Engerhafe

Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme



Bezeichnung: Aurich-Engerhafe

Gebiet: Ostfriesland, Gemeinde Südbrookmerland, Amt Engerhafe

Eröffnung: 21.10.1944

Schließung: 22.12.1944

Tagesablauf:
Morgens um 4 Uhr weckten SS-Aufseher die Gefangenen, danach bekamen sie ein Stück Brot, etwas Marmelade und je 20 Gramm Margarine und Wurst zum Frühstück. Es folgte der Zählappell. Anschließend marschierte der größte Teil der Insassen in Fünferreihen eingehakt zum Bahnhof von Georgsheil, von wo aus sie im offenen Güterwagen nach Aurich fuhren. Nach dieser kurzen Ruhepause folgte ein weiterer langer Marsch durch Aurich hindurch zur Arbeitsstelle. Dort leisteten die geschwächten Männer Schwerstarbeit: Mit Schaufeln gruben sie bis zu zweieinhalb Meter tiefe Erdlöcher in den zähen Lehmboden, wobei sie oft stundenlang bis zu den Knien im Wasser standen. Spät abends ging es dann zurück, und die Insassen erhielten ein Abendessen, das meist aus einer Wassersuppe mit Kohl und einigen Pellkartoffeln bestand.

Deportationen:
Am 15.12.1944 Rücktransport von 500 Schwerstkranken nach Neuengamme, am 22.12.1944 Überstellung der restlichen Häftlinge nach Neuengamme

Häftlinge:

Täter:
Seifert Erwin SS-Oberscharführer (Lagerkommandant)

nur der Lagerkommandant und wenige Unterscharführer gehörten zur SS, während die Wachmannschaften aus Soldaten der Marine bestanden. Adolf Hitler hatte ihren Einsatz 1944 persönlich befohlen. Für ihren Einsatz in den Lagern wurden sie notdürftig ausgebildet, unter anderem mit Zeichnungen aus einem Bilderbuch für KZ-Wachmannschaften.


Geschlecht: Männer

Einsatz der Häftlinge bei: OT

Art der Arbeit: Bau von Panzergrägen, d. h. Ausheben von ca. 2,5 m tiefen und ca. 3,5 m breiten Gräben rund um Aurich

Bemerkungen:


Geschichte des Außenlager Aurich-Engerhafe

Das Konzentrationslager Engerhafe (Außenlager Aurich-Engerhafe) wurde am 21. Oktober 1944 als Außenlager des Konzentrationslagers Neuengamme im Zusammenhang mit dem Bau des so genannten Friesenwalls errichtet.
Innerhalb der zwei Monate, in denen es bestanden hatte, starben 188 Häftlinge.

Am 16. März 1942 beschlagnahmte die Organisation Todt Pfarrgarten und Pfarrhaus der Kirchengemeinde in Engerhafe und errichtete hier Baracken für Zwangsarbeiter.
Dieses Arbeitslager war nicht eingezäunt und auch nicht bewacht. Einwohner von Engerhafe konnten an Filmvorführungen im Aufenthaltsraum teilnehmen.
Am 28. August 1944 befahl Adolf Hitler, die gesamte Nordseeküste mit mehreren Verteidigungslinien und Riegelstellungen, dem so genannten Friesenwall, zu befestigen.
Um die militärische Bauführung kümmerte sich zunächst das Marine-Oberkommando Nordsee in Wilhelmshaven zusammen mit dem Generalkommando X in Hamburg, die technische Bauleitung übernahmen die Wehrmacht und die Organisation Todt mit 50 Firmen. Am 18. September 1944 richtete das Oberkommando der Wehrmacht dann den „Führungsstab Nordseeküste“ mit Sitz in Hamburg ein.

Am 21. Oktober 1944 erfolgte die Umwandlung des Barackenlagers in ein Nebenlager des Konzentrationslagers Neuengamme.
Die ersten 400 Insassen wurden Mitte Oktober mit der Bahn nach Engerhafe transportiert. Der Transfer aus dem zirka 250 Kilometer entfernten Konzentrationslager Neuengamme dauerte zwischen 20 und 30 Stunden. Dieses Vorauskommando musste zunächst das Barackenlager in ein KZ umwandeln, indem es Sicherungsanlagen für das Lager errichtete, so unter anderem Stacheldrahtzäune und Wachtürme. Daraufhin erbauten die Insassen zwei weitere Baracken. Diese wurden zur Tarnung mit steilen Dächern versehen, damit sie aus der Luft wie landwirtschaftliche Gebäude aussahen. Nach der Fertigstellung wurde das Lager dann mit weiteren Häftlingen belegt. Diese trafen auf dem Bahnhof Georgsheil drei Kilometer von Engerhafe entfernt in Viehwaggons ein und kamen aus ganz Europa.
Die unmenschlichen Bedingungen, unter denen die Häftlinge untergebracht waren, forderten schon bald erste Todesopfer. Am 4. November wurden die ersten vier Insassen beerdigt. Zwei Tage später waren schon zehn Insassen tot.
188 Menschen sind von Oktober bis Dezember 1944 im KZ Engerhafe zu Tode gekommen. Als Todesursache wurde in den Kirchenbüchern blutige Diarrhoe angegeben.

