Dritter Teil 1. C.

Zur Verjährung der Strafverfolgung

Die Verfolgung der den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten ist nicht verjährt.

Mord, versuchter Mord und Beihilfe zum Mord verjähren nach 67 Absatz 1 StGB in 20 Jahren, da das Gesetz sie in den 211, 44, 49 StGB mit lebenslangem Zuchthaus bedroht. Diese Strafandrohung und darüber hinaus sogar die Androhung der Todesstrafe bestanden auch schon zur Tatzeit, wie sich aus 4 der Gewaltverbrecherverordnung vom 5.Dezember 1939 (RGBl. I, Seite 2378) ergibt. Somit galt bereits in den Jahren 1942 und 1943 für die den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten die 20jhrige Verjährungsfrist.

Für die in der nationalsozialistischen Zeit aus politischen Gründen nicht verfolgten Delikte hat die Verjährung bis zum 8.Mai 1945 geruht (vergleiche 69 Absatz 1 StGB in Verbindung mit 3 der Verordnung des Zentraljustizamtes für die britische Zone vom 23.Mai 1947 - VOBl. BrZ 1947, Seite 65 und die gleichlautenden Bestimmungen in den entsprechenden Gesetzen der Länder der amerikanischen und französischen Zone, wie sie bei Schwarz-Dreher, 27.Auflage, Anmerkung 2 zu 67 StGB aufgeführt sind).
Nach 1 Absatz 1 des Gesetzes über die Berechnung strafrechtlicher Verjährungsfristen vom 13.April 1965 (BGBl. I, Seite 315) bleibt darüber hinaus bei mit lebenslangem Zuchthaus bedrohten Verbrechen die Zeit vom 8.Mai 1945 bis zum 31.Dezember 1949 außer Ansatz, so dass die Verjährung dieser Verbrechen sogar bis zum 31.Dezember 1949 gehemmt war. Die Verfolgung der den Angeklagten zur Last gelegten Straftaten ist also unter Berücksichtigung dieser Bestimmungen keinesfalls verjährt.
Abgesehen davon ist die Verjährung gegen alle Angeklagte durch richterliche Handlungen im Sinne des 68 Absatz 1 StGB unterbrochen worden.

Der Untersuchungsrichter I bei dem Landgericht in Düsseldorf hat nämlich gegen alle Angeklagten die gerichtliche Voruntersuchung verfügt, und zwar
1. gegen den Angeklagten Franz am 14.Dezember 1959
2. gegen die Angeklagten Münzberger
Suchomel
H.
Lambert
Matthes
Mentz,
Miete und
Stadie

am 4.Mai 1960
3. gegen den Angeklagten Ru.

am 24.April 1962.
Gegen alle Angeklagten, mit Ausnahme des Angeklagten Ru. ist damit die Verjährung sogar innerhalb einer Frist von 15 Jahren seit dem 8.Mai 1945 unterbrochen worden.

Die Kritik an der Rechtmäßigkeit des 4 der Gewaltverbrecherverordnung, der anstelle der 15jhrigen die 20jhrige Verjährungsfrist für Beihilfe zum Mord und versuchten Mord brachte, hat damit nur bei dem Angeklagten Ru., gegen den die Voruntersuchung erst knapp 17 Jahre nach dem 8.Mai 1945 verfügt worden ist, praktische Bedeutung. Entgegen der Meinung der Verteidigung bestehen jedoch gegen die Anwendbarkeit des 4 der Gewaltverbrecherverordnung keine Bedenken.

