Am 21. September 1934 wurden führende Unternehmensvertreter aller bedeutenden deutschen Braunkohlenwerke ins Reichswirtschaftsministerium geladen. Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht verkündete auf dieser Konferenz, es sei beabsichtigt, "an das Problem der Treibstoffversorgung in einer Gemeinschaftsarbeit der Braunkohle heranzugehen. […] Es sei beabsichtigt, die Braunkohlenindustrie in ihrer Gesamtheit für die Kapitalbeschaffung heranzuziehen." Es solle eine Aktiengesellschaft gegründet werden. Hinsichtlich der Technologie habe man sich für das Hydrierverfahren der IG Farben entschieden. Da die Braunkohlenwerke durch ihre Lieferungen an dem Vorhaben verdienen würden, sollten sie auch für die Investitionskosten aufkommen.

Anders als die meisten anwesenden Unternehmensvertreter äußerte die ASW keine Bedenken gegen dieses Vorhaben. Viel mehr bemühte sie sich von vorn herein lediglich darum, dass ihr Produktionsstandort Böhlen für ein zu errichtendes Benzinwerk favorisiert würde.

Da die Mehrheit der Braunkohlenwerke nicht bereit war, sich freiwillig an diesem Projekt zu beteiligen, wurde eigens zu dessen Realisierung am 28. September 1934 eine "Verordnung über die Errichtung wirtschaftlicher Pflichtgemeinschaften in der Braunkohlenwirtschaft" erlassen. Am 19. Oktober 1934 beriet Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht im Berliner Reichswirtschaftsministerium mit einem kleinen Kreis von Unternehmensvertretern Detailfragen der Gründung einer Aktiengesellschaft. Dabei wurde hart um die Höhe der Einlagen, den Beitrag der Einzelfirmen und juristische Fragen gerungen. Auf Grundlage dieser Verhandlungen erfolgte am 26. Oktober schließlich die Gründung der Braunkohlen-Benzin AG, der Brabag. "Gegenstand des Unternehmens ist", hieß es im Gesellschaftervertrag, "die Herstellung von Treibstoffen und Schmierölen unter Verwendung von Braunkohle und die Errichtung sowie der Erwerb von Anlagen, die zur Erreichung und Förderung dieser Zwecke geeignet sind."

Als Gründer traten zehn Unternehmen auf, die IG Farben, die Ilse-Bergbau AG, die Deutsche Erdöl AG (Dea), die Werschen-Weißenfelser Braunkohlen AG, die Braunkohlen- und Brikett-Industrie AG (Bubiag), die ASW, die Elektrowerke AG Berlin, die Rheinische AG für Braunkohlenbergbau und Brikettfabrikation, die Mitteldeutsche Stahlwerke AG und die Anhaltischen Kohlenwerke Halle. Als Grundkapital wurden 100 Millionen Reichsmark vereinbart.

Unmittelbar nach Abschluss des Gesellschaftervertrages spitzte sich der Kampf um die Standortverteilung der zu errichtenden Benzinwerke zu. Während die Bubiag Mückenberg in der Niederlausitz ins Spiel brachte, hoben die ASW die Vorzüge Böhlens hervor. Darüber hinaus war von Magdeburg die Rede, da man dort Kohle verarbeiten konnte, deren Zusammensetzung jener gleich kam, die von der IG Farben in Leuna verwendet wurde.

Seitens der Braunkohlenindustrie stieß das von der IG Farben praktizierte Kohlehydrierverfahren verbreitet auf Ablehnung. Deshalb beschloss man am 8. November 1934, anstelle eines großen nach diesem Verfahren arbeitenden Werkes an verschiedenen Orten drei kleinere Anlagen zu bauen, die auf unterschiedlichen Technologien beruhen sollten. Man war der Ansicht, dies sei auch im Kriegsfall von Vorteil.

