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Karl M. Karl wurde 1926 in der Nähe von Frankfurt geboren. Sein Vater war Bahnarbeiter. Er hatte acht Geschwister, von denen aber drei bereits in jungen Jahren gestorben waren. In seinem ersten Lebensjahr litt Karl unter Krämpfen und hatte eine starke Gelbsucht. Seine Entwicklung war verzögert. Er lernte erst mit zwei Jahren laufen, und mit sechs sprechen. Fremden gegenüber war er ängstlich. Wenn er im Auto oder in der Bahn fahren sollte, legte er sich auf den Boden und schrie laut. Weil er weder in der Normal- noch in der Hilfsschule mitkam, und sich seine Eltern nicht genug um ihn kümmern konnten, wurde er 1937 in die Heilerziehungs- und Pflegeanstalt Scheuern bei Nassau eingewiesen. Hier wurde die Diagnose Schwachsinn gestellt. Die Krankenberichte beschreiben Karl als stillen, schüchternen Jungen: Aus der Krankenakte: Am ersten Tag, als die Eltern noch da waren, war Karl erregt, warf sich auf den Boden und schrie, wollte mit heim. Als die Eltern fort waren, hörte er sofort auf zu schreien, spielte mit den anderen Pfleglingen. Er hat seitdem nicht mehr von den Eltern gesprochen. Er ist im Allgemeinen artig, ruhig, folgsam, sitzt stundenlang ruhig da, ohne zu stören. Er ist leicht verlegen, wenn er z.B. in den Schlafsaal geschickt wird, um seine Hausschuhe zu holen, und sie nicht findet. Er bleibt dann ratlos im Schlafsaal stehen, weiß nicht, was er anfangen soll. Wenn er angerufen wird, kneift er die Augen zu, hält die Hände vor das Gesicht, ist wohl ängstlich. Er meldet nicht, wenn er austreten muß, trippelt meist mit dem Fuß auf, woran der Pfleger merkt, daß er es eilig hat, wenn ihm dann der Pfleger zu ruft: lauf!, geht Karl schnell auf die Toilette. Nachts hat er sich einige mal eingenässt, seitdem er abends nur Brot bekommt, bleibt er trocken. Karl hilft ein wenig auf der Abteilung: klopft Matten aus, kehrt den Schmutz mit einer Schaufel auf, tut das gern, kann aber sonst nichts. Er ist in allen seinen Bewegungen sehr langsam, steht meist da mit den Händen in den Hosentaschen. Auf Fragen gibt er keine Antwort, antwortet höchstens mit Ja. Am liebsten spielt er mit anderen Pfleglingen Nachlaufen und Fangen. Auf behördliche Anordnung wurde Karl im Januar 1939 in die Landesheil- und Pflegeanstalt Giessen verlegt. Hier herrschte ein anderer Ton. Auf dem Aufnahmeformular wurden nicht nur die üblichen persönlichen Daten festgehalten, sondern es wurden auch Angaben zu seiner angeblichen Rasse gemacht: Er sei arisch und sein vorwiegender Rasseanteil sei ostisch. Von den Nazis wurde die ostische Rasse als die ungünstigste im deutschen Volk betrachtet und die nordische Rasse am höchsten bewertet. War man dem Jungen in Scheuern noch mit Anteilnahme begegnet, so wurde er in der neuen Anstalt von Anfang an abwertend charakterisiert. Bereits der erste Eintrag in der Krankengeschichte am Aufnahmetag verrät dies: Karl macht einen ziemlich verblödeten Eindruck. Beim Fragen lacht er blöde vor sich hin, bohrt mit den Fingern in der Nase herum oder schlägt mit einer Hand auf die andere. Er kann nicht rechnen, nicht schreiben, nicht nachzeichnen. Nach neun Monaten kam Karl in die Landesheil- und Pflegeanstalt Goddelau bei Darmstadt. Hier erging es ihm nicht besser. Er wurde als tiefstehender Idiot, ohne höhere Interessen beschrieben. Er sei nicht bildungsfähig, außerdem fast jede Nacht unrein mit Urin. Im Herbst 1940 besuchte ihn einmal seine Mutter. Anfang Dezember nahm sie ihn für zwei Wochen zu sich nach Hause. Sie berichtete von keinerlei Vorfällen während der Beurlaubung ihres Sohnes. Im Februar 1941 wurde eine Art abschließendes Urteil in Karls Krankenakte eingetragen: Er sei ein nicht bildungsfähiger, zu Affekthandlungen neigender Idiot, der öfters mit Urin unrein wird. Er mache dadurch in der Pflege besondere Schwierigkeiten. Am 21. April 1941 wurde er auf besondere Anordnung in die Zwischenanstalt Weilmünster verlegt. Von hier erfolgte am 15. Mai 1941 sein Abtransport mit 86 weiteren Patienten nach Hadamar. Noch am selben Tag wurde er in die Gaskammer geführt. Sein Ankunftstag ist sein Todestag. Er starb mit fünfzehn Jahren.
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