Die Gewaltverbrecherverordnung wurde vom Ministerrat für die Reichsverteidigung erlassen, der aufgrund des Führererlasses vom 30.August 1939 (RGBl. I, S.1539) gebildet worden war. Dieser Führererlass ermächtigte den Ministerrat für die Zeit der gegenwärtigen außenpolitischen Spannung zur einheitlichen Leitung der Verwaltung und Wirtschaft Verordnungen mit Gesetzeskraft zu erlassen, falls der Führer nicht die Verabschiedung eines Gesetzes durch die Reichsregierung oder den Reichstag anordnete.
Diese Übertragung der Rechtsetzungsbefugnis durch den Führer auf den Ministerrat ist unter Beachtung der damaligen Verfassungswirklichkeit, die allein über die Frage der Gütigkeit von gesetzgeberischen Maßnahmen entscheidet, als rechtswirksam anzusehen, denn diejenigen Bestimmungen der Weimarer Verfassung, die den rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung verankerten, waren durch Hitler im nationalsozialistischen Staat in Wirklichkeit weitgehend außer Kraft gesetzt worden.
Hitler hatte die alleinige Macht im Staate übernommen. Dieser tatsächlich bestehende Verfassungszustand, der sich gegenüber der früher geltenden Verfassung durchgesetzt hatte und deshalb allgemeine rechtliche Anerkennung fand, sah die Rechtsetzung durch den Führer als verfassungsmäßig an und lässt daher, jedenfalls in der hier allein interessierenden Zeit von 1939 bis 1945, keinen Zweifel an der Gesetzmäßigkeit seiner im Reichsgesetzblatt verkündeten gesetzlichen Maßnahmen zu (vergleiche BGHSt. 4, 230 ff. und BGHZ 5, 76 ff.). Dieser Auffassung steht nicht entgegen, dass Adolf Hitler die Gesetzgebung nicht ausschließlich allein ausübte, sondern einzelne Gesetze von der Reichsregierung verabschieden oder durch den Reichstag ausdrücklich bestätigen ließ. Das mag er im Einzelfall für zweckmäßig gehalten haben, um den Schein zu wahren oder eine propagandistisch auswertbare Zustimmung zu erhalten. Wenn ihm aber nach dem im Jahre 1939 herrschenden verfassungsrechtlichen Zustand die Befugnis zur Rechtsetzung zukam, konnte er diese auch wirksam auf den Ministerrat für die Reichsverteidigung übertragen. Die vom Ministerrat für die Reichsverteidigung beschlossene und verkündete Gewaltverbrecherverordnung hält sich im Rahmen der ihm durch den Führererlass vom 30.August 1939 erteilten Ermächtigung. Allerdings erscheint sie nach der heutigen rechtsstaatlichen Betrachtungsweise nicht als eine Maßnahme, die der einheitlichen Leitung der Verwaltung und Wirtschaft diente, da sie Aufgaben der Rechtspflege wahrnahm. Doch umfasste der im Führererlass verwendete Begriff der Verwaltung nach den damaligen Anschauungen auch das Justizressort. Neben der Reichsregierung und dem Reichsjustizminister, die ihre Zuständigkeit für den Erlass von Gesetzen und Rechtsverordnungen weiterhin behielten und ausübten, konnte mithin auch der Ministerrat für die Reichsverteidigung in wichtigen und dringenden Angelegenheiten auf dem Gebiete der Rechtspflege gesetzgeberisch tätig werden. übrigens ging der Erlass der Gewaltverbrecherverordnung auf einen Vorschlag des Reichsjustizministers zurück (vgl. Kayser in Deutsches Recht 1940, 345). Diese Vorarbeit des Reichsjustizministeriums gab seinem damaligen Staatssekretär Freisler die Möglichkeit, die Gewaltverbrecherverordnung bereits eine Woche nach ihrer Verkündung ausführlich zu besprechen (siehe Freisler in Deutsche Justiz 1939, 1849). Bei der Verkündung der Gewaltverbrecherverordnung im Reichsgesetzblatt sind formelle Mängel, die ihre Gütigkeit in Frage stellen könnten, nicht vorhanden. Sie trägt die Unterschriften der maßgebenden Mitglieder des Ministerrats für die Reichsverteidigung, nämlich des Vorsitzenden Göring, des für das Justizressort zuständigen Generalbevollmächtigten für die Reichsverwaltung Dr. Frick und des Reichsministers und Chefs der Reichskanzlei Dr. Lammers, dem die Führung der Geschäfte des Ministerrates oblag.
