Dritter Teil 2. B. I. 3.

Miete

Obwohl der Angeklagte Miete als SS-Unterscharführer nur einen niedrigen Dienstgrad hatte, zeichnete er sich bei der Abfertigung von Transporten durch besondere Energie aus. Ohne jedes innere Widerstreben und mit großem einverständlichen Eifer schlug er mit seiner Peitsche auf die angekommenen Juden an der Rampe ein und gebrauchte hierbei auch seine Schusswaffe, wenn er es zur schnellen, geordneten Erledigung der Massenvernichtung für erforderlich hielt.
Wurde er zur Ablösung des Angeklagten Mentz ins Lazarett beordert, so machte er von der ihm gebotenen Möglichkeit, alte und kranke Ankömmlinge aus den Transporten eigenhändig erschießen zu dürfen, einen regen Gebrauch, um so seine sadistischen Neigungen bequem und ohne Angst vor Strafe befriedigen zu können.

Nach seinen eigenen Angaben hat er hierbei mindestens 150 bis 200 Menschen persönlich durch Genickschuss in der im Lazarett üblichen Weise getötet, ohne sich von ihrem eingetretenen Tod zu überzeugen.

Bezüglich der eigentlichen Transportabfertigungen hat er zwar keine maßgebliche Tatherrschaft innegehabt, sich aber trotzdem innerlich mit den Haupttätern der Massenvernichtung identifiziert, weil er hierdurch Gelegenheit erhielt, seine Freude an grausamen Vorgängen in die Tat umzusetzen. Dass er ein blutrünstiger Sadist und ein unbarmherziger Henker gewesen ist, geht nicht zuletzt aus seinen zahlreichen, nur zum Teil von der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss erfassten, eigenmächtigen Exzesstaten hervor, die in der Hauptverhandlung bewiesen worden sind.
Der Angeklagte Miete ist selbstbewusst und intelligent. Bei seinen geistigen Fähigkeiten war er nicht der Mann, der fremdes Wollen nur unterstützen wollte. Er nutzte vielmehr die sich ihm im Vernichtungslager Treblinka bietenden Gelegenheiten aus, um zu eigener Lust und Freude seinen sadistischen Trieben nachgehen zu können.
Er handelte einmal aus Mordlust, nämlich aus einer unnatürlichen Freude am Töten, und auch aus sonstigen niedrigen Beweggründen.

Das Schwurgericht ist nämlich weiter davon überzeugt, dass Miete an der Vernichtungsaktion auch deshalb teilgenommen hat, weil er die Juden für rassisch minderwertig hielt. In jedem Falle hat er sich aber den Rassenhass der Haupttäter zunutze gemacht, um ungestraft töten zu können, eine Einstellung, die gleichfalls als niedriger Beweggrund im Sinne des 211 StGB anzusehen ist (vgl. den 2. Leitsatz der Entscheidung des Bundesgerichtshofes in BGHSt. 18, 37). Bei den Tötungen alter und kranker Juden im Lazarett, die aus den Transporten unter dem Vorwand einer ärztlichen Behandlung dorthin gebracht worden waren, hat er auch heimtückisch gehandelt, da er die bereits bestehende Arg- und Wehrlosigkeit seiner Opfer zur bequemen Durchführung seiner Henkersaufgaben ausgenutzt hat. Dadurch, dass er niemals kontrolliert hat, ob die Opfer auch wirklich tot waren, wenn sie in die brennende Leichengrube fielen, hat er auch selbst grausam gehandelt, da er aus einer gefühllosen und unbarmherzigen Gesinnung in Kauf nahm und billigte, dass zumindest einige der Opfer lebendigen Leibes in den Flammen verbrannten. Das alles beweist deutlich, dass Miete kein Mordgehilfe, sondern ein Mörder gewesen ist. Da der Angeklagte Miete sich trotz seiner Kenntnis aller Tatumstände an der Massenvernichtung beteiligte, handelte er auch vorsätzlich.

Das Schwurgericht ist davon überzeugt, dass der Angeklagte Miete an der Tötung von mindestens 300000 Menschen mitgewirkt hat. Er hat dem SS-Sonderkommando Treblinka von Ende Juni / Anfang Juli 1942 bis Mitte November 1943, also mehr als 17 Monate angehrt. Selbst wenn man einen Urlaub von insgesamt etwa 17 Wochen absetzt, so verbleiben mehr als 12 Monate, in denen Miete an den Transportabfertigungen teilgenommen hat.

Das Schwurgericht schätzt deshalb die Zahl der Personen, an deren Vernichtung Miete im Rahmen der Massentötungen beteiligt gewesen ist, auf mindestens 300000. Hierin sind aus den bereits beim Angeklagten Franz dargelegten Gründen die von Miete mit eigener Hand oder unter seiner unmittelbaren Mitwirkung bei der Transportabfertigung, insbesondere im Lazarett durchgeführten Tötungen (vergleiche den Abschnitt E.IV. des Zweiten Teiles des Urteils) mit enthalten.

Der Angeklagte Miete erfüllt mithin, soweit seine Tätigkeit im Rahmen der organisierten Massenvernichtung in Betracht kommt, den Tatbestand des gemeinschaftlichen, aus Mordlust, aus sonstigen niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam begangenen Mordes in mindestens 300000 tateinheitlich miteinander verbundenen Fällen (211, 47, 73 StGB).