Die Standortwahl für das zuerst zu errichtende Werk fiel auf Böhlen. Hier sollte ein Teerhydrierungswerk nach dem IG-Verfahren entstehen, ausgelegt auf die Herstellung von 150 Tausend t Treibstoffe im Jahr. Dafür wurde eine Investitionssumme von 50 Millionen Reichsmark vorgesehen. [Bild 14] Offizieller Baubeginn sollte am 1. Januar 1935 sein. Die tatsächlichen Bauarbeiten setzten allerdings erst im Laufe des Frühlings ein.

Die Standortentscheidung zugunsten Böhlens war ein Erfolg für die ASW, barg aber zugleich gewisse Risiken für das Unternehmen: Um dem Hydrierwerk Teer liefern zu können, musste das Unternehmen am Standort auf eigene Kosten eine Großschwelerei für die Erzeugung von 200 Tausend t Teer im Jahr errichten. [Bild 15] Zudem schien keineswegs ausgemacht, dass diese zusätzliche Investition auch zukunftsträchtig sein würde, war man doch seinerzeit der Ansicht, die Teerhydrierung könne in absehbarer Frist durchaus als technologisch überholt gelten.

Darüber hinaus reichte die Kapazität der vorhandenen Anlagen für die neuen Anforderungen nicht mehr aus. Neue Trocknerhäuser wurden gebaut und die Leistung der Mahlanlage durch neue Mühlensysteme erhöht. Eigens für die Schwelerei wurde eine zweite Brikettfabrik errichtet. Im Kraftwerk verlängerte man die beiden Kesselhäuser und ersetzte eine der Gegendruckmaschinen durch zwei 25-MW-Tubinen.

Die gesamte Region erlebte infolge des Baubeginns in Böhlen einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Vor allem entstanden viele neue Arbeitsplätze. "Bei der ASW", notierte Böhlens Ortschronist Oskar Fritzsche damals dazu, "waren zu Anfang Oktober [1935] 1250 Mann beschäftigt, wozu 250 Angestellte kommen.

Brabag und ASW beschäftigen zusammen also über 5000 Arbeiter. Bei der Brabag sind allein 124 Baufirmen beschäftigt." Seitens der Unternehmensleitung der Brabag sprach man von 50 bis 60 Tausend Personen, die durch den Bau des Benzinwerkes Böhlen Arbeit gefunden hätten. Parallel zur Errichtung der Werksanlagen wurde auch der Ausbau der Siedlungen vorangetrieben. Allein in Böhlen entstanden 310 Wohnungen. Oskar Fritzsche fasste all das voller Lokalstolz mit den Worten zusammen: "In Böhlen pulsiert ein Leben wie wohl an wenigen Orten in unserem Reiche."

Quelle:Dr. H.-J. Ketzer, Lobstädt

01.07.1946

Am 1.7.1946 fand die Umwandlung der BRABAG-Anlagen in Böhlen und Espenhain in die Sowjetische Aktiengesellschaft "SAG-Kombinat Espenhain, SAG Kohle" statt, die nunmehr unter sowjetischer Verwaltung stand und Reparationsleistungen zu erbringen hatte, weshalb die Anlagen nicht demontiert wurden. Eine Änderung des Produktionsprofils erfolgte nicht. Die Wiederherstellung der Betriebsteile Tagebau mit der 590-m-Förderbrücke, der beiden Brikettfabriken, Schwelanlagen und Kraft-werke, der Phenosolvananlage, Rohkarbolsäurefabrik, Teer- und Erdölverarbeitung mit den Wasserversorgungsanlagen, der Laboranlagen und einer Reihe von Werk-stätten erfolgte von 1946 bis 1948 unter Leitung sowjetischer Generaldirektoren. Durch erneuten Druck zum Einbringen dringend benötigter Versorgungsleistungen wurden notwendige Reparaturen (z.B. Kläranlagen, unterirdische Kanalisation) ver-nachlässigt. Trotz dieser Mängel konnten 1948 die projektierten Produktionsziele bereits wieder erreicht und der höchste Stand der ehemaligen Produktion teilweise ü-berboten werden.