Während die 1-3 der Gewaltverbrecherverordnung sich speziell auf Gewaltverbrechen und Gewaltvergehen beziehen und hierbei einen bestimmten Tätertyp im Auge haben, kommt dem 4 der VO eine allgemeine Bedeutung für das gesamte Strafrecht zu (vgl. Freisler in DJ 1939, 1849; Kayser in DR 1940, 345; Klee in DR 1940, 350; Rietzsch in DJ 1943, 309, RGSt. 75, 52 und 76, 251 sowie BGH in NJW 1962, 2209 mit einer zustimmenden Anmerkung von Dreher). Das ergibt sich aus der vom Gesetzgeber gewählten Formulierung, dass für den Versuch und die Beihilfe allgemein die Strafe zulässig sein soll, welche für die vollendete Tat vorgesehen ist. Außerdem folgt das auch aus der Stellung, welche diese Bestimmung in der Verordnung erhalten hat, denn sie schließt sich als materiellrechtliche Norm an die formellrechtliche Vorschrift des 3 an, welche die ebenfalls materiellrechtlichen Normen der 1 und 2 verfahrensmäßig, nämlich durch die Einführung einer Sondergerichtsbarkeit, regelt. Der Gesetzgeber hätte mit Sicherheit die Verfahrensvorschrift des 3 der materiellen Bestimmung des 4 nachfolgen lassen, wenn letztere sich ebenfalls nur auf die in den 1 und 2 angeführten Gewaltverbrechen und Gewaltvergehen hätte beziehen sollen. Zudem fehlt in 4 eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Bestimmungen der 1 und 2, wie sie 3 enthält und wodurch klargestellt wird, dass eben der 3 nur bei den Sonderdelikten der 1 und 2 anzuwenden ist. Dass 4 der Gewaltverbrecherverordnung für das gesamte Strafrecht Geltung haben sollte, hat insbesondere Freisler (in DJ 1939, 1849) betont, der als damaliger Staatssekretär im Reichsjustizministerium am besten imstande war, die mit dem Erlass dieser Verordnung verfolgten gesetzgeberischen Ziele zutreffend auszulegen, da die Verordnung in seinem Ministerium entworfen worden war.
Dieser Ansicht steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber die in 4 der Gewaltverbrecherverordnung ausgesprochene allgemeine Strafschärfung für Versuch und Beihilfe nicht durch eine Änderung der 49, 44 alter Fassung StGB herbeiführte, wie sie erst durch die Durchführungsverordnung des Reichsjustizministers vom 29.Mai 1943 (RGBl. I, S.341) erfolgte, sondern dass er für die Zeit vom 5.Dezember 1939 bis zum 29.Mai 1943 den 4 der Gewaltverbrecherverordnung einerseits und die 49, 44 alter Fassung StGB andererseits nebeneinander bestehen ließ.
Dies erklärt sich nach dem Charakter der Gewaltverbrecherverordnung daraus, dass 4 wie die übrigen Vorschriften der Verordnung zunächst nur eine kriegsbedingte Übergangsregelung darstellten, also eine zeitlich begrenzte Geltung haben sollten. Daher war es naheliegend, diese als vorübergehend gedachte Regelung nicht in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Erst als sich beim Gesetzgeber in den folgenden Jahren die Ansicht durchsetzte, der materielle Gehalt des 4 verdiene eine dauernde, nicht auf die Kriegszeit beschränkte Geltung, hat er im Jahre 1943 den 4 der Gewaltverbrecherverordnung in das Strafgesetzbuch eingearbeitet und die 49, 44 StGB entsprechend abgeändert.