Nach der Umwandlung in ein KZ-Außenlager hausten hier 2000 bis 2200 Häftlinge in drei 50 Meter langen und acht bis zehn Meter breiten ungeheizten Baracken, in denen lediglich die Betten Platz hatten. In jeder Baracke gab es 40 Schlafplätze. Jeweils drei Schlafgelegenheiten standen übereinander, und in jedem Bett schliefen zwei oder gar drei Männer auf Strohsäcken. Das Lager hatte weder Trink- noch Waschwasser und verfügte über keinerlei Kanalisation. Die hygienischen Umstände im Lager waren so katastrophal, dass sich die Ungeziefer und Krankheiten rapide verbreiteten. Als später die Ruhr überhand nahm, kam es auch vor, dass der flüssige Kot von den oberen Betten in die unteren floss. Trotz der widrigen Wetterbedingungen im ostfriesischen Spätherbst waren die Baracken nicht beheizt.

Es darf als gesichert gelten, dass viele Menschen von der Existenz des Lagers wussten. Schließlich wurden die Insassen auf ihrem Weg zu den Arbeitsplätzen in Aurich durch die Stadt getrieben. Das Ostfriesland-Magazin berichtet davon, dass die Bürger den Zug der Gefangenen der so genannten Gelbkreuzler ängstlich aus der Distanz beobachteten und es vorzogen, in ihre Häuser zu gehen, da sie den Anblick nicht ertragen konnten.
Und zum anderen, weil von diesem Zug ein unglaublicher Gestank ausging, eine richtige schlimme Duftwolke.
Aufgrund von Protesten aus der Bevölkerung erhielten die Gefangenen schließlich eine Schubkarre für den Transport der Toten. Bis dahin hatten sie diese auf dem Weg zurück in das Lager an den Füßen hinter sich herschleifen müssen, da sie keine Kraft mehr hatten, die Leichen anderweitig zu transportieren. Dabei schlug der Kopf immer wieder auf das Pflaster auf.

Es gibt auch Berichte darüber, dass Dorfbewohner den Gefangenen gelegentlich etwas Essen zusteckten. Eine besondere Erwähnung verdient hierbei der Müller der Vosbergmühle in Aurich. An dieser Mühle entstand ein Auffanglager für die Arbeitsunfähigen und völlig entkräfteten Zwangsarbeiter des KZ Engerhafe. Die SS hatte einen Stall der Mühle beschlagnahmt und hatte selbstverständlich auch die Schlüssel, so dass keine Bewachung notwendig war. Entkräftete Häftlinge wurden von den SS Aufsehern in die Scheune gesperrt und mussten sich abends wieder der Gruppe anschließen. Der Müller hatte jedoch einen Zweitschlüssel und schaffte es so, den Gefangenen unbemerkt Brot, Tee oder Suppe zu geben.
Es wird auch von Schulkindern berichtet, welche den Häftlingen durch den Lagerzaun, der an den Schulhof angrenzte, Pausenbrote zusteckten.

Nach 1945

Der ehemalige Lagerleiter Erwin Seifert, ein Sudetendeutscher SS-Mann aus der Tschechoslowakei, wurde von der Auricher Staatsanwaltschaft vor Gericht gestellt, allerdings nie verurteilt.
1952 wurden die Leichen im Auftrag des französischen Suchdienstes exhumiert und identifiziert. Hilfreich war hierbei das Friedhofs-Lagerbuch der Kirchengemeinde Engerhafe, welches die Namen, Geburtsdaten und Nationalitäten der auf dem Engerhafer Kirchhof bestatteten KZ-Häftlinge fein säuberlich aufführt.

Unter den 188 Toten, die in Engerhafe beerdigt worden waren, befanden sich:
68 Polen
47 Niederländer
21 Letten
17 Franzosen
9 Russen
8 Litauer
5 Deutsche
4 Esten
3 Belgier
3 Italiener
1 Däne
1 Spanier
1 Tscheche

Bei der Exhumierung stellte sich heraus, dass im nördlichen Teil des Feldes bis 1,70 m tiefe Gräber vorhanden waren, während die Leichen im südlichen Bereich nur mit einer 40 - 60 cm dünnen Erdschicht bedeckt war.
Die ersten zehn waren noch in fünf Holzkisten verfrachtet, die darauf folgenden nur noch mit Dachpappe und Draht umwickelt, und die übrigen offensichtlich war das Bestattungsmaterial gänzlich aufgebraucht wurden in Papiersäcken oder völlig nackt verscharrt.
Die Franzosen und ein Teil der Niederländer wurden nach der Identifizierung in ihre Heimat überführt, die übrigen identifizierten Niederländer kamen 1954 zum Heeger-Friedhof in Osnabrück und wurden 1955 auf den Stoffeler-Friedhof in Düsseldorf umgebettet.
Die verbliebenen Toten sind wieder auf dem Engerhafer Friedhof beerdigt worden.

Im Frühjahr und Sommer 1945 haben dann internierte deutsche Soldaten geholfen, den Großteil der Panzergrabenlinie rund um Aurich wieder zuzuschütten, so dass er nur noch an einzelnen Stellen sichtbar ist.
Die Baracken wurden nach Kriegsende sofort geplündert.



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