Die Gewaltverbrecherverordnung ist auch mit rechtsstaatlichen Ansichten vereinbar. Sie enthält kein typisch nationalsozialistisches Gedankengut. Allerdings brachte sie durch die Verschärfung für die in den 1 und 2 angeführten Sonderdelikte wie auch durch die Erweiterung des allgemeinen Strafrahmens für Versuch und Beihilfe erhebliche Härten mit sich. Man darf jedoch nicht außer Betracht lassen, dass die Verordnung hiermit den Notwendigkeiten des Krieges Rechnung tragen wollte. Derartige kriegsbedingte Sondermaßnahmen kennt und akzeptiert jede Rechtsordnung, da sie den Interessen der Allgemeinheit ebenso dienen wie dem einzelnen Bürger, der auch während des Krieges einen ausreichenden Schutz vor Verbrechern haben soll.

Das die durch 4 der Gewaltverbrecherverordnung und später durch die Neufassung der 49, 44 aF StGB geschaffene Erweiterung des Strafrahmens für Versuch und Beihilfe keine typische nationalsozialistische Maßnahme gewesen ist, beweist insbesondere der Umstand, dass der heutige Gesetzgeber diese Maßnahme abgesehen von der durch Artikel 102 des Bonner Grundgesetzes verfügten Abschaffung der Todesstrafe bestehen ließ. Er bringt damit zum Ausdruck, dass er die Rechtssicherheit für nicht gefährdet hält, wenn ein Gericht bei der Bestrafung von Versuch und Beihilfe zu einem Verbrechen oder Vergehen gegebenenfalls auch die für die vollendete Tat vorgesehene Höchststrafe verhängen kann.
Die Gewaltverbrecherverordnung lässt sich ferner nicht um deswillen als nichtig ansehen, weil etwa einzelne Bestimmungen wegen ihres den rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügenden Inhalts unwirksam sein könnten und die dann noch verbleibenden Bestimmungen aus sich heraus nicht mehr verständlich wären. Jede Nachprüfung in dieser Hinsicht muss von der Eigenschaft der Verordnung als einem kriegsbedingten Übergangsgesetz sowie von dem gesetzgeberischen Willen ausgehen, für die Zeit des Krieges die innere Sicherheit im Staate und den Schutz der Zivilbevölkerung vor Gewalteter (1 und 2 der Verordnung) wie auch vor allgemeinen kriminellen Angriffen (4 der Verordnung) unter allen Umständen zu gewährleisten. Danach kann weder dem 1 ein ungewöhnlich grausamer, in keinem Verhältnis zur Schuld des Täters stehender Inhalt entnommen werden, noch bietet die Einführung der Sondergerichtsbarkeit durch 3 unter besonderer Berücksichtigung der damaligen Situation Ende 1939 Anlass zu Bedenken.
Der strafrechtliche Tatbestand des 1 war zudem so bestimmt gefasst, dass er eine klare Auslegung erlaubte und dadurch den Geboten der Rechtssicherheit entsprach. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob nicht die in 5 angeordnete rückwirkende Kraft der Verordnung derart gegen rechtsstaatliche Grundsätze verstößt, dass diese Bestimmung trotz der besonderen Kriegssituation und des damit verbundenen erhöhten Sicherheitsbedürfnisses der Zivilbevölkerung als unwirksam anzusehen ist. Einer Entscheidung dieser Frage, die für die von den Angeklagten in den Jahren 1942 und 1943 begangenen Taten ohne Bedeutung ist, bedarf es jedoch nicht, da eine Unwirksamkeit dieser Bestimmung des 5 keineswegs die Nichtigkeit der gesamten Gewaltverbrecherverordnung zur Folge haben würde.

Schließlich steht auch Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Bonner Grundgesetzes einer Anwendung des 4 der Gewaltverbrecherverordnung nicht entgegen, denn die Frage, ob eine auf Freiheitsentziehung gerichtete Strafbestimmung dem Grundsatz eines förmlichen Gesetzes genügt, stellt sich nicht schlechthin für jedes Recht, das vor dem Zusammentritt des ersten deutschen Bundestages erlassen worden ist, sondern lediglich dann, wenn dieses eine Fortgeltung nach Artikel 123 Absatz 1 GG beansprucht (vgl. OLG Köln in NJW 1962, 1214).

Das ist bei 4 der Gewaltverbrecherverordnung nicht der Fall, da diese Bestimmung nur vorübergehend in Kraft war und mit der Änderung der 49, 44 aF StGB aufgrund der Durchführungsverordnung des Reichsjustizministers vom 29.Mai 1943 ihre Geltung verlor. Damit wird 4 der Gewaltverbrecherverordnung nicht mehr von Artikel 123 Absatz 1 GG erfasst (vgl. von Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Anmerkung 3 am Ende zu Artikel 123) und braucht deshalb auch nicht im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt des Artikels 104 Absatz 1 Satz 1 GG überprüft zu werden. Fr die Anwendbarkeit des 4 der Gewaltverbrecherverordnung ist vielmehr nur von Bedeutung, ob diese Bestimmung in dem Zeitraum, in dem sie formell in Kraft war, rechtlich Wirksamkeit hatte.
Diese Frage ist nach dem damaligen Verfassungszustand zu beurteilen und damit zu bejahen. Es besteht kein Zweifel daran, dass die Gewaltverbrecherverordnung nach den verfassungsmäßigen Anschauungen des Jahres 1939 von dem zuständigen Gesetzgeber erlassen wurde, denn der Ministerrat für die Reichsverteidigung hatte als Gesetzgebungsorgan auch die Befugnis, strafrechtliche Tatbestände den Kriegsbedürfnissen entsprechend gesetzlich neu zu regeln und für bestimmte Straftatbestände höhere Strafen als bisher vorzusehen.